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Kleine Schritte

Angst macht es mir, wenn Grundschüler sagen: „Der Atomkrieg kommt sowieso.“ Ich erwiderte, dass jeder etwas für den Frieden tun kann. Darauf die Kinder: „Erwachsene können wenigstens wählen, aber was können Kinder tun?“ Unterschriften sammeln für den Frieden, regte ein Schüler an. Und ein anderer meinte: „Wir wissen nicht so recht, was wir tun können. Können Sie uns dabei helfen?“

Graffiti von zwei kleinen Mädchen für den Frieden: "Please no more war" und "Love" mit dem Peace-Zeichen als "o"
„Bitte kein Krieg mehr!“ schreiben die Mädchen an die Wand. Sie wollen Liebe (Bild: Annette JonesPixabay)

Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Sonntag, 14. November 1982, um 11.30 Uhr in Heuchelheim und um 14.00 Uhr in Reichelsheim auf dem Friedhof

Liebe Zuhörer!

Zwei Ereignisse in diesem Jahr bilden den Hintergrund meiner Gedanken zum diesjährigen Volkstrauertag. Der Krieg um die Falklandinseln und das Massaker in den Palästinenserlagern in Beirut. Der Falkland-Krieg, fast schon wieder vergessen bzw. ein Datum der Geschichte geworden, machte in diesem Jahr erschreckend deutlich, ein welch geringer Anlass ausreicht, um auch unsere westliche Welt in einen kriegerischen Konflikt zu verwickeln. Wie muss es um den Frieden in unserer Welt bestellt sein, wenn eine Regierungschefin auch heute noch durch einen Krieg ihr Ansehen erhöhen kann, wenn der Verlust von vielen getöteten jungen Soldaten als geringer eingestuft wird als ein nationaler Gesichtsverlust, und wenn so leichtfertig darauf verzichtet wird, wirklich noch das Letzte aus friedlichen Verhandlungen herauszuholen. Sollte unsere Bevölkerung an diesem Punkt anders denken als die englische oder argentinische? Sollten wir klüger geworden sein aus zwei Weltkriegen, klüger auch, weil wir auf dem Pulverfass des Ost-West-Konflikts ein Stück weiter zur Mitte hin sitzen?

Ich rede ja hier, eingeladen von der Stadt und von den Vereinen, als Mann der Kirche. Und deshalb denke ich auch besonders an die Rolle, die die Kirche im Falklandkonflikt gespielt hat. Es gab einen Punkt, an dem die britische Staatsmacht sich sehr über die anglikanische Kirche geärgert hat. Das war im Gedenkgottesdienst nach gewonnenem Krieg, den die britische Regierung sich als Ehrung für ihre gefallenen Soldaten und als Dankgottesdienst für den Sieg ausgemalt hatte. Da nahm die Kirche ihre Verantwortung für den Frieden in der Weise wahr, dass sie in diesem Gottesdienst keine Heldenverehrung zuließ, dass sie vielmehr in Trauer der Toten sowohl der englischen als auch der argentinischen Seite gedachte und für den Frieden betete. Ich weiß nicht genau, ob die Kirchen zuvor ihre Stimmen ausreichend gegen den Krieg erhoben hatten oder ob sie nur nicht gehört worden waren. Ich weiß aber, dass diese Ereignisse ein Ansporn für uns sein müssen, noch konsequenter um den Frieden zu ringen und der Gewöhnung an kriegerische Auseinandersetzungen entschieden zu wehren.

Das andere Ereignis, das ich erwähnt habe, das Abschlachten von Männern, Frauen und Kindern in Palästinenserlagern in Beirut, ist ein noch erschütternderes Zeugnis dafür, dass auch heute noch Unvorstellbares möglich ist, wo Hass gesät ist, wo Feindbilder bestehen und Konflikte unlösbar erscheinen. Sogenannte „christliche“ Milizen führten in blindem Vernichtungswahn das Massaker aus und missbrauchten den Namen Christi in gotteslästerlicher Weise. Wer nun aber mit Fingern auf irgendwelche Schuldige dort zeigen will, sei es auf eine der Parteien in Libanon, sei es auf die Juden, dem möchte ich zwei Antworten geben.

Erstens. Mich hat ein Bericht aus dem belagerten West-Beirut Mitte dieses Jahres, also noch vor den Massakern, sehr beeindruckt. Vielleicht weil der Verfasser, Dr. Ulrich Schoen, einer meiner Lehrer an der Universität in Mainz gewesen war. Als Lehrender an der Kirchlichen Hochschule in Beirut schrieb er davon, wie der Krieg über die Köpfe der Angehörigen aller Religionen hinweggehe. Und trotzdem gebe es unter den Juden, den Christen und den Moslems im umkämpften Beirut Menschen, die im Alltag dort friedlich zusammenwohnen und sich endlich Frieden für ihr Land wünschen. Wir sollten also vorsichtig sein, wenn wir von weitem Schuld verteilen, wenn wir von einen Religionskrieg sprechen oder wenn wir die Palästinenser, die Juden oder die Araber über einen Kamm scheren.

Zweitens. Wir sollten uns fragen: wie gehen wir damit um, dass in unserem Land Waffen gelagert sind, die eine Massenvernichtung noch ganz anderer, unvorstellbarer Größenordnung herbeiführen können?

Zu dieser Frage, die uns ja nun wirklich unmittelbar angeht, sind wir alle – über diesen einen Gedenktag an die Toten der Weltkriege hinaus – zum intensiven Nachdenken und vielleicht Umdenken gefordert. Ich sehe es als großen Fortschritt in der Geschichte unseres Volkes an, dass von dem Gebiet unseres Staates aus kein Angriffskrieg ausgehen darf, sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach den Überzeugungen unserer Politiker. Ich sehe es weiter als großen Fortschritt an, dass wir kaum noch andere Völker als solche als unsere Feinde ansehen, wie es noch gegenüber dem sogenannten „Erbfeind Frankreich“ vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Angst macht es mir jedoch, wenn Schüler in der Grundschule im Unterricht davon reden (es ging gerade um die Zehn Gebote): „Der Atomkrieg kommt ja sowieso. Der lässt sich gar nicht vermeiden.“

Sind wir schon so weit gekommen, dass wir trotz allem gutem Willen keine Macht mehr über unsere Kriegsmaschinerie haben?

Ich versuchte natürlich, den Schülern zu widersprechen, sprach davon, dass jeder etwas für den Frieden tun kann, und sei es, dass er im kleinsten Lebensbereich seine Konflikte nicht mit Gewalt zu lösen versucht. Die Rückfrage der Kinder war: Ja, Erwachsene können wenigstens wählen, aber was können denn Kinder tun? Unterschriften sammeln für den Frieden, kam als Anregung von einem anderen Schüler. Und eingewandt wurde: Wird man da nicht vielleicht ausgelacht? Und dann kam nach der Stunde noch jemand aus der Klasse auf mich zu und fragte mich, was mich sehr bewegt hat: „Wir wissen einfach nicht so recht, was wir tun können. Können Sie uns dabei helfen?“

Und da bin ich gefordert, da sind wir alle gefordert. Wie begegnen wir der schleichenden Angst, die in unseren Kindern wächst, sobald sie etwas von den Schrecken der Massenvernichtungsmittel ahnen, sobald der Zauber verblasst ist, der von Kriegsspielzeug und ratternden Panzern ausgeht, sobald sie wissen, dass ein Krieg in unserem Land heutzutage keinesfalls mehr mit einem Sieg, sondern nur mit unvorstellbarem Elend enden kann? Wie begegnen wir der Angst, die ja auch in uns selber ist, und die wir – als Selbstschutz – verdrängen? Sind wir fähig, unsere Kinder zum Frieden zu erziehen? Sind wir fähig, gemeinsam mit ihnen die kleinen Schritte zu gehen, die Jesus von uns erwartet, wenn er die Friedensstifter selig preist?

Wie fähig oder unfähig dazu wir uns immer fühlen – zu lernen haben wir alle. Auch wenn nach wie vor nur wenige bereit sind, Zeit für dieses Lernen zu opfern. In unserer Friedensgruppe in Reichelsheim waren wir ein paarmal nur zu viert. Doch wir machen weiter und warten auch auf diejenigen unter Ihnen, die ihre Sorge um den Frieden in ein aktives Nachdenken und gemeinsame Suchen umsetzen möchten.

Ich schließe mit dem Text eines Liedes, das wir am vorigen Sonntag im Gottesdienst zum Thema „Mut zum Frieden“ gesungen haben:

Vom Frieden reden hilft nicht viel

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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