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Unser Gott ist ein befreiender Gott

Gott will uns zu aufrechten Menschen machen und nicht zu Duckmäusern. Gott will uns unsere Sünde nicht bewusst machen, um uns zu erniedrigen, sondern um alle Sünde, alles, was uns eigentlich von Gott trennt, auszuräumen. Dann erst können wir aufrecht vor Gott stehen, ihm gegenüber, und uns von ihm mit neuen Aufgaben betrauen lassen, die er uns zutraut.

Die Zehn Gebote in der Holyrood Church in Southampton, England (Bild: michaelmepPixabay)

#predigtGottesdienst an an Neujahr 1986 um 13.00 Uhr in Dorn-Assenheim und 14.00 Uhr in Heuchelheim
Lesung – Jakobus 4, 13-17:

13 Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -,

14 und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.

15 Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.

16 Nun aber rühmt ihr euch in eurem Übermut. All solches Rühmen ist böse.

17 Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut‘s nicht, dem ist‘s Sünde.

Lieder: 41, 1-4 / 45, 1+4+6 / 31, 1-3 / 42, 11-15

Zum Jahreswechsel (Gebet von Käte Walter, aus: Quell allen Lebens. Eine Auswahl aus ihren Gedichten, Bundes Verlag, Witten, zitiert auf dem Neukirchener Kalender am 31. 12. 85):

Du, der in Ewigkeiten ist und war,
du hast die Zeit als Lehen uns gegeben
Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Ich predige über die Jahreslosung für das Neue Jahr des Herrn 1986 aus dem 2. Buch Mose – Exodus 20, 2-3. Gott spricht:

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Liebe Gemeinde!

Das alte Jahr ist zu Ende gegangen, ein neues hat vor wenigen Stunden begonnen. Wir blicken zurück und blicken nach vorn. Das alte Jahr, 1985, hat unter der Jahreslosung gestanden (Kolosser 3, 16 nach der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch.

Das neue Jahr, 1986, hat man unter die Jahreslosung gestellt (2. Buch Mose – Exodus 20, 2-3):

Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

Diese beiden Worte sollen die Mitte bilden, von denen aus wir sinnvollen Rückblick und auch sinnvolle Ausschau halten können. Vielleicht vermeide ich dann Wiederholungen von immer wiederkehrenden Formulierungen über dieses und jenes, was sich im alten Jahr zugetragen hat oder was wir für das kommende Jahr erhoffen oder befürchten.

War 1985 für uns ein Jahr, in dem das Wort Christi mit seinem ganzen Reichtum bei uns gewohnt hat? Kam neben unseren eigenen Aktivitäten unser Herr Jesus Christus bei uns zur Geltung, dem wir alle unsere Kräfte verdanken? Ließen wir uns durch Rückschläge entmutigen oder behielten wir die Zuversicht, dass nicht alles von unseren eigenen Kräften abhängt?

1985 war ein anstrengendes, aber auch schönes Jahr für mich. In Reichelsheim hatten wir die Festwoche, einen Bibelkreis haben wir begründet und in der ökumenischen Arbeit einen Neuanfang gemacht. Die Kirchenvorstände wurden neugewählt. Wichtig ist in dem allen nicht so sehr, was wir auf die Beine gestellt haben. Wie schnell ist das alles wieder vergessen. Wie leicht zucken wir dann auch wieder resigniert die Schultern und sagen: Ja, in der Festwoche war die Kirche dreimal voll – aber davon ist ja leider nichts übriggeblieben!

Nicht wir machen mit unseren eigenen Kräften aus dem alten Jahr ein reiches Jahr, auch nicht, wenn wir es mit Hilfe von ein bißchen Vergesslichkeit verklären wollten. Sondern wo Christus mit seinem Wort oder in seinem Wort bei uns gewohnt hat, da war es ein reiches Jahr, ein Jahr, in dem wir reich beschenkt wurden, ganz gleich, wie viele mit uns zusammen auf dem gleichen Wege gegangen sind. Schon zwei oder drei, die in seinem Namen zusammengekommen sind, zusammen auf sein Wort gehört oder zusammen gebetet haben, die sind nicht allein geblieben: Jesus selbst ist mit ihnen gewesen. Reicher können wir nicht sein, als wenn Jesus bei uns ist.

Wer das nicht so erlebt hat, kann es sich vielleicht nicht vorstellen, wie das möglich sein soll, dass Jesus bei uns ist. Er ist nicht so bei uns, wie ein leibhaftiger Mensch zum Anfassen und Anschauen bei uns ist. Auch nicht so, wie wir uns ein Gespenst vorstellen. Er ist so bei uns, wie Gott selber, Gott, der Vater, unsichtbar bei uns ist, denn Jesus und Gott sind eins.

Aber damit wären wir noch keinen Schritt weiter, wenn wir nicht einen Anhaltspunkt hätten, in welcher Weise Gott und Jesus nun wirklich für uns erfassbar sind, denn eine unsichtbare Kraft oder Persönlichkeit als solche könnten wir ja mit unseren menschlichen Mitteln überhaupt nicht erkennen. Wir haben diesen Anhaltspunkt, er ist das Wort Christi. Wir haben etwas Hörbares, Aufgeschriebenes, Weiterverkündigtes: das, was von Jesus berichtet, aufgezeichnet und weitergesagt wurde.

Was wir da hören, macht uns reich, wenn wir es recht hören, wenn wir es an uns heranlassen, wenn wir uns davon anrühren und bewegen lassen, wenn wir uns in Frage stellen und auf neuen Wegen führen lassen.

Du bist arm und machst zugleich uns an Leib und Seele reich,

heißt es in einem nicht so bekannten Weihnachtslied, dem Lied EKG 31 (EG 38), das wir nachher noch einmal singen werden und das mir in den letzten Weihnachtstagen sehr lieb geworden ist.

Du wirst klein, du großer Gott, und machst Höll und Tod zu Spott,

geht dieses Lied weiter, und schließlich heißt es da:

Lass mir deine Güt und Treu täglich werden immer neu. Gott, mein Gott, verlass mich nicht, wenn mich Not und Tod anficht. Lass mich deine Herrlichkeit, deine Wundergütigkeit schauen in der Ewigkeit!

Gottes Güte und Treue täglich zu erfahren, darin hat wahrer Reichtum im vergangenen Jahr bestanden, und um nichts anderes wird es auch 1986 gehen.

Wir müssen nun keine großen Pläne machen für das kommende Jahr. Mit guten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert. Getrost gehen wir ins neue Jahr, wenn wir unsere Pläne und Vorsätze in Gottes Hand legen, wenn wir uns mit unseren Sorgen oder mit unserer Begeisterung, mit unseren frohen oder trüben Gedanken unserem Vater im Himmel anvertrauen und wenn wir das Wort Christi weiterhin mit seinem Reichtum bei uns wohnen lassen. Mag sein, dass das neue Jahr anders wird, als wir es uns erträumen. Aber es wird auf jeden Fall ein Jahr des Herrn sein, ein Jahr, das Gott uns schenkt.

Darauf will uns die neue Jahreslosung aufmerksam machen. „Ich bin der Herr, dein Gott“, spricht Gott. „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Das erste Gebot. Oft gehört, sogar auswendig gelernt. Wir kennen es, meinen wir. Aber befolgen wir es auch?

Aber sicher, denken wir. Wir haben doch alle nur einen Herrgott. Wir müssen uns doch an irgendetwas festhalten. Wir haben doch alle denselben Glauben. So sagen wir oder hören wir es häufig. Aber meinen wir wirklich alle dasselbe? Und achten wir wirklich dieses erste und wichtigste der Gebote?

Wenn Gott uns so wichtig wäre, dass wir neben ihm keine anderen Götter gelten ließen, dann würden wir uns viel mehr Zeit nehmen, um in Ruhe auf sein Wort zu hören. Dann würde unsere Kirche am Sonntag viel voller sein. Dann würden wir uns in der Gemeinde vor Mitarbeitern kaum retten können. Dann würden wir nicht so mutlos auf die kleine Zahl der aktiven Christen schauen. Dann würden wir nicht so viel Angst vor der Meinung anderer Leute haben.

Dort, wo wir zusammenkommen, in den Gottesdiensten, in den Gemeindekreisen, in den Familien, am Arbeitsplatz, in der Schule, überall da kommt es darauf an, uns klarzumachen, wer den Ton angeben soll, welcher Geist herrschen soll. Nicht irgendwelchen fremden Einflüssen oder Ansprüchen sollen wir folgen und uns unterwerfen, sondern der Gott, der uns durch Jesus Christus bekannt wurde, soll unser einziger Gott sein.

Ein Kennzeichen dieses Gottes ist, dass er von sich sagt: „…der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ Das war zuerst zum Volk Israel gesagt, aber es gilt für uns in entsprechender Weise. Gott ist ein Gott, der aus Knechtschaft herausführt, und nicht einer, der uns in den Staub ducken will. Gott will uns zu aufrechten Menschen machen und nicht zu Duckmäusern. Gott will uns unsere Sünde nicht bewusst machen, um uns zu erniedrigen, sondern um alle Sünde, alles, was uns eigentlich von Gott trennt, auszuräumen. Dann erst können wir aufrecht vor Gott stehen, ihm gegenüber, und uns von ihm mit neuen Aufgaben betrauen lassen, die er uns zutraut.

Gott führt uns aus Knechtschaft heraus. Jeder hat seine eigene Sorte Knechtschaft. Beim Volk Israel war es die Unterdrückung in Ägypten, das Seufzen unter der Peitsche der Sklaventreiber und das Schreien der Säuglinge, die vom brutalen Pharao dahingemordet wurden. Solche Knechtschaft gibt es bis heute; wir müssen nur z. B. an die Lage der schwarzen Bevölkerung in Südafrika denken, die sich in den letzten Jahren so sehr verschärft hat, oder an die Christen, die in manchen kommunistischen Ländern wegen ihres Glaubens verfolgt werden.

In unserem Land sind die Formen der Knechtschaft meist anderer Natur. Einfluss, Wohlstand, Vergnügungssucht können Namen für falsche Götter sein, die nicht befreien, sondern versklaven. Aber auch bestimmte Ängste und Depressionen können ein Zeichen dafür sein, dass wir dem wahren Gott zu wenig zutrauen, können zu den Knechtschaften gehören, aus denen Gott uns herausführen will. „In der Welt habt ihr Angst“, sagt Jesus. „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“

Wie führt Gott uns heraus, wie führt er uns im neuen Jahr? Ich stelle mir, vor, dass Gott heute zu uns redet, wie er zum Volk Israel geredet hat damals am Sinai, nachdem er es aus Ägyptenland geführt hatte. So würde Gott zu uns reden:

„Ich bin der Herr, dein Gott,
eine Stimme, die dich sucht,
ein leiser Anruf, ein Raunen, –
kein stummer Götze, der dich anschweigt,
keine Formel, nicht Stein und Standbild,
nicht leblos, kalt und abweisend,
nichts Festes, das der Mensch doch haben sollte,
sondern Fleisch und Blut;
eine Knechtsgestalt, Stallkind und Schmerzensmann,
gezeichnet von allem, was Menschen auf Erden widerfährt.

Ich bin der Herr, dein Gott;
der ich die Macht der Liebe aufrichte
und ihr Gestalt gebe
in einem Menschen.
Ich bin der Herr, dein Gott,
dir nahe in Jesus von Nazareth.
Ich bin an der Seite der Mühseligen und Beladenen,
der Vergessenen; der Geringsten,
an einem Tisch mit all den Opfern
der Politik, der Verteilungskämpfe, der Religion
und einer doppelten Moral.

Ich bin kein Herr im üblichen Sinne,
sondern ein Gott, dem widersprochen wird,
dem die Machthaber den Kampf ansagen,
ein leidender Gott, abgelehnt und verurteilt,
geschlagen, gegeißelt und mit Dornen gekrönt,
ein für allemal für beendet erklärt,
hingerichtet und eingewandert in die Macht des Todes,
auferstanden, dass die Liebe wieder Gestalt wird
in einer neuen, besseren Gemeinschaft
von Schwestern und Brüdern,
in einer Menschheit nach meinem Bilde.

Ich bin der Herr, dein Gott,
der ich dich aus deiner Knechtschaft herausgeführt habe,
aus der Schuld deiner Vergangenheit,
aus deiner Bequemlichkeit und Eigensucht;
aus deiner Selbstherrlichkeit und Rechthaberei,
mit der du andere missbrauchst, sie verstößt,
aus deiner Unfähigkeit zu lieben, dich herzugeben,
einen Andersdenkenden zu ertragen.

Ich bin der Herr, dein Gott,
der ich dich aus deiner Knechtschaft herausgeführt habe,
aus der Gedankenlosigkeit deiner Ansprüche
auf Wohlergehen und Genuss,
aus sinnloser Verschwendung und hirnlosem Verbrauch,
aus deiner Bewusstlosigkeit und Apathie,
mit der du deine Augen verschließt vor all dem,
was durch dich geschieht,
an schleichender Zerstörung und heimlicher Gewalt
in deinem Lebensraum.

Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Verliere dich nicht im Wunschdenken,
nicht an Scheinwelten, nicht an Scharlatane, Gurus oder politische Erlöser.
Krieche nicht auf jeden frommen, religiösen Leim.
Suche das Leben nicht im Flüchtigen,
nicht in den Modewellen der Gedanken und Gefühle.
Verliere dich nicht an leblose Dinge,
nicht an Waren und Produkte, Güter des gehobenen Bedarfs,
nicht an deine Sehnsucht und den Stoff.
Schlucke, trinke und spritze dich nicht in Unheil und Verderben.

Ich bin der Herr, dein Gott,
du sollst keine anderen Götter haben neben mir,
das heißt vor allem:
Du sollst dich nicht selbst vergöttern,
dich nicht selbst aufblasen, groß machen
und zum Maß aller Dinge erheben.
Deine Lebensweisheiten und Glaubensüberzeugungen
sollst du nicht als ewige Wahrheiten verkündigen.
Deine politischen Ansichten, dein Wirtschaftsinteresse,
die Ordnungen und Prinzipien von Macht und Geschäft
sollst du nicht für unantastbar und heilig erklären.
Den Eigengesetzlichkeiten des Fortschritts,
den Sachzwängen des Kapitals,
der Welterklärung einer technokratischen Vernunft
sollst du nicht blind folgen
und sie nicht zu Herren über das Schicksal
unzähliger davon Beeinträchtigter machen.
Bete sie nicht an und diene ihnen nicht.
Dein Heil, dein Frieden und deine Gerechtigkeit
werden sie niemals sein.

Die Erfüllung deines Lebens findest du nur,
wenn du dein Fühlen, Denken und Entscheiden
verankerst in mir.“
Ja, so spricht Gott zu uns.
„Denn ich bin der Herr, dein Gott,
der die Welt leben und atmen lässt,
der sie dem Frieden entgegenführt, der ohne Ende ist.“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gesegnetes Neues Jahr 1986, ein Jahr, in dem auch wir uns durch den Herrn, unseren Gott, aus unseren Knechtschaften herausführen lassen. So können wir getrost das neue Jahr beginnen! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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