„Schwerter zu Pflugscharen!“ Oder umgekehrt?

„Bereitet euch zum heiligen Krieg!“ Wie gehen wir als Christen mit einem solchen Aufruf des Propheten Joel um? „Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße!“ Wie verträgt sich dieser Satz aus Joel 4 mit der bekannten Friedensvision aus Micha 4, in der „Schwerter zu Pflugscharen“ geschmiedet werden und niemand mehr das Kriegshandwerk erlernen wird?

Schwerter zu Pflugscharen - Skulptur im Garten des UN-Hauptquartiers in New York City.
Friedens-Skulptur im Garten des UN-Hauptquartiers in New York City. Quelle: Colin W, Garden at the United Nations Headquarters, New York City – panoramio, CC BY-SA 3.0

#predigtGottesdienst zum Auftakt der Friedensdekade am Sonntag, 12. November 2017, 10.00 Uhr in der evangelischen Lukaskirche Gießen
Orgelvorspiel

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich mit dem Wort zur kommenden Woche aus 2. Korinther 6, 2:

Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils.

Der November ist traditionell ein Monat der eher traurigen Gedenktage. Volkstrauertag, Totensonntag, Allerseelen. Im November ist in den 80er Jahren aber auch eine neue Tradition entstanden, nämlich in den zehn Tagen zwischen dem Sonntag vor Volkstrauertag und dem Buß- und Bettag besonders an die Verantwortung für den Frieden zu denken. Herr Pfarrer Helmut Schütz, der diesen Gottesdienst mit uns feiert, knüpft an diese Tradition an und erinnert in der Predigt an ein Motto, mit dem die Friedensbewegung in Ost und West vor 30 Jahren ein Zeichen für die Abrüstung setzen wollte: „Schwerter zu Pflugscharen!“ Vielleicht sind Sie überrascht, was in der Bibel zu diesem Thema zu finden ist.

Wir singen aus dem Lied 322 die Strophen 1 bis 6:

1. Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt, dem, dessen Lob der Engel Heer im Himmel stets vermeld’t.

2. Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserm höchsten Gut, der seine Wunder überall und große Dinge tut;

3. der uns von Mutterleibe an frisch und gesund erhält und, wo kein Mensch nicht helfen kann, sich selbst zum Helfer stellt;

4. der, ob wir ihn gleich hoch betrübt, doch bleibet guten Muts, die Straf erlässt, die Schuld vergibt und tut uns alles Guts.

5. Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.

6. Er lasse seinen Frieden ruhn auf unserm Volk und Land; er gebe Glück zu unserm Tun und Heil zu allem Stand.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Jesus Christus spricht (Matthäus 5, 9):

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Einmal sagt er aber auch Sätze, die dieser Seligpreisung scheinbar widersprechen (Matthäus 10, 34):

Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Kommt, lasst uns Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Wir kommen zu dir, Gott des Friedens, auch wenn es uns manchmal sehr schwer fällt, dein Wort zu verstehen. Wir kommen zu dir mit unserer Klage über den Unfrieden in unserer Welt. Wir hören von Gewalt und Terror, Krieg und Bürgerkrieg, Fremdenfeindlichkeit und der Verfolgung anders Denkender und Glaubender, und in vielen von uns wächst die Angst. Mach uns bewusst, wo wir mit beteiligt sind an Vorurteilen und unfairem Streit, wo wir schweigen zu Unrecht, das zum Unfrieden führt, wo wir aus Harmoniesucht Probleme zudecken, über die sachlich gestritten werden müsste. Wir rufen zu dir, Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Wir beten mit Psalm 46, im Gesangbuch steht er unter der Nummer 725. Bitte antworten Sie mir mit den eingerückten Versen:

2 Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.

3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken,

4 wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

5 Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.

6 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie festbleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen.

7 Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.

8 Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.

9 Kommt her und schauet die Werke des Herrn, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,

10 der den Kriegen steuert in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.

11 Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.

12 Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist gross Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Du, Gott des Friedens, mach unsere Ohren auf für dein Wort, mach unseren Verstand bereit, über dein Wort nachzudenken und uns in Frage stellen zu lassen, hilf uns, Wege zu einem wahren Frieden zu finden und auf ihnen zu gehen – im Vertrauen auf Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Liebe Kinder, ihr geht jetzt zur Kinderkirche. Lasst euch segnen für diesen Weg: Gott geht mit euch als guter Vater, als gute Mutter, als der gute Freund Jesus und als die Liebe, die ihr warm in euch spürt. Amen.

Wir hören den Predigttext zum Auftakt der Friedensdekade 2017 aus dem Buch des Propheten Micha 4:

1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen,

2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.

3 Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

4 Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s geredet.

5 Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied 426: Es wird sein in den letzten Tagen
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde,

der Prophet Micha hat eine Vision. (In ähnlichen Worten überliefert sie auch Jesaja im 2. Kapitel, aber heute will ich mich auf Micha konzentrieren). Mit Augen des Glaubens, des Herzens sieht er eine Zukunft, in der sich alle Völker der Welt auf dem Tempelberg von Jerusalem versammeln und sich von Gott Unterricht geben lassen in Sachen Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Ja, sie werden den Gott Israels sogar als Richter über sich anerkennen und aufhören, gegeneinander Krieg zu führen, so dass jeder im Frieden unter seinem Feigenbaum und Weinstock wohnen kann. Auf diese Vision läuft alles hinaus, was den in der Bibel offenbarten Gott von dem unterscheidet, was man sonst als Gott über sich anerkennen könnte: Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden für Israel und alle Völker auf Erden (Micha 4):

3 Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.

Die Vision des Propheten Micha hat in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts viele inspiriert – sowohl im freiheitlichen Aufbruch in der DDR als auch in der Friedensbewegung im Westen. Sollte es nicht möglich sein, aus dem Rüstungswettlauf auszusteigen und statt in die Produktion von immer mehr Waffen lieber in Entwicklungsprojekte gegen den Welthunger zu investieren? Dann kam die Wende, das Ende des Kalten Krieges; es wurde durchaus teilweise abgerüstet. Aber immer noch gibt es Waffen, mit denen die Menschheit sich vielfach vernichten könnte, und gerade in letzter Zeit wächst die Sorge, ob Atomwaffen von verantwortungslosen Politikern nicht vielleicht sogar wieder eingesetzt werden könnten. „Schwerter zu Pflugscharen“ – das hört sich nach einer Illusion an oder wenigstens nach einer sehr, sehr weit entferntem Zukunftsmusik. In Deutschland können wir zwar immer noch dankbar sein für über 70 Jahre ohne Krieg. Aber anderswo gibt es Kriege und Bürgerkriege ohne Ende, und der Terror des den wahren Islam verhöhnenden „Islamischen Staates“ reicht bis in europäische Städte hinein. Was fangen wir also heute an mit der Vision von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden?

Ich will das Wort des Propheten Micha in einen größeren Zusammenhang stellen. Ein anderer der 12 Kleinen Propheten, der Prophet Joel, redet auch von Schwertern und Pflugscharen. Aber er hört sich anders an (Joel 4):

10 Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße!“

Moment mal! Das ist ja genau das Gegenteil von dem, was Micha voraussieht. Ist es also tatsächlich so, dass man mit der Bibel beliebige Wahrheiten belegen kann, weil sie sich auf Schritt und Tritt widerspricht?

Ich muss zugeben, dass dieser Eindruck leicht entstehen kann, wenn man bedenkt, dass man sehr leicht in die Versuchung gerät, nur die Stellen aus der Bibel zu zitieren, die zur eigenen Überzeugung passen. Das machen wir Christen ja auch gerne, wenn wir Psalmen beten. Vieles, was nicht ganz friedlich klingt, wird zum Beispiel in unserem Evangelischen Gesangbuch aus den Psalmen einfach weggelassen. Aber wenn die Bibel mit beiden Testamenten unser heiliges Buch ist, sollten wir dann nicht bereit sein, uns von ihr in UNSEREN Überzeugungen in Frage stellen zu lassen?

Das heißt übrigens nicht, dass wir alles, was in der Bibel steht, wortwörtlich glauben müssten, ohne darüber nachzudenken; das Wort Gottes haben wir nicht anders als in durchaus menschlichen Worten und zeitbedingten Vorstellungsformen. Sprechen wir also mit der Bibel sozusagen auf Augenhöhe. Wir dürfen die BIBEL befragen, und die Bibel befragt auch UNS, und nicht immer müssen WIR das letzte Wort behalten. Entscheidend ist in diesem Gespräch mit der Bibel letzten Endes Gott selbst, sein Heiliger Geist, der uns für das Leben in unserem Hier und Heute Antworten zeigt auf unsere Fragen und uns herausfordert zu einem Leben nach dem Willen Gottes.

In diesem Sinne möchte ich die beiden Kapitel Micha 4 und Joel 4, in denen die gegensätzlichen Worte über Schwerte und Pflugscharen stehen, jetzt noch genauer anschauen.

Der Prophet Joel sieht in den ersten drei Kapiteln seines Buches den Tag des Herrn auf das Volk Israel zukommen. Dieser Tag bringt Missernte, Hungersnot und Krieg; Joel versteht ihn zunächst einmal als einen Tag, an dem Gott das Volk dafür strafen wird, dass Unrecht und Ausbeutung herrschen statt Recht und Gerechtigkeit. Aber, so der Prophet Joel, es gibt einen Ausweg. Wenn das Volk zur Umkehr bereit ist, wird Gott sein Volk verschonen, kann es auf neuen Segen hoffen, wird Gott seinen Geist über Jung und Alt ausgießen. Der Gott Israels verhängt keine unausweichliche Strafe, kein Schicksal, dem man nicht entrinnen kann, wie in der griechischen Tragödie, sondern wenn das Volk umkehrt, kehrt auch Gott um und wendet das Geschick der Menschen. An dieser Stelle setzt das 4. und letzte Kapitel des Buches Joel ein und beschreibt den Tag der Umkehr Gottes zu seinem Volk:

1 Denn siehe, in jenen Tagen und zur selben Zeit, da ich das Geschick Judas und Jerusalems wenden werde,

2 will ich alle Heiden zusammenbringen und will sie ins Tal Joschafat hinabführen und will dort mit ihnen rechten wegen meines Volks und meines Erbteils Israel, weil sie es unter die Heiden zerstreut und sich in mein Land geteilt haben;

3 sie haben das Los um mein Volk geworfen und haben Knaben für eine Hure hingegeben und Mädchen für Wein verkauft und vertrunken.

„Heiden“, damit meint Joel vermutlich die assyrischen Eroberer, unter denen Israel viele Jahre zu leiden hatten. Krass wird beschrieben, wie die fremde Oberherrschaft sogar Kinder in Sklaverei und Prostitution verkauft hat. Aber das soll nun vorbei sein. Denn Gott will die Fremdvölker im Tal Joschafat unter ein gerechtes Gericht stellen. Der Name Joschafat ist übrigens Programm; „Jo“ erinnert an JHWH, den heiligen Namen des Gottes Israels, „schafat“ bedeutet „Richten“.

9 Rufet dies aus unter den Heiden! Bereitet euch zum heiligen Krieg! Bietet die Starken auf! Lasst herzukommen und hinaufziehen alle Kriegsleute!

Das klingt in unseren Ohren politisch extrem inkorrekt. Ein Aufruf zum heiligen Krieg – mitten in unserer Bibel. Und dann der Vers, den wir schon gehört haben:

10 Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwache spreche: Ich bin stark!

Dieser Nachsatz lässt mich aufhorchen. „Der Schwache spreche: Ich bin stark!“ Anscheinend geht es hier um ein Volk, das einer Übermacht hoffnungslos unterlegen ist. Trotzdem soll es, wie in der Geschichte von David und Goliath, im Vertrauen auf Gott in einen Kampf ziehen, der aussichtslos erscheint. „Der Schwache spreche: Ich bin stark!“ Stellen Sie sich vor, dass unbewaffnete Landarbeiter wortwörtlich genommen ihre Pflugscharen nehmen und daraus Schwerter schmieden. Denken Sie an die Bauern im Bauernkrieg zur Zeit Luthers, die ihren Feudalherren mit Heugabeln und Sensen entgegentraten. Sie hatten keine Chance; aber der Prophet Joel scheint trotzdem zu meinen, dass Gott gerade diesen Schwachen den Sieg geben wird. So wie damals David gegen Goliath.

Im weiteren Verlauf des Kapitels wird deutlich, dass Gott selber die Fremdvölker besiegen wird; und von dem zu einer Waffe umgerüsteten Ackergerät ist in symbolischem Sinn die Rede:

13 Greift zur Sichel, denn die Ernte ist reif! Kommt und tretet, denn die Kelter ist voll, die Kufen laufen über, denn ihre Bosheit ist groß!

Der Prophet sieht voraus, dass Unrechtsstaaten niemals ewig herrschen. Die organisierte Unmenschlichkeit kann einen Grad erreichen, bei dem sie reif wird für eine Abrechnung. Das Maß ist voll, wie bei der Weinernte die Trauben in einem übervollen Fass getreten werden, so dass die Kelter überläuft. Ich denke an das Ende der Nazi-Diktatur in Deutschland, das Ende der Apartheid in Südafrika, das Ende des Sowjetkommunismus. So ähnlich müssen die Israeliten damals das Ende der Herrschaft der Assyrer empfunden haben. Letzten Endes, so sagt der Prophet Joel, ist es Gott selbst, der sein Volk vor dem endgültigen Untergang rettet; er tut es, indem er sich fast ungehörig laut zu Wort meldet, unüberhörbar für die Völker:

16 Und der HERR wird aus Zion brüllen und aus Jerusalem seine Stimme hören lassen, dass Himmel und Erde erbeben werden. Aber seinem Volk wird der HERR eine Zuflucht sein und eine Burg den Israeliten.

Wie sollen wir uns das vorstellen: einen brüllenden Gott, dessen Wort nicht nur Erdbeben hervorruft, sondern sogar den Himmel erzittern lässt? Joel sieht vor den Augen seines Herzens einen Gott, der nur eine Waffe hat: sein Wort. Kein leeres Wort, sondern das Wort einer starken Liebe, einer Gerechtigkeit für alle, eines Friedens, der sich durchsetzt. Und jetzt widerspreche ich mal einem oberflächlichen Eindruck. Wir sagen ja oft: Wer brüllt, hat Unrecht. Aber Gott ersetzt nicht Überzeugungskraft durch Lautstärke. Das laute Brüllen Gottes kann uns vielmehr unüberhörbar darauf aufmerksam machen, dass Gott nicht mit menschlichen Kriegswaffen kämpft wie die griechisch-römischen Göttinnen und Götter des Krieges. Sondern er wirkt allein durch seine Stimme. Und seine Stimme sagt laut und eindringlich: „Die Schwachen werden siegen.“ Er, der Gott Israels, wird seinem Volk eine Zuflucht und eine Burg sein. Und uns, die wir durch Jesus Christus auf den Gott Israels vertrauen dürfen, gilt die gleiche Zusage, wenn wir zu den Schwachen gehören, zu den Opfern von Gewalt, oder zu denen, die an der Seite von Schwachen oder Opfern stehen. So dürfen wir den Propheten Joel verstehen:

10 Macht aus euren Pflugscharen Schwerter und aus euren Sicheln Spieße! Der Schwache spreche: Ich bin stark!

Das heißt: Wehrt euch gegen Unrecht! Ihr dürft das tun, wenn ihr zunächst von eigenem Unrecht umkehrt, und wenn ihr genau prüft, ob Gott in diesem Kampf gegen das Unrecht wirklich auf eurer Seite steht. Denn Gott ist immer auf der Seite derer, denen Unrecht geschieht, er ist die Kraft, die in Schwachen mächtig ist.

Schauen wir nun noch einmal ins Prophetenbuch Micha. Dort hieß es (Micha 4):

3 Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

Das letzte Wort Gottes über die Völker der Welt ist also der Friede. Aber wenn wir im Kapitel 4 des Buches Micha weiterlesen, hören wir auch dort andere Töne – Töne verschiedener Art. Einerseits wird, ähnlich wie bei Joel, dem Volk Israel eine neue Strafe angekündigt, die Verbannung nach Babylon. Andererseits macht Gott seiner Tochter Zion schon jetzt wieder Mut – gemeint ist die vertriebene Bevölkerung der Stadt Jerusalem:

11 Nun aber werden sich viele Heiden wider dich zusammenrotten und sprechen: Sie ist dahingegeben; wir wollen auf Zion herabsehen!

12 Aber sie wissen des HERRN Gedanken nicht und kennen seinen Ratschlag nicht, dass er sie zusammengebracht hat wie Garben auf der Tenne.

13 Darum mache dich auf und drisch, du Tochter Zion! Denn ich will dir eiserne Hörner und eherne Klauen machen, und du sollst viele Völker zermalmen und ihr Gut dem HERRN weihen und ihre Habe dem Herrscher der ganzen Welt.

Auch hier hören wir wieder Bilder des Kampfes und Bilder der Ernte. Wenn die Unrechtsstaaten in ihrer Bosheit reif sind, dann wird gedroschen, was das Zeug hält. Wie ein Bulle mit Eisenhörnern und Klauen aus Erz kann das kleine Volk Israel allen Weltmächten widerstehen.

Tatsache ist: Nicht wörtlich genommen auf diese Weise kam Israel wieder zurück in sein Land. Aber es KAM zurück. Als die Perser die Babylonier besiegten, ließen sie die Juden in Israel einen neuen Anfang machen. Die Assyrer, die Babylonier, diese damaligen Großmächte gibt es heute nicht mehr. Das kleine Volk Israel, den Glauben der Juden, auch unseren christlichen Glauben, den es ohne die Juden nie gegeben hätte, gibt es bis heute.

Aus den Worten der Bibel lassen sich also gar nicht so leicht Wahrheiten ableiten, die allezeit allgemein gelten. Wir müssen abwägen und durchaus manchmal darüber streiten, was in einer bestimmten Lage angebracht ist. Gott will Frieden, aber nicht um den Preis, dass Schwache auf Dauer unterdrückt bleiben. Er will, dass die Schwachen siegen – UND dieser Sieg soll nicht in eine neue Unterdrückung umschlagen. Überall, wo in der Bibel Pflugscharen zu Schwerten umgeschmiedet werden, geht es um Schwache, die Gott stark machen will. Darüber ist sich Micha mit Joel einig, wie die folgenden schönen Verse zeigen:

6 Zur selben Zeit, spricht der HERR, will ich die Lahmen sammeln und die Verstoßenen zusammenbringen und die ich geplagt habe.

7 Und ich will den Lahmen geben, dass sie viele Erben haben, und will die Verstoßenen zum großen Volk machen. Und der HERR wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun an bis in Ewigkeit.

Lahme, Geschwächte, Verstoßene, die ewigen Opfer der Geschichte, Menschen, die sich abgehängt fühlen, um die geht es, wenn die Bibel vom Frieden redet. Und hier spricht die Bibel auf einmal sehr konkret in unsere Wirklichkeit hinein: Wir werden nur dann den Frieden in unserem Land und für unsere Welt bewahren, wenn wir nach Gottes Willen leben. Und Gottes Wille besteht darin, dass jeder zu seinem Recht kommt, dass Konflikte offen angesprochen und sachlich geklärt werden.

Es gibt die unterschiedlichsten politischen Konzepte, um mehr Gerechtigkeit zu erreichen und den Frieden zu bewahren, darüber muss möglichst fair gestritten werden. Aber wo Reiche immer reicher werden auf Kosten der Armen, oder wo bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Sündenbock für alle Probleme gemacht werden, da geht Politik in eine Richtung, die wir Christen nicht gutheißen können.

Unsere Friedensvision ist eine Welt, in der die Völker nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Schon heute bewundere ich die Menschen, die zum Beispiel im Kosovo als Beauftragte der Bundeswehr im Dienst der Konfliktschlichtung unterwegs sind, wie zum Beispiel eine junge türkischstämmige Frau, die ich aus der Gießener DITIB-Moschee kenne. Ich verstehe aber auch Menschen, die sagen: In unserer noch unerlösten Welt kommen Menschen manchmal nicht darum herum, Pflugscharen zu Schwertern zu machen, um Unrecht entgegenzutreten. Und, wie gesagt, erst recht ist es notwendig, um den richtigen politischen Weg zu streiten. Die beiden vierten Kapitel der Propheten Joel und Micha zeigen in ihrer scheinbaren Widersprüchlichkeit, dass bei diesem Streit die Themen der Gerechtigkeit und des Friedens unbedingt zusammengehören. Oder, wie der frühere Bundespräsident Johannes Rau am 14. September 2001 in seiner Ansprache vor dem Brandenburger Tor in Berlin bei der Kundgebung „Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ sagte:

Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit wird der Friede sein.

Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 640: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn
Abkündigungen

Du, Gott des Friedens, wir danken dir für den Frieden, den du uns schenkst durch dein Wort, durch dich selbst, durch Menschen, die uns begegnen. Wir danken dir für kritische Worte, die uns helfen, deinen Frieden besser zu verstehen und echten Frieden zu schaffen.

Du, Gott des Friedens, lehre uns zu erkennen, was wirklich dem Frieden dient, in Familie und Freundschaft, auf dem Schulhof und bei der Arbeit, in der Kirche und in der Politik. Schenke unseren Politikern Besonnenheit und Augenmaß in ihrem Streit um das, was den Menschen, für die sie Verantwortung tragen, wirklich dient. Insbesondere bitten wir um den Geist der Verständigung und der Einsicht für alle, die in diesen Tagen zur Klimakonferenz in Bonn zusammen sind.

Du, Gott des Friedens, für uns selber bitten wir: Lass Frieden wachsen in der Unruhe unserer eigenen Herzen.

In der Stille bringen wir vor dich, was wir persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied EG plus 142: Verleih uns Frieden gnädiglich

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Orgelnachspiel

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