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„Der Mensch denkt, Gott lenkt“

Gott lenkt uns nicht wie Marionetten an Fäden. Er macht uns dafür verantwortlich, ob wir als Christen leben oder nicht. Und zugleich lenkt uns Gott – durch sein Wort, durch seinen Geist. Wenn wir lieben, dann lieben wir durch seine Kraft. Wenn wir uns so durch Gott gelenkt wissen, dann fühlen wir uns frei, dann sind wir in Wahrheit frei.

Ein Mann hockt auf einem Sessel und hält eine Figur, die wie er selbst aussieht, an Marionettenfäden
An wessen Marionettenfäden hängen wir? (Bild: Thomas SkirdePixabay)
direkt-predigtGottesdienst am Altjahrsabend, 31.12.82, um 18.00 Uhr in Reichelsheim, an Neujahr, 1.1.83, um 10.30 Uhr in Heuchelheim und am Sonntag nach Neujahr, 2.1.83, um 10.00 Uhr in Staden und 13.00 Uhr in Stammheim
Lieder am Altjahrsabend: 37, 1+5+6; 44, 1-3; 45, 4-6; 44, 6
Lieder an Neujahr: 40, 1-5; 294, 1+2+8; 45, 1+4+5; 44, 6
Eingangswort Jesaja 54, 10 (GNB):

Berge mögen von ihrer Stelle weichen und Hügel wanken, aber meine Liebe zu dir kann durch nichts erschüttert werden, und meine Friedenszusage wird niemals hinfällig. Das sage ich, der Herr, der dich liebt.

Gnadenzusage Jesaja 66, 13a (GNB):

Ich werde euch trösten, wie eine Mutter tröstet.

Lesung: Römer 8, 31b-39

31 Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?

32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.

34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.

35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?

36 wie geschrieben steht: »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«

37 Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.

38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,

39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Predigttext: Sprüche 16, 1-9

1 Der Mensch setzt sich’s wohl vor im Herzen; aber vom HERRN kommt, was die Zunge reden wird.

2 Einen jeglichen dünken seine Wege rein; aber der HERR prüft die Geister.

3 Befiehl dem HERRN deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen.

4 Der HERR macht alles zu seinem Zweck, auch den Gottlosen für den bösen Tag.

5 Ein stolzes Herz ist dem HERRN ein Greuel und wird gewiss nicht ungestraft bleiben.

6 Durch Güte und Treue wird Missetat gesühnt, und durch die Furcht des HERRN meidet man das Böse.

7 Wenn eines Menschen Wege dem HERRN wohlgefallen, so lässt er auch seine Feinde mit ihm Frieden machen.

8 Besser wenig mit Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht.

9 Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

„Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Diese zur Redensart gewordene Weisheit stammt aus dem Buch der Sprüche Salomos im Alten Testament (Sprüche 16, 9 – nach der Übersetzung der Gute-Nachricht-Bibel – GNB 1980):

„Der Mensch macht Pläne; ob sie ausgeführt werden, bestimmt Gott.“

Wenn ein Satz zum Sprichwort geworden ist, dann kann man davon ausgehen, dass er zumindest für lange Jahrhunderte in früherer Zeit einfach gegolten hat. Das war einfach so: „Der Mensch denkt, Gott lenkt.“ Man wusste: Der Mensch ist von Gott abhängig, ob er es weiß oder nicht, ob er es will oder nicht. Und auch wenn er sich einbildet, ohne Gott planen zu können, lenkt Gott doch sein Geschick.

In der neueren Zeit hat ein Großteil der Menschen sich immer mehr von Gott abgewandt und gemeint, durch Wissenschaft und technischen Fortschritt sei immer mehr Glück herzustellen auch ohne Gott. Lenkung durch Gott empfinden viele als schweren Eingriff in ihre Freiheit. Das moderne Sprichwort: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ hat das Lebensgefühl von vielen bestimmt. Die Kehrseite eines solchen Lebensgefühls ist, dass sich viele dieser Anforderung, das eigene Glück selber zu schaffen, nicht gewachsen fühlen. Resignation, Depressionen, Rückzug ins Privatleben oder in die Innerlichkeit, ein Wort wie „no future“ – keine Zukunft – und die Versuche eines Teils der Jugend, aus unserer Gesellschaft auszusteigen, – – – all dies zeigt, dass es sich hier um ein nicht geringes Problem handelt.

Wir schauen auf ein Jahr zurück, das für viele nicht leicht gewesen ist. Manche Hoffnungen wurden zerstört, Leid und Trauer kamen über Menschen, die froh in dieses Jahr hineingegangen waren. Bürgerkriege wurden weitergeführt, ein unsinniger Krieg auf den Falklands gekämpft, ein grauenhaftes Massenmorden im Libanon zugelassen. Das Hungern in der Welt ging weiter, allein 20000 Kinder starben jeden Tag an den Folgen der Unterernährung.

Auf der anderen Seite gab es viel Grund zum Danken im letzten Jahr. Wer geheiratet hat, wer ein Kind bekam, wer seine Lehrstelle bekam oder seinen Arbeitsplatz behielt, hat sich darüber freuen können. Wir haben nicht hungern müssen, wir haben alle genug zum Leben, um noch abgeben zu können für die Armen in der Welt. Und wer Menschen hatte, die ihm nahe gewesen sind, die ihn geliebt haben, die ihm beigestanden sind auch in schweren Tagen, der hat es trotz manchem anderen gut gehabt.

Und nun steht das neue Jahr vor der Tür. Wir machen Pläne und hoffen darauf, dass sie gelingen. Wir sehnen uns nach Frieden und hoffen auf Glück und Gesundheit, auf das Fortkommen unserer Kinder und einen sicheren Arbeitsplatz. Wir wünschen uns ein menschenwürdiges Leben. Und im Grunde unseres Herzens wollen wir Optimisten sein: Es wird schon irgendwie gelingen! Wie schon zu Beginn gesagt: dieser Optimismus schlägt leicht um in Pessimismus: Man fühlt sich unnütz, vertraut nicht mehr auf das Eingreifen einer helfenden Hand. Man sieht kein Ziel, für das es sich zu kämpfen oder zu leben lohnt. Alles wird Grau in Grau. Daraus erwächst leicht eine Bitterkeit oder gar ein Hass gegen alles und jeden. Angst richtet sich dann als Waffe gegen andere, manchmal im alltäglichen Kleinkrieg gegen Familienmitglieder, manchmal gegen Menschen, die anders sind im Ort, manchmal als blinde Feindseligkeit gegen Ausländer, manchmal als neidvolle oder überlegene Auseinandersetzung mit Rivalen.

Solche Wünsche und Ängste kommen auch in unserem Predigttext aus dem Buch der Sprüche zur Sprache. Er ist nicht in einer heilen Welt entstanden, sondern stammt aus einer Zeit, in der Israel von außen und von innen bedroht war, in der es auch soziale Probleme und Umbrüche gab. In diesem Text hören wir nicht von Optimismus oder Pessimismus, sondern von Gott. Wann wir diesen Text nachbuchstabieren, werden wir auf einen anderen Weg geführt als den des Sprichworts „Jeder ist seines Glückes Schmied“ oder als den des Aussteigerwortes „Keine Zukunft“. Alltagserfahrungen werden auf Gott bezogen. Gott gewährt uns unseren Lebensraum und unsere Lebenszeit. Er will uns unser Leben gelingen lassen, und dabei kommt es darauf an, dass wir wahrnehmen, was Gott uns schenkt, wie er unser Leben lenkt.

Ein Optimist will nicht das Schwere, Dunkle, Schmerzhafte sehen, das auch auf seinem Lebensweg ihm begegnet, und sei es in anderen Menschen, die gerade ihn brauchen würden. Ein Pessimist glaubt nicht, dass sich noch etwas zum Guten wenden kann und macht das Schwere noch schwerer, das Dunkle noch auswegloser und ist auch für niemanden eine Hilfe.

Wir als Christen haben jenseits dieser beiden Wege, die in eine Sackgasse führen, eine große und manchmal nicht leichte Aufgabe: das Dunkle und das Helle zu sehen, uns Hilfe zu holen, wo wir sie brauchen, und anderen zu helfen, wo wir helfen können.

Wir sollen planen, denken, uns gute Vorsätze fürs neue Jahr vornehmen – aber dabei nicht hochmütig werden. Denn (Sprüche 16, 1 – GNB):

„Der Mensch denkt sich manches aus, aber Gott spricht dazu das letzte Wort.“

und (Sprüche 16, 5a – GNB):

„Hochmütige kann Gott nicht ausstehen“.

Wir sollen uns Ziele setzen für das neue Jahr, aber dabei darauf achten, ob sie mit der Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten vereinbar sind (Sprüche 16, 2-3 – GNB):

„Der Mensch hält alles, was er tut, für richtig; Gott aber prüft die Beweggründe. Lass Gott über dein Tun entscheiden, dann werden sich deine Pläne erfüllen!“

Bei allem, was wir getan haben im vergangenen Jahr, und bei allem, was wir im Neuen Jahr tun werden, dürfen wir wissen, dass wir auch Fehler machen dürfen, und dass sogar unser schuldhaftes Versagen von Gott vergeben werden kann (Sprüche 16, 6 – GNB):

„Wer sich treu zu Gott hält und das Gute tut, dessen Schuld wird vergeben. Wer Gott ernst nimmt, der entgeht dem Unheil.“

Wir sollen uns Ziele setzen für unser privates, persönliches, oder berufliches Leben, aber auch für unseren Einsatz in Kirche und Gesellschaft. Wir sind als Kirche auch für die Welt da. Wir sind gefordert, wo soziales Unrecht geschieht. Das Wort (Sprüche 16, 8 – GNB)

„Besser wenig, aber ehrlich verdient, als ein großer Gewinn aus unlauteren Geschäften“,

will uns Mut machen, nicht neidisch zu sein auf die Großverdiener, will uns auch herausfordern, da zu protestieren, wo den Armen genommen wird und zugleich die Reichen noch reicher werden.

Und im Blick auf die Diskussion um Frieden und Rüstung ist das Wort interessant (Sprüche 16, 7 – GNB):

„Wenn Gott mit deinen Tun einverstanden ist, dann macht er sogar deine Feinde bereit, mit dir Frieden zu schließen.“

Das ist eine der größten Bitten vor Beginn des Jahres 1983 – dass unser Land nicht durch noch mehr Atomwaffen noch gefährdeter wird, dass die Verhandlungen über die Abrüstung doch endlich zu Fortschritten führen, dass man sich ernsthaft auch zu schmerzhaften eigenen Schritten bereitfindet und dass so vielleicht auch der Gegner sich zu Friedensschritten bewegen lässt. Wie viel Vertrauen haben wir zu Gott und wieviel Vertrauen setzen wir noch auf den Schutz durch Waffen? Wie ernst nehmen wir die Jahreslosung des beginnenden Jahres: „Selig sind, die Frieden schaffen, denn sie werden Gottes Kinder heißen?“ Werden wir zu der Gelassenheit des Weisen aus dem Alten Testament fähig sein, der einfach sagt: „Wenn Gott mit deinem Tun einverstanden ist, dann macht er sogar deine Feinde bereit, mit dir Frieden zu schließen.“

Es wird kein leichtes Jahr werden, das wir da vor uns haben. Schwere Entscheidungen liegen vor uns, gerade in unserem Land, im Blick auf Neuwahlen und soziale Fragen, im Blick auf Friedensverhandlungen und Auseinandersetzungen um neue Raketen. Was jeder einzelne zu bestehen haben wird, was jeder aus dem alten ins neue Jahr mitschleppen muss, das kann ich nur ahnen, damit muss jeder fertig werden, hoffentlich muss keiner damit ganz allein bleiben. Hoffentlich findet er Hilfe von denen, die es besser haben, die gerade nicht so schwer zu tragen haben.

Der Mensch denkt – er denkt nur zu gern nur an sich – Gott lenkt – er lenkt unsere Herzen zueinander.

Der Mensch denkt – er denkt oft, ihm könne nichts passieren und Gott sei sehr fern. Gott lenkt – er lenkt oft unser Geschick auf eine ganz unerwartete Weise, doch nie, um uns zu zerstören oder zu verderben.

Was wir nicht verstehen, dass Gott auch die Bösen in der Welt so oft gewähren lässt, das drückt der Weisheitsdichter in den Sprüchen (16, 4 – GNB) so aus:

„Gott hat alles auf ein Ziel hin geschaffen, so auch die Bösen für den Tag ihrer Bestrafung.“

Zu begreifen ist das nicht. Denn wenn Gott die Bösen schon von Anfang an zum Bösen bestimmt hat und nur geschaffen hat, damit sie einmal bestraft werden – ja, haben sie sich denn dann überhaupt frei entscheiden können für das Gute oder das Böse?

Die Frage ist, wie wir das verstehen: „Gott lenkt.“ Gott lenkt uns nicht wie Marionetten an Fäden. Er hat uns Freiheit gegeben. Wir können uns für oder gegen ihn entscheiden. Er macht uns dafür verantwortlich, ob wir in seinem Sinne als Christen leben oder nicht. Und zugleich lenkt uns Gott – durch sein Wort, durch seinen Geist, dadurch, dass nicht wir, sondern er Leben und Tod in der Hand hat. Wenn wir glauben, dann glauben wir durch seinen Willen. Wenn wir lieben, dann lieben wir durch seine Kraft. Wenn wir Gutes tun, dann ist Gott in uns am Werk. Wenn wir uns so durch Gott gelenkt wissen, dann fühlen wir uns frei, dann sind wir in Wahrheit frei. Auch wenn wir nach außen hin abhängig oder gefangen sind.

Ja, und die Bösen? Können sie nicht sagen: wenn Gott uns sowieso zur Bestrafung bestimmt hat, dann können wir ja weiter drauflos sündigen? Gott hat ja alles vorherbestimmt?

Nein, so einfach ist es eben nicht. Wenn die Bösen böse bleiben, wenn sie sich nicht vergeben lassen wollen, wenn sie zu stolz sind, um ihre Schuld zuzugeben – dann haben sie sich ihr Urteil wahrscheinlich schon selbst gesprochen. Aber jeder, der erkennt, dass Gott der Herr ist, auch jeder böse Mensch, der in Jesus Christus seinen Herrn anerkennt, der kann erfahren, was der neben Jesus Gekreuzigte auch erfuhr, noch in der Stunde seines Sterbens: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“

Mag sein, dass alles vorherbestimmt ist. Nur, wir wissen nicht, wie. Wir erfahren, dass wir frei entscheiden können, so oder so. Allerdings einmal kann es zu spät sein. Machen wir in diesem Jahr einen neuen Anfang mit Gott. Amen.

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