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Kein Sinn in diesem Tod

Ein plötzlicher Tod nach kurzer schwerer Krankheit – da hilft kein Trost, der einen Sinn in diesem Sterben erkennen will. Der Weg der Trauer muss gegangen werden, hoffentlich nicht allein. Die Bibel zeigt, wie Menschen im Streit mit Gott und im Festhalten an ihm mit schwerem Leid umgehen.

Statue eines Mannes, der allein auf dem Friedhof an einem Grab sitzt und trauert
Es ist gut, in der Trauer nicht allein zu sein (Bild: S. Hermann & F. RichterPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Wir können es noch nicht fassen: Herr H. ist nach kurzer Krankheit ganz plötzlich gestorben. Und er war doch erst [über 50] Jahre alt. Wir müssen ihn heute begraben, müssen den letzten schweren Weg mit ihm gehen, müssen Abschied nehmen von einem geliebten Menschen.

Gemeinsam gehen wir diesen Weg, wir lassen einander nicht allein dabei. Und wir lassen Worte der Bibel zu uns sprechen – vielleicht finden wir uns wieder in manchem von dem, wie Menschen schon damals getrauert und gefragt, gezweifelt und geglaubt haben.

Lasst uns beten mit den Worten aus Psalm 22 – es ist das Gebet, das unser Herr Jesus selbst in seiner Todesnot gebetet hat, als er am Kreuz sterben sollte:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

3 Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.

10 Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.

11 Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an, du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.

12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.

15 Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.

16 Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.

20 Aber du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

Liebe Familie H., liebe Trauergemeinde!

Die Klage des 22. Psalms können Sie wohl teilen in dieser Stunde – „warum?“ – das ist die große offene Frage, die man sich stellt, wenn einem ein so sehr geliebter Mensch entrissen wird, der Vater, der Ehemann, der Sohn, der Bruder, der Freund. „Warum?“ Es ist, als ob das ganze eigene Leben seinen Sinn verlöre, und der Psalmbeter fasst seine Klage in die Worte zusammen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum hast du das nicht verhindert, warum hast du nicht geholfen, warum warst du nicht da? Gibt es dich überhaupt? Hat es überhaupt einen Sinn, jetzt noch nach Gott zu fragen, jetzt noch zu Gott zu beten, so wie es in dem Psalm doch trotz allem geschieht: „Du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!“ Wie kann denn Gott helfen, kann er trösten? Kann er uns noch nahe sein, ist er uns nicht völlig fremd geworden?

Es traf Sie wie ein Schock: Herr H. ist tot, unwiderruflich und endgültig. Die Hoffnungen in den Tagen, als er im Krankenhaus lag, sind zunichte geworden: Er kommt nicht wieder zurück.

Gibt es wirklichen Trost, wenn man das weiß, wenn einem mehr und mehr bewusst wird, wie sehr er fehlen wird? Er war doch der Sohn, auf den die Mutter ihre Hoffnungen gesetzt hat, wie es jede liebende Mutter tut. Er war der Partner, der seit vielen Jahren alle Dinge in Freud und Leid mit der Ehefrau geteilt hat. Er war der Papa, den das jüngste Kind noch so sehr brauchen würde. Er war der Vater, der die Kinder geprägt hat und ihnen weiter hat zur Seite stehen wollen, der es gern auch noch erlebt hätte, wenn das erste Enkelkind zur Welt kommt. Was kann denn wirklich trösten, wenn niemand diesen Schmerz wegnehmen kann? Die Trauer kann man doch nicht einfach abschütteln; der Verstorbene ist einfach nicht mehr da, er kommt nicht mehr zurück.

Und nicht nur im Familienleben, dem er in seiner häuslichen Art sehr zugetan war, wird er schmerzlich vermisst werden, nicht zuletzt mit seiner heiteren Art und seiner Freude an der Geselligkeit, sondern auch im Kreis der engsten Freunde, die sich seit langen Jahren regelmäßig treffen, und auch unter all denen im Dorf und in der Umgebung, die ihn von seinem Beruf oder vom Vereinsleben oder einfach von guter Nachbarschaft her als einen einsatzfreudigen und hilfsbereiten Menschen kennen.

Wenn ich zu Ihnen heute trotz allem von einem möglichen Trost rede, dann will ich nicht so tun, als ob es einen einfachen, billigen Trost gäbe. Es gibt keinen Trost, durch den man die Trauer vermeiden könnte, durch den der Schmerz einfach weggeht. Wenn überhaupt, dann gibt es nur einen Trost, der hilft, die Traurigkeit auszuhalten und den langen Weg der Trauer wirklich gehen zu können, bis man ihn bewältigt hat.

Liebe Trauergemeinde, so wie ich Gott verstehe und an ihn glaube, hält auch er nichts von einem billigen Trost, als ob alles gar nicht so schlimm wäre. Und Gott hält schon gar nichts von einem Versuch, irgendeinen Sinn in diesem Tod zu entdecken, durch den man sich als Angehöriger nur verletzt fühlen muss. Unter uns Menschen geschieht es leider oft, dass wir es nicht aushalten, einem Schmerz standzuhalten, sei es einem eigenen oder fremden, wir können oder wollen nicht zulassen, dass wir eigentlich gar nicht so stark sind, dass uns die Tränen nahe sind, dass wir keinen Rat wissen – und manchmal sagen wir dann aus Hilflosigkeit irgendwelche Dinge, die nicht weiterhelfen, die nur wie leere fromme Sprüche wirken oder sogar verletzend ankommen.

In der Bibel wird von einem Mann erzählt, der das erfahren musste, als er in großer Trauer und schwerer Krankheit von seinen Freunden besucht wurde. Hiob hieß der Mann, alle seine Kinder waren gestorben, und er selber war von grausamer Krankheit geschlagen.

Und wie versuchen seine Freunde ihn zu trösten? Sie reden zu ihm in einer Weise von Gott, die dem Hiob weh tut. Sein Freund Elifas hält ihm vor, dass er bestimmt sein Schicksal selbst verschuldet hat, er meint, es müsse eine Strafe Gottes sein. Er sagt ihm wörtlich (Hiob 5, 17):

Siehe, selig ist der Mensch, den Gott zurechtweist; darum widersetze dich der Zucht des Allmächtigen nicht.

Doch obwohl diese Sätze fromm klingen und so auch in der Bibel stehen – etwas später heißt es im gleichen Buch der Bibel, dass man eben gerade so nicht von Gott reden darf! Man kann nicht einfach sagen: Alles Leid, das Menschen erfahren, ist eine Strafe oder eine Prüfung Gottes.

Hiob selbst, der so sehr trauern und leiden muss, wendet sich gegen seine Freunde, er lehnt ihre Art zu trösten ab (Hiob 19):

2 Wie lange plagt ihr doch meine Seele und peinigt mich mit Worten!

5 Wollt ihr euch wahrlich über mich erheben und wollt mir meine Schande beweisen?

6 So merkt doch endlich, dass Gott mir unrecht getan hat und mich mit seinem Jagdnetz umgeben hat.

8 Er hat meinen Weg vermauert, dass ich nicht hinüber kann, und hat Finsternis auf meinen Steig gelegt.

10 Er hat mich zerbrochen um und um, dass ich dahinfuhr, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.

21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen!

Und im gleichen Atemzug, indem Hiob Gott anklagt wie kein anderer, wendet er sich doch nicht von ihm ab, sondern appelliert an ihn. Es gibt keinen anderen, an den er sich wenden kann. Derselbe, den er anklagt, nur der kann ihm auch helfen. Er betet ein verzweifeltes und zugleich vertrauensvolles Gebet:

25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben.

26 Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen.

27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Und das Erstaunliche ist: in der biblischen Dichtung von Hiob bekommen nicht etwa die Freunde Hiobs Recht, die ihm nahelegen, er solle doch nicht so sehr seine Unschuld beteuern, er solle nicht so frech Gott anklagen, er solle sich gefälligst demütig Gott unterordnen. Nein, Gott gibt Hiob Recht. Gott hält es aus, dass einer, der zu ihm Vertrauen hat, ihn auch hart zur Rede stellt. Gott will nicht, dass wir ihm gegenüber unsere Gefühle verleugnen oder verdrängen. Er will niemanden, der schon wie am Boden zerstört ist, noch mehr niederdrücken, er nutzt nicht unsere Notlage aus, um uns kleinzukriegen. Nein, sondern es ist so, wie es beim Propheten Jesaja 42, 3 heißt:

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.

Liebe Trauernde, ich kann keinen Sinn in diesem frühen Tod von Herrn H. erkennen. Ich will keine Deutung dafür geben. Ich kann die Trauer nicht wegschieben und den Schmerz nicht beseitigen. Aber etwas habe ich gelernt von all den Menschen, die von der Zeit der Bibel an bis in die heutige Zeit hinein auf Gott vertrauen, nämlich wie man menschlich mit all diesen Gefühlen umgehen kann, mit all diesen Lasten, die das Herz einschnüren und erdrücken.

Worauf kommt es denn an, wenn das Schicksal so hart zugeschlagen hat und man in sich und in den Menschen, die einem nahestehen, so starke, fremdartige, überwältigende Gefühle wahrnimmt: Schmerz, Traurigkeit, Zorn auf Gott, Angst vor der Zukunft?

Ich denke, dass es nur einen einzigen wirklichen Trost geben kann, nämlich die Gewissheit: ich bin nicht allein in all dem, was in meinem Leben so furchtbar durcheinander geraten ist, ich habe einen Halt und falle nicht ins Bodenlose, wenn ich das, was in mir ist, zulasse und mich damit sogar jemandem anvertraue. Wer an Gott glauben kann wie Hiob oder wie der Dichter des 22. Psalms oder wie Jesus, der weiß zwar noch nicht, wie es weitergehen wird, aber er braucht auch nicht zu fliehen vor Schwachheit und Angst, vor Trauer und Verzweiflung. Und oft ist es auch gut, einen Menschen zu haben, bei dem man sein Herz ausschütten kann, bei dem man nicht so tun muss, als wäre man immer stark und gefasst und als machte einem das alles gar nicht so viel aus.

Trauer ist ein Weg, manche sagen auch: Trauer ist harte Arbeit, da muss man hindurch, und das kostet viel Zeit. Am heutigen Tag nimmt man manches vielleicht noch wie durch einen Schleier wahr – man steht noch wie unter einem Schock, kann das denn wirklich wahr sein? Der eigentliche Abschied von dem geliebten Menschen, täglich zu spüren, wo er überall fehlt, das beginnt erst richtig in den kommenden Wochen.

Gut ist es, wenn man diesen Weg nicht allein gehen muss. Gut ist es vor allem, wenn man auch nach längerer Zeit die Gefühle so nimmt, wie sie kommen. Wer trauert, kann zwischendurch durchaus auch gefasst und irgendwann auch wieder heiter sein, und insbesondere ein Kind wird jetzt weinen und dann auch wieder lachen. Und trotzdem kann noch nach langer Zeit das traurige Gefühl wieder durchbrechen und sein Recht fordern, irgendein Erinnerungsstück, irgendein gemeinsam erlebtes Datum lässt plötzlich die Tränen wiederkommen. Und dann ist es gut, das zuzulassen und nicht so schnell zu sagen: „Ach, wein doch nicht.“ Die Bibel hat Recht, wenn sie sagt (Römer 12, 15):

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden,

In dem Trauspruch, der dem Ehepaar H. damals zur Hochzeit mit auf den gemeinsamen Weg gegeben worden ist, da heißt es ganz ähnlich (Römer 12, 12):

Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.

Es gibt im Leben Zeiten der Heiterkeit und fröhlicher Hoffnung, in denen einem die Welt offen steht und für die man im Nachhinein überaus dankbar sein kann. Und dann gibt es auch Zeiten der Trübsal, die schwer auszuhalten sind und doch mit viel Geduld durchgestanden werden müssen. Getrost kann leben, wer alles aus Gottes Hand annehmen und hinnehmen kann, sei es Freude oder Trauer, und das nenne ich: beharrlich beten, wenn man im Kontakt bleibt mit ihm, der uns oft so fremd erscheint und der uns dennoch herzlich liebt wie ein guter Vater und wie eine gute Mutter. Manchmal dankbar und manchmal mit einer Bitte, manchmal auch voller Zweifel und voller Klagen im Herzen, so können wir uns jederzeit an Gott wenden.

Diesem Gott vertrauen wir heute auch Herrn H. an. Sein Leben hier auf der Erde ist zu Ende gegangen. Seinen Leib begraben wir hier auf dem Friedhof. Doch was er gewesen ist, sein wirkliches Wesen, das geht im Tod nicht verloren. Bei Gott ist alles aufgehoben und aufbewahrt, was an diesem Leben wertvoll war, all die Liebe, die er gegeben und bekommen hat, alles, was ihm geschenkt war und was er für andere bedeutet hat. Amen.

Gott im Himmel, du scheinst manchmal weit weg zu sein. Oder bist du ein grausamer Gott, ein allmächtiger Tyrann, der mit den Menschen macht, was er will? Wir verstehen nicht, warum du Menschen sterben lässt, die wir so lieb gehabt haben.

Dennoch hoffen wir auf dich. Wir sehnen uns nach deiner Hilfe.

Wenn etwas Schlimmes passiert, dann wäre es uns am liebsten, du würdest es ungeschehen machen. Doch das ist nicht die Art, wie du uns hilfst. Du wirkst oft nur wie ein Beobachter des Geschehens in der Welt, der nicht eingreift, wenn Menschen Leid und Unrecht geschieht – du, der du doch alles geschaffen hast, du, ohne den die Welt nicht wäre.

Dennoch bist du ein Helfer und Tröster. Du hilfst auf unscheinbare, scheinbar schwache, ganz menschliche Art.

Du tröstest uns, wie uns eine Mutter trösten kann. Du vertraust uns einander an, damit wir uns nicht allein lassen und uns Zeit geben, zu weinen, den Schmerz zu fühlen, die Spannung zu lösen, auch wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Du, Gott, bist Liebe. Schwach erscheint die Liebe, machtlos erscheinst du in unserer Welt.

Als du deinen Geist wohnen ließest in Jesus, deinem geliebten Sohn, da erfuhrst du die Freude und die Last unseres menschlichen Lebens.

Du wurdest geliebt, du wurdest abgelehnt, du warst für andere da, und du musstest Leiden ertragen. Zum Schluss bist du für uns gestorben. Was uns niederdrückt, was uns zur Verzweiflung treibt – du weißt, wie das ist, du bist ein Gott, der das Leiden kennt. Und darum hilfst du uns auch, zu tun, was wir können, um Leiden zu verhindern, zu lindern, oder aber, wenn unsere Macht am Ende ist, das Schwere zu ertragen. Amen.

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