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„Du hast meine Seele vom Tode errettet“

Trauerfeier für eine Frau, die in der letzten Phase ihres Lebens körperlich und geistig immer mehr abgebaut hat. Kann man trotzdem sagen, dass Gott ihre Seele vom Tode errettet hat?

"Du hast meine Seele vom Tode errettet": Eine pflegebedürftige Frau im Rollstuhl von hinten vor einem Fenster mit Fensterkreuzen
Eine pflegebedürftige Frau in ihrem Rollstuhl (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um von Frau R., Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist.

Wir sind hier um der Verstorbenen willen – wir erinnern uns an sie, zeichnen ihren Lebenslauf nach, versuchen, ihr gerecht zu werden.

Wir sind hier um unserer selbst willen – weil Verbindungen, die durch den Tod abreißen, wehtun, weil es nicht gut ist, beim Abschied allein zu sein.

Wir sind hier auch um Gottes willen. Denn von Gott her sind wir zur Welt gekommen, in der Verantwortung vor Gott leben wir unser Leben, und zu Gott kehren wir im Tod zurück.

In einem alten Gebet aus dem Volk Israel spricht ein Mensch angesichts tödlicher Gefahr und seelischer Angegriffenheit sein Vertrauen zu Gott aus. Wir beten mit Worten aus dem Psalm 116:

1 Ich liebe den HERRN, denn er hört die Stimme meines Flehens.

2 Er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen.

3 Stricke des Todes hatten mich umfangen, des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not.

4 Aber ich rief an den Namen des HERRN: Ach, HERR, errette mich!

5 Der HERR ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig.

6 Der HERR behütet die Unmündigen; wenn ich schwach bin, so hilft er mir.

7 Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der HERR tut dir Gutes.

8 Denn du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

9 Ich werde wandeln vor dem HERRN im Lande der Lebendigen.

10 Ich glaube, auch wenn ich sage: Ich werde sehr geplagt.

Liebe Trauergemeinde!

„Du hast meine Seele vom Tode errettet“, so spricht das alte Psalmgebet tiefes Gottvertrauen in größter Not aus. Die Seele, damit war im alten Israel, in der hebräischen Sprache, das Ganze einer menschlichen Person gemeint, das lebendige Ich eines unverwechselbaren Menschen. Wir alle sind, jeder von uns, eine lebendige Seele, weil Gott uns, die wir von Erde genommen sind, ein Stück seines eigenen Lebenshauches geschenkt hat, wie es die Geschichte von der Erschaffung des Adam in tiefen Symbolen ausdrückt. Unendlich wertvoll sind wir daher, Menschen mit einer Würde, die uns niemand nehmen kann; denn obwohl wir sterblich und vergänglich sind, hat Gott uns doch als Ebenbild seiner eigenen Liebe geschaffen.

Erinnerungen an Freude und Leid im Leben der Verstorbenen

Schleichend begann die tückische Krankheit, die in den letzten Jahren die Kräfte ihres Geistes schwächte und ihr Wesen veränderte. Immer mehr war sie auf Betreuung angewiesen, am Ende rund um die Uhr, was in ihrem eigenen Haus beim besten Willen niemand mehr ermöglichen konnte. So ist sie vor einigen Monaten in ein Pflegeheim umgezogen, wo ihre Kinder sie jeden Tag besuchten und auf diese Weise für sie da sein konnten. Auch die Nachbarn vergaßen Frau R. nicht und hielten den Kontakt durch regelmäßige Besuche aufrecht. Als sie nun gestorben ist, war das wohl zugleich eine Folge ihrer Erkrankung wie auch letzten Endes ihre Erlösung aus dem langsamen Tod ihres geistig-seelischen Empfindens.

„Du hast meine Seele vom Tode errettet“, mit diesem Wort eines Psalmbeters habe ich diese Predigt begonnen. Zunächst will dieser Satz nicht passen zu den Erfahrungen, die Sie mit der Krankheit und mit dem Sterben von Frau R. gemacht haben. Ist ihre Seele nicht immer mehr gestorben, ihr Geist weniger geworden? Und ihr Tod, der jetzt eingetreten ist, er hat zwar ihre Krankheit beendet, aber er bringt nicht ihr altes Leben vor ihrer Krankheit zurück.

Dennoch wage ich es, diese Gebetszeile auf das Leben und den Tod von Frau R. zu beziehen (Psalm 116, 8):

Du hast meine Seele vom Tode errettet.

Denn mit der Seele eines Menschen ist mehr gemeint als Hirnfunktionen und Verstandesäußerungen. Wir sind unendlich kostbar in den Augen Gottes, wir sind durch seinen Atem, der in uns lebt, eine lebendige Seele, bis dieser Lebenshauch im Tod wieder zu unserem Schöpfer zurückkehrt. Diese uns von Gott eingehauchte Seele geht nicht auf in den Zellen unseres Gehirns oder in den Äußerungen unserer Gefühle; sie ist das, was einen Menschen zu einem liebenswerten Individuum macht; und dieser Kern einer menschlichen Person wird weder durch Krankheit noch Tod für immer zerstört; nein, wir werden als diese ganz bestimmte Person auferstehen zum ewigen Leben (Psalm 116, 9):

Ich werde wandeln vor dem HERRN im Lande der Lebendigen.

Als unser Sohn gerade in der Grundschule war, mit sechs Jahren etwa, da musste ich ein kleines Mädchen beerdigen, das im Alter von einem halben Jahr gestorben war; und er fragte mich: Wächst das Mädchen im Himmel noch? Diese Frage beschäftigte ihn, und ich habe ihm damals gesagt: Ich glaube, ja. Das kleine Mädchen wird groß werden im Himmel. Natürlich wissen wir nicht, wie wir einmal im Himmel aussehen; wir sind ja auch hier auf der Erde nicht in unserem ganzen Leben gleich. Aber ich bin gewiss, dass wir im Himmel verwandelt werden in unvorstellbarer und herrlicher Weise.

Mit der Auferstehung des Leibes meint die Bibel nicht einen genauen Nachbau unseres irdischen Körpers und unseres irdischen Geistes beim Zeitpunkt unseres Todes, nicht ein ins Unendliche hinein verlängertes irdisches Leben. Wenn das so wäre, das könnte trostlos sein. Nein, die Bibel meint, dass das, was unsere Person in ihrem wirklichen Wesen ausmacht, bei Gott bewahrt bleibt und im Himmel zur Vollendung gebracht wird.

Der Apostel Paulus sagt einmal (1. Korinther 15, 42):

Es wird gesät verweslich und auferstehen unverweslich.

Und an einer anderen Stelle – alles wird einmal vergehen, nur drei Dinge nicht (1. Korinther 13, 13):

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe, die wir in unserem Leben empfangen und verschenkt haben, geht nicht verloren.

Wenn wir zurückblicken auf das Leben von Frau R., dann steht uns diese unverwechselbare Person vor Augen, die ihre Kinder geprägt hat, die ihren Enkeln und Urenkeln liebevoll verbunden war – ein Mensch, den Sie vermissen werden. Als sie noch mitten im Leben stand, wie man sagt, war sie ein Mensch, der eher nach dem fragte, was den andern recht war. Und Sie haben nicht aufgehört, sie zu lieben, als sie krank wurde.

Liebe ist auch der einzige Maßstab, nach dem Gott uns in der Ewigkeit beurteilt, ein Urteil, das nur ihm und sonst niemandem zusteht, weil er selbst die Liebe ist. Den Händen dieses barmherzigen und gnädigen Gottes vertrauen wir Frau R. an, nachdem sie gestorben ist. Er nimmt sie am Ende mit Ehren an (Psalm 73, 24).

Zurück bleiben Sie als Menschen, die einen Weg vor sich haben, den man mit dem Namen „Trauerarbeit“ bezeichnet hat. Trauer ist wirklich eine Aufgabe, die bewältigt sein will, Trauer nicht nur über diesen Tod, Trauer auch wegen der Krankheit, gegen die Sie machtlos waren. Es ist gut, die Gefühle der Traurigkeit zuzulassen und dabei nicht allein zu sein.

Auch andere Dinge gehören in den Trauerprozess hinein. Zum Beispiel der Umgang mit Vorwürfen, die man sich oder anderen macht und die spätestens jetzt niemandem mehr helfen, und die Bitte um Vergebung und Versöhnung.

Zugleich – und das ist vielleicht am Wichtigsten – ist da auch Platz für Dankbarkeit. Es gibt genug Grund zum Danken: dafür, dass diese Frau Ihnen geschenkt war, die Mutter, die Oma, die Uroma, die Nachbarin und Schulkameradin, die Frau, die Ihnen nahestand. Danken können Sie für alles Gute, das Sie voneinander empfangen haben und einander geben konnten, für alle Bewahrung, die Sie erfahren haben.

Für den Weg Ihrer Trauer lege ich Ihnen den Psalmvers, aus dem ich schon mehrfach den ersten Teil gelesen habe, nun noch einmal im Ganzen ans Herz (Psalm 116, 8):

Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

Wir dürfen unsere Tränen weinen, und sie werden abgetrocknet werden. Wir dürfen schwach sein und müssen uns nicht immer zusammenreißen, Gott bewahrt unseren Fuß vor dem Gleiten. Im Vertrauen auf Gott bleibt unsere Seele vor dem Tode errettet. Amen.

Wir beten mit den Worten des Liedes 376:

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt: wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind: es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht: so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich!

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