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Mündige Kinder Gottes

„Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan“, sagt Paulus (Galater 4, 4). Jesus will uns fähig zu machen, das Gesetz zu befolgen, wie es gemeint war: dass es nicht dem Unrecht dient, sondern Menschlichkeit möglich macht. Und wie geht das? Indem wir nicht Sklaven sind, sondern erwachsene Kinder Gottes.

Lauter Paragraphenzeichen durcheinander
Unter das Gesetz getan – was heißt das für Jesus? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

direkt-predigtAbendmahlsgottesdienst am 2. Christfesttag, 26. Dezember 2009, 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen (völlig neu überarbeitete Fassung des Gottesdienstes vom 25.12.1995)

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich im Weihnachtsgottesdienst in der Pauluskirche mit dem Bibelwort aus dem Evangelium nach Johannes 1, 14:

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.

Weihnachten ist ein Fest der Freude. Wir beginnen mit dem Lied 36: „Fröhlich soll mein Herze springen“ und singen die Strophen 1 bis 3:

1. Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud alle Engel singen. Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren!

2. Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbindt sich mit unserm Blute.

3. Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen? Gott gibt, unserm Leid zu wehren, seinen Sohn aus dem Thron seiner Macht und Ehren.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Weihnachten, ein Fest der Freude. Wir freuen uns über jedes Kind, das geboren wird, und über dieses Kind, Jesus, ganz besonders. Denn in ihm kommt Gott selbst zur Welt: sein ewiges Wort, seine Liebe, nimmt Fleisch und Blut an. Der große Gott wird klein in dieser Welt, damit er uns aufrichtet und groß macht.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Ein Jammertal, so nennen viele unsere Welt. Da gibt es so viel Kummer und Leid, so viel Bosheit und Unrecht. Aber, so haben wir gesungen, das kleine Kind in der Krippe wird heranwachsen zu einem Helden, der die Welt aus allem Jammer herausreißt. Mit diesem Kind kommt etwas Neues in die Welt: Liebe Gottes pur, ein Mensch, der vollkommen nach Gottes Willen lebt. Er macht auch uns Mut, dass wir uns auf Liebe einlassen, dass wir Trauer durchstehen und überwinden, dass wir von bösen Wegen umkehren. Wir rufen zu Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3, 16)

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Großer Gott, an Weihnachten sehen wir staunend: Du wohnst nicht nur in einem fernen herrlichen Himmel, sondern du willst bei uns auf der Erde wohnen, da wo es ganz dunkel ist. Die Heerscharen des Himmels verkünden deine Ehre in der Höhe und Frieden für uns auf der Erde! Ängstlichen und verzweifelten Menschen kommst du nahe, du willst einer von uns sein. Lass ganz zart und wie ein Aufatmen Weihnachtsfreude in unseren Herzen wachsen! Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium im 2. Kapitel:

1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.

2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.

3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.

4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,

5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.

6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.

7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.

9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.

10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;

11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.

13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:

14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen das Lied 23:

1. Gelobet seist du, Jesu Christ, dass du Mensch geboren bist von einer Jungfrau, das ist wahr; des freuet sich der Engel Schar. Kyrieleis.

2. Des ewgen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippen find’t; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut. Kyrieleis.

3. Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding erhält allein. Kyrieleis.

4. Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein‘ neuen Schein; es leucht‘ wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieleis.

5. Der Sohn des Vaters, Gott von Art, ein Gast in der Welt hier ward und führt uns aus dem Jammertal, macht uns zu Erben in seim Saal. Kyrieleis.

6. Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm und in dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich. Kyrieleis.

7. Das hat er alles uns getan, sein groß Lieb zu zeigen an. Des freu sich alle Christenheit und dank ihm des in Ewigkeit. Kyrieleis.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, in der Predigt hören wir heute die Weihnachtsbotschaft nach Paulus, wie er sie in seinem Brief an die Galater formuliert. Diese Botschaft besteht eigentlich nur aus einem einzigen Vers, Galater 4, 4:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan.

So knapp handelt Paulus die Geburt Jesu ab. Ganz anders als Lukas, ohne Engel und Hirten, ohne Stall und Krippe. Auch anders als Matthäus, ohne etwas von Maria und Josef zu erwähnen. Er weiß auch nichts von der Jungfrauengeburt, sondern für ihn ist Jesus schlicht „geboren von einer Frau“. Alle Ausschmückungen lässt er weg, weil ihm nur ein Punkt wichtig ist: Jesus, der Sohn Gottes, ist wirklich und wahrhaftig als Mensch geboren. Jesus ist nicht vom Himmel gefallen, er ist kein übernatürliches Engelwesen, sondern einer von uns, ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir. Wir mögen bei Paulus die Romantik vermissen, aber von ihm können wir lernen, dass wir bei allem Weihnachtsbrauchtum nicht das Wichtigste an diesem Fest vergessen: dass Gott in Jesus als wahrer Mensch zur Welt kam.

Was gehört zum Menschsein noch dazu, außer dass wir alle von einer Mutter geboren worden sind? Wir sind „unter das Gesetz getan“, so steht es in unserer Bibelübersetzung nach Martin Luther. Wir werden von unseren Eltern erzogen, wir wachsen in eine Welt hinein, in der es von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen nur so wimmelt. Es gibt viele Leute, von denen wir uns etwas sagen lassen müssen, von den Lehrern über die Chefs am Arbeitsplatz bis hin zu den staatlichen Behörden und den Kommandeuren beim Militär. Als ein ganz besonderes Gesetz lernen wir in der Kirche die Zehn Gebote. Und diese Gebote hat schon Jesus gekannt und gelernt. Er ist als Jude geboren und von Anfang an die Wegweisung des Gottes Israels gebunden. Er wurde mit acht Tagen beschnitten wie jeder jüdische Junge, er hat mit zwölf Jahren seine Bar Mizwa gefeiert, so ähnlich wie evangelische Mädchen und Jungen mit 14 ihre Konfirmation feiern und dann als mündige Gemeindemitglieder gelten.

Wörtlich steht in dem Weihnachtssatz des Paulus übrigens: „geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz“. Dieses doppelte „geboren“ deutet an: Nicht nur unser Leben als solches ist uns geschenkt; wir werden auch in unser Umfeld hineingeboren, das sucht sich keiner aus. Wir erfinden uns nicht selbst, wir werden geboren, an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten politischen, sozialen, wirtschaftlichen Verhältnissen. Eine ganze Menge steckt also in diesem doppelt verwendeten Wort „geboren“.

Und noch mehr steckt in diesem kurzen Weihnachtsvers des Paulus. Er beantwortet nämlich die Frage, warum und wozu dieser Jesus ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt geboren wird. Warum denn? Weil die Zeit erfüllt ist. Die Zeit ist reif. Gott kann das Elend seines Volkes Israel und der Menschen in der Welt nicht länger mit ansehen. Und wozu wird Jesus geboren? Damit etwas geschieht. Jesus wird mit einem ganz bestimmten Auftrag hineingeboren in die Menschheit und in das Volk Israel und dabei der Tora des Volkes Israel unterstellt,

5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

Mit diesem Satz habe ich heute mehr Schwierigkeiten als früher. Früher habe ich ihn einfach so ausgelegt: Jesus erlöst Menschen, die unter der Last des Gesetzes stöhnen und gibt ihnen Freiheit. Wir sind nicht Knechte oder Sklaven Gottes, sondern seine Kinder.

Ganz falsch ist das nicht. Aber auch nicht ganz richtig. Ich stelle dazu drei Fragen:

  1. Was heißt das, wenn wir schon erwachsen sind, ein Kind Gottes zu sein? Wären wir dann nicht unmündig, abhängig und unfähig, Verantwortung zu tragen?
  2. Ist das nicht Anarchie, wenn wir erlöst werden vom Gesetz, wenn kein Gesetz mehr für uns gilt?
  3. Oder spricht Paulus nur vom Gesetz des Mose; also hält er nur die Tora der Juden für dermaßen überholt und schlecht, dass sie abgeschafft werden soll?

Was Paulus mit dem Wort „Kindschaft“ meint, darauf komme ich später zurück. Zuerst gehe ich auf die Probleme ein, die Paulus mit dem Gesetz hat; die sind ganz schön kompliziert.

Natürlich lehnt Paulus selbst das Gesetz nicht grundsätzlich ab. Er weiß, dass jeder Mensch Regeln und Richtlinien und Maßstäbe braucht. Schon gar nicht will Paulus die Tora der Juden abschaffen. Sie ist für Paulus nicht einfach nur irgendein Gesetz, sondern sie ist und bleibt für ihn ein Wegweiser in die Freiheit. Gott hatte sie ja den Israeliten gegeben, als er sie aus der Sklaverei in Ägypten befreite. Gottes Gesetz war also kein Werkzeug zur Unterdrückung, sondern eine Gebrauchsanleitung für die Freiheit. Darum kennen und lernen wir die Zehn Gebote bis heute.

In der Tora gibt es nun aber auch eine Menge Vorschriften, die nur für das Volk Israel gelten: was man essen darf, wie man im Tempel Opfer darbringen soll, dass kleine Jungen beschnitten werden und vieles mehr. In den Gemeinden, die Paulus gründete, lebten Juden, die zum Glauben an den Messias Jesus gekommen waren und sich nach wie vor an alle Vorschriften der Tora hielten, und Paulus fand das völlig richtig und normal. Aber die andern, die vorher an heidnische Götter geglaubt hatten, mussten nicht erst Juden werden, um zur christlichen Gemeinde dazu zu gehören. Auch in Galatien, einer Landschaft in der heutigen Türkei, lebten Judenchristen und Heidenchristen friedlich miteinander. Davon schreibt Paulus in Galater 3:

26 Ihr seid alle durch den Glauben Kinder Gottes in Christus Jesus.

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.

28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

Eines Tages aber kamen in Galatien welche vorbei, die sagten: Das geht so nicht; Juden und Nichtjuden können nicht einfach so zusammenleben. Sie sagten den nichtjüdischen Mitgliedern der Gemeinde: Erst müsst ihr Juden werden, ihr müsst euch beschneiden lassen. Die ganze Tora, alle Gebote des Mose, müsst ihr befolgen. Wenn nicht, dürft ihr nicht rein in die Gemeinde.

Damit ist Paulus nicht einverstanden. So wird der Sinn von Gottes Gesetz ins Gegenteil verkehrt. Wenn man die Tora Menschen aufzwingt und sie praktisch wieder zu Sklaven macht, missbraucht man sie. Welchen Unterschied gibt es dann noch zwischen dem Gesetz Gottes und den Ansprüchen der vielen Götter der Heiden bis hin zur Pflicht, die Staatsgötter und den Kaiser selbst als Gott anzubeten? Ein Gott, der nicht frei macht, ist für Paulus kein Gott. Von Gott darf man Gerechtigkeit und Barmherzigkeit erwarten, Trost im Leben und im Sterben, eine befreiende Liebe.

Ich betone noch einmal: Nicht das Gesetz Gottes als solches hält Paulus für schlecht. Im Römerbrief sagt er: Es ist die Sünde, die uns dazu bringt, aus dem guten Gesetz Gottes etwas Böses zu machen. Zum Beispiel so: Wir wissen zwar, was verboten ist, aber wir denken, es reicht, sich nicht erwischen zu lassen. Oder: Wir befolgen die Gebote einigermaßen und verachten die Menschen, die das nicht so packen wie wir. Das war nicht die Absicht des Erfinders!

Hinzu kommt, dass wir die Wegweisung, die von Gott kommt, nicht anders haben als in menschlichen Gesetzestexten und Auslegungen. Manchmal sind ungeschriebene Gesetze wirksamer als geschriebene, und häufig geht eben einfach doch Macht vor Recht, wenn „die da oben“ das Gesetz nach ihrer Art und Weise auslegen. Eigentlich sollte es in Israel nie wieder Sklaverei und Ausbeutung der kleinen Leute geben. Aber zur Zeit Jesu und des Paulus herrschten die Römer in Israel, die sich mit den Priestern im Land verbündet hatten; da blieb nicht viel übrig von einem Gesetz der Freiheit und der Gerechtigkeit.

Wir kennen das auch: In unserem deutschen Grundgesetz steht an erster Stelle der schöne Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Trotzdem gibt es auch in unserem Land Menschen, die unter ihrer Würde behandelt werden. Viele haben beim besten Willen keine Chance, eine gerecht entlohnte Arbeit zu finden. Wer von Arbeitslosengeld 2 leben muss, kann sich oft nicht einmal die kleinste unvorhergesehene Ausgabe leisten; da können schon zehn Euro Praxisgebühr dazu führen, dass einer lieber doch nicht zum Arzt geht, obwohl es dringend notwendig wäre. Und wenn man einmal wochenlang seinen Sachbearbeiter beim Arbeitsamt nicht erreicht, um ihm eine wichtige Mitteilung zu machen, kann es vorkommen, dass man völlig unschuldig unter Betrugsverdacht gerät, wie ich kurz vor Weihnachten hörte.

All das, diesen ganzen Missbrauch der guten Gebote Gottes, fasst Paulus mit einem Satz zusammen:

3 Als wir unmündig waren, waren wir in der Knechtschaft der Mächte der Welt.

Auch heute gibt es „Mächte der Welt“, denen wir uns unterworfen fühlen, als wären wir unmündige Kinder. Als ich in meiner ersten Gemeinde dieses oder jenes neu einführen oder ändern wollte, bekam ich zuerst oft zu hören: „Das hat‛s bei uns noch nie gegeben. Das hawwe mir schon immer so gemacht. Und überhaupt, da könnte ja jeder kommen!“ Auch in der großen Welt von Wirtschaft und Politik scheint es Dinge zu geben, die man nicht ändern kann: Ist die Klimakatatrophe noch zu bremsen? Bleiben die Armen immer arm oder werden sogar noch ärmer, während die Superreichen immer reicher werden? Wird es weitere Finanzkrisen geben, die vielleicht zu einem Zusammenbruch des Geldsystems führen? Müssen wir uns auf Dauer mit einer sehr hohen Zahl von Arbeitslosen in unserem Land abfinden? Auch Kriege scheinen wir nicht abschaffen zu können; ganz aktuell muss unsere Bundesregierung sich ja mit der Frage auseinandersetzen, ob die deutsche Bundeswehr in Afghanistan zu viel oder zu wenig zum Töten bereit war oder sein sollte.

Mitten in all diese Probleme hinein stellt Paulus seine Weihnachtsbotschaft:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, …

5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

Irgendwann hat es Gott gereicht! Da konnte er es nicht mehr mit ansehen, dass sogar sein gutes Gesetz zum Unrecht missbraucht wird. Er sandte seinen Sohn, nicht um das Gesetz aufzuheben, außer Kraft zu setzen, sondern um uns fähig zu machen, es so zu befolgen, wie es gemeint war: dass es der Gerechtigkeit dient, nicht dem Unrecht, dass es nicht zur Unterdrückung eingesetzt wird, sondern Menschlichkeit möglich macht. Und wie geht das? Indem wir das Gesetz nicht wie Sklaven befolgen, sondern wie Kinder. Jesus erinnert uns daran: Wir alle sind Kinder Gottes, nicht seine Sklaven!

Paulus sagt also: Der Sinn von Weihnachten besteht nicht nur darin, dass damals ein Kind geboren wurde, der Sohn Gottes. Weihnachten bedeutet mehr: Auch wir sind Kinder Gottes. Und um das zu sein, müssen wir keine Vorbedingungen erfüllen, nicht besonders brav oder fromm sein. Nach Paulus sind wir schon längst Gottes Kinder:

6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!

Aber ich komme auf meine erste Frage von vorhin zurück: Wollen wir überhaupt Kinder Gottes sein? Wären wir dann nicht unmündig, abhängig und unfähig, Verantwortung zu tragen? Das meint Paulus nicht. Jesus war erwachsen, mündig und selbstbewusst, als er Gott in kindlichem Vertrauen mit „Abba“, „Papa“, „lieber Vater“, anredete. Das gleiche dürfen wir von ihm lernen. Indem Jesus seinen Geist „in unsere Herzen sendet“, laufen wir auch nicht Gefahr, eine solche vertrauliche Anrede mit einer falschen Kumpelhaftigkeit zu verwechseln, als könnten wir Gott auf die Schulter klopfen und ansonsten einen guten Mann sein lassen. Wer wie ein Kind Gott vertraut, der weiß, dass wir auf ihn angewiesen sind, dass wir ohne die Liebe Gottes nicht leben könnten. Und bei all dem bleiben wir trotzdem nicht unmündig kleine Kinder. Paulus geht es gerade um den Unterschied zwischen erwachsenen Kindern und erwachsenen Sklaven. Er sagt am Anfang unseres Kapitels 4 im Galaterbrief:

1 Solange der Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl er Herr ist über alle Güter;

2 sondern er untersteht Vormündern und Pflegern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat.

Jetzt ist „die Zeit erfüllt“, jetzt sendet Gott seinen Sohn, jetzt macht er uns zu seinen erwachsenen Kindern, weil er uns zutraut, in freier Verantwortung gut für uns und unsere Welt zu sorgen.

Obwohl Weihnachten also das Fest des Kindes ist, obwohl Weihnachten auch unser inneres Kind berührt, ist Weihnachten ebenso sehr ein erwachsenes Fest, ein Fest der erwachsenen, der mündig gewordenen Kinder Gottes, ein Fest von erwachsenen Menschen, die selber für ihr Leben verantwortlich sind und gerade deswegen auch gut mit ihren kindlichen Gefühlen und Sehnsüchten umgehen. Paulus drückt das so aus:

7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

So viel traut Gott uns zu, so viel Freiheit, so viel Verantwortung! Wir sind seine Erben, nicht seine unterwürfigen Knechte. Ein Knecht muss gehorsam sein, aber häufig ist es ein rein äußerlicher Gehorsam. Letzten Endes kann es ihm egal sein, was mit dem Besitz seines Herrn ist, er gehört ihm ja nicht. Wir sind aber nicht Knechte, sondern Kinder Gottes. Wir tragen Verantwortung für eigenes Eigentum – nämlich für unser Leben, das Gott uns geschenkt hat, und für unser Glück, das dort wächst, wo wir lieben und geliebt werden.

Natürlich kann ein Erbe sein Erbteil herunterkommen lassen. Er kann zugrundegehen wie der Verlorene Sohn im Gleichnis Jesu. Aber dann zeigt es sich, dass wir nicht dadurch Erben Gottes geworden sind, dass Gott gestorben wäre, nein, er lebt und liebt uns auch dann noch, wenn wir schlecht mit dem uns geschenkten Erbteil umgegangen sind. Gott liebt uns auch dann noch, wenn wir zur Liebe nicht fähig waren. Er traut uns immer noch zu, dass wir es doch noch schaffen.

Weihnachten gibt eine Antwort darauf, wo wir letzten Endes hingehören, zu wem wir gehören. Wir gehören zu Gott als seine Kinder. Und wir gehören zu den Menschen, die Gott uns anvertraut oder denen wir anvertraut sind – als unsere Nächsten, sei es für kurze oder für lange Zeit. „Achte das Kind in dir, das sich nach Liebe sehnt“, ruft Gott uns zu. „Achte auch auf den Menschen neben dir, der ebenso ernst genommen werden möchte“, macht Gott uns Mut. „Du bist mein Kind“, sagt uns Gott, „und ich schenke dir dein Leben. Und du wirst nicht einmal dann verloren gehen, wenn du einmal sterben musst“. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen aus dem Lied 41 die Strophen 1 bis 4:

1. Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören, singet dem Herren, dem Heiland der Menschen, zu Ehren! Sehet doch da: Gott will so freundlich und nah zu den Verlornen sich kehren.

2. Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Enden der Erden! Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. Friede und Freud wird uns verkündiget heut; freuet euch, Hirten und Herden!

3. Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget; sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget! Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd; alles anbetet und schweiget.

4. Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen? Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen. Gehet hinein, eins mit dem Kinde zu sein, die ihr zum Vater wollt gehen.

Nun feiern wir an Weihnachten das heilige Abendmahl.

Freundlicher, treuer, geduldiger, barmherziger Gott, wir gehören uns selbst, und wir gehören zu dir. Dein Eigentum waren wir, aber du hast uns unser Leben geschenkt, wir gehören uns selbst. Aber allein können wir nicht leben, und so dürfen wir spüren, dass wir zu dir gehören, auch wenn wir freie Menschen sind. Geborgen und frei, kindlich vertrauend und erwachsen zugleich, manchmal stark und manchmal schwach, so sind wir deine Kinder. Nimm uns an, wie wir sind, und mach uns frei von Angst, Verzweiflung, von Scham und Schuld. In der Stille bringen wir vor dich, das unsere Seele belastet:

Beichtstille

Wollt Ihr Gottes Liebe und Vergebung annehmen, so sagt laut oder leise oder auch still im Herzen: Ja!

Auf euer aufrichtiges Bekenntnis spreche ich euch die Vergebung eurer Sünden zu – im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Der Herr sei mit euch. „Und mit deinem Geiste.“

Erhebet eure Herzen! „Wir erheben sie zum Herren.“

Lasset uns Dank sagen dem Herrn, unserem Gott. „Das ist würdig und recht.“

Würdig und recht ist es, dich, Vater im Himmel, zu erkennen in deinem Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz. Würdig und recht ist es, dass wir die Kindschaft annehmen aus seiner Hand und dass wir als deine Kinder in Würde und Freiheit und Verantwortung vor dir leben. Durch Jesus Christus preisen wir dich, Heiliger Gott:

Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll. Hosianna in der Höhe. Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe.

Vater unser und Abendmahl

Lasst uns beten!

Danke, Gott, für das Wunder, das du an Weihnachten vollbracht hast: dass in dieser Welt Vertrauen und Liebe möglich sind, weil du in Jesus selber auf die Welt gekommen bist.

Danke, Gott, dass du uns zumutest, als deine Kinder in der Welt zu leben, als Menschen, die Jesus nachfolgen, liebevoll, einsatzfreudig, barmherzig mit uns selbst und mit anderen.

Bitte, Gott, lass uns dieses Wunder annehmen in unserem eigenen Leben. Uns ist es nicht möglich, das zu bewerkstelligen, aber dir ist nichts unmöglich. Lass uns dir vertrauen!

Bitte, Gott, lass uns deine Botschaft an die Menschen mit unserem Leben unterschreiben. Lass es uns anmerken, dass wir Christen sind, geliebte Menschen, die Liebe ausstrahlen, die Mut machen, bei denen traurige Menschen Trost finden und schuldige Menschen Vergebung.

Bitte, Gott, lass uns das Geschenk annehmen, das du uns an Weihnachten machst. Lass uns ein Teil des Geheimnisses deiner Liebe werden. Amen.

Wir singen das Lied 44:

1) O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: freue, freue dich, o Christenheit!

2) O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Christ ist erschienen, uns zu versühnen: freue, freue dich, o Christenheit!

3) O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Himmlische Heere jauchzen dir Ehre: freue, freue dich, o Christenheit!

Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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