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„Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort“

Warum sagt der Psalmbeter, dass sich seine Augen nach einem Wort von Gott sehnen? Warum nicht seine Ohren? Warum ausgerechnet nach einem Wort? Kann ein Wort ein Leben erfüllen? Kann es angesichts des Todes helfen?

Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort: Die Augen eines alten Mannes schauen durch seine Brille nach rechts oben
Die Augen eines alten Mannes – wohin schauen sie? (Bildausschnitt: yang fanPixabay)

Orgelspiel: Ave verum
Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Wir sind hier zusammengekommen, um von Herrn B. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist. Wir sind im Namen des Gottes versammelt, dessen Wege uns manchmal unbegreiflich sind, dem wir aber dennoch unser Vertrauen schenken können.

Menschen der Bibel helfen uns, auch in schweren Zeiten unsere Gedanken und unser Fühlen auf Gott hin auszurichten. Sie haben uns Gebete hinterlassen, in denen wir uns wiederfinden können und die uns anregen zum eigenen Beten. Eines dieser Gebete ist der Psalm 73, in dem sich ein gläubiger Mensch in den Qualen seines Lebens mit dem scheinbar sorglosen Schicksal gottloser Menschen auseinandersetzt. Wir beten mit den Worten dieses Menschen, der fast an Gott verzweifelt wäre, der aber sein Herz mit all seiner Verzweiflung vor Gott selbst ausschüttet:

1 Gott ist dennoch Israels Trost für alle, die reines Herzens sind.

2 Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen…,

3 … als ich sah, dass es den Gottlosen so gut ging.

4 Denn für sie gibt es keine Qualen.

5 Sie … werden nicht wie andere Menschen geplagt.

7 Sie tun, was ihnen einfällt.

8 Sie achten alles für nichts und reden böse.

12 Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glücklich in der Welt und werden reich.

13 Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche?

14 Ich bin doch täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da.

16 So sann ich nach, ob ich‘s begreifen könnte, aber es war mir zu schwer.

21 Als es mir wehe tat im Herzen und mich stach in meinen Nieren, da war ich [wie] ein Narr und wusste nichts, ich war wie ein Tier vor dir.

22 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

23 du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

24 Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

25 Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Liebe Frau B., liebe Trauergemeinde!

Ein Lebensweg ist zu Ende gegangen, der Lebensweg von Herrn B. Was für ein Lebensweg war es – ein Leidensweg… oder der Weg eines erfüllten Lebens… oder vielleicht beides…?

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Sie wissen selbst am besten, wie Sie geprägt wurden durch die gemeinsamen Jahre, was Sie einander verdanken, was Ihnen bleibt, wenn Sie sich an die Höhen und Tiefen dieser Jahrzehnte erinnern. Manchmal wollen sich in der Erinnerung mehr die dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit Krieg, Not, Krankheit und Kummer in den Vordergrund schieben. Doch daneben stehen ja auch die kleinen alltäglichen schönen Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Stunden, an die Liebhabereien, die jemand gehabt hat.

Vor einigen Jahren setzte ein Krankheitsprozess ein, der immer intensivere Pflege und Betreuung erforderlich machte. Über mehrere Jahre konnten Sie es mit sehr viel Einsatz schaffen, alles erforderliche für Ihren Mann zu tun; dann ging es nicht mehr anders: er brauchte die ärztliche und pflegerische Betreuung im Krankenhaus. Erst zu diesem Zeitpunkt lernte ich selbst Herrn B. kennen; als Seelsorger konnte ich ihn eine Zeitlang begleiten, einige Gespräche mit ihm führen, einige Andachten mit ihm und anderen Patienten feiern; und ich lernte ihn kennen als einen Menschen voller Gefühl, voller Sehnsucht, der zum Beispiel sehr bewegt reagierte, wenn wir bei den Andachten alte, vertraute Lieder sangen. Ich erinnere mich noch, wie er mich vor wenigen Wochen darum bat, unser Liederheft mit der großen Schrift noch einmal genauer betrachten zu können.

Als ich jetzt über diesen Lebenslauf, diesen Lebensweg nachdachte, fiel mir auf, dass an mehreren Stellen das Thema „Sehnsucht“ eine große Rolle spielt. Damals im Krieg war es die Sehnsucht zweier Menschen, die sich liebhatten. Und jetzt zum Schluss war es die Sehnsucht eines Menschen, der dem Tod entgegengeht. Sehnsucht wonach?

In den Psalmen des Alten Testaments fiel mir dieser Vers ins Auge (Psalm 119, 82):

Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort und sagen: Wann tröstest du mich?

„Meine Augen sehnen sich“ – manchmal sind es nicht mehr Worte oder ausgeführte Gedanken, mit denen sich ein Mensch ausdrücken kann, sondern die Augen sprechen, sie lassen Dinge erahnen, die man in Worte gar nicht fassen könnte. Worauf kann eine solche Sehnsucht zielen?

Der biblische Psalmdichter nennt als Ziel merkwürdigerweise nun ausgerechnet ein „Wort“, „dein Wort“. Merkwürdig ist das, weil wir Worte zunächst einmal mit den Ohren aufnehmen und nicht mit den Augen – außer wenn wir Worte lesen. Merkwürdig ist das auch, weil ich doch gerade gesagt habe, dass man das, worauf sehnsüchtige Augen blicken, mit Worten gar nicht angemessen ausdrücken kann.

Aber es geht bei diesem Wort nicht um menschliche Begriffe und Erklärungen. Es geht darum, dass sich hier jemand nach „deinem“, nach „Gottes“ Wort sehnt. Und das nun auch wieder nicht im Sinne von verstaubten alten Sprüchen, die irgendwo in der Bibel stehen, sondern in dem Sinne, dass Gott selbst anfängt, einen Menschen ganz persönlich anzusprechen, für ihn selbst da zu sein. Gottes Wort, das ist eine Umschreibung für ein Wunder: dass nämlich die Macht, die das Weltall aus sich heraus geschaffen hat, sich nicht zu groß vorkommt, um sich für uns kleine Menschen auf unserem kleinen Planten zu interessieren.

Ganz ernsthaft fragt sich der Dichter des Psalms: Wird sich Gott mir zuwenden? Kann ich das überhaupt glauben? Seine Augen fragen: „Wann tröstest du mich?“ Er erwartet etwas von seinem Schöpfer, er wagt es, dieses großartige Vertrauen mit seinen Augen auszudrücken, auf Trost zu hoffen in einer Welt, die oft trostlos erscheint.

Sie wissen es, liebe Frau B., wie trostlos einem manchmal die Umgebung erscheinen kann, in der Ihr Mann zuletzt leben musste. Und doch ist es auch ein Ort, wo ich immer wieder erfahre: Die Sehnsucht nach Gott gelangt an ihr Ziel, die Hoffnung auf Trost ist nicht vergeblich.

Hier liegt auch eine Antwort auf die Frage, die ich zu Beginn gestellt habe: Ist dieses Leben ein erfülltes Leben gewesen? Oder war dieser Lebensweg nur ein Leidensweg?

Manches Leiden mag einem Leben seinen Stempel aufdrücken. Die Erfüllung des Lebens hängt davon aber nicht ab. Erfüllt ist das Leben dann, wenn es von Liebe erfüllt ist. In Bruchstücken, immer unvollkommen, können wir Liebe erfahren von anderen Menschen, die Liebe der Eltern und Großeltern, die Liebe des Partners, die Liebe der Kinder, der Enkel, die Liebe der Freunde, und… und… und… Darüber hinaus glaube ich jedoch an eine vollkommene Liebe, die von Gott ausgeht, von dem Gott, der das menschliche Angesicht Jesu Christi trägt, der unsere Sehnsucht nach Geborgenheit und Trost nicht enttäuscht. Trost bedeutet nicht, dass ein Schmerz weggenommen wird, dass Realitäten weggewischt werden, dass Trauer nicht mehr gefühlt werden müsse. Trost ist vielmehr so erfahrbar: dass man spürt, man ist nicht allein im Schmerz, man kann Vergebung erfahren für Dinge, die nicht zu ändern sind, man kann sich jemandem anvertrauen auch mit seinen Tränen und muss sich nicht seiner Schwäche schämen. So menschlich sieht der Trost Gottes aus, dass in der Bibel sogar einmal jemand Gott zu sich sprechen hört (Jesaja 66, 13):

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

In diesem Sinn möchte ich den Vers aus dem Psalm 119, 82 Ihnen allen mitgeben auf Ihrem persönlichen Weg der Trauer um Herrn B. – als eine Aufforderung, auf Trost zu hoffen, auf gute Worte, auf Begleitung, sowohl durch andere Menschen als auch durch Gott:

Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort und sagen: Wann tröstest du mich?

Amen.

Wir singen nun zwei Strophen aus dem Lied, das wir oft in den Klinikandachten singen und das auch Herr B. gerne mitgesungen hat (EG 376):

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt; wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht; so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Amen.

Gebet

Wir singen, bevor wir hinausgehen, zwei Strophen aus dem Lied EG 369:

1. Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu. Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

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