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Lazarus, der Freund Jesu

Das ist das eigentliche Wunder: Dass die Menschen im Volk Gottes wieder an Gott glauben. Johannes erzählt uns diese unglaubliche Geschichte, damit heute wir Christen zum Glauben finden. Denn wo wir nicht an Gottes Liebe glauben, wo uns Gott und seine Gebote egal sind, da sind wir tot wie Lazarus, da müssen auch wir aufgeweckt werden vom Tod der Sünde.

Ikone von der Auferweckung des Lazarus durch Jesu im Beisein des Volkes und der Schwestern des Lazarus, Maria und Marta
Jesus ruft den Lazarus aus dem Grab (Bild: Dimitris VetsikasPixabay)

#predigtTaufgottesdienst am 16. Sonntag nach Trinitatis, den 20. September 2015, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Die Haupt-Predigt-Idee verdanke ich Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias.
Eine Auslegung des Johannesevangeliums, II. Teil: Johannes 10, 22 – 21, 25,
in der Zeitschrift „Texte & Kontexte“, Nr. 113-115, 30. Jahrgang, 1-3/2007

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Am 16. Sonntag nach Trinitatis begrüße ich Sie und euch herzlich mit dem Wort zur Woche aus 2. Timotheus 1, 10:

Christus Jesus [hat] dem Tode die Macht genommen … und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium.

In der Predigt hören wir heute die unglaubliche Geschichte von der Auferweckung des Lazarus. Und wir werden hören, was diese Geschichte mit uns und unserem Glauben zu tun haben kann.

Außerdem taufen wir heute im Gottesdienst einen kleinen Jungen, nämlich … . Wir heißen ihn mit seiner Familie und seinen Paten besonders herzlich willkommen!

Lied 495, 1+2+5:

1. O Gott, du frommer Gott, du Brunnquell guter Gaben, ohn den nichts ist, was ist, von dem wir alles haben: gesunden Leib gib mir und dass in solchem Leib ein unverletzte Seel und rein Gewissen bleib.

2. Gib, dass ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret, wozu mich dein Befehl in meinem Stande führet. Gib, dass ich’s tue bald, zu der Zeit, da ich soll, und wenn ich’s tu, so gib, dass es gerate wohl.

5. Lass mich mit jedermann in Fried und Freundschaft leben, soweit es christlich ist. Willst du mir etwas geben an Reichtum, Gut und Geld, so gib auch dies dabei, dass von unrechtem Gut nichts untermenget sei.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten aus Psalm 102:

1 Ein Gebet für den Elenden, wenn er verzagt ist und seine Klage vor dem HERRN ausschüttet.

2 HERR, höre mein Gebet und lass mein Schreien zu dir kommen!

3 Verbirg dein Antlitz nicht vor mir in der Not, neige deine Ohren zu mir; wenn ich dich anrufe, so erhöre mich bald!

9 Täglich schmähen mich meine Feinde, und die mich verspotten, fluchen mit meinem Namen.

12 Meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras.

13 Du aber, HERR, bleibst ewiglich und dein Name für und für.

17 Ja, der HERR baut Zion wieder und erscheint in seiner Herrlichkeit.

18 Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen und verschmäht ihr Gebet nicht.

20 Denn er schaut von seiner heiligen Höhe, der HERR sieht vom Himmel auf die Erde,

21 dass er das Seufzen der Gefangenen höre und losmache die Kinder des Todes,

22 dass sie in Zion verkünden den Namen des HERRN und sein Lob in Jerusalem,

23 wenn die Völker zusammenkommen und die Königreiche, dem HERRN zu dienen.

Kommt, lasst uns ihn anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Wir bringen unsere Klage vor dich, Gott. Manchmal scheint es, als wärest du nicht da, als würdest du nicht helfen. Flüchtlinge suchen unser Land auf, erhoffen sich Hilfe, finden auch Hilfe, aber es entsteht auch Angst, wohin soll das alles führen, sind wir all dieser Not gewachsen, wird unsere Offenheit für Fremde nicht auch ausgenutzt? und so wachsen auch Sorgen, böse Gedanken und Taten. Manchmal scheint es, als wäre alles sinnlos, was wir tun, sogar in deiner Kirche. Wir werfen unsere Sorgen auf dich und rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Jesus spricht (Johannes 15):

10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.

12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.

13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.

14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.

15 Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Wir hören den Text zur Predigt aus dem Evangelium nach Johannes 11 in einer Kurzfassung. Nachher in der Predigt wird Herr Pfarrer Schütz auf den ganzen Text eingehen:

1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien.

6 Als [Jesus] nun hörte, dass er krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war.

17 Als Jesus [dann hin]kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.

39 Jesus sprach: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen.

41 [Doch sie] hoben … den Stein weg,

43 … [und Jesus] rief … mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!

44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Lied 393, 6-8:

6. Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Vater gehet mit; er selbst will bei uns stehen bei jedem sauren Tritt; er will uns machen Mut, mit süßen Sonnenblicken uns locken und erquicken; ach ja, wir haben’s gut, ach ja, wir haben’s gut.

7. Kommt, Kinder, lasst uns wandern, wir gehen Hand in Hand; eins freuet sich am andern in diesem wilden Land. Kommt, lasst uns kindlich sein, uns auf dem Weg nicht streiten; die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn, als Brüder unsre Reihn.

8. Sollt wo ein Schwacher fallen, so greif der Stärkre zu; man trag, man helfe allen, man pflanze Lieb und Ruh. Kommt, bindet fester an; ein jeder sei der Kleinste, doch auch wohl gern der Reinste auf unsrer Liebesbahn, auf unsrer Liebesbahn.

Liebes Elternpaar …, liebe Paten, liebe Gemeinde!

Lassen Sie ruhig noch ein wenig das letzte Lied aufgeschlagen. Da haben wir in der 7. Strophe gesungen: „Die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn“, und von den Engeln, die uns und unser Taufkind begleiten, handelt auch der Taufspruch, den Sie für … ausgesucht haben. Er steht im Psalm 91, 11:

[Gott] hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.

Im Lied heißt es, dass Engel wie Brüder sind. Sie sorgen dafür, dass wir uns nicht streiten, wenn wir in einem manchmal wilden Land unterwegs sind. Das heißt: Engel reden uns ins Gewissen, ihre Hilfe wirkt nicht immer automatisch, sondern indem wir auf sie achten, auf sie hören, uns von ihnen etwas sagen lassen.

Auch die anderen Strophen von dem Lied, das wir gesungen haben, werfen ein Licht auf die Art, wie wir von den guten Engeln Gottes behütet sind: In der 6. Strophe heißt es, dass Gott, der Vater, selbst mit uns mitgeht, sogar „bei jedem sauren Tritt“, also wenn es uns schwer fällt, unser Leben zu ertragen, unser Schicksal durchzustehen. Dann kann es uns trotzdem gut gehen, weil Gott selber uns wieder Mut macht, uns seine Liebe zeigt, die in unser Leben wie süße Sonnenblicke hineinscheint.

Und in Strophe 8 haben wir gesungen, wie das praktisch aussehen kann, dass Gott und seine Engel bei uns sind: nämlich indem manchmal einer, der stärker ist, einem Schwächeren hilft, indem nicht jeder der Größte sein muss, nicht die größte Klappe haben muss. Vielmehr geht es darum, dass jeder sich bemüht, der Reinste zu sein – ein gutes Gewissen zu haben, auf guten Wegen zu gehen und Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem zu beantworten. Auf diese Weise sind wir wunderbar behütet von Gott und begleitet von den starken Engeln Gottes.

Glaubensbekenntnis und Taufe
Lied 203, 4-6:

4. Ich bitt, lass dir befohlen sein, ach lieber Herr, dies Kindelein, behüte es vor allem Leid und alle in der Christenheit.

5. Durch deine Engel es bewahr vor Unfall, Schaden und Gefahr; erbarm dich seiner gnädiglich, gib deinen Segen mildiglich.

6. Gib Gnad, dass es gerate wohl zu deinen Ehrn und Wohlgefalln, auf dass es hier gottseliglich, hernach auch lebe ewiglich.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, nun geht es in der Predigt um die krasse Geschichte von der Auferweckung des Lazarus, die wir vorhin in Kurzfassung gehört haben. Und ich sage gleich, dass ich die Geschichte auf eine andere Weise für sehr wahr halte, als man vordergründig denken könnte. Es geht nicht darum, dass wir gezwungen werden sollen zu glauben, dass ein Leichnam, der bereits am Verwesen ist und stinkt, wieder lebendig umhergeht, als sei nichts gewesen. Das Wunder, von dem Johannes in seinem Evangelium berichtet, liegt auf einer anderen Ebene. Wir brauchen viel Konzentration und Geduld, um herauszufinden, ob dieses Wunder vielleicht sogar etwas mit uns zu tun hat, ob es in unserem Leben, im Leben unserer Kirche ganz neu wahr werden kann.

Hören wir nun die gesamte Geschichte von Lazarus. Und fragen wir uns: Wer ist eigentlich dieser Lazarus?

1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.

2 Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war krank.

Lazarus wird als Bruder der beiden Frauen Maria und Marta vorgestellt. Das ist ungewöhnlich für eine von Männern beherrschte Gesellschaft wie die zur Zeit Jesu. Maria ist den Lesern des Johannes bekannt; sie hat Jesus zum Messias gesalbt, mit kostbarem Öl, und als Trockentuch hat sie ihre Haare benutzt, ein besonderer Beweis ihrer Liebe. Herrin im Haus war Marta, das jedenfalls bedeutet ihr Name auf Aramäisch. Jesus kehrte oft bei den beiden Frauen ein; sie waren zwei Anführerinnen der Bewegung, die Jesus damals ins Leben gerufen hat. Wenn wir als Christen uns in jemandem aus dieser Geschichte hineinversetzen wollen, dann vielleicht am ehesten in diese beiden Frauen: in die Marta, die die Jesusbewegung tatkräftig unterstützt, in die Maria, die sich gern zu Jesus gesetzt hat, um ihm zuzuhören.

Aber was bedeutet der Name Lazarus? Lazarus ist die griechische Form des hebräischen Namens Elasar, und dieser Name kommt in der Bibel der Juden, unserem Alten Testament, mehr als 70 Mal vor; an den meisten Stellen ist es dort der Name eines Priesters, nämlich des Sohnes Aarons. Elasar, Lazarus, kann also in dieser Geschichte bildlich für das Volk Israel stehen, das damals schon seit Jahrhunderten von Priestern angeführt wurde. Auf diesen Vergleich bin ich nicht von selbst gekommen; diese Anregung habe ich von Ton Veerkamp, dem früheren Studentenpastor der Berliner Evangelischen Studierendengemeinde.

3 Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.

Maria und Martha müssen Jesus gar nicht den Namen des Lazarus nennen. Sie lassen ihm nur ausrichten: „Dein Freund ist krank.“ „Hon phileis“ steht da, „der, mit dem du eng befreundet bist“, „den du lieb hast“. Ist also Lazarus in der Erzählung gleichbedeutend mit Israel, dann ist das Volk der Juden Jesu engster Freund, und in den Augen seiner Jüngerinnen Maria und Marta ist dieser Freund, dieses Volk Israel, tödlich erkrankt.

Wie kann man sich das vorstellen? Vielleicht so, wie jemand, der heute eigentlich an Gott glauben will, von seiner Kirche enttäuscht ist, von Amtsträgern, von Gottes Bodenpersonal. Er will glauben, aber ein Pfarrer stößt ihn vor den Kopf. Oder er meint, Gott selber hat nichts für ihn übrig, nur für die anderen, und tritt deshalb aus der Kirche aus. So könnte auf Dauer das Volk Gottes, ob das Volk Israel oder die Kirche, kaputtgehen, sterben. Damals aber sagen sich die Schwestern Maria und Marta nicht vom Volk Israel los, sie leiden vielmehr mit ihrem Bruder mit; Lazarus, Elasar, bleibt ihr Bruder, auch wenn er für ein Gottesvolk steht, das auf falsche Wege geraten ist, sie halten ihn nicht für böse, nicht für verloren, nur für krank. Aber für so krank, dass er total abrutschen, ja, sterben kann.

4 Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, damit der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.

Jesus geht sehr gelassen mit der Nachricht Marias und Martas um, fast zu ruhig. Er ist überzeugt: die Krankheit des Lazarus wird letztlich nicht tödlich enden. Dabei weiß er selber, dass sein Freund, sein geliebtes Volk Israel, sterbenskrank ist. Im übertragenen Sinn ist damit die Korruption der führenden Priester gemeint, die mit den römischen Besatzern kollaborieren und das einfache Volk mit ausbeuten und leiden lassen. Und er weiß, in einem bis aufs Blut ausgesaugten Volk, in Menschen, die sich wie der letzte Dreck vorkommen, da kann sich das Böse bis nach unten durchfressen, da wird oft Böses mit Bösem beantwortet; und da man sich gegen „die da oben“ nicht wehren kann, reicht man die ungerechten Schläge, die man bekommt, an andere weiter, die sich noch weniger wehren können. Man will kein Opfer sein und macht andere zu Opfern. Jesus hört aber nicht auf, dieses Volk Israel zu lieben, auch wenn es in Teilen korrupt und krank ist. Er will, dass der Freund geheilt wird, dass Israel lebt. Die ganze Ehre Gottes wäre hinfällig, wenn Israel verloren ginge, das meint Jesus mit dem Satz, dass Gott verherrlicht wird, wenn die tödliche Krankheit des Lazarus, also Israels geheilt wird.

Auf heute übertragen: Gott will auch, dass in unserer Kirche Streit überwunden wird, dass wir in unserer Konfi-Gruppe miteinander im Frieden leben können, dass wir einander mit Respekt begegnen auch hier im Gottesdienst. Wenn das nicht gelingt, dann sind wir, die wir doch der Leib Christi sein sollten, wie ein todkranker Körper, wie eine stinkende Leiche.

5 Jesus aber hatte Marta lieb und ihre Schwester und Lazarus.

Zwischendrin sagt Johannes, der Evangelist: Jesus liebt nicht nur den Lazarus, sondern auch die beiden Schwestern. Er benutzt hier aber ein anderes Wort dafür, nicht „philein“, sonden „agapein“. Agape ist Nächstenliebe, Solidarität, Respekt vor jemandem, mit dem man nicht unbedingt befreundet ist, den man vielleicht nicht einmal leiden kann. Vielleicht gefällt uns Christen das nicht, aber Jesus verbindet mit den Juden zunächst mehr als mit uns Christen. Lazarus, das jüdische Volk, ist sein geliebter intimer Freund. Später wird Jesus auch von der Freundschaft zu seinen Jüngern, den späteren Christen, reden, aber diese Freundschaft muss offenbar erst noch wachsen. Maria und Marta liebt er im Sinne der Nächstenliebe. Das heißt: Auch Jesus ist Mensch, der nicht von vornherein mit jedem auf einer Gefühlsebene befreundet ist. Darum ist auch die Liebe, die er fordert, kein Gefühl. Jesus selbst ist die Liebe, er gibt Liebe und erwartet auch von uns eine Liebe, die wir am besten mit dem Wort „Respekt“ oder „Solidarität“ umschreiben. Respekt darf sogar ein Feind erwarten, Nächstenliebe sind wir jedem Menschen schuldig, weil wir alle Kinder des einen Vaters im Himmel sind.

6 Als er nun hörte, dass er krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er war.

Das verwundert mich nun. Jesus, der die Liebe ist, wartet noch zwei Tage, bevor er seinen Freund Lazarus, Elasar, Israel besucht. Wenn wir den Eindruck haben, unsere Kirche ist krank, wartet Jesus dann auch seelenruhig tagelang, bis er sich aufmacht, um uns beizustehen? Braucht auch Jesus, der ja als wahrer Sohn Gottes zugleich hundertprozentig Mensch war, erst einmal Zeit, um sich zu wappnen, um Kraft zu tanken, um genug Mut zu haben, der Krankheit des Freundes begegnen zu können?

7 Danach spricht er zu seinen Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa ziehen!

8 Seine Jünger aber sprachen zu ihm: Meister, eben noch wollten die Juden dich steinigen, und du willst wieder dorthin ziehen?

In diesem kleinen Dialog wird deutlich, warum Jesus gezögert haben mag, den Freund Lazarus, Elasar, Israel zu besuchen. In diesem Volk ist die Stimmung durch die Priester, die Jesus als Bedrohung ihrer Macht ansehen, ja so aufgestachelt, dass Jesus vor den Menschen seines eigenen Volkes nicht sicher ist. Sicher, manche Befreiungskämpfer gegen die Römer und gegen die Priester wollen Jesus sogar selbst zum König machen, aber wenn er dabei nicht mitspielen will, können Jubelrufe schnell umschlagen in den Ruf: „Ans Kreuz mit ihm!“

9 Jesus antwortete: Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wer bei Tag umhergeht, der stößt sich nicht; denn er sieht das Licht dieser Welt.

10 Wer aber bei Nacht umhergeht, der stößt sich; denn es ist kein Licht in ihm.

Vielleicht sind diese Sätze die wichtigsten in der ganzen Geschichte. Zwölf Stunden hat der Tag. Am Tag, im hellen Licht, kann man „umhergehen“, ohne zu stolpern, ohne zu fallen. Mit dem Wort „umhergehen“ meint Jesus hier einen Lebenswandel im Sinne der jüdischen Tora, ein Leben nach den zehn Geboten, nach dem, was Gott will. Egal, was Menschen einem antun, egal wie schlimm die Zeiten sind, Gott möchte nicht, dass wir uns anstecken lassen vom Bösen, er will, dass wir nicht so werden wie die Übeltäter; wir sollen wissen: Gott steht auf der Seite der Opfer, sogar bis dahin, dass er sich in Jesus selber zum Opfer machen lässt. Lasst euch nicht von der Nacht des Bösen einfangen, lasst euch nicht zu Fall bringen, weil ihr genau so böse denkt wie die, die euch etwas Böses antun. Denkt nicht: „Du hast angefangen, du hast mich komisch angekuckt, jetzt schlag ich dich zusammen!“ Ich weiß, dass solche Gedanken in manchen Köpfen drin sind, vor allem, wenn man sich einmal klein und schwach und unterlegen fühlte; und dann schwört man sich: „Ich will nie wieder Opfer sein!“ Doch auf diese Weise geht man in der Nacht umher, obwohl es mitten am Tag ist, und man stößt sich, fällt hin, kommt auf die schiefe Bahn.

11 Das sagte Jesus, und danach spricht er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, schläft, aber ich gehe hin, ihn aufzuwecken.

12 Da sprachen seine Jünger: Herr, wenn er schläft, wird’s besser mit ihm.

13 Jesus aber sprach von seinem Tode; sie meinten aber, er rede vom leiblichen Schlaf.

Als Jesus sagt: „Unser Freund schläft“, wirken seine Jünger beruhigt; ein Schlaf kann ja heilend wirken; vielleicht geht es auch dem Volk Israel bald besser, vielleicht schläft es sich gesund. Aber so einfach ist es nicht.

14 Da sagte es ihnen Jesus frei heraus: Lazarus ist gestorben;

15 und ich bin froh um euretwillen, dass ich nicht dagewesen bin, damit ihr glaubt. Aber lasst uns zu ihm gehen!

Jesus sieht die Lage ernster als seine Jünger, und zugleich hat er mehr Hoffnung. Wer sich von der Nacht des Bösen anstecken lässt, der ist tödlich krank, der rutscht ab, mit dem kann es nur böse enden. Und trotzdem ist Jesus froh über die Gelegenheit, seinen Jüngern zu zeigen, worauf es im Glauben an den Gott Israels wirklich ankommt.

16 Da sprach Thomas, der Zwilling genannt wird, zu den Jüngern: Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben!

Hier wird Thomas, den wir als den großen Zweifler kennen, zum Sprecher der Jünger. Er versteht nicht, was Jesus vorhat, er meint, Jesus wolle sie dazu aufrufen, mit Jesus und mit Lazarus gemeinsam unterzugehen und heldenhaft zu sterben. Warum nennt der Evangelist Thomas den Zwilling? Vielleicht weil er zwei Seelen in seiner Brust hat, er will glauben und hat doch Schwierigkeiten damit, er will Jesus nachfolgen und bleibt doch skeptisch. Viele von uns denken vermutlich ganz ähnlich wie Thomas.

17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.

Nun kommen wir zum Höhepunkt der Geschichte. Vier Tage ist Lazarus bereits tot, als Jesus bei seinem Grab ankommt, nachdem er zwei Tage gewartet hatte. Vom dritten Tag redet Johannes hier wohl bewusst nicht. Der vierte Tag, das ist einer mehr als die drei Tage, nach denen später Jesus auferweckt werden würde. Soll hier angedeutet werden, dass mit Lazarus wirklich alles aus ist, dass er selbst die Möglichkeit, ein persönliches Ostern zu erleben, sozusagen „verpennt“ hat?

Die nächsten 15 Verse lasse ich in dieser Predigt aus. Die würden eine eigene Predigt füllen, nämlich was Jesus mit Martha bespricht und mit Maria erlebt. Hören wir heute weiter, was Jesus tut, nachdem er sieht, wie Maria weint und wie auch die anderen Juden sozusagen den eigenen Tod, den Tod des Lazarus, betrauern.

33 Als Jesus sah, wie [Maria] weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, ergrimmte er im Geist und wurde sehr betrübt.

34 und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh es!

Jesus trauert mit seinen Mitjuden um den Tod des jüdischen Volkes; er „ergrimmt“, er ist geradezu wutentbrannt und außer sich vor innerer Erregung. Das Schicksal derer, die in den Tod abrutschen, und die Gefühle derer, die diesen Tod betrauern, gehen ihm sehr nahe.

35 Und Jesus gingen die Augen über.

36 Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt!

Jesus weint. Jesus ist erschüttert über das Schicksal des Lazarus, des Elasar, des von Priestern geführten und verführten Volkes Israel. Und die Juden spüren seine Liebe zu Lazarus, ohne zu merken, dass es sie selber sind, die er mit seiner Liebe liebt. Und wir Christen haben das auch viele Jahrhunderte lang vergessen, dass Jesus niemals aufhört, sein Volk, seinen Freund Israel, zu lieben.

37 Einige aber unter ihnen sprachen: Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste?

Zweifel wird unter den Juden laut: Andern hilft Jesus, mir hilft er nicht. Ist er wirklich der von Gott gesandte Messias? Warum hat Gott zugelassen, dass Lazarus gestorben ist? Warum hat Jesus zwei Tage gewartet und Lazarus sterben lassen?

38 Da ergrimmte Jesus abermals und kam zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor.

Auf die Zweifel reagiert Jesus wieder mit Zorn, mit innerer Erregung. Ihn lassen die Vorwürfe nicht kalt, er will ja Hilfe für alle Menschen – nur manchmal verstehen die Menschen nicht, auf welche Weise ihnen tatsächlich geholfen werden kann. Das ist die scheinbar ausweglose Situation, in der Jesus am Grab des Lazarus ankommt. Da sieht es ähnlich aus wie später am Ostermorgen: es ist kein Grab, wie wir es kennen, kein Loch im Boden, sondern eine Grabhöhle, mit einem Stein davor. Am Ostermorgen, am Grab Jesu, wird aber der Stein schon weggerollt sein, als die Frauen dort ankommen.

39 Jesus sprach: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen.

Jetzt meldet sich Marta zu Wort, wieder mit einem berechtigten Zweifel: „Wie kann ein Toter, der schon stinkt, auferweckt werden?“ Im übertragenen Sinn: Wenn Lazarus für Israel und die Juden steht, ist dieses Volk dann nicht für immer tot und verdorben und verloren? Haben die Juden nicht Jesus getötet?

40 Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?

Jesus erinnert Marta an etwas, was er ihr vorher in der Diskussion mit ihr gesagt hat, auf die ich heute nicht eingegangen bin. Glauben bedeutet, Gottes Herrlichkeit, Gottes Ehre sehen, und Gottes Ehre ist eng verknüpft mit dem Schicksal Israels. Gott will, dass auch Israel gerettet wird, er will nicht ein Gottesvolk durch ein anderes ersetzen. Schon der Prophet Jesaja hatte über das auch in seinen Augen damals schon tote Volk Israel gesagt (Jesaja 26, 19):

Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn… die Erde wird die Toten herausgeben“.

Hören wir nun, mit diesem Jesaja-Wort im Ohr, weiter auf das, was Jesus tut (Johannes 7):

41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.

42 Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich’s, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.

Wie das Volk Israel immer wieder seine Augen zu den Bergen erhob, um zu Gott zu beten, so erhebt auch Jesus seine Augen zum Vater im Himmel. Jesus betet hier wie der Prophet Elia auf dem Berg Karmel, als das Volk Israel zum Fruchtbarkeitsgott Baal abgefallen war. Da hatte Elia zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gerufen (1. Könige 18, 37):

Erhöre mich, HERR, erhöre mich, damit dies Volk erkennt, dass du, HERR, Gott bist und ihr Herz wieder zu dir kehrst!

Das ist das eigentliche Wunder, um das es in dieser Geschichte geht: Dass die Menschen im Volk Gottes wieder an Gott glauben. Darum erzählt Johannes uns diese unglaubliche Geschichte, damit heute wir Christen zum Glauben finden. Denn wo wir nicht an Gottes Liebe glauben, wo wir uns vom Bösen anstecken lassen, wo uns Gott und seine Gebote egal sind, da sind wir tot wie Lazarus, da müssen auch wir aufgeweckt werden vom Tod der Sünde. Weiter hören wir im Johannesevangelium:

43 Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!

Mit lauter Stimme, wörtlich einer „großen Stimme“, phone megale, wie mit einem Megaphon, schreit Jesus in das Grab hinein, brüllt er Lazarus regelrecht an: „Komm heraus!“ Komm heraus aus dem Grab der Sünde, in dem du es dir eingerichtet hast, in dem du böse bist und bleibst, weil das bequemer ist, als neue kleine gute Schritte zu gehen.

44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!

Lazarus kommt tatsächlich heraus, aber immer noch als eingewickelte Leiche, an Händen und Füßen wie gefesselt. Er kann auch nichts sehen, weil immer noch ein Schweißtuch auf seinem Gesicht liegt. Was erzählt uns diese Szene? Gott erweckt Todgeweihte, in Sünde Gefangene, zum Leben, und Jesus ruft Menschen zur Mithilfe dabei auf: „Löst ihm die Binden! Helft ihm zu gehen!“ Im Psalm 102, 21 haben wir vorhin gehört, dass Gott vom Himmel auf die Erde blickt und die Kinder des Todes losmachen will. Hier hören wir, dass wir Gott dabei helfen sollen: Macht sie los, die auf bösen Wegen unterwegs sind, zeigt ihnen gute Wege. Gebt sie nicht auf. Traut ihnen etwas zu, lasst sie spüren, sie sollen nicht niedergemacht werden, sondern Respekt erfahren und lernen, andere ebenfalls mit Respekt zu behandeln.

45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.

Ich sage noch einmal: In der Geschichte von Lazarus geht es nicht buchstäblich um eine Leiche, die wieder atmet, erst recht nicht um einen Toten, der in einen Zombie verwandelt wird. Es geht darum, dass Menschen lernen, an Gott zu glauben, auch wenn das Volk Gottes, egal ob Israel oder die Kirche, so verdorben zu sein scheint wie ein stinkender Leichnam. Jesus ist und bleibt Israels Freund. Allerdings dürfen auch wir uns Freunde Jesu nennen. Denn so nennt Jesus kurz vor seinem Tod diejenigen, die an ihn glauben (Johannes 15):

12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.

13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.

14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.

Auch wir können und sollen Jesu Freunde sein. Wir können auf ihn hören, auf den Wegen seiner Gebote gehen. Er hat uns lieb, und er will, dass wir alle Menschen mit Respekt und Nächstenliebe behandeln und denen helfen, die unsere Hilfe brauchen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 262, 1-4: Sonne der Gerechtigkeit

Gott, heiliger Geist, wir bitten dich für unser Taufkind … und seine Familie. Erfülle ihn mit deiner Liebe und lass das Vertrauen zu dir in ihm wachsen. Sei mit ihm in der Liebe seiner Eltern und Paten und durch deine heiligen Engel.

Herr Jesus Christus, wir bitten dich für Menschen, die die Liebe Gottes nicht spüren, die sich wie tot fühlen und sich vergeblich danach sehnen, glauben zu können und sich selbst anzunehmen, wie sie sind. Wir bitten dich für die Menschen auf der Flucht und für diejenigen, die ihnen helfen, wir bitten dich für die, die sich Sorgen machen und diejenigen, die einfach da sind und tun, was in ihrer Macht steht.

Vater im Himmel, wir beten für Herrn …, der im Alter von … Jahren gestorben und in aller Stille auf dem Neuen Friedhof Gießen bestattet worden ist. Geboren war er in …, aber lange Zeit hat er in unserer Paulusgemeinde in der Nordstadt gelebt. Wir denken an die Bilder, die er gerne gemalt hat, und vertrauen ihn im Tode deiner Liebe an: Nimm ihn gnädig auf in deiner Ewigkeit im Himmel. Wir beten für seine Lebensgefährtin und ihre Familie und für seinen Bruder, der ihm das letzte Geleit gegeben hat. Gott, der du Macht hast über den Tod: Hilf uns, dass wir hier im Leben aufstehen aus Sünde, Sinnlosigkeit und Verzweiflung, und schenke uns, wenn wir einmal sterben, ewige Erfüllung in deinem für uns alle unvorstellbaren Himmel.

In der Stille bringen wir vor dich, was wir persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 262, 5-7: Gib den Boten Kraft und Mut
Abkündigungen

Sie haben gehört, wir haben am letzten Sonntag eine zusätzliche Kollekte eingesammelt für die ehrenamtlichen Helfer, die die noch nicht registrierten Flüchtlinge mit Wasser, Brot, Bananen und Suppe versorgen. Am nächsten Sonntag beim Erntedankfest wird sie wieder da sein mit ihrer kleinen Tochter …, die ihre Spardose ausleiht, um dafür zu sammeln.

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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