Bild: Helmut Schütz

Tanztheatergottesdienst „Traumwandler“

Im Alptraum weiß man nicht mehr, ob die Angst, die man empfindet, echt ist oder sich auf etwas Unwirkliches bezieht. Gute Träume sind dagegen von einem Grundgefühl der Leichtigkeit getragen, das einen nach dem Aufwachen über den Tag hinweg begleiten kann. Tagträume führen zu geheimen Vorstellungen und Wünschen und machen dazu fähig, unsere Welt mit etwas anderen Augen zu betrachten.

Eine Traumwandler-Tanztheater-Szene in mehreren Bildern, gestaltet wie zwei Filmstreifen
Zum zweiten Mal gestalten die Jungen Akteure Gießen einen Tanztheatergottesdienst in der Pauluskirche mit

direkt-predigtGottesdienst mit den „Jungen Akteuren Gießen“ unter der Leitung von Sönke Ahrens und einer Tanztheaterpredigt von Pfarrer Helmut Schütz am Sonntag Septuagesimae, 1. Februar 2015, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen
Klaviervorspiel

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen in der Pauluskirche zu einem Gottesdienst mit der Tanztheatergruppe „Junge Akteure Gießen“, die seit mehreren Jahren regelmäßig unseren Gemeindesaal für ihre Proben nutzt. Im vorletzten Herbst haben sie uns mit Szenen und Tänzen zum Thema „Schönheit“ erfreut und zum Nachdenken angeregt. Heute wollen sie dasselbe mit Szenen und einem Tanz aus ihrem letztjährigen Projekt unter dem Thema „Traumwandler“ tun. Letzten Endes ging es um die Frage: „Was täten wir, wenn wir die Kontrolle darüber hätten, was und wovon wir träumen? Wenn wir unsere Träume leben würden? Wenn wir Traumwandler wären?“ In diese Fragen wollen uns die Studierenden der Tanztheatergruppe unter der Leitung von Sönke Ahrens in diesem Gottesdienst mit hineinnehmen.

Das passt auch sehr gut zu dem, was wir nach dem Gottesdienst heute noch vorhaben: In der Gemeindeversammlung um 11.15 Uhr geht es nämlich unter anderem um die Vorstellung derjenigen, die für die Wahl zum neuen Kirchenvorstand kandidieren, und um Träume für die zukünftige Arbeit in der Paulusgemeinde und in der Nordstadt.

Auch in den Liedern, die wir heute singen, kommt das Träumen vor, im ersten sogar das Tanzen. Wir singen das Lied 606:

Dass ich tanzen darf und mich freuen – ich danke dir…
Traumwandler-Choreographie der Jungen Akteure Gießen
Träumer-Choreographie der Jungen Akteure Gießen

Liebe Gemeinde, dass unsere Organistin schon zum Eingangslied herunter kommen musste und jetzt ein wenig Zeit braucht, um auf der Orgel die Eingangsliturgie zu spielen, hat einen besonderen Grund. Es gibt im Gesangbuch nämlich keine älteren Lieder, die man gut zur Orgelbegleitung singen kann, in denen Träume vorkommen. Das war im ersten Tanztheatergottesdienst anders, zum Thema Schönheit gab es viele Lieder aus längst vergangenen Jahrhunderten. Heute werden wir nur Lieder aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts singen, keins ist älter als 54 Jahre. Aber nun stimmen wir uns weiter auf das ein, was wir in dieser Feier von Gott erwarten können, und das tun wir mit den alten Wechselgebeten und -gesängen, die von der Orgel begleitet werden.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Es gibt in der Bibel einen Psalm vom Träumen, den Psalm 126. Schlagen Sie ihn bitte im Gesangbuch unter der Nummer 750 auf. In diesem alten Lied träumen die nach Babylon deportierten, versklavten Juden von einer Zeit, in der ihr Traum von der Rückkehr ins Land der Freiheit erfüllt sein wird, und sie stellen sich vor, dass sie sich dann wie in einem Traum vorkommen werden. Ich beginne mit Vers 1, und Sie lesen bitte jeweils die eingerückten Verse:

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

3 Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.

4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Traumwandler-Choreographie der Jungen Akteure GießenAber es gibt in der Bibel auch ein Misstrauen gegenüber Träumen, die nicht von Gott eingegeben sind, etwa im Buch Sirach 34, 1-8:

1 Unweise Leute betrügen sich selbst mit törichten Hoffnungen, und Narren verlassen sich auf Träume.

2 Wer auf Träume hält, der greift nach dem Schatten und will den Wind haschen.

3 Träume sind nichts anderes als Bilder ohne Wirklichkeit.

4 Was unrein ist, wie kann das rein sein? und was falsch ist, wie kann das wahr sein?

5 Eigne Weissagung und Zeichendeutung und Träume sind nichts, und man sieht dabei Wahnbilder wie eine Gebärende;

6 und wenn es nicht kommt durch Eingebung des Höchsten, so halt nichts davon.

7 Denn Träume betrügen viele Leute, und es schlägt denen fehl, die darauf bauen.

8 Aber das Gesetz trügt nicht und erfüllt sich, und was die Weisheit spricht mit wahrhaftigem Mund, das geschieht auch.

Gott, schenke uns dein Erbarmen, dass wir hilfreiche und trügerische Träume zu unterscheiden wissen. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Traumwandler-Choreographie der Jungen Akteure GießenGute Träume sollen sich für uns erfüllen, Alpträume sollen verschwinden. In einer Liedstrophe aus unserem Gesangbuch (298, 1), die sich schwer singen lässt und die ich darum nur vorlesen möchte, wird der Psalm, den wir zusammen gebetet haben, nicht als Erfüllung eines Wunschtraums, sondern als das Ende eines Alptraums gedeutet:

1. Wenn der Herr einst die Gefangnen ihrer Bande ledig macht, o dann schwinden die vergangnen Leiden wie ein Traum der Nacht; dann wird unser Herz sich freun, unser Mund voll Lachens sein; jauchzend werden wir erheben den, der Freiheit uns gegeben.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Guter Gott, welchen Träumen dürfen wir trauen? Auf welche Art und Weise träumen wir ohne böses Erwachen? Schenke uns ein Leben im Vertrauen auf dich in traumwandlerischer Geborgenheit. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Traumwandler-Choreographie der Jungen Akteure GießenAls am ersten Pfingstfest, am Geburtstag der christlichen Kirche, die Jüngerinnen und Jünger Jesu vom Geist Gottes erfüllt auf die Straße liefen und in allen Sprachen der Welt Gott lobten und priesen, da reagierten die Leute in Jerusalem eher zurückhaltend. Auch wenn wir heute nicht Pfingsten feiern, hören wir in der Schriftlesung, was damals geschah. Wir werden gleich merken, was dieser Abschnitt aus der Apostelgeschichte 2 mit unserem heutigen Thema zu tun hat:

12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?

13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen!

15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage;

16 sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist:

17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben;

18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.«

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Traumwandler-Choreographie der Jungen Akteure GießenTräume, Gesichte, Weissagungen – in der Pfingstgeschichte spielen sie offenbar eine so wichtige Rolle, dass uns allen, Jung und Alt, versprochen wird: wir dürfen uns auf Visionen und Tagträume und vielleicht sogar auf den einen oder anderen Traum, den wir im Schlaf träumen, verlassen. Gott will uns Träume schenken von einer neuen Welt, von der Liebe, von einem Leben im Frieden.

Wir singen das Lied 610 von einer Freiheit, die offen ist für Träume, trotz all der Mauern, die wir Menschen immer wieder zwischen uns aufbauen:

Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer

Nun kommen wir zur Predigt, zu der die „Jungen Akteure“ drei Spielszenen und eine Tanzchoreographie beisteuern. Aber damit Sie wissen, was die Paulusgemeinde mit diesen Studentinnen und Studenten zu tun hat und wie das Projekt „Traumwandler“ entstanden ist, lasse ich vorher Herrn Sönke Ahrens zu Wort kommen, der die Theatergruppe anleitet.

Sönke Ahrens, Leiter der Jungen Akteure Gießen
Sönke Ahrens, Leiter der Jungen Akteure Gießen
Sönke Ahrens: Vorstellung der „Jungen Akteure“ und des Projekts „Traumwandler“
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde,

diese Tanztheaterpredigt hat vier Teile, zwei längere und zwei kürzere. Jeder Teil beginnt mit Texten aus der Bibel und endet mit einer Szene oder einem Tanz der „Jungen Akteure“. Der erste Teil trägt die Überschrift:

I. „Alptraum“

Von Alpträumen kann man in der Bibel an einer ganzen Reihe von Stellen lesen. Zum Beispiel Hiob, der alle seine Kinder und seine Gesundheit verliert, klagt zu all dem auch noch über schlechte Träume (Hiob 7, 13-15):

13 Wenn ich dachte, mein Bett soll mich trösten, mein Lager soll mir meinen Jammer erleichtern,

14 so erschrecktest du mich mit Träumen und machtest mir Grauen durch Gesichte,

15 dass ich mir wünschte, erwürgt zu sein, und den Tod lieber hätte als meine Schmerzen.

Im Buch Sirach 40, 1-7, hält ein weiser Mensch fast das ganze Leben für einen einzigen Alptraum:

1 Großes Elend ist jedem Menschen zugeteilt, und ein schweres Joch liegt auf den Menschenkindern von Mutterleib an, bis sie zur Erde zurückkehren, die unser aller Mutter ist.

2 Da sind immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zuletzt der Tod

3 sowohl bei dem, der in hohen Ehren sitzt, wie bei dem, der im Staube liegt.

4 Da sind immer Zorn, Eifersucht, Kummer, Unfriede und Todesfurcht, Hass und Streit.

5 Und wenn einer des Nachts auf seinem Bett ruhen und schlafen soll, beunruhigen ihn allerlei Gedanken.

6 Wenn er schon ein wenig ruht, so ist’s doch nichts damit; denn bald ist ihm im Schlaf, als wäre es Tag und er sähe die Feinde kommen, und er erschrickt im Traum, als fliehe er aus der Schlacht;

7 und im Augenblick der Not wacht er auf und ist heilfroh, dass die Furcht umsonst war.

Immerhin erweist sich hier die größte Todesangst am Ende doch als unbegründet, wie meist in unseren eigenen Alpträumen, wenn wir – womöglich schweißgebadet – aus ihnen erwachen.

Das Buch der Weisheit erzählt allerdings von Alpträumen, aus denen die Träumer nicht erwachen sollen. Die Geschichte von Israels Auszug aus Ägypten wird dort erläutert, als der Todesengel Gottes diejenigen bestraft, die das Volk Israel nicht in die Freiheit entlassen, sondern weiterhin blutig unterdrücken wollen (Weisheit 18, 14-19):

14 Denn als alles still war und ruhte und eben Mitternacht war,

15 fuhr dein allmächtiges Wort vom Himmel herab, vom königlichen Thron, ein harter Kriegsmann, mitten in das Land, das zugrunde gerichtet werden sollte.

16 Er trug ein scharfes Schwert, nämlich dein unerbittliches Gebot, und trat hin und erfüllte alles mit Toten, und obwohl er auf der Erde stand, berührte er doch den Himmel.

17 Da erschreckten sie plötzlich grauenhafte Träume, und unversehens kam Furcht über sie,

18 und sie lagen halbtot da, der eine hier, der andre dort, und zeigten damit, aus welchem Grund sie sterben mussten.

19 Denn die Träume, die sie erschreckten, hatten es ihnen vorher angezeigt, damit sie nicht zugrunde gingen, ohne zu wissen, warum sie so sehr geplagt wurden.

Martin Luther rechnete das Buch der Weisheit, in dem diese Erzählung steht, nicht zum Kernbestand des Alten Testaments, sondern zu den Apokryphen, Büchern der Bibel mit verborgenem Sinn. Es versucht sich einzufühlen in das Empfinden hartherziger Unterdrücker, die die Folgen ihrer Untaten nicht nur am eigenen Leibe, sondern auch in den Alpträumen ihrer Seele zu spüren bekommen.

Tröstlich ist es dagegen, wenn ein realer kriegerischer Angriff so endet, als sei er nur ein Alptraum gewesen. Das kündigt der Prophet Jesaja den Menschen in Jerusalem an, die er an dieser Stelle mit dem ungewöhnlichen Namen „Ariel“ anredet (Jesaja 29, 7-8):

7 Und wie ein Traum, wie ein Nachtgesicht, so soll die Menge aller Völker sein, die gegen Ariel kämpfen, mit ihrem ganzen Heer und Bollwerk, und die ihn ängstigen.

8 Denn wie ein Hungriger träumt, dass er esse, – wenn er aber aufwacht, so ist sein Verlangen nicht gestillt; und wie ein Durstiger träumt, dass er trinke, – wenn er aber aufwacht, ist er matt und durstig: so soll es der Menge aller Völker ergehen, die gegen den Berg Zion kämpfen.

Gott sei Dank! Er kann die reale Bedrohung wie einen Alptraum enden lassen, aus dem man unbeschadet erwacht – die Stadt ist gerettet!

So viel zu Alpträumen in der Bibel. Jetzt folgt die Spielszene „Alptraum“, in der es darum geht, wie man im Traum die Kontrolle verliert, nicht mehr weiß, ob die Angst, die man empfindet, echt ist oder sich auf etwas Unwirkliches bezieht. Modern ist die Szene im Gegenüber zu den biblischen Alptraumgeschichten vor allem darin, dass wir etwas von der Einsamkeit des Menschen mitten in einer Menschenmasse zu spüren bekommen werden, von Vertrauensbrüchen und Verlustängsten.

Theaterszene: „Alptraum“

2015-02-01-traumwandler-ahrens-soenke-001Sönke Ahrens erläutert dazu (nicht im Gottesdienst, da dort die Szene als solche wirken soll):

Diese Szene ist eine Mischung aus einer Tanz- und Theaterszene, es läuft Musik im Hintergrund, es gibt einzelne tänzerische Elemente.

Inhaltlich geht es unter anderem um das Gefühl der Angst, das entsteht, wenn man im Traum nicht merkt, dass die Erlebnisse nicht real sind, sie aber dennoch als real erlebt.

In Alpträumen wird man letztlich hilflos seinen realen oder fiktiven Ängsten ausgesetzt, manche Personen erleben jede Nacht denselben Alptraum, ohne etwas dagegen tun zu können.

So können Ängste eben real werden.

Im Anschluss folgen Bilder von der Alptraum-Szene:

Tanztheater, erste Szene: "Alptraum"Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum"Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum" Tanztheater, erste Szene: "Alptraum"Vielen Dank, liebe Junge Akteure! Bewusst haben wir die Alpträume an den Anfang der Predigt gestellt, damit es von nun an nur angenehmer in der Stimmung werden kann.

Kommen wir zum zweiten Teil mit dem Titel

II: „Gute Träume“

Aber was sind gute Träume? Träume, die sich schön anfühlen, ohne Probleme und Sorgen? Illusionäre Traumwelt? Oder Träume, die Probleme lösen helfen, Warnträume?

In der Bibel stellen gute Träume immer eine Beziehung her zwischen der Wirklichkeit und dem, was sein soll, zwischen einer oft menschlich ziemlich verfahrenen Situation und dem guten Willen Gottes.

Das Buch Hiob kennt nicht nur Alpträume, sondern auch solche Träume, die den Menschen als Warnung gedacht sind (Hiob 33, 14-18):

14 Denn auf eine Weise redet Gott und auf eine zweite; nur beachtet man’s nicht.

15 Im Traum, im Nachtgesicht, wenn der Schlaf auf die Menschen fällt, wenn sie schlafen auf dem Bett,

16 da öffnet er das Ohr der Menschen und schreckt sie auf und warnt sie,

17 damit er den Menschen von seinem Vorhaben abwende und von ihm die Hoffart tilge

18 und bewahre seine Seele vor dem Verderben und sein Leben vor des Todes Geschoss.

Gute Träume bringen also nicht Angst, Verderben und Tod, sondern bewahren genau davor. Und das tun sie, indem sie den Menschen etwas bewusst machen, was die Bibel „Hoffart“ nennt, eine hochfahrende Art, die sein will wie Gott, aber in selbstsüchtiger und im Grunde menschenverachtender Weise, obwohl sie besser daran täte, sich der liebevollen Leitung des menschenfreundlichen Gottes anzuvertrauen.

Schon in der Tora Israels, im 4. Buch Mose – Numeri 12, sagt dieser Gott zu seinem Volk:

6 Hört meine Worte: Ist jemand unter euch ein Prophet des HERRN, dem will ich mich kundmachen in Gesichten oder will mit ihm reden in Träumen.

Tanztheater-Frau bläst Seifenblasen in die Luft

So redet Gott in Träumen zum Erzvater Jakob und seinem Lieblingssohn Josef sowie zum König Salomo und dem Propheten Daniel, später auch zum neutestamentlichen Josef, dem Adoptivvater Jesu. Josef und Daniel sowie der Richter Gideon bekommen außerdem die Gabe der Traumdeutung und wenden sie auf Träume ägyptischer, babylonischer und midianitischer Herrscher und ihrer Untertanen an. König Saul jedoch, der in einer Zeit der Krise Gott quasi zwingen will, ihm durch Träume seine Fragen zu beantworten, kriegt keinen Traum von Gott geschenkt.

Interessant finde ich, dass Gott andererseits in Träumen auch zu Menschen redet, die nicht zum Volk Israel gehören oder gar nicht an ihn glauben: zum König Abimelech aus Gerar zur Zeit Abrahams, zum ägyptischen Pharao zur Zeit Josefs, zum König Nebukadnezar von Babel zur Zeit des Propheten Daniel, zu den Weisen aus dem Morgenland, zur Frau des Pilatus. Immer geht es darum, dass sie davor gewarnt werden, einen bösen Weg zu beschreiten.

Zu den meisten Propheten Israels allerdings redet Gott fast immer direkt, ohne dass Träume erwähnt werden. Vielleicht ist der Grund dafür in der Zwiespältigkeit auch der guten Träume zu sehen: Nicht jeder Traum erzählt uns die Wahrheit, Träume können auch trügerische Schäume sein, wie wir vorhin im Buch Sirach 34 gehört haben:

2 Wer auf Träume hält, der greift nach dem Schatten und will den Wind haschen.

3 Träume sind nichts anderes als Bilder ohne Wirklichkeit.

Und der Prediger Salomo 5, 2 und 6, sagt es noch etwas schärfer:

2 Wo viel Mühe ist, da kommen Träume, und…

6 Wo viel Träume sind, da ist Eitelkeit und viel Gerede; darum fürchte Gott!

Diese Kritik an Träumen hat allerdings eher ein selbstbezogenes Kreisen des Menschen um sich selbst im Sinn, eine krampfhafte Bemühung darum, die eigene Minderwertigkeit zu überwinden und im Mittelpunkt zu stehen.

Wirklich gute Träume sind dagegen von einem guten und schönen Grundgefühl der Leichtigkeit getragen, das einen nach dem Aufwachen über den Tag hinweg begleiten kann. Auch in solchen Träumereien kann man sich möglicherweise verlieren; die Verlockung ist groß, nur noch in der schönen und guten Traumwelt zu leben, in der es keine Sorgen und Probleme gibt. So lange man sich dessen bewusst bleibt, dass man sich vor seinen Problemen nicht verstecken, nicht vor ihnen flüchten kann, ist es einfach schön, in Phantasien ausruhen zu können und Sorgenlosigkeit zu erleben.

Solche guten Träume stellt uns die zweite Szene der „Jungen Akteure“ vor Augen.

Theaterszene „Gute Träume“

Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume"Tanztheater zweite Szene: "Gute Träume" Danke für diese Szene!

Nun noch einmal: Wie ist das in der Bibel mit den zwei Seiten der guten Träume – lullen sie uns ein, verführen sie uns dazu, auf Illusionen zu vertrauen statt auf den befreienden Gott? Derselbe Mose, der den Propheten des einen und einzigen menschenfreundlichen Gottes gute Träume ankündigt, warnt vor den Träumen derer, die uns dazu verführen wollen, unsere Hoffnung auf Mächte des Todes zu setzen, auf unterdrückende Götter, auf Süchte und Zwänge (5. Buch Mose – Deuteronomium 13, 2-4):

2 Wenn ein Prophet oder Träumer unter euch aufsteht und dir ein Zeichen oder Wunder ankündigt

3 und das Zeichen oder Wunder trifft ein, von dem er dir gesagt hat, und er spricht: Lass uns andern Göttern folgen, die ihr nicht kennt, und ihnen dienen,

4 so sollst du nicht gehorchen den Worten eines solchen Propheten oder Träumers; denn der HERR, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebhabt.

Auch der Prophet Sacharja 10, 2 warnt vor Träumen, die nicht wirklich die Zukunft vorhersehen, sondern stattdessen in die Irre führen:

2 Denn die Götzen reden Lüge, und die Wahrsager schauen Trug und erzählen nichtige Träume, und ihr Trösten ist nichts. Darum geht das Volk in die Irre wie eine Herde und ist verschmachtet, weil kein Hirte da ist.

Und der Prophet Jeremia 23, 26-29, setzt noch einen drauf, indem er Gottes Wort und die Träume falscher Propheten für unvereinbar hält:

26 Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen

27 und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, wie auch ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?

28 Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR.

29 Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?

Dies ist das härteste Wort in der Bibel gegen Träume, die nur einlullen und Menschen davon abhalten sollen, eine furchtbare Realität zu verändern. Es gibt Illusionen, die wie im Feuer verbrannt werden müssen, und es gibt abgrundtiefes Unrecht, das auf Menschen lastet wie felsiges Gestein und das man wie mit einem Hammer aufbrechen und beenden muss.

Heißt das nun, wir sollten grundsätzlich misstrauisch sein gegenüber Träumen? Nein, es bleibt dabei, auch die Bibel kennt gute Träume. Der Prophet Joel kündigt sogar an, dass im Vertrauen auf Gott alle Menschen gute Träume haben sollen (Joel 2, 27 und 3, 1):

27 Und ihr sollt‘s erfahren, dass ich mitten unter Israel bin und dass ich, der HERR, euer Gott bin, und sonst keiner mehr, und mein Volk soll nicht mehr zuschanden werden.

1 Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

Dieses Wort wird vom Apostel Petrus in der Apostelgeschichte aufgegriffen; wir haben es in der Lesung bereits gehört. „Eure Alten sollen Träume haben, eure jungen Leute sollen Visionen sehen“, genau das hat sich erfüllt, sagt Petrus in seiner Pfingstpredigt. Denn die Freundinnen und Freunde Jesu, die an ihn glauben und doch verzweifelt sind wegen seines Todes und seines Verschwindens in den Himmel Gottes, die werden zehn Tage nach seiner Himmelfahrt vom Heiligen Geist erfüllt. Mit Pfingsten beginnt ja die Geschichte unserer christlichen Kirche, das heißt, es gäbe die Kirche gar nicht, wenn uns Gott nicht die Fähigkeit versprochen hätte, von einer neuen Welt zu träumen, von einem guten Leben, von einem neuen Miteinander im Geist der Liebe Gottes.

Von guten Träumen, die nicht blind und taub für die Wirklichkeit machen, sondern uns Kraft geben für die Überwindung einer oft problematischen Realität singen wir nun das Lied auf dem Liedblatt:

Wir haben einen Traum, der macht nicht blind, wir sehen

Nun kommt der dritte Teil der Predigt:

III. „Traumtanz“

In ihm verzichte ich auf weitere biblische Ausführungen, denn wir sind an eine Stelle geführt worden, an der wir uns, so denke ich, ganz unbefangen einen Tanz anschauen können. Er führt uns vor Augen, wie es aussehen kann, wenn man mit einem guten Gefühl träumt – ohne vor der Realität oder vor Gott fliehen zu wollen, aber auch ohne vorher genau zu wissen, wohin uns unser Traum führen wird.

Träumerchoreographie

Dazu Sönke Ahrens:

Den Inhalt in Worte zu fassen, fällt mir persönlich schwer, da ich mich einfach tänzerisch mit dem Thema Träume(n) auseinandergesetzt habe. Ein klare Interpretation gibt es hier nicht. Vielleicht stellt dieser Tanz irgendwo ein Gefühl des Träumens für mich dar, das ich versucht habe tänzerisch umzusetzen.

Fotos zu dieser Choreographie finden sich im Anfangsteil des Gottesdienstes zwischen den Stücken der Liturgie – und eins noch hier:

Träumer-Choreographie der Jungen Akteure Gießen
Abschluss der Träumer-Choreographie der Jungen Akteure Gießen

Zuletzt der vierte Teil der Predigt:

IV. „Tagtraum“

In ihm erinnere ich noch einmal an die Tagträume des Volkes Israel, denen sie sich in der Verbannung zu Babylon hingaben und die ihnen halfen, niemals ihr Vertrauen auf Gott und die Hoffnung auf Befreiung aufzugeben (Psalm 126, 1-2.5-6):

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Kennen wir auch solche Tagträume? Verlieren wir uns manchmal in Gedanken und wandeln davon, weg von der Realität, hin zu geheimen Vorstellungen und Wünschen? Geben wir uns Phantasien hin, erleben wir Abenteuer, werden wir mutig, trauen wir uns, so zu handeln, wie wir es in der Realität bisher nicht geschafft haben? Vergessen wir dabei unsere Umwelt – und sind wir im Anschluss an unseren Wachtraum dazu fähig geworden, unsere Welt vielleicht mit etwas anderen Augen zu betrachten? Wir sehen eine letzte Szene von den „Jungen Akteuren“:

Theaterszene „Tagtraum“
Tanztheater dritte Szene
Schlafe ich oder wache ich?
Tanztheater dritte Szene
Ich muss wohl wach sein!
Tanztheater dritte Szene
Ich stehe auf und mache mich fertig, um nach draußen zu gehen
Tanztheater dritte Szene
Es regnet – ich spanne meinen bunten Regenschirm auf
Tanztheater dritte Szene
Eine Begegnung im Regen: Da wird jemand ganz schön nass!
Tanztheater dritte Szene
Willst du nicht lieber unter meinen Schirm kommen?
Tanztheater dritte Szene
Das ist aber wirklich nett von dir!
Tanztheater dritte Szene
Das fühlt sich warm und gut an…
Tanztheater dritte Szene
Dann bin ich im Bus, es ist eng, ich kriege nur einen Stehplatz
Tanztheater dritte Szene
Hallo, wir kennen uns doch!
Tanztheater dritte Szene
Komm mit, lass uns tanzen!
Tanztheater dritte Szene
Kann das Zufall sein, dass wir uns wiedersehen?
Tanztheater dritte Szene
Oh, wir müssen wieder einsteigen, der Bus fährt sonst ohne uns weiter!
Tanztheater dritte Szene
Was ist nur mit mir los? Träume ich oder wache ich?
Tanztheater dritte Szene
Ich glaube, ich bin verliebt!
Tanztheater dritte Szene
Alle im Bus, sogar der Busfahrer, fangen beschwingt an zu tanzen
Tanztheater dritte Szene
Tanze mit mir in ein neues Leben!
Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 560:

Es kommt die Zeit, in der die Träume sich erfüllen

Lasst uns beten.

Guter Gott, wir bitten dich für alle Menschen, die Träume haben von einer guten Zukunft, die spüren, dass Gott ihnen etwas zutraut… Du, Gott der Freiheit: „Wir bitten dich, erhöre uns.“

Guter Gott, wir bitten für alle Menschen, die unter realen Alpträumen von Krieg und Terror leiden… Du, Gott des Friedens: „Wir bitten dich, erhöre uns.“

Guter Gott, wir bitten für alle, die geplagt sind von Sorgen und Nöten im Alltag und von Alpträumen in der Nacht, die nicht von einer Besserung zu träumen wagen… Du, Gott der Liebe: „Wir bitten dich, erhöre uns.“

Wir bitten für alle, denen der Tod einen lieben Menschen genommen hat… Du, Gott des Trostes: „Wir bitten dich, erhöre uns.“

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 633:

Träume uns allen, weil wir sie brauchen
Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Klaviernachspiel

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