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Heraus aus dem Schneckenhaus!

Jesus scheint aufmerksam auf das zu achten, was ihm die Jünger gerade dadurch sagen, indem sie es ihm nicht direkt sagen, er spürt, wie sie sich seelisch ein-igeln, sich sozusagen in ihr Schneckenhaus hinein verkriechen, nur um ja nichts zu spüren von ihrer Sorge um Jesus und von ihrer verzweifelten Angst, was denn sein würde, wenn Jesus wirklich sterben muss.

Eine Schnecke wagt sich heraus aus ihrem Schneckenhaus
Eine Schnecke wagt sich heraus aus ihrem Schneckenhaus (Bild: PezibearPixabay)

#predigtAbendmahlsgottesdienst am Sonntag Jubilate, den 2. Mai 1993, um 9.30 Uhr in der Kapelle der Landesnervenklinik Alzey

Im Abendmahlsgottesdienst am Sonntag Jubilate begrüße ich Sie herzlich in unserer Klinik-Kapelle! Jubilate, das ist einer der Sonntage nach Ostern, dieser Name bedeutet: Ihr habt Grund zum Jubeln, ihr könnt euch freuen, trotz allem, was ihr auch an Traurigkeiten erlebt, trotz allem, was euch Angst macht! Das ist heute unser Thema im Gottesdienst: Wie kann man jubeln, wenn einem zugleich zum Weinen zumute ist, und darf man denn traurig sein oder Angst haben, wenn man eigentlich auch Grund hat, sich glücklich zu fühlen?

Außerdem hat ja jetzt auch der Monat Mai begonnen, und so fangen wir an mit dem Lied 370, 1-3:

1) Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht! Die Tier sieht man jetzt springen mit Lust auf grüner Weid, die Vöglein hört man singen, die loben Gott mit Freud.

2) Herr, dir sei Lob und Ehre für solche Gaben dein. Die Blüt zur Frucht vermehre, lass sie ersprießlich sein. Es steht in deinen Händen, dein Macht und Güt ist groß, drum wollst du von uns wenden Meltau, Frost, Reif und Schloß‘.

3) Herr, lass die Sonne blicken ins finstre Herze mein, damit sichs möge schicken, fröhlich im Geist zu sein, die größte Lust zu haben allein an deinem Wort, das mich im Kreuz kann laben und weist des Himmels Pfort.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten des Psalms 66:

1 Jauchzet Gott, alle Lande!

2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich!

3 Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke! Deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht.

4 Alles Land bete dich an und lobsinge dir, lobsinge deinen Namen.

5 Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern.

6 Er verwandelte das Meer in trockenes Land, sie konnten zu Fuß durch den Strom gehen. Darum freuen wir uns seiner.

7 Er herrscht mit seiner Gewalt ewiglich, seine Augen schauen auf die Völker. Die Abtrünnigen können sich nicht erheben.

8 Lobet, ihr Völker, unsern Gott, lasst seinen Ruhm weit erschallen,

9 der unsre Seelen am Leben erhält und lässt unsere Füße nicht gleiten.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott der Güte, auch am Sonntag Jubilate zwingst du niemanden zu irgendwelchen Gefühlen. Du weißt, dass es gut ist, zu fühlen, was wir wirklich fühlen, du machst es nicht wie viele Eltern, die ihren Kindern Druck machen: Jetzt freu dich doch, mach nicht so ein Gesicht, wer wird denn weinen! Dein Sohn Jesus Christus war ein Mensch voll echter Gefühle, er ist bei dir, du bist er, und er ist du. Und so dürfen wir darauf vertrauen, dass wir so, wie wir sind, so wie wir denken und fühlen, hier sein dürfen und von dir angenommen sind. Ja, du nimmst uns an – lass uns von dir an die Hand nehmen und auf einen guten Weg führen. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Aus dem Buch der Sprüche 8 hören wir einen Abschnitt, in dem die Weisheit Gottes so spricht, als wäre sie eine eigene Person. Es ist ein Lied von dem göttlichen Plan für die Welt und für die Menschen, der ein Plan der Liebe ist und der – oft für unsere Augen verborgen – dennoch hinter allem steht, was wir erleben und erleiden:

23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.

24 Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.

25 Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren,

26 als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluten darauf noch die Schollen des Erdbodens.

27 Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über den Fluten der Tiefe,

28 als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe,

29 als er dem Meer seine Grenze setzt und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte,

30 da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;

31 ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.

32 So hört nun auf mich, meine Söhne [und Töchter]! Wohl denen, die meine Wege einhalten!

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Liederheft 8, 1-3: Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Zur Predigt hören wir aus dem Evangelium nach Johannes 16, 16-23:

16 Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

17 Da sprachen einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?

18 Da sprachen sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.

19 Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?

20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden.

21 Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.

22 Und auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

23 An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Liebe Gemeinde!

Im Johannesevangelium wird immer viel gefragt und viel erklärt, doch oft hat man den Eindruck, niemand kapiert richtig, was los ist. Die Jünger verstehen Jesus nicht, und ich als Leser frage mich auch manchmal, warum muss dieser Johannes die Dinge oft so verschlungen und kompliziert darstellen, die bei den anderen Evangelisten viel einfacher ausgedrückt sind?

Ich denke, man versteht den Johannes nicht, wenn man ihm nur mit dem Kopf und mit einfachem folgerichtigem Denken beikommen will. Auf die gleiche Art versuchen ja die Jünger in diesem Evangelium mit Jesus zurechtzukommen, und gerade damit scheitern sie. Mit dem Kopf allein kann man Jesus nicht begreifen.

Aber womit dann? Vielleicht mit dem Herzen, vielleicht wenn wir uns auf die Bilder einlassen, die in diesem Evangelium vorkommen, vielleicht wenn wir uns einfühlen in diese Sätze, die mehrfach wiederholt werden: das muss doch einen Grund haben, wenn ein und derselbe Satz immer und immer wieder gebraucht wird. Mich erinnert das an bestimmte Schlüsselsätze aus der eigenen Lebensgeschichte, die eine sehr große Bedeutung für die seelische Entwicklung haben, obwohl diese Sätze für sich genommen, gar nicht so wichtig erscheinen.

Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen.

Welche Erfahrungen spricht dieser Satz an (Johannes 16, 16), der der Jüngern so viel Kopfzerbrechen macht?

Ich denke dabei zunächst einmal an ein kleines Kind, das allerdings schon alt genug ist, um auch einmal abends von den Eltern alleingelassen zu werden. Ein guter Vater, eine gute Mutter sagen ihrem Kind dann: Wir gehen heute abend aus, wir sind eine Weile nicht da, aber um eine bestimmte Uhrzeit sind wir wieder da. Für das Kind mag es wie eine Ewigkeit erscheinen, wenn die Eltern einmal weg sind, aber sie sagen dem Kind: Es ist nur eine kleine Weile, und dann sind wir wieder da. Und wenn irgendetwas ist, dann kannst du da anrufen, wo wir sind, die Telefonnummer liegt neben dem Telefon.

Und wenn das Kind noch kleiner ist, dann werden die Eltern einen Babysitter beauftragen und dem Kind sagen: Papa und Mama gehen jetzt weg, aber es dauert nicht lange, nur eine kleine Weile, dann sind wir wieder da.

Vielleicht verstehen die Jünger deshalb nicht, was Jesus ihnen sagen will, weil sie sich wundern: Will er uns wie Kinder behandeln? Es geht ihnen so wie vielen Erwachsenen, die ihre Gefühle übergehen, die sich hart machen und gar nicht merken, was in ihnen vorgeht.

Was ist denn die Situation der Jünger? Wovor verschließen sie die Augen? Unser Text stammt aus der sogenannten Abschiedsrede Jesu im Johannesevangelium. Der Evangelist Johannes hat in mehreren Kapiteln Worte Jesu zusammengestellt, die sich alle um das Thema ranken: Wie sollen die Jünger und Jüngerinnen damit fertigwerden, dass Jesus sterben wird, dass er leiblich nicht mehr da sein wird? Wird dann nicht alles aus sein? Werden sie dann noch Kinder Gottes sein? Werden sie auch von Gott verlassen sein? Werden sie sich nie wieder freuen können?

Die Jünger scheinen sich gar keine Gedanken darüber zu machen, dass Jesus sich in Lebensgefahr befindet. Sie haben Angst vor dem verzweifelten Gedanken: Jesus wird nicht mehr für sie da sein. Und deshalb wollen sie an die tödliche Bedrohung nicht einmal denken. Sie verdrängen ihre Angst, weil sie offenbar meinen, dieses Gefühl nicht aushalten zu können.

Aber wenn man auf diese Art starke Gefühle wegdrängt, kann man auch anderes nicht mehr fühlen. Sich freuen, sensibel sein, sanft und weich auf sich selber und auf andere eingehen, das ist ihnen dann unmöglich.

Stattdessen müssen sie stundenlang immer wieder die gleichen Fragen stellen, sich in ihrem Denken und Grübeln im Kreise drehen, sie kommen aus ihrer Unruhe nicht heraus. Sie wirken hart und fast verbittert, sie scheinen überhaupt nicht zu begreifen, was Jesus ihnen nahebringen will (Johannes 16, 18):

Wir wissen nicht, was er redet.

Aber umgekehrt scheint Jesus sehr aufmerksam auf das zu achten, was ihm die Jünger gerade dadurch sagen, indem sie es ihm nicht direkt sagen, er spürt genau ihre nicht eingestandene Angst, er spürt, wie sie sich seelisch ein-igeln, sich sozusagen in ihr Schneckenhaus hinein verkriechen, nur um ja nichts zu spüren von ihrer Sorge um Jesus und von ihrer verzweifelten Angst, was denn sein würde, wenn Jesus wirklich verurteilt wird und sterben muss (Johannes 16, 19):

Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten.

Eigentlich wollten sie ihn wohl ansprechen, sich ihm anvertrauen mit ihren Sorgen, aber sie trauten sich nicht, sie meinten, stark sein zu müssen und dachten: Wir können doch nicht zugeben, dass wir ängstlich und traurig sind. Schließlich sind wir doch erwachsene Menschen und müssen unsere Gefühle unter Kontrolle halten!

Aber Jesus macht das nicht mit. Er ist auch erwachsen, und zugleich achtet er auf das Kind in sich und in anderen Menschen, auf das Kind, das sensibel ist und fühlt und spürt, was wirklich los ist.

Und offenbar weiß Jesus etwas davon, dass sich Angst und Trauer nicht verdrängen lassen, und dass man zu einer wirklichen Freude nur finden kann, wenn sie von innen her wächst.

Lied 288, 1-2:

1) In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist. Hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja! Zu deiner Güte steht unser Gmüte, an dir wir kleben im Tod und Leben, nichts kann uns scheiden. Halleluja!

2) Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hasts in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja! Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja!

Jesus will also, liebe Gemeinde, die Jünger nicht in ihrem Schneckenhaus drin sitzen lassen. Er will sie aus der Reserve locken und spricht sie von sich aus auf das an, was sie da untereinander tuscheln und motzen. Und Jesus (Johannes 16, 19)

sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?

Und dann kommt er ausdrücklich auf die Gefühle zu sprechen, die ohnehin in ihnen sind, und er ermutigt sie dazu, nichts zu verdrängen (Johannes 16, 20):

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen.

Ja, meint Jesus, ihr werdet gar nicht anders können, als eure Traurigkeit zuzulassen, sie wird euch überwältigen, ihr werdet weinen und klagen. Und ihr werdet das Gefühl haben, dass euch keiner versteht, dass alle euch verlassen haben, dass alles aus ist, und dass „die Welt“, die Leute, die nicht zu euch gehören, dass sie sich ins Fäustchen lachen können.

Es ist so, wie wenn jemand im Rollstuhl auf der Straße fährt, und jemand macht irgendeine Bemerkung über die Behinderung, und am liebsten würde man nie mehr hinausgehen, weil man nicht mehr verletzt werden möchte. Es ist so, wie wenn eine Patientin auf der Station nicht gut einschlafen kann, weil ihre Zimmergenossin erst später zu Bett geht und dabei Lärm macht und das Licht zu lange brennen lässt. Man wagt vielleicht nicht, sich zu wehren, weil man befürchtet, noch mehr angegriffen zu werden. Und man dreht sich innerlich im Kreise mit der Empfindung: „Keiner kann mich verstehen, keiner mag mich, alle sind gegen mich.“

Jesus stellt fest: es gibt solche schlimmen Erfahrungen. Es gibt Menschen, die lachen über das Unglück und die Behinderung anderer. Es gibt die Politiker, die Priester, die Soldaten, die sich lustig über Jesus machen werden, weil er hilflos am Kreuz hängt. Es gibt Menschen, die innerlich so leer und ohne echte Freude sind, dass ihre einzige Freude in einer bösartigen Schadenfreude besteht: „Die Welt wird sich freuen.“

Wenn Johannes von „der“ Welt spricht, dann meint er übrigens immer diejenigen Menschen, die sich total verschließen gegenüber allem, was mit Gott und mit Liebe und mit Vertrauen zu tun hat, Menschen, die sich lieber in ihre eigene dunkle, böse Welt zurückziehen, weil ja alles eh keinen Zweck hat und es einen Gott ja sowieso nicht gibt, und und und…

Für die Menschen aber, die sich auf ihr Gefühl einlassen, weiß Jesus etwas sehr Schönes zu sagen (Johannes 16, 20):

Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden!

Ich erlebe es immer wieder: Wenn jemand sagt: „Ich kann mich nicht freuen“, dann kann er in der Regel auch nicht weinen, nicht trauern, nicht irgendein anderes Gefühl wirklich zulassen. Umgekehrt: wenn jemand beginnt, zu fühlen, was ihn belastet, was weh tut, und wenn er dabei Unterstützung erfährt, dabei nicht allein bleibt, dann kann irgendwann auch die Freude in ihm wieder wachsen – wie ein kleines Samenkorn, das zu einem großen Baum wird, wie ein kleiner Funke, der ein wärmendes Feuer entfacht, wie eine kleine Träne, durch die sich Traurigkeit löst und bewältigen lässt.

Lied 217, 1-4: Kleines Senfkorn Hoffnung

An einem einfachen Beispiel, liebe Gemeinde, stellt Jesus dann dar, dass Schmerzen zum Leben dazugehören (Johannes 16, 21):

Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist.

Er geht übrigens mit keinem Wort darauf ein, dass die Geburtsschmerzen im Alten Testament auch einmal so gedeutet wurden, dass sie eine Strafe für Sünde darstellen. Für Jesus sind diese Schmerzen einfach da, sie können ertragen und bewältigt werden, und gerade wenn man sie durchsteht, kann man sich auch wieder freuen.

Und was ist die Voraussetzung dafür, dass man sich wieder freuen kann, wenn man doch im Herzen tief traurig oder ängstlich oder verzweifelt ist? Jesus stellt fest (Johannes 16, 22):

Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen!

Freude hängt offenbar nicht nur bei kleinen Kindern, sondern auch bei Erwachsenen ganz eng damit zusammen, dass man nicht allein ist, dass man Menschen kennt, die man gern wiedersehen will, auch wenn sie zeitweise nicht da sind. Darum hatte Jesus am Anfang ja auch diesen Satz gesagt: „Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen“. Er weiß, wie sehr die Jünger an ihm hängen, wie sehr sie sich auf ihn verlassen. Er weiß, dass sie in eine tiefe Verzweiflung stürzen werden, wenn er nicht mehr da ist.

Aber wenn das so ist, ist denn das dann überhaupt wahr, was Jesus sagt? Er wird doch sterben, er wird tot sein. Sie werden ihn doch nicht mehr sehen, so wie sie vorher sehen konnten.

Wie kann er dann trotzdem sagen: „Ihr werdet mich wiedersehen“? Wie kann er sogar von Freude reden, wo doch die Jünger allen Grund haben, traurig zu sein? Wie kann er sagen (Johannes 16, 22):

Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen!

Offenbar lebte Jesus in einem so starken Vertrauen zu seinem Vater im Himmel, dass er spürt: die Verbindung zu seinen Jüngern bricht auch dann nicht ab, wenn er tot sein wird. „Ich gehe zum Vater“, das weiß er ganz sicher, er wird bei Gott sein, und Gott wird seinen Jüngern nahe sein.

Und deshalb werden sie auch die tiefe Trauer um Jesus überwinden, sie werden ganz in seinem Sinne sich dem stellen, was sie fühlen, sie werden weinen und klagen, sie werden verzweifelt sein – und sie werden dann auch wieder Freude finden, werden sich neu dem Leben stellen, sie werden wissen: Wir sind nicht allein in Gottes Welt, wir sind Gottes Kinder, Jesus bleibt unser Bruder für immer.

Es ist noch ein weiter Weg für die Jünger, bis sie diese Art zu fühlen, zu trauern, Freude zu empfinden, gefunden haben werden. Jesus sagt (Johannes 16, 33):

An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.

Sie haben schon viel gelernt in der Zeit, in der sie Jesus begleitet haben, doch sie fragen immer noch viel aus ihrem Kopf heraus, sie wagen es immer noch nicht, sich einfach auf ihr Gefühl einzulassen, sich dem zu stellen, was in ihnen vorgeht. Und später, an Ostern, sind es zuerst die Frauen, die spüren, es ist ja gar nicht alles aus! Sie, die ihre Trauer offener ausleben, beginnen auch als erste, sich über Ostern, über Auferstehung, über neue Hoffnung zu freuen.

Wenn jemand sich darauf einlässt: ich kann traurig sein, ich kann Angst haben, ich bin aber dennoch nicht alleingelassen von Gott, ich kann mir auch Hilfe suchen von Menschen, die mir nahe sind – dann wird es auch möglich sein, dass man plötzlich gemischte Gefühle entwickelt: manches tut weh, und trotzdem fühlt man sich zeitweilig glücklich, hier und da spürt man eine Leere, und dann aber auch wieder das Gefühl: es ist ja doch immer wieder jemand für mich da. Und wenn jemand gestorben ist, ist die Trauer unvermeidbar. Erst wenn man ein ganzes Stück Weg zurückgelegt hat, hat man bis zu einem gewissen Grad genug Abschied genommen, und man wird vielleicht offen für neue Beziehungen, für neue Freude.

„Nur eine kleine Weile“, sagt Jesus. Manchmal mag es uns wie ein Hohn vorkommen, wenn wir das hören: so, als ob er uns vertrösten will, und in Wirklichkeit wird unsere Einsamkeit, unsere Verzweiflung, unsere Angst und Trauer doch nie aufhören. Aber wenn wir wie und mit Jesus auf den guten Gott im Himmel vertrauen, dann ist das, was nach dieser Zeit des Wartens kommt, so großartig, dass das Ausharren und das Durchhalten auch großer Schmerzen nicht vergeblich ist. „Wir werden uns wiedersehen“, sagt Jesus, er vergisst seine Jünger nicht, und auch wir sind im Herzen Gottes nicht vergessen. Mit den Augen des Herzens sahen die Jüngerinnen und Jünger Jesus schon am Ostertag, und es wuchs in ihnen mitten in Trauer und Leid neue Zuversicht und neue Freude. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Osterlied 81, 1-3:

1) Mit Freuden zart zu dieser Fahrt lasst uns zugleich fröhlich singen, beid, groß und klein, von Herzen rein mit hellem Ton frei erklingen. Das ewig Heil wird uns zuteil, denn Jesus Christ erstanden ist, welchs er lässt reichlich verkünden.

2) Er ist der Erst, der stark und fest all unsre Feind hat bezwungen und durch den Tod als wahrer Gott zum neuen Leben gedrungen, auch seiner Schar verheißen klar durch sein rein Wort, zur Himmelspfort desgleichen Sieg zu erlangen.

3) Singt Lob und Dank mit freiem Klang unserm Herrn zu allen Zeiten und tut sein Ehr je mehr und mehr mit Wort und Tat weit ausbreiten: So wird er uns aus Lieb und Gunst nach unserm Tod, frei aller Not, zur ewigen Freud geleiten.

Nun feiern wir – wie immer am ersten Sonntag des Monats – das heilige Abendmahl miteinander. Wer kommen will, mag gleich nach vorn kommen, wer nicht mitmachen will, mag auf seinem Platz bleiben.

Christus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben!“ Gott, schenke uns mit deinem Abendmahl die Gewissheit, dass du uns liebhast, dass du uns festhältst, dass du uns niemals allein lassen wirst. Stärke uns für unsere Wege, die wir vor uns haben. Amen.

Einsetzungsworte und Abendmahl

Und nun lasst uns beten.

Unser Gott, liebe Mutter, lieber Vater, wie dicht liegen oft Freud und Leid beieinander, wir rasch wechseln sich oft Lachen und Weinen miteinander ab! Wir erleben es manchmal im Singkreis, wir haben im Bibelkreis schon einmal darüber gesprochen. Du gibst uns die Erlaubnis, zu fühlen, was wir fühlen, die Freude und das Glück zu genießen, die Trauer und die Angst auszuhalten. Und du bestrafst uns nicht dafür, dass wir uns freuen, indem das dicke Ende auf jeden Fall nachkommt. Und umgekehrt, du sanfter Gott voller menschlicher Gefühle, hilf auch den Menschen, die überhaupt nicht lachen können. Führe ihnen Menschen über den Weg, die sie ermutigen und ihnen den Rücken stärken: zum Fühlen, zum Trauern, zum Aushalten von Angst und Zorn – dann werden sie in sich auch wieder die Freude finden. Amen.

Alles, was uns heute bewegt, schließen wir im Gebet Jesu zusammen:

Vater unser
Lied 202, 1-3: Komm, Herr, segne uns

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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