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Reizwort „Frieden“

Die Hintergedanken machen den Frieden oft so schwer, wenn nicht unmöglich. Wir kennen das ja aus den großen Ost-West-Verhandlungen. Große Abrüstungsvorschläge werden gemacht, da wo es einem selber nicht so weh tut. Vom Kräftegleichgewicht wird gesprochen, von Überlegenheit wird geträumt. Man unterstellt dem Gegner das Schlimmste und hat damit einen Grund, selber das Schlimmste vorzubereiten.

Das Friedenszeichen mit dem senkrechten Strich und zwei schrägen Strichen nach unten im Rad, und außen herum Hände, die das Wort "Love" = "Liebe" formen
Warum wird ein Wort wie „Frieden“ zum Reizwort? (Bild: Gordon JohnsonPixabay)

Bittgottesdienst für den Frieden am drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 10. November 1985, um 9.30 Uhr in Reichelsheim und um 10.30 Uhr in Heuchelheim. Lieder und Liturgie: siehe Liturgievorschlag der EKD und des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR zum „Bittgottesdienst für den Frieden in der Welt 1985“
Gottes Friede komme in unsere Herzen und mache uns zu Friedensstiftern. Amen.

Zur Predigt lese ich einen Vers aus der Bergpredigt Jesu, und zwar eine der Seligpreisungen (Matthäus 5, 8). Es ist nicht die Seligpreisung der Friedensstifter, wie man beim Thema des heutigen Sonntags denken könnte, sondern die, die unmittelbar davor steht:

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Amen.

Liebe Gemeinde!

Frieden ist ein Reizwort. Ich habe seit Jahren oft ein unangenehmes Gefühl, wenn ich über den Frieden predigen soll, oder wenn in einer Gruppe der Gemeinde das Thema Frieden „dran“ wäre. Auch unter meinen Pfarrerkollegen und -kolleginnen gibt es eine, die geht immer hoch, wenn gefragt wird: Was läuft bei euch in der Friedenswoche? Ich mag sie auf der anderen Seite sehr gerne, deswegen kann ich das hier so erzählen. Sie meint: Wir schaffen es ja noch nicht einmal, in der Schulklasse oder im Konfirmandenunterricht Frieden zu schaffen, wie wollt ihr ihn dann im Großen erreichen?

Sie hat ja auch soweit recht. Frieden schaffen ist nicht leicht. Weder im Großen noch im Kleinen. Wobei ich denke, dass die Kinder noch am besten mit ihren Kleinkriegen zurechtkommen. Wenn ich z. B. denke, dass zwei Schulkinder nun aber endgültig miteinander zerstritten sind, erlebe ich kurze Zeit darauf, dass sie einträchtig wieder zusammen in den Kindertreff kommen. Bei Erwachsenen ist das schon schwieriger. Aus kleiner Ursache wachsen oft Riesenprobleme, und manchen Streit heilt nicht einmal die Zeit. Nach Jahren erscheint es unmöglich, über den eigenen Schatten zu springen und sich zu versöhnen, auch wenn man es mittlerweile eigentlich will.

Was ist so schwer am Friedenstiften? Niemand hat was gegen den Frieden. Aber wir sind misstrauisch. Will uns da jemand einen faulen Frieden aufschwätzen? Sollen wir klein beigeben und uns benachteiligen lassen? Sollen wir immer den ersten Schritt tun, obwobl die Schuld am Streit auf der anderen Seite liegt?

An dieser Stelle finde ich die andere Seligpreisung so wichtig: „Selig sind, die reinen Herzens sind.“ Es kommt auch in der Friedensfrage darauf an, unser eigenes Herz zu prüfen. Wenn‛s um einen lange schwelenden Streit geht, und wir denken, der andere sei schuld – sind wir wirklich ganz sicher, dass wir den Streit nicht doch geschürt haben? Ist unser Gewissen so rein, dass wir jede Mitverantwortung von uns weisen können? Oder brauchen wir die Verurteilung des anderen, um von eigenen Fehlern abzulenken?

Die Hintergedanken machen den Frieden oft so schwer, wenn nicht unmöglich. Wir kennen das ja aus den großen Ost-West-Verhandlungen. Große Abrüstungsvorschläge werden gemacht, da wo es einem selber nicht so weh tut. Vom Kräftegleichgewicht wird gesprochen, von Überlegenheit wird geträumt. Man unterstellt dem Gegner das Schlimmste und hat damit einen Grund, selber das Schlimmste vorzubereiten. Ich will da nicht weiter ins Einzelne gehen.

Aber eine Frage möchte ich in dieser Predigt noch etwas genauer klären. Welche Hintergedanken hindern uns am offenen, unbefangenen Gespräch über den Frieden?

Zum einen sind wir selber verstrickt in die politischen Auseinandersetzungen zu diesem Thema. Wir haben unsere Vorliebe für diese oder für jene Richtung, und wir sähen uns am liebsten immer in unserer bisherigen Meinung bestärkt. Das ist ein Hintergedanke, der uns sehr unfrei machen kann. Wir sind nicht mehr frei, uns ein eigenes Bild von den Tatsachen zu machen, uns von verschiedenen Seiten zu informieren und evtl. unsere Ansichten auch zu ändern.

Zum andern denken wir: über den Frieden reden und dann darüber in Streit geraten, das widerspricht sich doch. Lassen wir deshalb das Thema lieber ruhen. Sollen sich andere darüber den Kopf zerbrechen. Das ist ein sehr verlockender Gedanke. Denn wer möchte schon gern unnötig Streit verursachen? Und dann noch um die Friedensfrage? Wenn wir aber so denken, ist da nicht möglicherweise auch ein Hintergedanke dabei? Ist es uns vielleicht ganz recht, wenn alles beim alten bleibt? Scheuen wir uns vor einer offenen Auseinandersetzung, weil die anderen auch zum Teil recht haben könnten?

Umgekehrt, wenn uns jeder Anlass recht ist, um Andersdenkende zu provozieren und zur Auseinandersetzung über unsere Ansichten zu nötigen, dann müssen wir uns auch fragen, ob wir nur den Streit um des Streites willen suchen und ob wir nicht das Ziel des Friedens mit den falschen Mitteln anstreben!

Ich als Pfarrer habe lange Zeit in einem Zwiespalt gestanden. Nachdem ich vor etwa vier Jahren im Rahmen einer Friedenswoche auch in Predigten sehr intensiv auf die Friedensfrage eingegangen war, wurde mir von manchen vorgeworfen, ich würde politisch predigen. Nun ist die große Frage: was heißt das, „politisch predigen“? Was Jesus in der Bergpredigt gesagt hat, z. B. über die Feindesliebe, hat doch Konsequenzen bis in die Politik hinein, wenn es ernstgenommen wird. Aber was mit Recht abgelehnt wird, ist eine Predigt, in der die Hörer zu einer ganz bestimmten politischen Meinung gedrängt werden sollen.

Und da bin ich nun in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite möchte ich gern manche Konsequenz aus Jesu Worten ableiten, die auch unsere öffentliche Verantwortung betrifft. Auf der anderen Seite gibt es viele, die sich genauso als Christen verstehen, die aber meinem Gedankengang nicht folgen würden. Es wäre alles kein Problem, wenn es hier in der Kirche nicht so üblich wäre, dass nur einer auf der Kanzel steht und redet und die anderen ihm zuhören, ohne Stellung nehmen zu können. Und auch in den Gruppen der Gemeinde ist es nicht so einfach, über den Frieden ins Gespräch zu kommen. Der eine ist geübter im Reden, der andere ist hartnäckiger darin, sich durch Argumente nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, der Dritte fürchtet sich vor Unruhe in der Gemeinde. Und wir alle, ich schließe mich ein, sind mit vielen anderen Dingen so sehr beschäftigt, dass wir auf zusätzliche Friedensgespräche durchaus verzichten können.

Um Frieden beten können wir allerdings. Das ist gar nicht wenig. Denn was wir im Gebet vor Gott erwähnen, das wird uns selbst sehr wichtig sein, und es wird seine Auswirkungen haben. Denn der Friede hängt nicht allein von unseren Anstrengungen ab. Zunächst ist der Friede ein Geschenk von Gott an alle, die sich mit ihm versöhnen lassen wollen. Und erst wenn wir dieses Geschenk annehmen, wird daraus eine geduldige und beharrliche Kraft, auch unter den Menschen für den Frieden zu arbeiten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es schon viel, wenn wir uns nicht völlig lähmen lassen im Einsatz für Frieden, weil uns alles so aussichtslos vorkommt. Und wenn wir in Gespräch über den Frieden einmal auf evtl. mögliche Hintergedanken achten, eigene oder fremde, dann merken wir vielleicht, wo wir uns blockieren.

Und dann ist das Gebet um ein reines Herz am Platz. Nach Martin Luther ist ein reines Herz ein Herz, das für Gottes Wort offen ist. Für Gottes Zuspruch und auch für Gottes Anspruch auf unser ganzes Leben. Übrigens wird unser Herz erst rein, wenn wir uns von Gott angesprochen fühlen und uns von ihm beanspruchen lassen. Anderen Herren haben wir nicht zu dienen, andere Rücksichten haben wir nicht zu nehmen.

Können wir denn nicht aufrichtig sein und im Gespräch auch über den Frieden immer wieder gemeinsam nach Wahrheit suchen? Nicht immer nur nach Bestätigung unserer Ansichten, sondern wirklich nach einem Stückchen Wahrheit? Auch wenn sie uns nicht gefällt? Auch wenn sie uns zum Umdenken zwingt? Ein reines Herz ist nicht ein Herz, das frei ist von jedem Zweifel und jeder Unsicherheit. Aber ein reines Herz hat es nicht nötig, sich zu verstellen, weil es angenommen ist von Gott, so wie es ist, ja weil Gott selbst versprochen hat, es rein zu machen von Schuld.

Also wenn wir über den Frieden reden oder über die Leute nachdenken, mit denen wir uns nicht gut verstehen, dann können wir vielleicht auch ganz neue Wege gehen. Denn wir brauchen nicht krampfhaft an bisherigen Meinungen festzuhalten. Wir brauchen auch nicht ängstlich nach anderen Leuten zu schielen. Das wichtigste, was wir brauchen, ist, dass Gott uns ein reines, aufrichtiges, offenes Herz schenkt und dass er uns von unseren Hintergedanken befreit.

Dann, und nur dann, werden wir Gott schauen. Richtig sehen werden wir ihn natürlich nicht schon auf unserer irdischen Weit. Aber schon hier können wir mit einem von Gott gereinigten Herzen ihn selbst erkennen, so wie er ist, als einer, der die Welt liebt und die Menschen zur Liebe anstiften will, als einer, der Frieden zwischen sich und den Menschen geschaffen hat und der nun Menschen als Friedensstifter beansprucht. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

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