Bild: Helmut Schütz

„Die Sünd’ hat er gefangen!“

Jesus bricht die Macht der Sünde, indem er sich widerstandslos töten lässt, denn Gott erweckt ihn, den Messias des Friedens, vom Tode. Jesus Christus befreit von Sünde, auch wenn die Herrschaft von Menschen über Menschen noch ungebrochen scheint. Die Freiheit von Sünde setzt sich durch, wo Menschen an Jesus glauben und ihm nachfolgen in den Gemeinden, die seinen Leib bilden.

Osterglocken - und im Hintergrund das Steinkreuz auf dem Neuen Friedhof Gießen
Osterglocken am Ostermorgen – und im Hintergrund das Steinkreuz auf dem Neuen Friedhof Gießen

Osterandacht am Ostersonntag, den 16. April 2006, um 8.00 Uhr am Steinkreuz auf dem Neuen Friedhof auf dem Rodtberg in Gießen
Vorspiel des Posaunenchores

„Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ Wie jedes Jahr sind wir auch am Ostermorgen 2006 am Steinkreuz auf dem Neuen Friedhof versammelt, um die Auferstehung Jesu Christi von den Toten zu feiern.

Vielen Dank zunächst den Posaunenbläserinnen und -bläsern um Herrn Alfred Joswig, die diese Feier musikalisch begleiten.

Wir sammeln uns um die Osterbotschaft im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Heute steht unsere Andacht unter dem Thema: „Die Sünd hat er gefangen!“ Denn die Auferstehung Jesu Christi überwindet nicht nur den Tod, sondern auch die Zerrissenheit der menschlichen Existenz, die in der Bibel „Sünde“ heißt.

Wir singen das Lied 102, in dem dieser Satz vorkommt: „Die Sünd hat er gefangen“:

1. Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand, ist auferstanden, die Sünd hat er gefangen. Kyrie eleison.

2. Der ohn Sünden war geboren, trug für uns Gottes Zorn, hat uns versöhnet, dass Gott uns sein Huld gönnet. Kyrie eleison.

3. Tod, Sünd, Leben und auch Gnad, alls in Händen er hat; er kann erretten alle, die zu ihm treten. Kyrie eleison.

„Die Sünd hat er gefangen“, ist das überhaupt eine sinnvolle Aussage? Schon mit dem Wort „Sünde“ tun wir uns schwer heutzutage. Sünde ist ein sperriges Wort, das wir allenfalls bei Verstößen gegen Verkehrsregeln oder Diätpläne verwenden. Aber selbst wenn wir wissen, dass die Bibel mit diesem Wort etwas viel Schwerwiegenderes meint, nämlich eine Lebenshaltung der Trennung von Gott, ist immer noch die Frage, welchen Sinn dieser Satz hat: „Die Sünd hat er gefangen.“ Kann man die Sünde fangen wie ein Tier, wie ein selbständiges Wesen?

In der Bibel ist es zunächst genau andersherum: Wer sündigt, muss damit rechnen, seine Freiheit zu verlieren. Denn nachdem Gott die Israeliten aus der Sklaverei geführt hat, gibt er ihnen die Gebote, damit sie die Freiheit bewahren. „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“, wer diese Goldene Regel missachtet, darf sich nicht wundern, wenn jeder nur an sich denkt und alle darunter leiden. Wie aber ist dann der Gedanke möglich, dass nicht wir durch die Sünde unsere Freiheit verlieren, sondern die Sünde gefangen wird?

Im Buch 1. Könige 8 fand ich ein Gebet des Königs Salomo für sein Volk Israel, in dem er über den Zusammenhang von Sünde und Gefangenschaft nachdenkt und um Befreiung von der Sünde bittet:

23 HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen.

46 Wenn sie an dir sündigen werden – denn es gibt keinen Menschen, der nicht sündigt – und du zürnst ihnen und gibst sie dahin vor ihren Feinden, dass sie sie gefangen führen in das Land der Feinde, fern oder nahe,

47 und sie nehmen sich’s zu Herzen im Lande, in dem sie gefangen sind, und bekehren sich und flehen zu dir im Lande ihrer Gefangenschaft und sprechen: Wir haben gesündigt und übelgetan und sind gottlos gewesen,

49 so wollest du ihr Gebet und Flehen hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und ihnen Recht schaffen

50 und wollest vergeben deinem Volk, das an dir gesündigt hat…

Salomo bittet für sein Volk, dass es die Freiheit wieder erlangt, auch wenn es sie durch eigene Schuld verliert. Das Gebet wurde einmal erhört, nämlich als die Juden nach Babylon verschleppt wurden und dort Buße taten. Als die Perser an die Macht kamen, durften die Juden in ihr Land zurück und versuchten eine Art Priesterrepublik unter dem Gesetz Gottes aufzubauen. Als die Juden erneut die Freiheit verloren, im griechischen und römischen Weltreich, da wurde wieder ein Ruf zur Umkehr laut, der Ruf Johannes des Täufers und der Ruf Jesu. Von ihnen erwarteten die Menschen Frieden und Befreiung. Das Gesetz Gottes sollte wieder gelten, die Sünde ihre Macht verlieren.

Doch Johannes wurde von Herodes getötet, Jesus von Pilatus hingerichtet. Die Befreiung aus der Gefangenschaft, die die Sünde mit sich bringt, schien damit endgültig verloren. Aber diejenigen, die an Jesus glaubten, kamen zu der Überzeugung: Jesus bricht die Macht der Sünde, gerade indem er sich widerstandslos töten lässt, denn Gott erweckt ihn, seinen Sohn, den Gesalbten, den Messias des Friedens, den Christus, vom Tode. Jesus Christus befreit von Sünde, auch wenn die Herrschaft von Menschen über Menschen noch ungebrochen scheint. Die Freiheit von Sünde setzt sich durch, wo Menschen an Jesus glauben und ihm nachfolgen in den Gemeinden, die seinen Leib, den Leib Christi bilden.

Wir singen aus dem Lied 101 die Strophen 1 bis 3:

1. Christ lag in Todesbanden, für unsre Sünd gegeben, der ist wieder erstanden und hat uns bracht das Leben. Des wir sollen fröhlich sein, Gott loben und dankbar sein und singen Halleluja. Halleluja.

2. Den Tod niemand zwingen konnt bei allen Menschenkindern; das macht alles unsre Sünd, kein Unschuld war zu finden. Davon kam der Tod so bald und nahm über uns Gewalt, hielt uns in seim Reich gefangen. Halleluja.

3. Jesus Christus, Gottes Sohn, an unser Statt ist kommen und hat die Sünd abgetan, damit dem Tod genommen all sein Recht und sein Gewalt; da bleibt nichts denn Tods Gestalt, den Stachel hat er verloren. Halleluja.

Als Jesus seinen Jüngern am Ostertag als der Auferstandene erschien, da sprach er zu ihnen, wie es Lukas in seinem Evangelium (Lukas 24) überliefert:

44 Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.

45 Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden,

46 und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage;

47 und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern.

Die Predigt des Auferstandenen ruft uns zur Buße. Zur Umkehr aus der Sünde. Zum Leben im Vertrauen auf Gott, im Hören auf die Worte der Bibel, gebunden an die Forderungen der Freiheit, die uns in den Zehn Geboten und im Gebot der Liebe gegeben sind.

Wir singen aus dem Lied 114 die Strophen 1 bis 3:

1. Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin, die Sonn ist aufgegangen. Ermuntre deinen Geist und Sinn, den Heiland zu umfangen, der heute durch des Todes Tür gebrochen aus dem Grab herfür der ganzen Welt zur Wonne.

2. Steh aus dem Grab der Sünden auf und such ein neues Leben, vollführe deinen Glaubenslauf und lass dein Herz sich heben gen Himmel, da dein Jesus ist, und such, was droben, als ein Christ, der geistlich auferstanden.

3. Vergiss nun, was dahinten ist, und tracht nach dem, was droben, damit dein Herz zu jeder Frist zu Jesus sei erhoben. Tritt unter dich die böse Welt und strebe nach des Himmels Zelt, wo Jesus ist zu finden.

Ostern ist nicht nur Befreiung vom Tod, sondern auch aus dem Grab der Sünden: „Steh aus dem Grab der Sünden auf und such ein neues Leben!“ Aber sind wir denn eigentlich alle derartig sündige Menschen, dass wir sozusagen schon lebendig begraben sind und im Grab der Sünden liegen?

In der Bibel meint das Wort Sünde nicht einfach, dass manche Menschen böse sind oder böse handeln, im Gegensatz zu anderen, die gut sind oder gut handeln. Der Apostel Paulus war sicher nach unseren und sogar seinen eigenen Maßstäben ein „guter Mensch“; er bemühte sich, nach den Geboten Gottes zu leben. Und doch schrieb er im Brief an die Römer 7:

14 Wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.

19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.

23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.

Hier ist nicht die Zeit und der Ort, die Gedankengänge des Paulus genau nachzuvollziehen. Wichtig ist, dass wir begreifen, was er mit „Fleisch“ meint. Fleisch ist für Paulus nicht der Körper des Menschen. Fleisch ist der Mensch, der vergänglich ist und sich trotzdem mit aller Macht selbst behaupten will. Das tun viele Menschen, indem sie sich an vergängliche Dinge klammern, z. B. Spaß und Schönheit, Geld und Besitz, Macht und Berühmtheit. Aber das Böse kann sich auch in geistige und religiöse Haltungen einnisten, wenn man sie dazu missbraucht, sich über andere Menschen zu stellen, und so auf unbarmherzige Weise die Gemeinschaft der Menschen zerstört. Paulus weiß aus eigener Erfahrung, dass auch wohlmeinende Menschen dem Zwang ausgeliefert sind, das Böse zu tun, obwohl sie das Gute oder sogar das Beste wollen.

Die Klage des Paulus über die Gefangenschaft unter der Sünde gipfelt im Ausruf:

24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?

Auch hier meint Paulus mit Leib nicht einfach den Körper. Er meint den ganzen Menschen mit seiner Lebensgeschichte, mit Enttäuschungen und Zukunftshoffnungen. Das alles ist dem Tod verfallen, so lange der Mensch unter dem Gesetz der Sünde steht, sich selbst behaupten zu müssen, koste es, was es wolle. Denn die eigene Vergänglichkeit lässt sich auch dadurch nicht dauerhaft aufhalten, dass man auf Kosten anderer Menschen lebt.

Doch Paulus weiß, wer uns retten kann: Jesus Christus. Als der Sohn Gottes, erfüllt vom Heiligen Geist, ist er nicht gebunden an das Fleisch seines Leibes, an die Interessen der Vergänglichkeit. Er verzichtet um der Liebe willen darauf, sich selbst zu behaupten, und am Karfreitag sogar darauf, sein Leben zu retten. An Ostern erweckt sein Vater im Himmel ihn vom Tode und überwindet so endgültig die Verfallenheit unseres Leibes und Lebens an den Tod!

Darum beantwortet Paulus seinen eigenen Schrei nach Erlösung mit einem ebenso unvermittelten Jubelruf, gerichtet an Gott und Jesus Christus, den Gottessohn:

24 Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?

25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Wir singen aus dem Lied 113 die Strophen 1, 3 und 4:

1. O Tod, wo ist dein Stachel nun? Wo ist dein Sieg, o Hölle? Was kann uns jetzt der Teufel tun, wie grausam er sich stelle? Gott sei gedankt, der uns den Sieg so herrlich hat nach diesem Krieg durch Jesus Christ gegeben!

3. Lebendig Christus kommt herfür, die Feind nimmt er gefangen, zerbricht der Hölle Schloss und Tür, trägt weg den Raub mit Prangen. Nichts ist, das in dem Siegeslauf den starken Held kann halten auf, alls liegt da überwunden.

4. Des Herren Rechte, die behält den Sieg und ist erhöhet; des Herren Rechte mächtig fällt, was ihr entgegenstehet. Tod, Teufel, Höll und alle Feind durch Christi Sieg bezwungen seind, ihr Zorn ist kraftlos worden.

Lasst uns beten.

Gott, dein Sohn hat die Sünde gefangen wie ein armes Tier, das unter dem Zwang steht, uns zu quälen und in den Tod zu treiben. In Jesus bist du selber Mensch geworden, uns gleich in unseren Sehnsüchten und Ängsten, und du verstehst unseren Selbsterhaltungstrieb, unsere Angst vor dem Loslassen von Sicherheiten und unsere Sucht, alles kontrollieren zu wollen, statt dort Vertrauen zu wagen, wo nur Vertrauen den Weg zum Leben ermöglicht.

Gott mach uns Mut, zu unserer Verantwortung zu stehen im Vertrauen auf deine Vergebung. Lass uns besonnen handeln und barmherzig bleiben, auch wenn die Ängste zwischen Bevölkerungsgruppen, Völkern und Religionen wachsen. Stärke in uns die Hoffnung auf eine Welt, in der die Menschen auferstehen aus dem Tod des gegenseitigen Misstrauens zu einer Gemeinschaft, in der niemand hungern muss und alle in Freiheit leben können.

Vater unser

Wir singen das Lied 99:

1. Christ ist erstanden von der Marter alle; des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

2. Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen; seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ‘. Kyrieleis.

3. Halleluja, Halleluja, Halleluja! Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Segen
Nachspiel des Bläserkreises

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