Bild: Pixabay

Sehnsucht nach zu Hause

Trauerfeier für eine Frau, die mehrfach glückliche Zeiten erlebte und mehrfach alles verlor oder aus zwingenden Gründen aufgeben musste. In der letzten Zeit im Altenheim fiel es ihr sehr schwer, ihre Sehnsucht nach zu Hause zu überwinden.

Sehnsucht nach zu Hause: Ein Fenster, vor dem ein blühender Hortensienstrauch steht, an dem eine Möwe vorbeifliegt - und hinter dem (im Innern des Hauses!) eine warm scheinende Sonne zu sehen ist
Sehnsucht nach zu Hause sieht für jeden Menschen anders aus (Bild: cocoparisiennePixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier zusammengekommen, um von Frau T. Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist. Wir denken zurück an ihr Leben und besinnen uns dabei auf Gott, in dessen Händen unser aller Leben ruht.

Wir beten zu Gott mit Worten aus dem Psalm 27:

1 Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?

4 Eines bitte ich vom HERRN, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des HERRN bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des HERRN und seinen Tempel zu betrachten.

5 Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.

7 HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich!

8 Mein Herz hält dir vor dein Wort: »Ihr sollt mein Antlitz suchen.« Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.

9 Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, verstoße [mich] nicht in deinem Zorn! Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil!

10 Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf.

11 HERR, weise mir deinen Weg und leite mich auf ebener Bahn.

12 Gib mich nicht preis dem Willen [derer, die mich bedrängen]!

13 Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des HERRN im Lande der Lebendigen.

Wir singen das Lied 449, das Frau T. sich vor Jahren einmal als Geburtstagslied im Seniorenkreis der Kirchengemeinde gewünscht hat. Es ist ein Morgenlied, es spiegelt ein wenig die Naturverbundenheit von Frau T. wider, und auch das Thema des Abschieds vom Leben auf dieser Erde greift es in tröstlicher Weise auf:

1. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder; aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

2. Mein Auge schauet, was Gott gebauet zu seinen Ehren und uns zu lehren, wie sein Vermögen sei mächtig und groß und wo die Frommen dann sollen hinkommen, wann sie mit Frieden von hinnen geschieden aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

7. Menschliches Wesen, was ist’s gewesen? In einer Stunde geht es zugrunde, sobald das Lüftlein des Todes drein bläst. Alles in allen muss brechen und fallen, Himmel und Erden die müssen das werden, was sie vor ihrer Erschaffung gewest.

8. Alles vergehet, Gott aber stehet ohn alles Wanken; seine Gedanken, sein Wort und Wille hat ewigen Grund. Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund.

12. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende; nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht. Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten; dahin sind meine Gedanken gericht‘.

Liebe Trauergemeinde, wir haben mit einem Lied begonnen, das wir normalerweise nicht bei einer Trauerfeier singen. Und wir haben viele Strophen gesungen, das tun wir hier in der Kapelle auch nur sehr selten. Beides passt zu der Frau, von der wir heute Abschied nehmen, denn sie hat die Musik geliebt, und sie war ihrer Kirche und dem Glauben tief verbunden.

Was wir von ihrer Kindheit und Jugend und der Zeit ihrer Berufstätigkeit wissen, das hat sie alles selber erzählt. In der „polnischen Toscana“ erlebte sie in einem wohlhabenden Elternhaus eine glückliche Kindheit. Sie liebte ihre Eltern sehr. Sie hatte berufliche Pläne, aber der Krieg kam dazwischen. Alle Deutschstämmigen wurden vertrieben; ein halbes Jahr war die Familie mit dem Ziehwägelchen unterwegs. Zeitweise musste als Magd bei einer Bäuerin schuften. Später ergriff sie einen Beruf, der nicht ganz ihren ursprünglichen Wünschen entsprach, aber der Kontakt zu Menschen und besonders zu kleinen Kindern war ihr Ein und Alles. Da sie viele Jahre in einer „Stadt mit Kultur“ lebte, ging sie oft ins Theater oder zu Konzerten in die Kathedrale. Als ihre Mutter pflegebedürftig wurde, gab sie ihren Beruf auf, zog zu ihr und war für sie da bis zu ihrem Tod.

Dann war sie selber im Ruhestandsalter, hatte einige Hobbys, engagierte sich in der Kirchengemeinde, war nach wie vor kulturell interessiert. Auch an Gottes Schöpfung draußen konnte sich Frau T. von Herzen freuen, für vieles dankbar sein. Im Wald und auf der Wiese kam es vor, dass sie einen Baum umarmt und die Blümlein gestreichelt hat, um ihrer Liebe zur Natur Ausdruck zu verleihen.

Gerade in den letzten Jahren musste sie aber auch viel durchmachen. Sie litt unter Beschwerden, deren Ursache lange nicht gefunden wurde. Auf Grund einer Fehldiagnose wurde ein Knochenbruch erst viel zu spät behandelt und verursachte ihr unnötige Schmerzen.

Als sie zu Hause nicht mehr alleine zurechtkam, musste sie in ein Altenheim umziehen. Aber es dauerte lange, bis sie sich dort einigermaßen einlebte; ihre vertraute Umgebung fehlte ihr sehr. Einige Male habe ich sie besucht; da ging es immer wieder um die Frage, ob sie denn nun hier zu Hause sei. Einerseits freute sie sich über vertraute Dinge in ihrem Zimmer, andererseits fragte sie sich voller Sorge, wer die denn wieder zurück in ihre Wohnung schaffen soll, wenn sie zurückziehen würde. Irgendwie wusste sie, dass dieses kleine Zimmer jetzt ihr Zuhause war, aber ihre Wehmut, sich doch nicht wirklich zu Hause zu fühlen, war doch zu spüren.

Vielleicht fiel es ihr so schwer, von den vertrauten vier Wänden Abschied zu nehmen, weil sie ja schon in jungen Jahren die Heimat ihrer Kindheit verloren hatte. Das war damals verbunden auch mit dem Verzicht auf ihren eigentlichen Berufswunsch. Später verließ sie wieder eine liebgewordene Wirkungsstätte, als sie um ihrer Mutter willen umzog und ihren geliebten Beruf bereits vor dem Ruhestandsalter aufgab.

Nun ist Frau T. gestorben, ein letztes Mal wurde für sie das Bibelwort aus dem Brief an die Hebräer 13, 14 wahr:

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Besonders die letzte Station in ihrem Leben, das Wohnen im Altenheim, empfand sie als eine Art Übergangssituation. Nur dass sie sich immer noch danach sehnte, wieder wirklich nach Hause zu kommen. Aber wo lag das eigentliche Ziel dieser Sehnsucht? Sie konnte weder zurück in ihre längst aufgelöste Wohnung noch in die Stadt ihrer größten beruflichen Erfüllung oder gar in die glückliche Zeit ihrer Kindheit.

Letzten Endes sind alle Erfüllungen unseres Lebens hier auf dieser Erde immer nur vorübergehend, niemals bleibend. Darum kann die Sehnsucht nach einer Rückkehr zu einer früheren Phase des Glücks in unserem Leben zwar wehmütige Erinnerungen in uns wecken, aber wirklich froh werden wir nur in Augenblicken, in denen wir im Hier und Jetzt ein Stück Nähe, Wärme, Liebe erfahren. Solche Augenblicke kannte Frau T. auch in ihrem letzten Lebensabschnitt, denn sie konnte sich sehr über kleine Begegnungen und Aufmerksamkeiten freuen.

Und wenn wir an das Wort des Paulus denken (1. Korinther 13, 13):

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen

– dann wird uns bewusst, dass nur diese Augenblicke einer Vertrautheit und Liebe wirklich zukunftsweisend sind.

Die zukünftige Stadt, die wir suchen dürfen, ist ja nicht von Händen gemacht oder aus Stein gebaut, sondern sie kommt zu uns vom Himmel, wie es die biblische Vision vom himmlischen Jerusalem uns vor Augen malt. Jesus selber hatte vom Reich Gottes gesprochen, das mitten unter uns beginnt, wo wir Menschen uns von Gott mit Liebe beschenken lassen und sie weiterverschenken.

Die zukünftige Stadt ist also ein Bauwerk aus Liebe, von Gott selbst gefertigt mit Hilfe jedes Bausteins der Liebe, des Vertrauens und der Hoffnung, die sozusagen durch unsere Hände gehen, aber von Gott kommen.

Hier auf Erden beginnt Gottes Reich, beginnt Gottes Stadt, mitten unter uns, wo wir einander besuchen und miteinander kostbare und mit Liebe erfüllte Zeit verbringen, und dieses Reich vollendet Gott selbst in seiner Ewigkeit, wenn wir sterben.

Im Vertrauen darauf, dass Gott auch Frau T. nach ihrem Tode in seinem Himmel mit offenen Armen freudestrahlend und mit Ehren annimmt, können wir sie getrost loslassen. Wir dürfen gewiss sein: Ihre Sehnsucht nach Heimat wird sich dort erfüllen, sie wird in der Liebe des ewigen Gottes ein Zuhause finden, verbunden mit Ruhe und Frieden und vielleicht auch mit einer Freude an der himmlischen Musik der Engel, in deren Chor sie durchaus selber mitsingen mag. Amen.

Treuer Gott, du hast uns das ewige Leben verheißen. Hilf uns, dass wir uns auf deine Liebe verlassen und im Leben und im Sterben auf deine Barmherzigkeit vertrauen.

Wir denken an Frau T., die du aus unserer Mitte genommen hast. Wir danken dir für alles, was du ihr an Liebe erwiesen hast, und auch für all das Gute, das uns durch sie gegeben war.

Wir bitten dich für alle, die um sie trauern. Wir bitten für uns alle, dass wir uns bewusst machen, wie kostbar unser Leben ist und wofür wir jeden Tag dankbar sein können. Hilf uns, den Menschen gerecht zu werden, die uns anvertraut sind, und schenke uns die Kraft, unser Leben zu meistern. Amen.

EG 488, 1+4+5: Bleib bei mir, Herr!

Hinweise zur Veröffentlichung anonymisierter Texte von Trauerfeiern auf dieser Homepage

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.