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Umkehr am Abgrund

Ein Blick von oben in den Abgrund eines von Gittern umfriedeten Treppenhauses
Blick in den Abgrund im Treppenhaus eines Hochhauses (Bild: Free-PhotosPixabay)
Zu guter Letzt …

… steht der Mann am Abgrund, ohne Ausweg, keine Zukunft vor Augen. „Zu guter Letzt?“ Das kann nur böse enden. Der Absturz ist vorprogrammiert. Oder?

Ich denke an Menschen, mit denen man noch eben gesprochen hat, beim Krankenbesuch oder in der Schule – und dann hört man: Sie ist unerwartet verstorben. Er hat sich umgebracht. Das geht uns nach, macht uns traurig, vielleicht zornig – ratlos.

Ich denke an eine Rangelei auf dem Schulhof: einer in die Ecke gedrängt – viele gegen einen. Feindschaft wächst aus Unterlegenheit und dem Wunsch, Stärke zu zeigen. Wer Anlässe sucht, um zuzuschlagen, hört unbedachte Worte als Beleidigung. Die Einsicht, dass man selber an der Schraube der Gewalt gedreht hat, fällt schwer.

Ich denke an den Krieg, der dem Terror entgegenwirken soll und mit tödlicher Sicherheit das Gegenteil erreicht: zerbombte Städte, tote Kinder, neue Selbstmordattentäter. Ist die Weltmacht, die ihre Truppen aufmarschieren lässt, mächtig genug, um zu guter Letzt doch noch zum friedlichen Rückzug zu blasen?

Ich denke an Jesus. Er will leben, und man lässt ihn nicht. Er zeigt Auswege aus der Selbstbehauptungssucht, und man drückt ihm die Dornenkrone in die Stirn. Er wird zum Sterben abgeführt und wehrt sich nicht mit Gewalt. Karfreitag: Gott in Menschengestalt auf Erden, im Stich gelassen von allen Freunden, von Feinden gequält bis aufs Blut, er leidet Todesängste, schreit sich die Seele aus dem Leib – bis er seinen Geist in die Hände des Vaters im Himmel befiehlt und ausruft (Johannes 19, 30): „Es ist vollbracht!“

Antoine de Saint-Exupéry schildert in „Wind, Sand und Sterne“ den Überlebenskampf eines Mannes nach einem Flugzeugabsturz. Eigentlich rechnet er damit zu sterben; eigentlich gibt er nur aus einem Grund nicht auf: wenn man seine Leiche nicht findet, bekommt seine Frau auf Jahre hin kein Geld aus der Lebensversicherung. Zu guter Letzt überlebt er doch. Derselbe Autor schrieb im „Flug nach Arras“:

„Er macht allerhand Zacken,
der Weg in die Ewigkeit…
Doch wie ruhig kommt er mir vor,
dieser Weg!“

Ruhe schenkt Gott dem, der am Abgrund Halt macht und – zu Ihm umkehrt.

Pfarrer Helmut Schütz

„Zu guter Letzt“ März – Mai 2003 im Gemeindebrief der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen

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