Bild: Helmut Schütz

Bestattung – katholisch und evangelisch

Kurzreferat über die evangelische Bestattung im Rondell der katholischen St.-Albertus-Gemeinde Gießen (nach einem Kurzreferat von Pfarrer Hermann Heil).
Bepflanzung mit roten Tulpen im kreuzförmigen Beet auf dem Vorplatz der Friedhofskapelle auf dem Rodtberg in Gießen
Rote Tulpen füllen das Kreuz auf dem Vorplatz der Friedhofskapelle in Gießen aus

Was spielt sich bei einer evangelischen Beerdigung oder Trauerfeier ab?

Um meine eigene heutige Position zu verstehen, habe ich in einem alten Ordner gewühlt, den ich noch von meiner Vikariatszeit im Regal stehen hatte. Im Juni 1977 beschäftigten wir uns damals im Theologischen Seminar in Friedberg mit den sogenannten Amtshandlungen der Kirche, darunter auch mit der Bestattung.

Unser Ausgangspunkt war damals, dass die Beerdigung ein Ritual ist, also eine feste, wiederholbare Form, die eine Übergangs- oder Krisensituation zu bewältigen hilft. Wir brauchen Entlastung und Sicherheit in einer solchen Ausnahmesituation. Das Ritual verspricht ein Mindestmaß an Zuwendung, selbst wenn spontan noch niemand in der Lage ist, mit der Situation und den damit verbundenen Gefühlen umzugehen.

Die Gefahr des Rituals besteht darin, dass es mehr verspricht als es hält und dass es nur vorübergehend stabilisieren kann.

Sie merken – in diesem Verständnis des Rituals geht es zunächst nicht um den Übergang, den der Verstorbene vollzieht, sondern um den Trauerprozess der Hinterbliebenen. In der Tat halte ich noch heute die Begleitung derer, die sich an den Verstorbenen erinnern, die von ihm Abschied nehmen und ihre Gefühle bewältigen müssen, für die wichtigste Aufgabe des Pfarrers im Falle einer Bestattung. Die Amtshandlung ist eingebunden in die Seelsorge.

Als wir junge Vikare waren, war es gängige Meinung, dass der Pfarrer in einem Ritual keine größere Funktion habe als die Lebensbäume und Kerzenleuchter, die um den Sarg herum plaziert werden. Er trägt zur Feierlichkeit bei, und in einer Zeit, in der man der Kirche noch eine gewisse Autorität zubilligte, gehörte es sich einfach, dass ein anständiges Begräbnis von einem Pfarrer vollzogen wird und nicht von einem weltlichen Grabredner.

Aber ich lernte schon damals auch andere Auffassungen kennen, die ich teile: der Pfarrer spielt nämlich gerade im Begräbnisritual eine viel größere Rolle.

Erstens ist er durch seine Funktion im Rahmen der Kirche eine Symbolfigur: Er steht dafür, dass der Tod nicht einfach Lebensabbruch ist. Sterben und Tod sind in eine größere Geschichte eingebunden, die Hoffnung weckt, nämlich die Geschichte Gottes mit uns Menschen. Wenn der Pfarrer diese Geschichte in einzelnen Geschichten nacherzählt, ins Gedächtnis ruft, dann wird er auch gehört, selbst wenn viele Zuhörer an der Wahrheit der biblischen Botschaft zweifeln – die Geschichte von Adam, dessen Lebenshauch im Tode wieder zu Gott zurückkehrt, von Jesus, der den Tod mit uns stirbt und mit dem wir auferstehen, von Hiob, der Gott in auswegloser Trauer die Erlaubnis bekommt, Gott anzuklagen, oder vom Guten Hirten, der einfach da ist, wenn wir durch finstere Täler gehen. Der Pfarrer predigt angesichts des Todes nicht die Macht des Todes, sondern die Macht Gottes und steht mit seiner ganzen Person dafür.

Zweitens hat der Pfarrer im Rahmen des selbstverständlich ablaufenden Rituals die Möglichkeit, Dinge anzusprechen, die sonst oft unausgesprochen bleiben. Wo sonst, außer in therapeutischen oder seelsorgerlichen Gesprächen, ist es möglich, so deutlich darauf hinzuweisen, was für die Seele notwendig ist: Trauer und andere Gefühle zuzulassen, Begleitung zu suchen und zu gewähren, Dankbarkeit zu empfinden und Vergebung zu erbitten und vieles mehr. Der Pfarrer kann dies tun, eben weil er als nicht unmittelbar von der Trauer Betroffener die notwendige Distanz hat, um selber von den Gefühlen nicht überwältigt zu werden, die doch nicht einfach verdrängt werden dürfen, sondern gefühlt und bewältigt werden sollen. Der Pfarrer ist also zweitens Seelsorger und Begleiter der trauernden Hinterbliebenen.

Drittens ist aber nun doch zu fragen, ob bei einer Bestattung nicht doch der Verstorbene die Hauptperson ist. Ich antworte mit Ja – und ich führe dafür mehrere Gründe an.

Der erste Grund ist banal. Der Tod des Verstorbenen ist ja der Anlass für den Kontakt mit den Hinterbliebenen. Er hinterlässt eine Lücke in der Familie, im Freundeskreis. Sein Tod mag ihn von einem Leiden erlöst und die Pflegepersonen mit gemischten Gefühlen zurückgelassen haben. Vielleicht ist er auch einer, zu dem wenig Kontakt bestand, und jetzt müssen die Angehörigen mit Schuldgefühlen oder anderen Belastungen umgehen.

Ein zweiter Grund besteht darin, dass wir bei einer Bestattung dem Toten „die letzte Ehre erweisen“, wie wir sagen. Die Kirche hat zu den Werken der Barmherzigkeit, die Jesus im Gleichnis vom Weltgericht aufzählt, Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen, noch als siebtes Werk hinzugefügt: Tote begraben – obwohl das scheinbar einem ausdrücklichen Wort Jesu widerspricht: „Lasst die Toten ihre Toten begraben!“ Allerdings darf man dieses Wort Jesu nicht wörtlich als Verbot der Bestattung auffassen; er sagt dieses Wort provozierend in einem Zusammenhang, in dem ein junger Mann Probleme hat, sich von seinem Elternhaus zu lösen und für Christus zu entscheiden. Wie wichtig Jesus das Abschiednehmen von einem Toten auch durch ein Begräbnisritual nimmt, sieht man in der Geschichte von seiner eigenen Salbung durch eine Frau. Von ihr sagt Jesus: „Das hat sie für mein Begräbnis getan“, so nach Matthäus; „sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis“, so nach Markus, und „es soll gelten für den Tag meines Begräbnisses“, so nach Johannes, wo als der Name dieser Frau die Maria genannt wird, dessen Bruder Lazarus Jesus vom Tod auferweckt hatte. In der Salbung oder in anderen bei uns üblichen Bestattungsritualen erweisen wir also einem Toten einen letzten Liebesdienst, eine Wertschätzung, die ihm als einer einmaligen Person zukommt. Er soll nicht einfach verscharrt werden wie ein Hund, sagt man manchmal von Personen, die ganz einsam gestorben sind und für die sich dann doch jemand findet, der ein anständiges Begräbnis besorgt.

Aber soll das Leben eines Verstorbenen in einer Trauerfeier vorkommen? Und wenn ja: Wie? Es gibt die extreme Auffassung: Auch eine Traueransprache hat nur das Wort Gottes angesichts des Todes zu verkündigen. Es gilt jeden Anschein einer Lobrede auf den Verstorbenen zu vermeiden, zumal man ihn in der Regel nicht gut genug gekannt hat, um ihm wirklich gerecht werden zu können.

Von dem Praktischen Theologen Rudolf Bohren lernte ich als junger Vikar zwei Dinge – zumindest habe ich sie so in Erinnerung: 1. Es ist nicht in Ordnung, eine Trauerfeier in dem Sinne als missionarische Gelegenheit zu begreifen, dass man ganz unabhängig vom Anlass die Leute zu bekehren versucht, frei nach dem Motto: „Der Herr hat sie in meine Hand gegeben“ – und sie können sich nicht wehren, indem sie wegbleiben wie beim Sonntagsgottesdienst.

Wichtiger noch: 2. Es ist gut und richtig, wenn der Lebenslauf des Verstorbenen in der Traueransprache vorkommt, aber der Nekrolog muss keine Laudatio sein. Auf deutsch: die Leichenrede soll nicht zur Lobrede oder gar Lobhudelei verkommen, bei der die Zuhörer insgeheim schmunzeln und sich fragen, wie weltfremd der Pfarrer eigentlich ist und ob ihm denn niemand die Wahrheit über den Toten gesagt hat. Worum es geht: Der Tote soll vergegenwärtigt werden, so wie ihn diejenigen, die ihn gekannt haben, die ihm nahestanden, in Erinnerung haben. Es geht nicht um ein objektives Bild vom Verstorbenen, wie er wirklich war; diese Schau auf einen Menschen bleibt allein dem ewigen und zwar gnädigen und barmherzigen Richter überlassen. Wir können nur ein subjektives Bild vom Verstorbenen entwerfen, so realistisch und zugleich barmherzig wie möglich. Der Verstorbene ist es wert, dass man ihn noch ein letztes Mal in seiner Einmaligkeit vor Gott in den Mittelpunkt stellt.

Wenn ein Mensch aufgrund eigener Schuld gestorben ist, z. B. ein Alkoholiker oder ein Unfalltoter, gehört zum taktvollen und barmherzigen Umgang nicht unbedingt das Ausklammern der Schuldfrage, sondern die Einbeziehung des Themas der Vergebung und der Hinweis auf Strukturen, in die der einzelne verstrickt war. Es gilt dabei, nicht noch mehr moralischen Druck aufzubauen, als ihn sich die Betroffenen oft ohnehin schon machen, sondern Wege aufzuzeigen, wie man mit Verantwortung und Schuld umgehen kann.

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