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„Unser Herz ist unruhig“

Trauerfeier für einen Mann, der ein ruheloses Leben geführt hat, voller Enttäuschung und Not, voller Suchen und Sehnsucht.

Unser Herz ist unruhig: Ein Herz, geformt aus Birkenzweigstückchen an einem bemoosten Baumstamm, vielleicht in der Nähe eines Baumgrabes
Wann und wo findet unser Herz wirkliche Ruhe? (Bild: Ulrich WelzelPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebräer 13, 14)

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Herrn J., der im Alter von [über 50] Jahren gestorben ist.

Wir erinnern uns an sein Leben. Wir versuchen, in Worte zu kleiden, was wir empfinden. Wir fragen nach dem, was Gott uns heute sagen will.

Wir beten mit Worten des Kirchenvaters Augustinus:

Groß bist Du, Herr, und sehr zu loben; groß ist Deine Kraft, und Deine Weisheit ist unermesslich.

Und loben will Dich der Mensch, ein kleiner Teil Deiner Schöpfung, der Mensch, der sein Sterben mit sich schleppt.

Du weckst uns auf, dass Dich zu loben Freude macht; denn Du schufst uns zu Dir hin, und unser Herz bleibt unruhig, bis dass es Ruhe findet in Dir.

Liebe Trauergemeinde! Dieses Gebet aus den Bekenntnissen des Augustinus ist mir in den Sinn gekommen, als wir von Herrn J. sprachen, von seinem Leben und von seinem Tod. „Unser Herz bleibt unruhig…“ Da war viel Unruhe in diesem Leben, viel Suchen. Da war Betroffenheit durch Tod und Vertreibung. Da war Sehnsucht nach einem Zuhause, nach einer verlässlichen Beziehung. Da war auch manches Scheitern und mancher gute Neuanfang. Und da war der Kontakt zur Mutter, der bis zu ihrem Tod nie abgerissen ist.

Erinnerungen an Glück und Leid im Leben des Verstorbenen

„Unser Herz ist unruhig…“ Als der Kirchenvater Augustin diese Worte in seinen Bekenntnissen schrieb, konnte auch er auf ein bewegtes, von Unruhe geprägtes Leben zurückblicken. Und er erkannte, dass er nicht aus eigener Kraft diese Unruhe überwinden konnte. Ihm wurde klar: Letzten Endes finden wir Menschen Ruhe nur dort, wo wir bei oder in einem Gegenüber die Geborgenheit bekommen, die uns aufatmen lässt und uns hilft, all das loszulassen, was uns quält und womit wir uns tagtäglich zermürbende Sorgen machen.

Der Kirchenvater Augustin ahnte, wonach er sich sehnte, weil er – ähnlich wie Herr J. – seiner Mutter zeitlebens eng verbunden blieb. Unsere Eltern sind ja die ersten, die uns vermitteln, wo wir hingehören und wie in dieser Welt unser Leben seinen Sinn findet; auf der Suche nach Lebenserfüllung spielen die Erfahrungen mit der Mutter und mit dem Vater eine große Rolle. Später prägen uns dann auch Kontakte zu anderen Menschen, die Suche nach Freundschaft und verlässlicher Partnerschaft, die Frage, ob wir uns die Erfüllung unseres Lebens hart erkämpfen müssen und dabei vielleicht auch scheitern, oder ob wir die Erfahrung machen dürfen, dass uns das Wesentliche im Leben geschenkt wird.

„Unser Herz ist unruhig“ – es kann erst dann Ruhe finden, wenn die Frage beantwortet ist, dass wir geliebte Menschen sind. Dann können wir aufhören, um Anerkennung und Liebe zu kämpfen, dann können wir aufhören, uns selbst mit Zweifeln und Selbstvorwürfen zu quälen, ob wir eigentlich gut genug sind für diese Welt oder für einen Partner oder für Gott.

Der Kirchenvater Augustin lernte im Laufe seines Lebens Gott kennen als das Ziel seiner Suche, als die Erfüllung der Sehnsucht seines Lebens, als den Ort, in dem sein Herz Ruhe finden würde. Er lernte den Gott kennen, der sich in Jesus zu erkennen gibt, der ohne jede Vorbedingung die Einladung ausspricht (Matthäus 11, 28):

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Es ist dieser Gott mit dem menschlichen Gesicht, der jedem von uns Ruhe und Liebe und Geborgenheit schenkt, einfach so. Jeder Mensch in seiner Eigenart hat seinen Platz in der Welt Gottes, auch wenn wir das von außen nicht immer so gut erkennen. Die Welt Gottes hat Platz für den Kirchenvater und den Zweifler, für den, der seines Sinnes im Leben gewiss ist, und für den, der niemals ganz ankommt, sondern immer auf der Suche bleibt.

Für die Erinnerungen an Herrn J. bedeutet das, dass wir die Höhen und Tiefen seines Lebens so nehmen, wie sie gewesen sind. Dann ist Dankbarkeit möglich für erfahrene Nähe und Liebe. Dann fühlen wir vielleicht auch Schmerz über Grenzen, an die wir oder der Verstorbene gestoßen sind. Gedanken an den stets hilfsbereiten Menschen, der für andere „sein letztes Hemd“ gegeben hätte, stellen sich ein. Zugleich wissen wir um unerfüllte Sehnsucht und menschliches Scheitern. Und so wenden wir uns in Zuversicht an Gott mit der Bitte, uns und den Verstorbenen mit all dem anzunehmen, was uns erfüllt, was uns dankbar macht, was uns beschwert, und uns zu vergeben, was wir einander schuldig geblieben sind. Amen.

EG 529: Ich bin ein Gast auf Erden

Wir beten mit Psalm 22, alte Worte, die uns vielleicht ganz nahe rücken:

2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

10 Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.

12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.

16 Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.

20 Aber du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

25 Denn er hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; und als er zu ihm schrie, hörte er‘s.

27 Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden; und die nach dem HERRN fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben.

30 Ihn allein werden anbeten alle, die in der Erde schlafen; vor ihm werden die Knie beugen alle, die zum Staube hinabfuhren und ihr Leben nicht konnten erhalten.

Barmherziger Gott, Abschied nehmen heißt loslassen. Wir lassen den Verstorbenen los, indem wir dich bitten, dass sein Herz Ruhe findet in dir, wie es der Kirchenvater Augustin ausgedrückt hat.

Und wir erbitten auch Ruhe für unser Herz, wenn es möglich ist, bereits hier auf Erden. Es schlägt ja immer wieder unruhig bei all dem, was uns umtreibt. Gott, du bist da, es gibt dieses Ziel der Sehnsucht unseres Herzens; darum dürfen wir uns zuversichtlich dir anvertrauen.

Wir schließen unser Gebet mit einer Strophe aus dem Lied 529, dessen Melodie wir eben gehört haben:

1. Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu.

Amen.

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