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Meinungen

Dem Apostel Paulus geht es nicht um ein und dieselbe Meinung im Blick auf jede beliebige Streitfrage. Es geht ihm um Einigkeit in dem, was zentral dem Willen und Befehl Gottes entspricht. Nicht um Rechthaberei, nicht um eine Einheitsmeinung geht es, sondern darum, der Liebe und dem Frieden nachzujagen, auch im Miteinander der Konfessionen.

Zehn verschiedenartige Gesichter sind als eine Pyramide aufeinander gezeichnet, mit und ohne Haare, verschiedene Hautfarbe und Gesichtsausdrücke, die auf unterschiedliche Meinungen schließen lassen
Vielfalt und verschiedene Meinungen sind erlaubt in der christlichen Gemeinde (Bild: PrawnyPixabay)

Andacht zur Sitzung des Kirchenvorstands am Dienstag, 10. Juni 2014, 19.00 Uhr im Raum Lydia

Liebe Kirchenvorstandsmitglieder, gemeinsam mit unserem Gast bei dieser Sitzung, Pastor Marius Govor, der zur Zeit ein dreiwöchiges Praktikum bei mir ableistet, habe ich letzten Donnerstag einen Abend der diesjährigen Gebetswoche für die Einheit der Christen im Stadtkirchenturm mitgestaltet. Da ging es zentral um einen Text des Apostels Paulus aus seinem Brief 1. Korinther 1, 10-15 (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

10 Ich ermahne euch aber, [Geschwister], im Namen Jesu Christi, unseres Herrn: Seid alle einmütig, und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung.

11 Es wurde mir nämlich, meine Geschwister, von den Leuten der Chloë berichtet, dass es Zank und Streit unter euch gibt.

12 Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus – ich zu Apollos – ich zu Kephas – ich zu Christus.

13 Ist denn Christus zerteilt? Wurde etwa Paulus für euch gekreuzigt? Oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden?

14 Ich danke Gott, dass ich niemand von euch getauft habe, außer Krispus und Gaius,

15 so dass keiner sagen kann, ihr seiet auf meinen Namen getauft worden.

Was wir heute „Konfessionen“ nennen, unterschiedliche christliche Bekenntnisse, das hat es von Anfang an gegeben. Wer durch die Predigt des Paulus, Apollos oder Petrus zum Glauben an Christus gekommen und von einem von ihnen getauft worden war, stand in der Versuchung, sich gegen die anderen abzugrenzen und zu sagen: „Wir haben Recht, und ihr habt Unrecht!“ So kam es zu Zank und Streit. Aber Paulus sagt: „Damit zerteilt ihr den einen Christus! Ist es nicht genug, dass er am Kreuz gestorben ist? Müsst ihr ihn auch noch vierteilen oder in Hunderte von Einzelteilen auseinanderreißen, die miteinander in Feindschaft leben und am Ende sogar Kriege gegeneinander führen?“ Leider ist es ja so gekommen im Lauf der Kirchengeschichte. Aber im Sinne des Paulus ist das nicht. Er will, dass wir einmütig zusammenstehen, unsere Spaltungen überwinden.

Eins hat mir in diesem Text des Paulus nicht geschmeckt, nämlich dass er sogar sagt, wir sollen danach streben, einer Meinung zu sein. Das ist doch illusorisch und auch nicht wünschenswert. Gesunde Vielfalt finde ich wichtig. Wir müssen nicht über alles genau gleich denken. In der Weltkirche hat das Streben nach einer Einheitsdogmatik in der Vergangenheit ja sogar dazu geführt, dass man Andersglaubende zu Ketzern gemacht und oft sogar blutig verfolgt hat. Mit dem Satz „Die Wahrheit ist wichtiger als die Einheit“ haben sich schon oft Glaubensgemeinschaften von anderen abgespalten, als in der Gemeinschaft mit Andersglaubenden um die Wahrheit zu ringen.

Auch hier im Kirchenvorstand geht es nicht um völlig gleiche Meinungen, sondern darum, dass wir in fairer Weise um die bestmögliche Entscheidung ringen. Oft schaffen wir es ja, einer Meinung zu sein, aber manchmal wird eine Entscheidung mit Mehrheit auch gegen die abweichende Meinung von einzelnen anderen gefällt. Und das ist völlig normal.

Aber meint Paulus mit dem Wort „Meinungen“ eigentlich an dieser Stelle das, was wir damit meinen?

Im griechischen Urtext fand ich, dass Paulus hier, wo in allen deutschen Bibelübersetzungen das Wort „Meinung“ übersetzt wird, das Wort „gnomä“ verwendet. Ich dachte zuerst, dass dieses Wort im Neuen Testament nur hier vorkommt. Aber dann fand ich es doch an anderen Stellen, zum Beispiel, dort, wo Paulus betont, dass er nicht ein allgemein verbindliches Gebot Jesu, sondern seine eigene Meinung vertritt. Zum Beispiel, dass junge Leute in einer Zeit, die auf das von ihm erwartete baldige Ende zuläuft, lieber nicht heiraten sollten. Oder dass Frauen nur mit Kopfbedeckung an der gemeinsamen Versammlung teilnehmen sollen. Das ist die Meinung des Paulus, er macht sie nicht für alle verbindlich!

Aber das bedeutet doch, dass auch Paulus unterschiedliche Meinungen in der christlichen Gemeinde für möglich hält, und diese Meinungen müssen keine trennende Bedeutung für die Gemeinschaft haben. Warum besteht Paulus dann hier so nachdrücklich darauf, nach einer „gnomä“ zu streben?

Im Alten Testament kann das Wort „gnomä“ in den Büchern Esra und Daniel zur Übersetzung des hebräischen Wortes „te‘em“ verwendet werden; das kommt von dem Wort „Schmecken“, kann also „Geschmack“ bedeuten, aber wenn es um einen König oder um Gott geht, wird das, was nach seinem Geschmack zu geschehen hat, zu einem Befehl oder einem verbindlichen Urteil. So geht es im Buch Esra (zum Beispiel Esra 5, 17 und 6, 1) um Befehle der persischen Könige Kyrus und Darius, und im Buch Daniel 2, 15 wird im Blick auf den König Nebukadnezar gefragt:

Warum ist ein so strenges Urteil vom König ergangen?

Und in Esra 7, 23 wird das Wort „gnomä“ dann auch für einen Befehl Gottes verwendet:

23 Alles, was dir Gott befohlen hat, dass es gegeben werde, das soll für das Haus des Gottes des Himmels mit Hingabe geleistet werden.

Wenn Paulus das Wort „gnomä“ also in seinem 1. Brief an die Korinther gebraucht (und er kannte definitiv seine griechische Bibel), dann geht es ihm hier wohl nicht um ein und dieselbe Meinung im Blick auf jede beliebige Streitfrage. Es geht ihm um Einigkeit in dem, was ganz zentral dem Willen und Befehl Gottes entspricht. Und was befiehlt Gott als wichtigstes Gebot? „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Nicht um Rechthaberei, nicht um eine Einheitsmeinung geht es also, sondern darum, der Liebe und dem Frieden nachzujagen, auch im Miteinander der Konfessionen.

Lasst uns beten.

Liebender Gott, angesichts von Konflikten und Spaltungen schenkst du uns den Mut zur Wahrnehmung der Meinungen, die uns trennen, und zugleich den Mut zur lebendigen Wahrheit in Jesus Christus, die uns verbindet. Schenke uns deinen Heiligen Geist, dass er uns zu Bauleuten der Versöhnung macht. Hilf uns, einmütig und eines Sinnes zusammenzustehen und unterschiedliche Meinungen nicht als trennende Mauern zwischen uns aufzubauen. Amen.

Lied 268: Strahlen brechen viele aus einem Licht

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