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„Spärlich und kärglich“

Als Schüler des TMG führten Bernhard, Rudi und ich beim Abi-Ball folgenden Sketch zur Fußball-Weltmeisterschaft 1970 auf. Ich formulierte die Texte in Anlehnung an tatsächliche Zitate und Eigenheiten mehrerer Lehrkräfte bzw. des Hauspersonals an dieser Bildungseinrichtung, der wir nicht nur einen Teil unserer Bildung, sondern auch Spaß durch Real-Satire verdanken.

Ein Fußball inmitten schwarz-rot-goldener Atmosphäre, umkreist von weiteren Fußbällen
Deutschland schon 1970 im Fußball-WM-Fieber (Bild: 8926Pixabay)

1. Halbzeit

Sprecher:

Die Fußballweltmeisterschaft 1970 hat die ganze Welt – die Länder, in denen kein Fußball gespielt wird, sind von untergeordneter Bedeutung –, hat also die gesamte Welt in ihren Bann geschlagen. In einen Bann, der selbst die Spitzenpersönlichkeiten des öffentlichen Lebens und besondersder Schule nicht unberührt ließ. Lassen Sie uns dies an einigen hervorstechenden und herausragenden Stellungnahmen und Kommentaren, teils unmittelbar beeinflusst vom Spielgeschehen, teils nach längerer, eingehender Reflexion, aufzeigen. – Schalten wir uns jetzt ein in die Wohnung des Herrn W.-N., in das Fernsehzimmer des Herrn Franz W.-N., der neben seinen eindeutigen schulischen Aufgaben auch, nicht wahr, im Vaseline-Geschäft engagiert ist. Die Situation ist folgende: Die englische und die deutsche Mannschaft haben sich im ausverkauften Stadtion von Leon in Reih und Glied formiert. Während die Nationalhymnen der beiden Staaten erklingen – die ganze Atmosphäre ist Ihnen ja geläufig – können wir Zeugen eines der von großer Tragweite zeugenden Kommentare des Herrn Franz W.-N. werden:

Direktor W.-N.:

Ja, Fußball ist ein, hm, ne, grundsätzlich zu befürwortender Sport, nicht wahr, ich habe dagegen, nicht wahr, im Grunde, ähm, nichts einzuwenden. So lange die in vergangenen Weltmeisterschaftsfußballturnieren, oder auch, wie gesagt, in einfachen Länderausscheidungen erfahrene Härte, Härte in der Spielweise, besonders bei einigen Spielern gewisser Mannschaften, ich will hier keine Namen nennen, das steht mir nicht zu, erfahrene Härte also das Spiel nicht in eindeutiger Weise so beeinflussen würde, dass es keine Art und Weise mehr wäre, dass es, nicht wahr, dem sportlichen Rahmen der, hm, ne, Fairness, nicht wahr, keineswegs mehr gerecht werden würde, ähm, dann also sehe ich mir ein solches Spiel ganz gern einmal an. Schon mal gut, dass dieser Nobby Styles nicht dabei ist, dieser Rowdy, hm, ne, man kann es nicht anders bezeichnen, also dafür, nicht wahr, habe ich keine hm, ne, also es fehlen mir die Worte.

Sprecher:

Mittlerweile ist das erste Tor der Engländer schon gefallen, in der 38. Minute durch Mullery, und Frau W.-N. macht ihren Gatten soeben schonend darauf aufmerksam. So verlassen wir Herrn Franz W.-N., damit er diesen schweren Schock, der ihn im tiefsten Grund seiner deutschen Seele getroffen hat, in Ruhe überwinden kann. – Weiter geht das Spiel; am 0:1 ändert sich bis zum Halbzeitpfiff nichts mehr; und wir besuchen jetzt Herrn Reinhard W. der nach dem 0:1 aus seiner langausgestreckten Lage auf dem Fernsehsofa aufgeschreckt worden war und sich erst jetzt so weit gesammelt hat, um nach Beginn der 2. Halbzeit folgenden energischen Kommentar abzugeben:

Geschichtslehrer W.:

Das ist doch wirklich sehr spärlich und kärglich, das is mal wieder ganz Sense irgendwie, wie bei Marokko, was noch viel weniger war als ne halbe Sache, ne. Aber in der ersten Halbzeit, das war doch wirklich sehr zaghaft, ausgesprochen zaghaft von den Engländern auch sozusagen, nicht nur von den Deutschen. Aber bei uns ist ja wirklich der Sturm verkümmert, was heißt verkümmert, es fehlt eben Zusammenspiel, Pässe, Konzentration, klare Linie eben, also supergenau alles – Eerikaa – „ja, Reinhard“ – hast du das gesehen, noch krasser kommts jetzt, wie beim Faschodakladderadatsch, Engländer jetzt man feste weiter drauflos und da hat Peters das 2:0 geschossen, das sind ja regelrechte turbulente Zustände. Wir kommen wieder zu sehr raus und hin und her, das ist ja ganz töricht; vor allem Libuda, das war doch schon ganz anders mal, aber gegen Bulgarien, sicher, das war wohl sozusagen eine singuläre Leistung nur. Ich möchte doch behaupten, dass das so lahm ist in unserem Sturm und dass es noch immer lähmer wird. „Aber Reinhard, wo hast du denn das Wort her?“ Ja, das Wort fälscher gebrauche ich ja auch absichtlich, um das den Grad des Falschseins. Ja, nun weiß man gar nicht, ob diese ganze Fußballweltmeisterschaftsmannschaftstrainerkritik, also sozusagen kurz gesagt mit einem Wort, da im Falle dieses Schön jetzt also berechtigt gewesen ist, ob das jetzt so kommt, dass da hier alle paar Jahre wieder ein anderer kommt, heraus aus den Kartoffeln, oder ist diese Prognose wahnsinnig überspitzt vielleicht?

Sprecher:

So ist die Lage nach dem 0:2 durch Peters, aber dann kommt die 70. Minute, in der sich Beckenbauer gegen Mullery, Cooper und Labone mit einem glänzenden Alleingang durchsetzen kann und den Anschlusstreffer erzielt. Und in der auch Herr Reinhard W. wieder Auftrieb erhält:

Geschichtslehrer W.:

Das sieht ja wirklich so aus jetzt hier, als ob wir da drauf und dran wären, also noch einmal aufzuholen. Das wäre ja die tollste Ironie. Diese Maßnahme mit Höttges raus, Schulz rein, das war ja schon eine Maßnahme, ach so, ach ja, Grabowski-Libuudaa, das sind ja dann schon gleich zwei Maßnahmen. Beckenbauer ist ja doch auch jetzt besser als zeitweilig. Als zeitweilig, damit meine ich jetzt in der vorigen Hälfte. Diese Steigerung jetzt, das kann man ja nur noch mit super bezeichnen, also Superfußball kann man ja fast sagen oder Hyperfußball schon regelrecht hier.

Sprecher:

Herrn Reinhard W.s Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Es kam nach der schier aussichtslosen 0:2-Rücklage in der Verlängerung doch noch zum 3:2-Sieg, der Deutschland ins Semifinale brachte. Mittwoch sehen wir uns dann also wieder. Wir werden uns nachher einigen nicht minder interessanten Kommentaren zuwenden.

2. Halbzeit

Sprecher:

Da sind wir wieder . Wir sprachen vorhin zuletzt vom Halbfinale, in dem das Glück den Deutschen leider abhold war. Wir wollen es deshalb nicht in den einzelnen Phasen durchleuchten, sondern nur einige Stellungnahmen des schlafdurchtränkten Donnerstagsvormittages in Augenschein nehmen. Herr D. war allerdings einer der wenigen, die ihre Augen noch offen halten konnten; er sagte uns folgendes:

Philosophielehrer D.:

Ich habe das Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien selbst nicht gesehen, aber ich werde dennoch, wenn Sie es wünschen, einige grundsätzliche Erwägungen zum Fußball im allgemeinen und zum Weltmeisterschaftsfußball im besonderen Ihnen mitteilen. Der Fußball in seiner spielerischen Grundlage beinhaltet das kämpferische Element sowohl als auch jenes der taktischen Strategie. Erstes richtet sich mehr auf das physisch-körperliche, während das letztere in stärkerem Maße den vom Intellekt beherrschten Bereich berührt. Die Theorie über die Sublimierung der elementar im Triebhaften wurzelnden Instinktiv-Aggessionen impliziert, wenn man von der zur Zeit erhältlichen Literatur ausgeht, zugegebenermaßen erheblich Aussagen über den Fußball an sich, oder für sich, sowie auch außer sich. Einerseits: für die Spieler werden die durch das Spiel hervorgerufenen Reize zum Abführen der Aggression durch die körperliche Anstrengung zu einer schadlosen Abtötung geführt. Bei den Zuschauern andererseits erfolgt diese Abführung allerdings nicht in einer nicht-schädigenden Art und Weise. Und gerade in diesem Punkt sehe ich die Nachteile. Zum Komplex Fußball gäbe es natürlich noch sehr viel mehr zu sagen. Aber das würde hier zu weit führen.

Sprecher:

Wirklich mitgenommen von dem Spiel waren Herr Günter W. und Herr Reinhard W. – letzeren kennen wir ja schon -, die wir im Gespräch belauschen können.

Physiklehrer W.:

Guten Morgen, Herr Kollege.

Geschichtslehrer W.:

Mong. – – – – – . Ja, haben Sie Ihre Nerven noch behalten, nach gestern? Das übersteht man ja alles gar nicht, mit den Nerven. Dass ich hier noch lebe…

Physiklehrer W.:

Höhö, jaja, ich bin ja nach dem 0:1 erstmal ins Bett gegangen, aber da saßen die alle noch draußen, wir ham so Nachbarn, die ham das Fernsehn in Garten gestellt und saßen da alle bei Brot und Bier, und da war auf einmal son Geschrei, da bin ich nach draußen gerannt, dachte, es wäre ‛n Tor, aber war gar keins, bin aber trotzdem draußen geblieben. Aber nachher, da war ich so müde, als ich ins Bett kam, da wusste ich gar nicht mehr, ham so nun 4:3 oder 3:2 gewonnen.

Geschichtslehrer W.:

Ja, es war dann wirklich ein klägliches, kärgliches Ergebnis für uns dann zum Schluss, aber an der Stelle muss man vielleicht doch sagen, es war auch etwas ungerecht, den Italienern so viel zuzuschustern, dieser Schiedsrichter, zu unserem Schaden behandelt, zu unserem Schaden ja ganz eindeutig. Ja was sagen sie denn zu dieser Frage, legal oder nicht legal?

Physiklehrer W.:

Ja, womma sagen, ich halte das doch für etwas übertrieben. Es geht ja nicht an, dass da in einem so entscheidenden Spiel ein Elfmeter alles entscheidet, vor allem, wenn das so alles nicht ganz klar zu sehen ist. Auch mit dem Fernsehen, das kann man ja gar nicht so genau überprüfen, da kommt ja jede, ja was nun, ach ja, dreiundzwanzigstel Sekunde nur ein Bild, bei diesen Sprüngen im Film, bis das nächste Bild kommt, da könnte ja was passiert sein, da könnte ja, womma annehmen, schon der Ball so gerade eben einmal über die Torlinie gelaufen sein.

Geschichtslehrer W.:

Ja, ich meine, man kann doch nicht a priori so etwas sagen. Nun sicher, der Angriff auf den Schiedsrichter, der kommt immer dann, wenn irgendwie was nicht klappt. Manche übertreiben das und sprechen von einem regelrechten illegalen Treiben da. Allerdings, wenn die das da geschickt machen, dann fällt das gar nicht auf, dass das im Grunde doch etwas illegal war. – Was meinen Sie denn, was ist denn das Allerprimärste, das Ursächlichere sozusagen, das Hauptversäumnis oder eben Schuld, dass die deutsche Lage so miserabel, schlecht, ungerecht war? Ähm ja, die Italiener waren ja nun auch so schlau, dass sie jetzt nicht mehr Tempo spielten, weil da, äh, schlecht ist.

Physiklehrer W.:

Mir ist auch schon aufgefallen, dass die deutschen Spieler da immer dieselben Tricks anwenden, Libuda, Beckenbauer, rechts rum, links rein. Und der Seeler, der stellt sich da immer hinter die Abwehrspieler und wartet, bis da ein Ball kommt, und den köpft er dann.

Geschichtslehrer W.:

Also, wie ich das jetzt verstehe, muss man das ganz falsch verstehen, nicht, ich würde auf Ihre Meinung teils teils antworten, teils nicht, teils so. Trick und Trick ist doch noch längst nicht zweierlei.

Physiklehrer W.:

Nicht einerlei, meinen Sie wohl.

Geschichtslehrer W.:

Wieso? – – – – – . Trick, und Trick, ist doch noch längst, nicht zweierlei. Äh, ah, äh, ist einerlei. Aber, ja, grundsätzlich vielerlei ganz verschiedene Tricks; das ist ja ein sehr wirklich umstrittener Punkt. – Ach, was sagen sie eigentlich zu diesem Weltmeisterschaftstrophäenfinder, diesem Hund da, der da 66 diesen Coupe Jules Rimet wiedergefunden hatte, der hat ja hauptsächlich vor 1970 gelebt, nicht wahr, in den letzten Tagen gerade noch, eben gestorben, also praktisch doch zusammengebrochen, vor…

Physiklehrer W.:

Jaja, der Hund hat schon vorher Selbstmord gemacht, womma sagen, er hat sich überfahren lassen. – Ja, das war ein Fußballfieber in diesen Tagen.

Geschichtslehrer W.:

Dann muss ich jetzt doch wohl in meine Klasse schnell; sicher, ich glaube, manchmal ist man da wieder einmal am Ende seines Wissens. Und überhaupt, dieses ganze Italienspiel, das war doch wirklich ein klägliches Torso, was soll das eigentlich, dass ich noch die halbe Nacht aufgeblieben bin?

Sprecher:

Herr Franz W., in seiner Funktion als der Mann, ohne den der gesamte Schulbetrieb zusammenbrechen würde, sieht das ganze mehr von der praktischen Seite.

Hausmeister W.:

Also das war ja ss-ch-recklich, das war ja char nicht mit anzusseihen. Da kam doch dauernd der Ss-chiedsrichter angess-chissen, um unsere Deutss-chen ans Zeuch zu flicken, und wenn mal wirklich ein Foul war, vonne Italiener, da war er nicht zuchejen. Ich konnt ja auch nachher überhaupt nicht einss-ch-lafen, und dat ching so bis fast chanz in den frühen Morgen, wo die Ssonnenstrrahlen ss-chon ins Fenster kamen und die Vööchlein an zu ssingen fingen, ein Liedchen zu zwquitss-chern. Und wisst ihr, wovon dat kam, dat ich da char nicht einss-ch-lafen konnte? Ich hatte nämmlich immer die Pupillen so chanz nach oben steihen, und da ching dat nich so richtig. Nä, nä, nä, und jetzt will ich nichts mehr hören von die chanze Ss-cheiße.

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