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Alttestamen­tarische Besonnen­heit

In den Terroranschlägen in New York und Washington wurde deutlich: Auch die mächtigste Nation und das erfolgreichste Wirtschaftssystem der Welt sind nicht allmächtig, sondern verwundbar. Die Jeftahgeschichte mahnt: Gerade der Wunsch nach Kontrolle in einem Bereich, in dem absolute Sicherheit nicht erreichbar ist, führt zum Kontrollverlust.

Inhalt:

Einführung

Machtpolitik – realistisch betrachtet

Jeftah als besonnener Kriegsheld

Allmachtssehnsucht

Kollateralschaden

Batjah – das Opfer als Heldin

Besonnenheit in der Rache?

Trauerzeit – Raum für den Frieden?

Ausblick auf den Sohn der Jungfrau

Anmerkungen

Leserzuschriften

Gedenktafeln am Ground Zero, New York, mit den Namen der Helden vom 11. September 2001
IX XI: Gedenktafeln am Ground Zero mit den Namen der Helden vom 11. September 2001 (Bild: Michał LechPixabay)

Einführung

„Die Sprache der Vergeltung, in der nicht nur der amerikanische Präsident zunächst auf das Unfassbare reagierte, erhielt einen alttestamentarischen Klang“ (1). Worauf sich Jürgen Habermas mit diesen Worten in seiner Friedenspreisrede 2001 bezog, ist allgemein bekannt. Nichts werde mehr so sein, wie es war, sagte man nach dem 11. September 2001; dieses Datum hat sich unauslöschlich in die kollektive Erinnerung der Welt eingegraben. Dennoch sind aus den europäisch-amerikanischen Reaktionen auf die bis dahin undenkbare terroristische Herausforderung jene uralten „alttestamentarischen“ Anklänge herauszuhören. Die Chance, auf völlig neuartige Bedrohungsszenarien auch neue Antworten zu geben, wurde nicht in dem Ausmaß genutzt, wie man zunächst hoffen konnte, als eine breite internationale Allianz der zivilisierten Welt einschließlich sowohl früherer Kontrahenten im Kalten Krieg als auch islamischer Länder zum Kampf gegen die Barbarei des Terrorismus zusammengeschmiedet wurde. Erst recht wäre es wohl zu viel verlangt gewesen, wenn der Präsident einer christlich geprägten Führungsnation auf unmenschlichen Terror mit Gesten der Vergebung (2) oder der Gewaltfreien Aktion (3) reagiert hätte statt mit der Konzentration auf militärische Gegenschläge. Ich konnte angesichts der zusammenstürzenden WTC-Türme und der in ihnen durch menschenverachtenden Terror Sterbenden die patriotischen Gefühle der Amerikaner durchaus nachempfinden, verstand auch, dass die deutsche Politik „uneingeschränkt solidarisch“ an der Seite der USA stehen wollte und bis hinein in die Reihen der Grünen auch militärische Antworten gegen die Unterstützerstaaten des Terrors für unerlässlich hielt. Man mochte nicht tatenlos abwarten, bis etwas noch Schlimmeres passierte, man wollte etwas Wirksames tun, um in der Stunde der Gefahr die Bedrohung wieder aus der Welt zu schaffen. Aber wie „besonnen“ war es, jegliche pazifistisch motivierte Kritik an den Militärschlägen gegen den Terrorismus als feigen Antiamerikanismus (4) oder klammheimliche Sympathie mit Terroristen (5) abzuqualifizieren?

Beunruhigend finde ich die einseitige Festschreibung alttestamentlichen Gedankenguts – sozusagen im Sinne einer letztwilligen Verfügung – auf „alttestamentarisches“ Vergeltungs- und Rachedenken. Sie arbeitet selbsternannten „Gotteskriegern“ in die Hände, deren terroristische Akte darauf angelegt sind, entsprechende Gegengewalt und damit einen „Kampf der Kulturen oder Religionen“ zu provozieren, in dem nur offen bleibt, auf welcher Seite Gott oder Allah denn nun im „Heiligen Krieg“ (6) eingreifen wird. Das Schwarz-Weiß-Denken des amerikanischen Präsidenten, innerhalb dessen „wir“ als die Guten uns gegen eine genau zu benennende „Achse des Bösen“ zur Wehr setzen müssten (7), droht noch mehr Menschen anderer Kulturen ins Lager der Terroristen zu treiben. „Werden Terroristen zu Kriegsgegnern gemacht, und werden mit ihnen in Verbindung gebrachte Nationen angegriffen, erfolgt genau das, worauf die Terroristen warten“ (8). Dass auch die Großmacht Russland mit ihrer Tschetschenien-Politik ein ganzes Volk in den Terrorismus hineinzutreiben droht, zeigt dreizehn Monate nach den Anschlägen in Amerika die Geiselnahme in einem Moskauer Theater (9).

Es lohnt sich, das Alte Testament genauer anzuschauen. Es enthält nämlich innerhalb seiner Darstellung kriegerischer Vergeltung, die rechtmäßig nur Gott selbst üben darf (10), auch Bilder eines Heldentums, in denen die Besonnenheit und damit verbundene Probleme thematisiert werden. Denn seit dem 11. September 2001 sind Helden wieder gefragt, wie zum Beispiel die Feuerwehrhelden, die im World Trade Center starben, oder die Passagiere des Fluges United Airlines 93, die sich gegen ihre Entführer zur Wehr setzten und das Flugzeug vor Erreichen des Ziels zum Absturz brachten (11). Auch „postheroische Gesellschaften“ wie die demokratisch verfasste westliche Zivilisation des beginnenden 21. Jahrhunderts, die unvermittelt mit tödlichen Bedrohungen konfrontiert werden, sind „auf jene angewiesen, die für bestimmte Werte notfalls auch mit ihrer Unversehrtheit oder gar ihrem Leben einstehen“ (12).

Machtpolitik – realistisch betrachtet

Als im Herbst 2001 Carl Reinthalers fast vergessenes Oratorium „Jephtha und seine Tochter“ in Gießen und Wetzlar aufgeführt wurde, gewann es eine ungeahnte Aktualität, indem es die Folgen eines gerechten Kampfes beleuchtet, geführt durch den Richter Jeftah (Richter 10, 17 bis 12, 7), der „die Not der Kinder Israel“ abzuwenden sucht (13).

Jeftah gehört einem der noch nicht zentralstaatlich geeinten israelitischen Stämme an, die gemeinsam den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs anbeten. Als das Volk Israel sich von Götzen verführen lässt, wird es durch den Zorn Jahwes unter die Hand fremder Völker verkauft und durch immer neue Kriegsgefahr geängstigt (Richter 10, 6-9). Typisch ist die Rückkehr zu Gott in dieser Not: „Die Israeliten sprachen zum HERRN: Wir haben gesündigt, mache du es mit uns, wie dir’s gefällt; nur errette uns heute! Und sie taten von sich die fremden Götter und dienten dem HERRN“ (Richter 10, 15-16a). Auch in Amerika wurden in der Zeit der Trauer und Ratlosigkeit vorübergehend die Kirchen voller – man vertraut sich Gott an, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß (14). Ist die Art, in der das westliche Abendland christlich ist, nicht sehr ähnlich der Art, in der Israel zur Zeit der Richter das Volk Jahwes war?

Als die Israeliten reumütig zu ihrem Gott umkehrten, „jammerte es ihn, dass Israel so geplagt wurde“ (Richter 10, 16b). Die sich anschließende Jeftahgeschichte ist als die Art zu lesen, wie Gott zugunsten des Volkes rettend eingreift.

Jeftah, der von den eigenen Brüdern wegen seiner unehrbaren Abkunft als Sohn einer Hure von zu Hause weggejagte Junge, der zum Gewaltmenschen und Räuberhauptmann wurde, ist offenbar nicht der Mann, den man in normalen Friedenszeiten zum Stammesältesten erhoben hätte (Richter 11, 1-3). Doch in der Stunde der Gefahr spielen die Vorurteile gegenüber seiner Person keine Rolle mehr; nur ihn halten die Ältesten für fähig, als Heerführer den Ammonitern entgegenzutreten: ein Held wird gesucht (Richter 11, 5-8).

Mich beeindruckt der biblische Realismus. Die Rettung des Gottesvolkes wird nicht als Geschichte der eindeutig „Guten“ erzählt, die sich gegen die eindeutig „Bösen“ durchsetzen, sondern der niederländische Dichterpriester Huub Oosterhuis meint mit Recht: „So verwickelt ist Geschichte, alle Geschichte: Geist des Herrn – Befreiung, Geist von Jeftah – Ehrgeiz, Rachsucht; heiliger Geist, kranker Geist“ (15).

Jeftah lässt sich die Übernahme der Verantwortung bezahlen. Er will Macht als Gegenleistung – nicht nur Feldherr sein in einer Schlacht, sondern Richter sein auf Lebenszeit (Richter 1, 9-11). Seine Bereitschaft, sich als Held für das Wohl des Vaterlandes einzusetzen, ist nicht uneigennützig. Umgekehrt wird im Verhalten der Ältesten von Israel deutlich, welchen Stellenwert „Werte“ in der Politik haben. So lange man den „Hurensohn“ nicht braucht, hält man die Volksgemeinschaft von dem Mann mit nicht einwandfreier Herkunft rein; sobald er jedoch der Gesellschaft nützlich wird, sind moralische Bedenken gegen seine Person plötzlich kein Thema mehr. Die Koalition mit dem Sohn der Dirne ist perfekt. Ein wertvoller Hinweis für politische Überzeugungsbildung auch heute: Auch Politiker, die die internationale Solidarität der Zivilisation gegenüber der Barbarei anstreben, bleiben zugleich Machtpolitiker, die auf Vorteile für eigene nationale, soziale oder parteigebundene Interessen aus sind. Umgekehrt darf man Politikern nicht allein deshalb den Willen zum Frieden absprechen, weil es ihnen immer auch um Macht und Interessendurchsetzung geht. Wohl aber gilt es zu bedenken, wie der, dem Verantwortung und Macht übertragen wird, mit dieser Macht umgeht.

Jeftah als besonnener Kriegsheld

Damals wie heute sind entschlossene und zugleich besonnene Helden gefragt. Als ein solcher galt seinen Landsleuten über Monate hin nahezu unumstritten der amerikanische Präsident George W. Bush, dem man die Besonnenheit kaum zugetraut hätte, auf die Verbrechen des 11. September nicht mit sofortigen Racheaktionen zur Wiederherstellung des gekränkten amerikanischen Stolzes zu antworten (16).

Auch Jeftah handelt zunächst als besonnener Staatsmann, der verhandelt und nicht sofort kriegerisch losschlägt.  „Was hast du mit mir zu schaffen, dass du zu mir kommst, um gegen mein Land zu kämpfen?“, fragt er den Ammoniterkönig in einer diplomatischen Note (Richter 11, 12b), und erst als die Verhandlungen in eine Sackgasse geraten, zeigt er die Entschlossenheit, in den Krieg zu ziehen.

Als Kind seines Volkes, das Gott als seinem in der Richterzeit noch einzigen König verpflichtet ist, weiß er um die Begrenztheit seiner Macht – er ist nicht allmächtig, kann nicht absolute Gerechtigkeit herstellen, sondern er überlässt Gott die Entscheidung über den Sieg: „Der HERR, der da Richter ist, richte heute zwischen Israel und den Ammonitern“ (Richter 11, 27b). Indem der ungewisse Kriegsausgang als Gottesgericht gewertet wird, bleibt die Unterscheidung klar: Jeftah tut, was ihm menschlich möglich ist, aber die Rache im Sinne der Herstellung von Gerechtigkeit überlässt er Gott.

Bis hierhin erscheint Jeftah als das Urbild eines besonnenen Kriegshelden, der sich vor Gott verantwortet: Handle – und erkenne deine Grenzen. Suche nicht den absoluten Sieg. Versuche nicht, dich um jeden Preis abzusichern, denn du bist ein Mensch, der endlich und sterblich ist. Ich erkenne in dieser Haltung durchaus einen Unterschied zur Waffensegnung unter dem Motto „Gott mit uns!“

Auf Jeftah als geisterfüllten Kriegsheld bezieht sich wohl auch seine einzige Erwähnung im Neuen Testament, in einer Reihe mit Glaubenshelden wie David und Samuel, über die es im Hebräerbrief heißt (11, 32-34): „Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich erzählen sollte von Gideon und Barak und Simson und Jeftah und David und Samuel und den Propheten. Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind der Schärfe des Schwerts entronnen, aus der Schwachheit zu Kräften gekommen, sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Flucht geschlagen.“

Auf der Linie der „alttestamentarischen Besonnenheit“ des Richters Jeftah liegen auch die Aussagen des bis heute für Protestanten verbindlichen Augsburger Bekenntnisses im 16. Abschnitt, „Vom weltlichen Regiment“, in dem das gerechte Kriegführen als christlich verantwortbar gelehrt wird (17): „Von Polizei und weltlichem Regiment wird gelehret, daß alle Obrigkeit in der Welt und geordente Regiment und Gesetze gute Ordnung, von Gott geschaffen und eingesetzt seind, und daß Christen mögen in Oberkeit, Fürsten- und Richter-Amt ohne Sunde sein, nach kaiserlichen und anderen ublichen Rechten Urteil und Recht sprechen, Ubeltäter mit dem Schwert strafen, gerechte Kriege fuhren, streiten, kaufen und verkaufen, aufgelegte Eide tun, Eigens haben, ehelich sein etc. Hie werden verdammt die Wiedertaufer, so lehren, daß der obangezeigten keines christlich sei.“ Allerdings wird auch die Grenze für den Obrigkeitsgehorsam angegeben; er ist geboten „in allem, so ohne Sunde geschehen mag. Dann so der Oberkeit Gebot ohn Sund nicht geschehen mag, soll man Gott mehr gehorsam sein dann den Menschen.“

Allmachtssehnsucht

Die Kritiker der Lehre vom „gerechten Krieg“ weisen jedoch mit Recht darauf hin, dass sie immer dazu missbraucht wurde, ungerechte Kriege zu rechtfertigen. Subjektiv ist der Kriegsheld, der an Gott glaubt, davon überzeugt, dass Gott seiner gerechten Sache zum Sieg verhelfen wird. Aber wer garantiert, dass Gott wirklich auf seiner Seite steht?

In Jeftahs Gottvertrauen mischt sich ein gegenläufiges Element: der Wunsch nach Kontrolle über Gott. Reicht es aus, einfach auf Gott zu vertrauen? Wenn die Situation ihm aus den Fingern zu gleiten droht, gibt es nicht Möglichkeiten, sie dennoch in den Griff zu kriegen?

Hier zeichnet sich die Grenze der Besonnenheit Jeftahs ab, genau an der Stelle, an der er seine eigene menschliche Begrenztheit eben doch nicht anerkennen möchte. Obwohl der Geist des Herrn über Jeftah kommt (11, 29), verfällt er dem verhängnisvollen Wunsch, den Sieg über die Ammoniter garantieren zu wollen. Jeftah schließt mit Gott einen Handel ab, wie er im Volksmärchen bezeichnender Weise mit dem Teufel eingegangen wird (18): Im Falle seines Sieges will er Gott zum Brandopfer darbringen, was ihm bei seiner Rückkehr als erstes aus seinem Haus entgegenspringt (Richter 11, 30-31). Keine Spur mehr von Besonnenheit – „ein unbestimmtes, leichtsinniges Wort“, bewertet Huub Oosterhuis diesen Schwur. „Hier spricht jemand, der nicht nachdenkt, der die Reichweite seiner Worte und die Konsequenzen seiner Antriebe nicht kennt“ (19).

So versucht Jeftah, „sich Gott verfügbar zu machen“, und das „ist nach der Auffassung der Bibel das schlimmste Fehlverhalten, das der Mensch Gott gegenüber zeigen kann“ (20). Um ein unabwägbares Risiko zu vermeiden, legt Jeftah ein „Gelübde… der Glaubenslosigkeit“ ab. Er „wünscht, Gott an sich zu binden, anstatt die Gabe des Geistes zu empfangen“ (21). „Im Bewusstsein der Gefahr und in einem echt menschlichen Misstrauen gegen Gott dringt er in ihn, nötigt ihn sozusagen zur Hilfe, erniedrigt ihn fast zu seinem, des Menschen, Werkzeug“ (22).

Die Sehnsucht nach Sicherheit durch eigene Handlungen jenseits des Vertrauens auf etwas, was nicht in der eigenen Macht steht, war auch in Präsident Bush’s rascher  Ankündigung wahrzunehmen, Amerika werde die Welt in einem lange währenden Krieg vollkommen vom Terrorismus befreien (23) – beschwörende Worte, nicht frei von eben der Allmachtsphantasie, die mit den WTC-Türmen zum Einsturz gebracht wurde. Hatten wir uns in der westlichen Welt nach dem Ende des Kalten Krieges in der endlich weltweit herrschenden Pax Americana mit ihrer Macht der Märkte nicht in einer scheinbaren Sicherheit gewiegt? Doch unübersehbar wurde in den Terroranschlägen in New York und Washington deutlich: Auch die mächtigste Nation und das erfolgreichste Wirtschaftssystem der Welt sind nicht allmächtig, sondern verwundbar.

Kann die Antwort auf die Erkenntnis dieser Verwundbarkeit ernsthaft darin bestehen, auf alte Rezepte zurückzugreifen, mit denen absolute Sicherheit zu garantieren wäre? „Wahren Mut würden wir beweisen, wenn wir jegliche Kontrolle aufgeben würden. Wir sind alle Betrüger, verstecken uns hinter Masken, weil wir völlig imperfekte, sehr unsichere und verwundbare Kreaturen sind“ (24). Der Fortgang der Jeftahgeschichte mahnt: Gerade der Wunsch nach Kontrolle in einem Bereich, in dem absolute Sicherheit nicht erreichbar ist, führt zum Kontrollverlust.

Kollateralschaden

An welcher Stelle ist der erfolgreiche Kriegsheld Jeftah verwundbar? Er erzielt in der Tat einen überwältigenden Sieg gegen die Ammoniter (Richter 11, 32-33). Aber nicht von ungefähr trägt ein Teil von Reinthalers Oratorium den Titel: „Der Sieg und das Leid“ (25). Denn ausgerechnet die Tochter des Heerführers selbst ist es, die Jeftah – seinen Sieg bejubelnd – entgegenzieht. Unausweichlich vollzieht sich die Tragödie: dem Schwur des Vaters folgend muss die Tochter auf dem Brandopferaltar sterben. Der gut-lutherische Oratorien-Komponist Reinthaler sucht zwar einen Ausweg aus dem Dilemma, dass einem barmherzigen Gott ein unschuldiges Opfer dargebracht werden soll (26), aber hier gibt es kein Einschreiten durch den Engel Jahwes wie bei der Schlachtung Isaaks durch Abraham. Der tragische Ausgang zeugt von einer realistischen Einsicht in menschliche Geschichte, die in ihrer Härte bis heute nicht überholt ist.

Jeftahs Tochter ist für mich ein Urbild der sogenannten Kollateralschäden, die unbeabsichtigt auch bei noch so zielsicheren und als gerecht empfundenen Kampfhandlungen unter nicht am Kampf beteiligten Menschen in Kauf genommen werden. „Diese Tochter steht für alle hingemähten, brandgeopferten Menschenkinder, deren Leben leichtsinnig oder vorsätzlich aufs Spiel gesetzt wird“ (27). Sie bleibt in der Bibel namenlos. Sie wird Gott geopfert als ein Kind Gottes, und Gott bleibt bei ihr – darum nenne ich sie „Tochter Jahwes“, auf hebräisch „Bat-Jah“.

Wer als „Macher“ das Heft in der Hand behalten möchte, statt sich zu den Machtlosen zählen zu müssen, mit denen Mächtige alles machen können, kann nicht umhin, zum „Täter“ zu werden. Auch wer keine Rache ersehnt, sondern mit Hilfe militärischer Gewalt neuen Terror gegen unschuldige Opfer verhindern will, erzeugt nahezu zwangsläufig neue unschuldige Opfer. Durch Dörfer rasende Autofahrer werden auf Schildern gewarnt: „Es könnte auch dein Kind sein“. Jeftah hat buchstäblich sein eigenes Kind im Streben nach dem absoluten Sieg geopfert und erfährt hautnah: Militärische Siege sind immer auch Verluste, bringen immer Leid mit sich. Und der Feldherr setzt nicht nur als Soldat sein eigenes Leben aufs Spiel, was Jeftah in Richter 12, 3 ausdrücklich betont, sondern nimmt immer auch Verluste fremden und unschuldigen Lebens in Kauf.

Nicht zu Unrecht kritisiert Elke Rüegger-Haller daher die uneingeschränkt rühmende Erwähnung des Richters Jeftah im Hebräerbrief (11, 32-24). „Seine Gerechtigkeit wird gerühmt – bis heute. Er, der seine Tochter für seine Macht- und Herrschaftsgelüste und sein Nicht-auf-den-Geist-des-Herrn-vertrauen opferte und so zum Mörder wurde, wird als Glaubensheld gerühmt, im Großen und Ganzen unwidersprochen“ (28).

Auch der Fortgang der Erzählung erschüttert das Vertrauen in Jeftahs militärische Besonnenheit. Im Bruderkrieg, den die Ephraimiter vom Zaun brechen, lässt Jeftah 42.000 Mann niedermetzeln. Die gewaltsame Abwehr von Gewalt führt schon damals nicht schnurstracks zum Frieden, sondern bringt weitere Gewalt an anderen Fronten hervor. Auch nach dem Machtwechsel in Kabul blieb die Zukunft Afghanistans von Anfang an ungewiss wegen der Konflikte innerhalb der Nordallianz. Und Bin Laden – war er nicht ehemals ein willkommener Bundesgenosse des Westens im Kampf gegen den Kommunismus gewesen? „Die Diktatoren im Nahen Osten sind alle Kinder der USA“, meinte die irakische Mutter eines kleinen Mädchens aus unserem Kindergarten, die ich am 12. September 2001 an der Bushaltestelle vor unserer Kirche traf. Mitten in der Bestürzung über die New Yorker Terroropfer erinnerte sie mich an die Kinder, die 1991 in den von amerikanischen Fliegern bombardierten Hochhäusern umkamen. Kollateralschäden in einem gerechten Krieg?

Hält man Kollateralschäden für unvermeidlich, kann einem sogar die Formulierung vom „Kollateralnutzen“ einfallen (29): Ohne den militärischen Anti-Terror-Einsatz gegen die Taliban wären die afghanischen Frauen nicht aus ihrer Unterdrückung befreit worden. Hätten sie aber wirklich, wenn sie gefragt worden wären, dafür freiwillig den Preis zahlen wollen, dass sie und ihre Kinder dem Bombenhagel der modernen Kriegsführung ausgesetzt werden (30)?

Batjah – das Opfer als Heldin

Das Blickfeld der Erzählung weitet sich, indem das unschuldige Opfer des unbedachten Schwurs ins helle Rampenlicht gerückt wird: Jeftahs Tochter. Die Jeftahgeschichte wird zur Geschichte Batjahs, die mitten in ihrem Siegesjubel vom Vater erfährt, dass er sie auf dem Opferaltar zu verbrennen gelobt hat. Huub Oosterhuis merkt an: „Das Mädchen ist ein wohlerzogenes Töchterchen. Sie gehorcht ihrem Vater, seine Interessen sind die einzig denkbaren: Krieg gewinnen, Rache nehmen an den Feinden. So ist das herrschende System, so wird das Leben erlebt, durch Millionen noch immer – die Jeftah-Erzählung ist ein aktuelles Gleichnis“ (31). Doch bei genauerem Hinsehen bleibt die Tochter nicht nur passives Objekt der Gewalt, sondern sie erweist sich gerade in ihrem Gehorsam als Heldin. Sie reagiert besonnener auf die schreckliche Situation als ihr Vater, der sie herbeigeführt hat. Selbstbewusst tut Batjah zwei Dinge: sie nimmt ihr Schicksal an und erbittet von ihrem Vater Trauerzeit.

Die Schlüsselszene der Erzählung (11, 35-37), ein äußerst vielschichtiger, dichter Text, lässt ein deutliches Profil der Charaktere des Vaters und der Tochter hervortreten: „Und als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sprach: Ach, meine Tochter, wie beugst du mich und betrübst mich! Denn ich habe meinen Mund aufgetan vor dem HERRN und kann’s nicht widerrufen. Sie aber sprach: Mein Vater, hast du deinen Mund aufgetan vor dem HERRN, so tu mit mir, wie dein Mund geredet hat, nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern. Und sie sprach zu ihrem Vater: Du wollest mir das gewähren: Lass mir zwei Monate, dass ich hingehe auf die Berge und meine Jungfrauschaft beweine mit meinen Gespielen.“

Jeftah, der Held als Macher, ist mit seiner Macht am Ende. Er muss erkennen, dass er sein Ziel, den absoluten Sieg, nicht vollkommen erreicht hat, nicht ohne ein Opfer jedenfalls, das ihn selbst im Innersten trifft. Er empfindet sich im Zustand der Trauer als machtlos; letztlich lähmt er sich selbst in seiner Verzweiflung, da er es nicht ertragen kann, für den Tod seiner Tochter verantwortlich zu sein. Einerseits sieht er sich als Opfer des Opfers und schiebt der Tochter die Schuld zu; warum musste gerade sie ihm entgegenkommen? Wahr daran ist, dass er nun erkennen muss: Er war mitnichten der allmächtige Macher, er wird zum Opfer seines eigenen Allmachtswahns. Auf der anderen Seite steht er machtlos vor Gott wie vor einem unentrinnbaren und letztlich unpersönlichen Schicksal und sieht sich außerstande, mit ihm um Gnade für seine Tochter zu ringen, wie es Mose unter Einsatz alles dessen, was ihm von Gott geschenkt war, für das Volk Israel getan hatte: „Vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn nicht, dann tilge mich aus deinem Buch, das du geschrieben hast“ (2. Buch Mose 32, 32).

Batjah dagegen übernimmt in freier Entscheidung Verantwortung für die Tat des Vaters und unterstreicht den militärischen Erfolg, den der Schwur des Vaters ja offenbar hatte. Der englische Dichter Lord Byron besingt denn auch in einer seiner „Hebräischen Melodien“ die Tochter Jeftahs als Inbegriff einer patriotischen Kämpferseele, die sich selbst dem Wohl des Vaterlandes aufopfert und sich wünscht, dass der Vater stolz auf sie ist (32). „Das ‚Soldatenkind‘, das mit keiner Wimper zuckt, macht einen besseren Eindruck als der verzweifelte Vater“ (33) – so beurteilen sie auch theologische Exegeten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. „Die Tochter gibt sich willig in das Unvermeidliche. Die gelungene Rache am Feind, die Sache des Volkes und seine Rettung… gilt ihr höher als das Leben“ (34). Folgerichtig identifiziert Carl Reinthaler in seinem Oratorium das Mädchen mit Mirjam, Aarons und Moses Schwester, die den Untergang der Ägypter besingt. Sie setzt das Vertrauen in ihren Vater, dass er mit der Hilfe Gottes die Feinde besiegt: „Der Herr wird deine Feinde vor dir schlagen“ (35). Diese Haltung erinnert an den Brief, den ein kleines Mädchen kurz nach dem 11. September 2001 an George W. Bush schrieb, sie sei zwar traurig und habe Angst um ihren Papa, wenn er in den Krieg gegen die Terroristen ziehe, aber es müsse sein, und darum vertraue sie ihn dem Präsidenten von Amerika doch an. „Welch ein Patriotismus“, meinte unser 22jähriger Sohn, als er diese Fernsehnachricht hörte.

Besonnenheit in der Rache?

Batjah ist übrigens die einzige in dieser Erzählung, die das Wort „Rache“ in den Mund nimmt: „nachdem der HERR dich gerächt hat an deinen Feinden, den Ammonitern“ (Richter 11, 36). Sie akzeptiert, dass Gott ihren Vater als Feldherrn und mittelbar auch das Opfer ihres eigenen Lebens dazu benutzt hat, um Rache zu üben. Dass gerade Kinder und Jugendliche dazu verführbar sind, mit Begeisterung ein Vergeltungsdenken der Erwachsenen zu übernehmen, war einem epd-Artikel über die Radikalisierung der palästinensischen Jugend zu entnehmen (36). Auf jedem Schulhof können Kinder Opfer und Täter zugleich sein, als Kindersoldaten sind sie es erst recht in extremem Ausmaß, fanatisierte Kinder ohne andere Perspektiven sind potentielle Selbstmordattentäter von morgen. Insofern ist es kein Wunder, dass auch das Opfer Batjah in Gewaltkategorien denkt.

„Rache“ im Alten Testament entspringt allerdings keineswegs der blindwütigen Vergeltungssucht eines unbarmherzigen Gottes, die seit dem altkirchlichen Marcion in den Augen vieler dem „alttestamentarischen“ Gott wie ein Makel anhaftet. Folgt man dem Alttestamentler Jürgen Ebach, so handelt Gott als Rächer nicht aufgrund seiner gekränkten und wiederherzustellenden Ehre, also im Grunde aus einer Position der Schwäche, sondern er handelt in seiner Allmacht als der, der Gerechtigkeit für sein Volk herzustellen vermag (37). „Rache ist im alttestamentlichen Sprachgebrauch keine emotionale und unverhältnismäßige Reaktion. Rache bedeutet eine Unterbrechung des Unrechts und die Herstellung von Recht und Freiheit. Wird Rache mit Befreiung zusammengedacht, dann heißt das nichts anderes, als dass die Verhältnisse nicht als gottgegeben akzeptiert werden und Gott angerufen wird in der Hoffnung, er möge das Unrecht nicht bestätigen, sondern destruieren“ (38). Trotz des eigenmächtigen Schwurs ihres Vaters, mit dem er Gottes Hilfe hat erzwingen wollen, hält Batjah also daran fest, dass die wiederhergestellte Gerechtigkeit für das Volk Israel ein Geschenk Gottes ist.

Ist Besonnenheit im Umgang mit Rache durchzuhalten? „Wir dürfen vermuten, dass in der Geschichte Israels faktisch mehr als einmal die Konzeption der Kriege Jahwäs mit sehr menschlichen Vorteilserwägungen vermischt wurden“. Schon „die Vorstellung des selbst kriegführenden Gottes“ wirkt ja aus unser heutigen Sicht „befremdlich, ja abstoßend“ (39), zumal wenn sie so grausame Auswirkungen hat wie in der „Bannung des Feindes“, die ins „Repertoire sakraler Kriegsformen“ aufgenommen wurde: „Das bedeutete, dass man über das Verfügungsrecht der Beute zugunsten des Gottes verzichtete; die Übereignung des feindlichen Gutes an den göttlichen Kriegsherrn erfolgte gern durch Verbrennung“ (40). Ähnliche Zeugnisse brutalster Gewaltausübung im Namen eines rächenden Gottes oder im Rahmen eines Heiligen Krieges gibt es in jeder der drei monotheistischen Religionen. Hans Küng warnt in diesem Zusammenhang davor, Religionen als Gesamtgrößen gegeneinander auszuspielen, als ob das Christentum als Ganzes von der Feindesliebe Jesu geprägt sei und der Islam als Ganzes von einer politisch-theokratischen Idee der Weltbeherrschung. In seiner Paradigmenanalyse der Weltreligionen hebt er ins Bewusstsein, dass zum Beispiel im Zeitalter der Kreuzzüge das mittelalterlich-zentralistische römisch-katholische Paradigma auf ein sich zunächst liberal verstehendes islamisches Paradigma traf – mit verheerenden Auswirkungen. Ganz Arabien und Kleinasien ging dem Christentum verloren, weil die innere Widerstandskraft gegen den Islam und am Ende auch die äußere Gewalt nicht ausreichte (41).

Zu denken gibt, dass die christlichen Kirchen erst im Zuge der religionskritischen Aufklärung allmählich Abstand davon genommen haben, Ketzer und Hexen zu verbrennen und Toleranz gegenüber der körperlichen Unversehrtheit von Andersglaubenden zu üben. Gegenwärtig hat es den Anschein, als ob vor allem fanatische Anhänger des Islam noch vordemokratischen Paradigmen anhängen. Aber wie weit geht die Akzeptanz des aufklärerisch-demokratischen Paradigmas im christlich-abendländischen Bereich, wenn auch hier das Kreuzzugsdenken in den Köpfen nicht gänzlich überwunden ist und noch immer „Achsen des Bösen“ konstruiert werden, denen gegenüber fast alle Mittel der Gewalt eingesetzt werden dürfen? Christliche Arroganz gegenüber „alttestamentarischem“ Rachedenken ist kaum angebracht, gilt doch die radikale Feindesliebe Jesu und die aus ihr folgende eindeutige Absage an militärische Mittel auch im beginnenden 21. Jahrhundert als unrealistische Option europäisch-amerikanischer Politik (42). Wenn wir uns wenigstens auf das in der alttestamentlichen Rache verborgene Ziel der Herstellung von Gerechtigkeit rückbesännen, um „den gesellschaftlichen Resonanzboden für Terroristen aus Armut, sozialem Elend und verletztem Stolz“ abzubauen (43), und  die Mahnung des Bundespräsidenten beherzigten: „Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit wird der Friede sein“ (44).

Trauerzeit – Raum für den Frieden

Batjahs weibliche Besonnenheit erstreckt sich schließlich auf eine Seite ihres Heldentums, die ihr Vater und die patriotischen Kommentatoren ihrer Geschichte völlig außer Acht lassen: die Trauer, die Tränen, den Verlust ihres unschuldigen Lebens als Jungfrau. Batjah bejaht die Rache und das Opfer, das zugunsten der Gerechtigkeit gebracht werden muss. Und sie tut mehr. Klarsichtig äußert Jeftahs Tochter ihren letzten Wunsch – das Recht, trauern zu dürfen.

Offenbar ein Kind ohne mütterlichen Schutz, will sie sich mit ihren Freundinnen für zwei Monate in die Berge zurückziehen, um ihre Jungfrauschaft zu beweinen. Sie bewahrt damit ein unerschütterliches Vertrauen auf den unendlichen Wert und Sinn ihres Lebens trotz seiner Zerbrechlichkeit und seines bevorstehenden Verlustes. Erstaunlich und anrührend, zwischen all den Kriegsschilderungen der Richterzeit eine Erzählung zu finden, die darauf besteht, fühlen zu dürfen – inmitten von lähmendem Entsetzen und einem gefühlskalten Kriegskalkül.

Ist es selbstverständlich, dass Jeftah ihren Wunsch erfüllt? Zur Zeit der kommunistischen Herrschaft in Albanien kam es vor, dass man Angehörigen liquidierter Dissidenten weder eine Trauerfeier noch die Kenntnis der Grabstätte erlaubte (45). Indem Jeftah auf das Anliegen der Tochter positiv eingeht: „Geh hin! und ließ sie zwei Monate gehen“ (Richter 11, 38a), eröffnet er einen Raum des Zivilen und eine Zeit für persönliche Rituale über ausschließlich von Rache und Gewalt geprägte Denkweisen hinaus.

Könnte Friedensethik am Beginn des 21. Jahrhunderts an dieses grenzüberschreitende Zugeständnis eines Feldherrn anknüpfen? Der Friedenstheoretiker Erhard Eppler denkt neuerdings über eine Arbeitsteilung zwischen Militär, Polizei und Pazifisten nach. Wo die Grenzen zwischen staatlicher und krimineller Gewalt verschwämmen, müssten Polizei bzw. Militär oft erst das Morden beenden, bevor Frieden aufgebaut werden könne – und für das letzere seien pazifistische Gruppen die besten Fachleute (46). Ich halte diese Erwägungen für bedenkenswert, damit pazifistisches Denken nicht Gefahr läuft, sich auf eine gesinnungsethische innere Haltung des guten Gewissens zu beschränken oder in fruchtlosem Anrennen gegen Windmühlenflügel zu resignieren. Auch die „Arbeitsgemeinschaft für christliches Friedenszeugnis“ gesteht staatlichen Organen zu, dass sie die „Gemeinde Jesu bei der Aufgabe, Unheil und Gewalttat in der menschlichen Gesellschaft zu überwinden“, notfalls dadurch unterstützen, „dass sie Terror und Gewaltmissbrauch auch gewaltsam beenden.“ Da auch die „gewaltgläubige Gesellschaft“ es nicht dazu kommen lassen will, „dass uneingeschränkte Gewaltausübung zur Selbstzerstörung der Menschheit führt“, ist es der Gemeinde Jesu möglich, „an Maßnahmen, Ordnungen, Gesetzen und Initiativen mitzuarbeiten, die dem friedlichen Zusammenleben der Bürger und Fremden, der Völker und Religionen dienen. Hierbei sind kleine Schritte von Bestand hilfreicher als Überforderungen, die zu neuem Unfrieden führen“ (47).

Ausblick auf den Sohn der Jungfrau

Wie hoch die Rolle Batjahs in der Bibel eingeschätzt wird, zeigt sich darin, dass das Ritual ihrer Trauer in den Bergen ihren Tod überdauert und von Generationen junger Frauen aufgegriffen wird (Richter 11, 38b-40). Späte Reflexe dieser Tradition erkenne ich in der lukanischen Geburtsgeschichte Jesu (Lukas 1, 39.48.56), als Maria in der Zeit ihrer Schwangerschaft in den Bergen bei ihrer Verwandten Elisabeth Zuflucht sucht (48).

So kündigt sich über die von mir herausgearbeitete „alttestamentarische Besonnenheit“ hinaus im Richterbuch, Kapitel 11, ein neuer Typus des Helden an. Das tiefe, starke Ritual der Trauer nimmt die Realität menschlicher Gewalt- und Leidverstrickung ernst und lässt uns vorausblicken auf den, der „Gott-Held“ genannt werden wird. „Der einzige andere biblische Charakter, der durch einen Patriarchen zum Guten seines Volkes geopfert wird, ist Jesus – der einen interessanten Kontrast bildet zur Brandopferung von Jeftahs namenloser jungfräulicher Tochter“ (49). Das Schicksal der Gottestochter Batjah, die als Jungfrau stirbt, erinnert an den Sohn der Jungfrau, der – allerdings in ganz anderer Weise – als Gottessohn sterben wird.

Jesus wird nicht zum Sohn eines allmächtigen Rächer- oder Macher-Gottes überhöht, tritt also nicht in die Fußstapfen des Gewalthelden Jeftah. Stattdessen lässt er sich wie die Heldin Batjah zum Opfer menschlicher Gewalt machen, die im Falle Jesu nicht einmal davor zurückschreckt, den Christus Gottes selbst ans Kreuz zu schlagen. Im Unterschied zu Batjah wird allerdings in Jesus nicht einfach ein weiterer endlicher Mensch geopfert, nicht einer von vielen, sondern in ihm leidet Gottes Seele selbst – mit allen Opfern dieser Welt. Jesus verzichtet auf Selbsterhaltung aus einem grenzenlosen Gottvertrauen heraus; er wird zum wahrhaft unschuldigen Opfer und kann, indem keine Gewalt in ihm selbst ist, die Gewalt der Feinde überwinden (50).

Anmerkungen

(1) Jürgen Habermas, Dankesrede des Friedenspreisträgers, Glauben und Wissen, im 2. Abschnitt. Zitiert nach einem Download von der Internetseite www.erzbistum-muenchen.de/EMF070/EMF006977.asp (inzwischen nicht mehr verfügbar) des Erzbistums München.

(2) Margarete Drebes, über 80jähriges Gemeindeglied der evangelischen Paulusgemeinde Gießen, hätte sich in ihrem am 13. September 2001 verfassten Gedicht unter dem Titel „Warum?“ genau das gewünscht: Der elfte September 2001, wer kann ihn vergessen? / … / Nach Lukas waren Christi Worte am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ / Doch ich fürchte, man wird nicht eher ruhn, bis die Hintermänner zur Strecke gebracht, die bei so viel Trauer nur Hohn gelacht! / Gebe Gott, dass kein Weltenbrand draus entsteht, dass die Menschheit jetzt mehr in sich geht / sich rufen lässt zu Gottesdienst und Gebet und zum Glauben kommt, ehe es zu spät. / … / Christi Blut hat uns erlöst von aller Schuld, handelt wie er und habt Geduld! / Gottes Macht viel größer ist als alle Feigheit und Satans List. / Bittet für die, die mit Schuld beladen, so vielen Unschuldigen brachten Tod und Schaden. / Gott ist ihr Rächer, er hört unsere Bitten und ist zur Hilfe schon geschritten. / Faltet die Hände, bleibt nicht mehr stumm, Gott ist die Rettung, er allein weiß WARUM?“

(3) Theodor Ebert, Pazifismus nach den Terroranschlägen in den USA. In: Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit, Heft 129, 4. Quartal 2001, S. 14: „Die Amerikaner hätten es bei der Trauerfeier von New York belassen und auf einen Rachefeldzug gegen Afghanistan oder andere angebliche Schurkenstaaten verzichten sollen. Natürlich sollte weiteren Attentaten auch durch Vorsichtsmaßnahmen vorgebeugt werden. Doch… der Schwerpunkt der Anstrengungen beim Kampf gegen den Terrorismus sollte auf dem Gebiete des Strebens  nach mehr sozialer Gerechtigkeit liegen.“ Ebenda, S. 10f.: „Die Afghanen brauchen keine Bomben. Sie brauchen Care-Pakete. Die Quäker-Speisung und die Care-Pakete, die haben uns deutsche Schulkinder für das demokratische Amerika eingenommen… Später habe ich bei dem schwarzen Amerikaner Martin Luther King, Jr. die Strategie und Taktik der gewaltfreien Aktion gelernt. Eine ihrer Regeln ist: Schreibe dein eigenes Drehbuch und tue das Unerwartete! Die Afghanen fürchten die amerikanischen Bomben und Cruise Missiles. Warum senden wir ihnen nicht stattdessen Care-Pakete? Anstelle von Big Stick sollte die Parole sein: Take care!“

(4) So zum Beispiel der beim Spiegel tätige Journalist Reinhard Mohr im Feuilleton des Tagesspiegel vom 24. September 2001: „Das feige Denken. Nach dem Schock hat in den Medien und auf Diskussionsveranstaltungen die Debatte über Ursachen des globalen Terrors begonnen. Künstler und Intellektuelle flüchten sich in antiamerikanische Ressentiments.“

(5) Dem Siegener Lehrer Bernard Nolz wurde eine „unheimliche Allianz mit den Terroristen“ unterstellt, als er in einer Rede bei einem „Trauermarsch“ Siegener SchülerInnen unter der Losung „Gegen Terror, Gewalt und Krieg“ sagte: „Vielmehr sind Besonnenheit und Mäßigung gefragt, um die Spirale der Gewalt zu stoppen! Rachefeldzüge und Vergeltungsschläge machen alles nur noch schlimmer und sie treffen Unschuldige! … Militärschläge nützen weder den Opfern des Terrors noch sind sie ein geeignetes Mittel zur Verhinderung des Terrorismus… Hilfsorganisationen und Friedensdienste sollten in die Krisengebiete geschickt werden“ – zitiert im Rundbrief des Internationalen Versöhnungsbundes – Deutscher Zweig e. V., Heft 4 / 2001, S. 6: Artikel „Pazifistische Kollateralschäden“. Im folgenden Internetbeitrag des WDR http://www.wdr.de/themen/politik/nrw/friedenspreis_aachen/index.jhtml?rubrikenstyle=politik (inzwischen nicht mehr verfügbar), in dem auch die Verleihung des Aachener Friedenspreises am 3. September 2002 an Bernhard Nolz gemeldet wurde, ist außerdem zu lesen: „Die Bezirksregierung Arnsberg suspendierte Nolz vorübergehend vom Dienst, er durfte elf Wochen nicht unterrichten. Anschließend wurde er von der Siegener Bertha-von-Suttner-Gesamtschule an eine Schule nach Kierspe versetzt.“

(6) Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980, S. 27: „Vom ‚Heiligen Krieg‘ zu sprechen, empfiehlt sich vom Befund der alttestamentlichen Texte her kaum. Der Begriff kommt in der hebräischen Bibel nicht vor, dem Krieg selbst kommt im alten Israel nicht mehr Heiligkeit zu als anderen Lebensbereichen.“

(7) Laut Peter Gruber, Tickende Zeitbomben,  Focus 6/200, S. 212, befürchtet der amerikanische Präsident, dass  „Tausende von gefährlichen Killern, im Töten geschult und oft unterstützt von gesetzlosen Regimen“, jederzeit neue Anschläge verüben könnten, und er nannte „in seiner Rede zur Nation drei dieser ‚gesetzlosen Regime‘ beim Namen: Iran, Irak und Nordkorea. Sie besäßen Massenvernichtungswaffen, würden Terroristen Unterschlupf gewähren und damit als ‚Achse des Bösen‘ den Weltfrieden bedrohen.“

(8) Theodor Ebert, Pazifismus nach den Terroranschlägen in den USA. In: Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit, Heft 129, 4. Quartal 2001, S. 7. Ebenda, S. 9f.: „Es gibt eigentlich keinen Kampf der Kulturen, aber es kann passieren, dass die armen Moslems verschiedener arabischer Staaten sich mit den Taliban solidarisieren und es dann auch in einigen arabischen Staaten zu einer neuen inneren Frontbildung kommt und ganze Regionen sich destabilisieren“.  Der Abgeordnete Dr. Peter Struck betonte in seiner Rede im Deutschen Bundestag am 19. September 2001 zwar einerseits ebenfalls: „Die militärische Abschreckung funktioniert bei Staaten, aber nicht bei zu Selbstmord bereiten Terroristen“, kündigte aber im gleichen Atemzug „eine militärische Vergeltung für den kriegerischen Terroranschlag auf das World Trade Center und das Pentagon“ an, nämlich für den Fall, „wenn klar ist, wer die verantwortlichen Kräfte und die sie unterstützenden Staaten sind.“

(9) Michael Naumann, Bombenstimmung. Feldzug gegen Terror und Saddam – richtige Ziele, falsche Mittel. In: Die Zeit, Nr. 45 vom 31. Oktober 2002, S. 1: „Die propagandistische Verwandlung aller Tschetschenen in potenzielle Terroristen diente der Rechtfertigung von russischen Rachefeldzügen. So wurde dort der Boden für den wahren Terrorismus bereitet.“

(10) Theodor Ebert, Pazifismus nach den Terroranschlägen in den USA. In: Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit, Heft 129, 4. Quartal 2001, S. 25: „Im Leben des Israeliten wie seiner Nachbarn gehört der Krieg zu den Realitäten des Lebens. Um so wichtiger scheint mir eine Tendenz in der Konzeption der Schilderung und Beurteilung der Kriege Israels, die den Krieg geradezu aus dem Verfügungsbereich des Menschen herausnimmt… Darauf liegt alles Gewicht, dass Jahwä die Kriege führt, in denen es um die Rettung Israels geht.“ Ebenda, S. 27: „Von einer Ächtung des Krieges, von Pazifismus gar kann in weiten Teilen des Alten Testaments nicht die Rede sein. Für die Schichten des Alten Testaments, die positiv von Jahwäs Kriegen sprechen, die die Härte, ja Grausamkeit der Jahwäkriege um nichts beschönigen, gilt aber: Der Krieg ist kein Mittel menschlicher Politik!“

(11) Claudia Jacobs, Markus Krischer und Susanne Wittlich, Rückkehr der Helden, Focus 9/2002, S. 58-65. Karen Breslau, Eleanor Clift und Evan Thomas, „Wir stürmen jetzt vor“, Focus 50/2001, S. 90-98 (der Artikel stammt ursprünglich aus der Zeitschrift Newsweek).

(12) So der Berliner Politologe Herfried Münkler im Interview mit Markus Krischer, „Heroismus ist unverzichtbar“, Focus 9/2002, S. 68.

(13) Carl Martin Reinthaler, „Jephtha und seine Tochter“, Libretto, Teil I. Die Not der Kinder Israel. Der Text ist unter dem Link http://home.t-online.de/home/konzertchor.coburg/konz96.htm zu finden [leider funktioniert der Link – Stand 1.4.2006 – nicht mehr].

(14) Jürgen Habermas, Dankesrede des Friedenspreisträgers, Glauben und Wissen, zweiter Abschnitt: „Als hätte das verblendete Attentat im Innersten der säkularen Gesellschaft eine religiöse Saite in Schwingung versetzt, füllten sich überall die Synagogen, die Kirchen und die Moscheen.“

(15) Huub Oosterhuis, God als Valkuil, S. 32. In: Derselbe, Hagepreken, Baarn 1987, S. 29-36: „Zo ingewikkelt is geschiedenis: geest van Adonai – bevrijding, geest van Jefta – eerzucht, wraakzucht; heilige geest, zieke geest.“

(16) Dr. Peter Struck im Deutschen Bundestag am 19. September 2001: „Wer befürchtet hatte, die USA würden unüberlegt und in blindem Schmerz auf die Anschläge antworten, sieht sich getäuscht. Die USA haben wohl überlegt angefangen, eine breite Koalition gegen den internationalen Terrorismus zu schmieden, und haben deutlich gemacht, dass seine erfolgreiche Bekämpfung den Einsatz unterschiedlichster Mittel mit langem Atem erfordert.“

(17) Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen, 6. Auflage 1967, S. 70f.

(18) So zum Beispiel im Märchen: „Das Mädchen ohne Hände“, im Internet unter dem Link http://de.wikisource.org/wiki/Das_M%C3%A4dchen_ohne_H%C3%A4nde_(1850) zu lesen.

(19) Huub Oosterhuis, God als Valkuil, S. 32. In: Derselbe, Hagepreken, Baarn 1987, S. 32: „Dit is een vage, roekeloze tekst… Hier is iemand aan het woord die niet nadenkt, die de reikwijdte van zijn woorden en de consequenties von zijn aandriften niet kent.“

(20) Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980, S. 27.

(21) Phyllis Trible, Mein Gott, warum hast du mich vergessen! Frauenschicksale im Alten Testament, 3. Auflage, Gütersloh 1995, S. 140.

(22) Das Buch vom Lande Gottes. Josua und Richter, ausgelegt von Karl Gutbrod, Stuttgart 1936, S. 242.

(23) „Die Bevölkerung solle sich auf einen ‚langen Kreuzzug‘ vorbereiten, der die Welt vom Terrorismus befreien soll“, so US-Präsident Bush laut Internet-Zeitung Standard.at vom 17.9.2001.

(24) So der Schauspieler Anthony Hopkins in einem Interview mit Anke Sterneborg im Focus 44/2002, S. 172.

(25) Carl Martin Reinthaler, „Jephtha und seine Tochter“, Libretto, Teil IV. Der Sieg und das Leid.

(26) Wohl lässt er den Chor singen: „Gott, du bist mein Gott, deine Güte ist besser denn Leben“ (Teil IV, letzter Gesang), wohl schildert er die Bereitschaft der Tochter, für Vaterland und Gott zu sterben, durchaus mit Anklängen an Jesu Opfer auf Golgatha – „Sie geht dahin wie ein Lamm, das zum Tode geführet wird, ohne Klage“ (Teil V. Die Entscheidung, 6. Gesang) – und an die Demut der Mutter Jesu – „ich bin des Herren Magd, und der Tod der Gerechten ist wert vor ihm“ (Teil IV, vorletzter Gesang) -, aber letzten Endes erfindet er als Kind der Neuzeit die Figur des rebellischen Israeliten Ephraim, der zum Aufruhr gegen Jephtha aufruft, um seine Tochter zu retten, und ganz zum Schluss wird das Gebet Jeftahs erhört, Gott möge mit ihm so gnädig verfahren wie mit Abraham, der seinen Sohn Isaak am Ende doch nicht opfern musste. – Auch im letzten Werk Georg Friedrich Händels (The Works of George Frederic Handel: Jephtha. An Oratorio. Edited by Friedrich Chrysander, Leipzig 1886) bricht in Anlehnung an die Abraham-Isaak-Geschichte ein Engel die schon begonnene Opferhandlung ab, und Jeftahs Tochter, die er Iphis nennt, wird stattdessen als Jungfrau dem Herrn geweiht. – In ähnlicher Weise verwandelte man schon im Mittelalter das Opfer Batjahs in den Gang ins Kloster. Ich verweise dazu auf den Link http://www.bibelwelt.de/Studien/Batjah/batjah.html#Jungfraeulichkeit.- Schon Martin Luther hatte allerdings zu solchen Uminterpretationsversuchen geschrieben: „Man will, er habe sie nicht geopfert, aber der Text steht klar da“ – zitiert in dem exegetischen Werk: „A Critical and Exegetical Commentary on Judges by George Foot Moore, New York 1901“, S. 304. – Einen modernen versöhnlichen Schluss der Batjah-Geschichte entwirft – feministisch angehaucht, anachronistisch, aber reizvoll – die südafrikanische Dichterin Riana Scheepers in ihrem Buch Onbevlekte Ontvangenis. Uit het Afrikaans vertaald door Riet de Jong-Goossens, Amsterdam 1995. Näheres ist unter dem Link http://www.bibelwelt.de/Studien/Batjah/batjah.html#Patriarchat nachzulesen.

(27) Huub Oosterhuis, God als Valkuil, S. 32. In: Derselbe, Hagepreken, Baarn 1987, S. 34: „Deze dochter is alle weggemaaide, gebrandofferde, roekeloos of bedachtzaam verspeelde mensenkinderen.“

(28) Elke Rüegger-Haller, Klage um Jiphtachs Tochter. Erinnerung an ein namenloses Opfer, S. 50. In: Karin Walter (Hg.), Frauen entdecken die Bibel, Freiburg im Breisgau 1986, S. 44-51.

(29) Ich hörte sie aus dem Mund des damaligen Staatsministers im Bundesministerium des Auswärtigen, Christoph Zöpel, am 8. Juli 2002 bei einer Veranstaltung zur Frage „Deutsche Außenpolitik – ein Gegensatz zur Friedenspolitik?“ in der Kongresshalle Gießen.

(30) Theodor Ebert, Pazifismus nach den Terroranschlägen in den USA. In: Gewaltfreie Aktion. Vierteljahreshefte für Frieden und Gerechtigkeit, Heft 129, 4. Quartal 2001, S. 10: „Wer im Dritten Reich im Luftschutzkeller saß, weiß, dass auch die Gegner des Hitlerregimes mit denjenigen, die ihre Häuser bombardierten, nicht sympathisieren konnten.“

(31) Huub Oosterhuis, God als Valkuil, S. 32. In: Derselbe, Hagepreken, Baarn 1987, S. 33: „Het meisje is een gedresseerd dochtertje. Zij behoort aan haar vader, zijn belangen zijn de enig denkbare: oorlog winnen, wraak nemen op de vijanden. Zo is het heersende systeem, zo wordt het leven beleefd, door miljoenen nog altijd – het Jefta-verhaal is een actuele parabel.“

(32) Byron’s Hebrew Melodies by Thomas L. Ashton, London 1972, S. 152f. In der 4. Strophe formuliert er: „I have won the great battle for thee, / And my Father and Country are free!“ und in der 5.: „When the blood of thy giving hath gushed, / When the voice that thou lovest is hushed, / Let my memory still be thy pride, / And forget not I smiled as I died!“

(33) Das Buch der Richter und das Buch Ruth, übersetzt und erklärt v. Dr. Alfons Schulz, Bonn 1926, S. 70.

(34) Das Buch vom Lande Gottes. Josua und Richter, ausgelegt von Karl Gutbrod, Stuttgart 1936,, S. 242.

(35) Carl Martin Reinthaler, „Jephtha und seine Tochter“, Libretto, Teil II. Jephtas Erwählung, 3. Gesang.

(36) Dieter Sell, „ Wir haben keine Zukunft“, EZ-online 147/02 vom 14. Juli 2002: „Viele der hundert jungen Männer im Berufsbildungszentrum von Gaza- Stadt haben während des jüngsten Palästinenser- Aufstandes Familienmitglieder verloren. Trotzdem stehen die 16- bis 18-Jährigen ohne Einschränkungen hinter der ‚Intifada‘. Auf die Frage, wer sich von ihnen als Selbstmord-Attentäter in die Luft sprengen würde, gehen spontan alle Arme in die Höhe.“ Das Zitat ist unter http://www.evlka.de/extern/ez/news/140t-israel2.html nachzulesen [leider funktioniert der Link – Stand 1.4.2006 – nicht mehr].

(37) Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980, S. 53: „Wenn der Ruf nach Rache im Alten Testament gegenwärtiger christlicher Theologie als überwunden gilt, so ist zu fragen: Sind Hass und Rache überwunden oder nur verdrängt und leben, mit schlechtem Gewissen erweitert, untergründig weiter? Wie steht es mit der zweiten Bedingung, die alttestamentliche Rachetexte neben der ersten, der Ehrlichkeit, erfüllen? Tritt in unserer Gesellschaft Hass, Rache, Verteilgungsdenken in erster Linie auf als Protest gegen das Unrecht? Sind es nicht oft die Opfer von Unrecht, denen in unserer Gesellschaft auch noch der Hass hinzugefügt wird?“

(38) Das Zitat ist einer Predigt von Jürgen Ebach und Ulrike Bail über Jesaja 35, 4 vom 2. Advent 2000 aus den Göttinger Predigten im Internet unter dem Link: http://www.gwdg.de/~unembac/archiv-3/001210-2.html (inzwischen nicht mehr verfügbar) entnommen.

(39) Jürgen Ebach, Das Erbe der Gewalt. Eine biblische Realität und ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980, S. 25.

(40) Fritz Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel, Zürich 1981, S. 100. So heißt es im 5. Buch Mose, 16-18: „Aber in den Städten dieser Völker hier, die dir der HERR, dein Gott, zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, sondern sollst an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an den Hetitern, Amoritern, Kanaanitern, Perisitern, Hiwitern und Jebusitern, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat, damit sie euch nicht lehren, all die Greuel zu tun, die sie im Dienst ihrer Götter treiben, und ihr euch so versündigt an dem HERRN, eurem Gott.“

(41) Küng, Hans: Das Christentum. Wesen und Geschichte. München, Zürich 1994.

(42) So betonte Staatsminister Christoph Zöpel, am 8. Juli 2002 bei einer Veranstaltung zur Frage „Deutsche Außenpolitik – ein Gegensatz zur Friedenspolitik?“ in der Kongresshalle Gießen, keine europäische Regierung könne es sich gegenwärtig erlauben, aus dem militärischen Bündnis mit den USA auszuscheren, und diplomatische Einflussnahme auf die amerikanische Regierung sei nur in sehr eingeschränktem Maße möglich.

(43) So Dr. Peter Struck in seiner Bundestagsrede am 19. September 2001.

(44) Bundespräsident Johannes Rau in seiner Ansprache bei der Kundgebung „Keine Macht dem Terror – Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ am 14. September 2001 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

(45) Nach dem persönlichen Bericht eines Betroffenen, der aus Albanien stammt und heute zur evangelischen Paulusgemeinde Gießen gehört.

(46) Erhard Eppler in einer Rede zum Terroranschlag in den USA auf dem SPD-Landesparteitag am 21. September 2001, vorletzter Absatz, zitiert nach dem Link http://www.elser.de/erhard_eppler.html [leider funktioniert der Link – Stand 1.4.2006 – nicht mehr]: „…das Militär muss umdenken. Das ist heute schon deutlich geworden. Die Aufgaben von Militär und Polizei werden sich immer mehr annähern. Im Kosovo könnten wir ja ganz gut eine Division brauchen, die auch polizeilich ausgebildet ist. Und das wird dem Militär gar nicht schmecken. Aber noch mehr umdenken müssen die Pazifisten. Und da fühl‘ ich mich selbst betroffen. Wenn der Krieg aus der Mode kommt, was tun dann diejenigen, die das mehr oder minder absolute ‚Nein‘ zum Krieg zu ihrer Devise gemacht haben? Und wenn die Gewalt sich privatisiert und kriminalisiert und kommerzialisiert und Soldaten nicht mehr schießen müssen, sondern andere am Schießen hindern; nicht mehr Waffen einsetzen, sondern Waffen einsammeln – kann dann Pazifismus noch Antimilitarismus sein? Oder ist es dann nicht so, wie das heute im Kosovo und anderswo schon erkennbar ist, dass Militär und Polizei und Pazifisten aufeinander angewiesen sind? Dass die Pazifisten erst ihre Seminare machen können und ihre Friedensarbeit leisten können, wenn die Soldaten das Morden gestoppt haben und wenn die Soldaten einsehen, dass sie nur das Morden stoppen, aber keinen Frieden stiften können?“

(47) Aus: Heinrich Treblin und Dietrich Fischinger (Arbeitsgemeinschaft für Kirchliches Friedenszeugnis), Die gewaltfreie Gemeinde Jesu – eine Herausforderung für die gesellschaftlich gesicherten Kirchen, 2. Auflage 2001, S. 11. Auch unter diesem Link auf dieser Internetseite zu finden.

(48) Helmut Schütz, „… Marie, die reine Magd“. In: Deutsches Pfarrerblatt, Heft 3 / 1998, S. 133, auch zu finden unter http://bibelwelt.de/marie-die-reine-magd im Abschnitt „Maria geht ins Gebirge zu Elisabeth“.

(49) Anne Michele Tapp, An Ideology of Expendability: Virgin Daughter Sacrifice in Genesis 19.1-11, Judges 11.30-39 and 19.22-26. In: Mieke Bal (Hg.), Anti-Covenant. Counter-Reading Women’s Lives in the Hebrew Bible, JSOT 81 (Journal for the Study of the Old Testament, Supplement Series), Sheffield 1989, S. 172: „The only other biblical character who is sacrificed by a patriarch for the good of his people is Jesus – who serves an interesting contrast to the burnt offering of Jephtha’s nameless virgin daughter.“

(50) Heinrich Treblin und Dietrich Fischinger (Arbeitsgemeinschaft für Kirchliches Friedenszeugnis), Die gewaltfreie Gemeinde Jesu – eine Herausforderung für die gesellschaftlich gesicherten Kirchen, 2. Auflage 2001, S. 6: „Durch Jesus bietet Gott allen Menschen seine vergebende, gewaltfrei friedensstiftende Feindesliebe an. Sie überwindet die heillos-gewalttätige Selbstsicherung der Menschheit, auch und gerade wenn sie deren Gewalt bis zum Tod erleidet.“

Leserzuschriften

Zum Aufsatz „Alttestamentarische Besonnenheit“ erhielt ich Leserzuschriften zweier Pfarrer i. R., die ich besonders schätze: Kuno Galter und Heinrich Treblin. Beide Briefkontakte dokumentiere ich hier, weil durch den einen der Zusammenhang mit den friedensbewegten Zeiten meiner ersten Gemeindepfarrstelle hergestellt wird und weil der zweite meine Gedanken zum Teil in Frage stellt und weiterführt.

Kuno Galter: Persönliche Zuschrift vom 21. 1. 2003

Lieber Bruder Schütz!

Ich habe soeben den Artikel im letzten Pfarrerblatt über „alttestamentarische Besonnenheit“ mit großer Freude und innerer Genugtuung gelesen und danke Ihnen dafür. Sie haben recht: dass wir alle Rachegedanken, die manchmal aufkeimen, überwinden müssen durch den Blick auf Christus. Kleine Schritte von Beistand oder aufeinander Zugehen sind hilfreicher als alles, was möglicherweise neuen Unfrieden schafft. Beim Lesen Ihres Artikels erinnerte ich mich auch an Ihre Zeit in Reichelsheim (ich habe ja nur den Anfang miterlebt) und freute mich, via Pfarrerblatt wieder etwas von Ihnen zu hören.

Nur eine kleine Frage, die Sie aber nicht beantworten und auch gar nicht so ernst nehmen müssen: Wir hätten seiner Zeit von „alttestamentlich“ gesprochen und nicht „alttestamentarisch“ gesagt, weil man ja auch Alttestamentler und nicht Alttestamentarier sagt. Aber das nur nebenbei, eine kleine Anmerkung von einem Alten.

Wie geht es Ihnen? Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein Jahr unter Gottes Schutz und Segen.

Ihr Kuno Galter

Meine Antwort an Pfarrer Kuno Galter vom 9. 2. 2003

Ihre Reaktion auf die „Alttestamentarische Besonnenheit“

Lieber Bruder Galter!

Es war schön, nach so langer Zeit wieder einmal von Ihnen zu hören – meine Frau und ich erinnern uns auch noch gern an die Anfangszeit in Reichelsheim, in der uns Ihr väterlich-seelsorgerlicher Beistand, als wir blutige Anfänger in Pfarrhaus und Gemeinde waren, gut getan hat.

Friedensbewegt waren die Zeiten damals ja auch schon, innerhalb der Kirche war damals umstrittener, als es heute die Irak-Frage ist, ob man zu einer Nachrüstung Ja sagen sollte. Ich erinnere mich noch, dass Sie damals Bedenken hatten, als wir an der Kirchentür die blauweiße Friedenstaube anbrachten. Heute würde ich es wahrscheinlich nicht mehr tun, einfach aus gewachsenem Respekt davor, dass in der Kirche verschiedene, auch gegensätzliche Meinungen nebeneinander Platz haben, und dass wir nicht auf dem Weg des einen „Fortschritts“ innerhalb der einen „Menschheitsgeschichte“ sind, sondern dass die Menschen an vielen Geschichten Anteil haben, selbst wenn sie an die eine Heilsgeschichte des Jesus Christus glauben (diese letzten Gedanken denke ich in Anlehnung an den Philosophen Odo Marquard, der in unserer Paulusgemeinde wohnt und dessen kleine Reclam-Heftchen zur Philosophie ich gerade als Nebenbei-Lektüre mit Genuss lese).

Zum Begriff des „Alttestamentarischen“ haben Sie recht: ich sage normalerweise auch „alttestamentlich“, wenn ich vom Umgang mit dem Alten Testament spreche. In meinem Artikel ging es mir darum, dass Leute wie Habermas dem Alten Testament einseitiges Rachedenken unterschieben, das wie eine letztwillige, eben „testamentarische“ Verfügung aussieht. Wenn Sie so wollen – ein Wortspiel!

Wenn es Sie interessiert – gestern stand der folgende Artikel bei uns im „Gießener Anzeiger“.

Mit herzlichen Grüßen auch von meiner Frau

Ihr Helmut Schütz

Heinrich Treblin: Persönliche Zuschrift vom 20. 1. 2003

Lieber Bruder Schütz!

Mit großer Zustimmung und Freude habe ich soeben Ihren Aufsatz im Pfarrblatt gelesen, entdeckte sodann auch, wo Sie mich zitierten. Ich bewundere Ihre einfühlsame bis ins Einzelne gehende Interpretation alttestamentlicher Texte, die Sie schon in Ihrem damaligen Aufsatz über die Jungfrauengeburt bewiesen haben. Und ich freue mich besonders darüber, wie nahe wir uns in unserem Verständnis des Evangeliums sind. Dass wir in dem Organ der kirchlichen „Religionsbeamten“ überhaupt zu Worte kommen (das sich doch lieber mit Fragen wie „dürfen Cowboystiefel unter dem Talar getragen werden oder müssen Pfarrer noch im Pfarrhaus wohnen“, beschäftigt, ist ja nicht selbstverständlich. Im Heft 1/02 kam ich neben dem Hauptartikel Bischof Hubers, darin gleichzeitig auf die Bergpredigt verwiesen und ihre Geltung eingeschränkt wurde, nur als Leserbrief zu Worte. Aber wir wissen’s ja, dass wir eine Minderheit in den Amtskirchen sind und bleiben werden, wenn wir versuchen, uns als Jünger Jesu zu verstehen.

In Heft 11 hätte ich vielleicht näher auf die Frage der Gewalt als ultima ratio eingehen sollen und Huber klar machen müssen, dass tötende Gewalt zum Schutze der Mitmenschen keinesfalls Gebot Jesu ist. In Paulus’ Auslegung der Bergpredigt Röm. 12 mit dem Gebot der gewaltfreien Liebe steht wie ein erratischer Block der Satz: „Gebet Raum dem Zorne Gottes!“ Der Jünger Jesu darf, wenn er auf Gewalt verzichtet, darauf vertrauen, dass Gott selber für Gerechtigkeit sorgen wird, und zwar dass er „einen Buben durch den andern straft“ (Luther), d. h. dass die Gewalttäter und Feinde die Folgen ihrer Gewalttätigkeit am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Gott ist nicht „wütend“ und übt nicht selber aktiv Gewalt, er erträgt in seiner Geduld (wie Jesus am Kreuz), dass seine bösen Geschöpfe sich selber töten. Auf keinen Fall gebietet er Christen, sicher selber gewalttätig zu rächen. Sie sollen nicht Gottes Gerichtsvollzieher sein, sondern das Böse durch das Gute überwinden.

Zu meiner Beschämung muss ich gestehen, dass ich erst mit 90 Jahren bemerkt habe, dass wir Heidenchristen „Eingepfropfte“ ins ältere Volk Gottes sind und statt mit unseren älteren Geschwistern , den „Juden“; in der versöhnenden Liebe Jesu (Eph. 2) gemeinsam zu versuchen, „Licht der Heiden“ zu sein, arrogant diese „enterben“, als Gottesmörder und Knechte eines zornigen Gottes blutig verfolgen bis zum Antijudaismus der Kirchen und zum Holocaust! Schriften von R. Mayer, Fr.  W.  Marquardts „Christologie“ haben mich belehrt, dass wir nicht nur mit der Rheinischen Kirche etwas gönnerhaft den Juden einräumen müssen, dass der Bund Gottes auch ihnen noch gelte, statt zu bekennen, dass wir Heidenchristen mit unserer heidnischen  Christologie (Pantokrator, Jungfrauengeburt à la röm. Kaiservergottung) den Juden das wahre Bild des gewaltfreien für Juden und Heiden sich dahinopfernden Jesus verdunkelt haben. Schalom Ben Chorin sagt: Jesus eint uns Juden und Christen, aber Christus trennt uns. Statt dass wir Christen einmal unsere Christologie unter die Lupe nehmen, die es Juden unmöglich macht, mit uns ein Volk zu sein, drücken wir uns in Denkschriften und Aufsätzen immer noch um die Korrektur der heidnischen Chirologie. Mir ist neuerdings aufgegangen, dass der Begriff der Schechina Jahwes, der Einwohnung im Tempel, im Volk Israel, in Jesus (Joh. 1! und Offb. Joh. 21, 3, auch Mk. 1, Taufe Jesu!) – „Jesus erfüllt vom Geist Gottes“ – besser geeignet ist, die Gottessohnschaft des Juden Jesus und das vere homo zur Geltung zu bringen. Israel als Gottes erster Sohn, Jesus als Sohn Gottes „Beauftragter“.

Hier müssen wir weiterarbeiten, ohne in eine liberales bürgerliches Jesusbild zurückzufallen.

Karl Barths bemerkenswerte Frage, ob nicht A. Schweitzer gegenüber seiner und Bultmanns Theologie „das bessere Teil“ erwählt habe, hat mich bewegt, den ganzen Weg unserer Theologie nochmal zu überdenken. Ich bekam einige zustimmende Antworten, freilich auch einen anonymen (!) Brief eines evangelikalen Kollegen mit wüsten Beschimpfungen, weil ich Gysi einen anonymen Christen genannt hatte. Dabei wollte ich, ohne Gysis fragwürdige SED-Gründung zu billigen, nur darauf hinweisen, dass er (wohl ohne es zu wissen) eine berechtigte christliche Forderung nach sozialer Gerechtigkeit erhoben habe.

In Verbundenheit des Glaubens

Herzlich

Ihr H. Treblin

Meine Antwort an Pfarrer Heinrich Treblin vom 9. 2. 2003

Ihre Reaktion auf die „Alttestamentarische Besonnenheit“

Lieber Bruder Treblin!

Ich danke Ihnen für Ihren Brief, in dem Sie mir noch einmal verschiedene Gedanken, die schon in unseren Gesprächen in Alzey vorkamen, verdeutlicht haben. Auf dem Weg zu meinem Artikel, der mich ja über 14 Monate hin beschäftigt hat, haben auch die Gespräche mit Ihnen eine wichtige Rolle gespielt.

Im Augenblick erlebe ich mich gar nicht als so „mutig“ in der Friedensfrage, weil es derzeit, wie die „Zeit“ vor einigen Wochen meinte, fast zum Zeitgeist gehört, gegen den Irak-Krieg zu sein. Ich habe gestern einen Artikel in unserem „Gießener Anzeiger“ veröffentlicht (den ich auf der Rückseite Ihnen zur Kenntnis gebe), auf den hin ich nur zustimmende Reaktionen bekommen habe.

Ich weiß nicht einmal, ob ich nicht doch in bestimmten Extremsituationen die Position Gollwitzers oder Bonhoeffers zur tötenden Gewalt teilen könnte – im Blick auf die Polizei meine ich jedenfalls, dass auch ein Christ Polizist sein kann und dann ja wohl auch in Kauf nehmen muss, notfalls töten zu müssen.

Eine schlimme Konfliktsituation ist ja auch das Töten von Tieren – unser Sohn, Medizinstudent und Doktorand (er nimmt an einem Forschungsprojekt seines Professors teil, das im weitesten Sinn einen Beitrag zur Asthmatherapie leisten könnte, wenn es erfolgreich ist), muss für seine Versuche buchstäblich kleinen Versuchsmäusen das Genick brechen, es fällt ihm unsagbar schwer, aber er kann es nicht vermeiden, wenn er denn seinem Auftrag, lebensrettende Medikamente zu finden, genügen will. Ob da nicht doch Bonhoeffers Ansatz – ich kann nicht anders als schuldig zu werden, wenn ich zwischen mehreren Übeln wählen muss – zu folgen ist? Ich möchte meinem Sohn jedenfalls nicht unterstellen, dass er ein übler Mensch sei, weil er sich gerade dieses Forschungsprojekt ausgesucht hat.

Was die Frage der Terrorismusbekämpfung und des Krieges angeht, bleiben mir Ihre Position und Ihre Anfragen ein Stachel im Fleisch. Man kann mit Sicherheit nicht einfach eine Polizei- und Notwehr-Ethik aufs Militär übertragen. Aber Epplers These von der notwendigen Zusammenarbeit zwischen Militärs und Pazifisten finde ich schon bedenkenswert. Andererseits habe ich durch die Auseinandersetzung mit dem Thema auch wieder Zugang zu Theodor Eberts Gedanken gefunden, die ich nach wie vor als wertvolle Anregungen im Nachdenken über Frieden und Gewaltfreiheit empfinde.

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen…!

Ihr Helmut Schütz

Heinrich Treblin: Persönliche Zuschrift vom 14. 2. 2003

Lieber Bruder Schütz!

Haben Sie Dank, dass Sie mich an Ihren gegenwärtigen Gedanken zur Lage und zum Verhalten eines Christen teilnehmen lassen. Ich hätte offen gesagt diesen Artikel nicht schreiben können, er schafft im Augenblick mehr Verwirrung als Klarheit. Er erinnert mich an die jahrelangen Auseinandersetzungen um die Atomwaffen in EKD und Kirchl. Bruderschaften. Wie Sie wissen, stritt ich gegen die CDU (Krieg als ultima-ratio-Möglichkeit auch für Christen) für Jesu gewaltfreie Feindesliebe-Ethik. Ich wurde dafür als ´Prinzipienethiker und Radikalpazifist beschimpft.

Zu Ihrer These fällt mir nur ein Bild ein, das vom halbvollen, halbleeren Glas Wasser. Es beschreibt einen Ist-Zustand, der Christ ist simul justus et peccator. Als Jünger Jesu will er gemäß dem Liebesgebot seinen bedrängten Mitmenschen (den Juden damals, den vom Terror Saddams bedrohten Amis) helfen (Krieg bejahen), als Jünger des gewaltfreien Jesus aber müsste er auf mörderischen Krieg verzichten. Die Frage ist nur, ob ersteres Gottes Gebot entspricht oder vielmehr dem menschlich sündigen Bestreben, aus eigener Kraft Frieden zu schaffen auch mit Gewalt. Bei Bonhoeffer habe ich schon immer Bedenken gehabt, ob Jesus ihm Mitmachen beim Tyrannenmord geboten hätte oder ob er nicht gemäß seiner Militärs-verbundenen Familie gehandelt hat. Bei den Männern vom 20. Juli ist die Sache klar: Sie haben selber den Hitlerkrieg mitgemacht, also gesündigt, und wollten ihn nun, als es schief ging, noch retten, indem sie Hitler töten wollten. Das misslang zudem, ihre Familien, die sie durch Tyrannenmord retten wollten, wurden umgebracht wie sie selber. Sie ernten, was sie zuvor und nun wiederum gesät hatten, wurden Opfer ihrer Gewaltethik. Jesus aber gebietet: Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen. Anders hat H. Stöhr gehandelt, er wurde als Jünger des gewaltfreien Jesus hingerichtet, aber sein Martyrium trägt Frucht, indem sein Beispiel Menschen zum Glauben an das wahre ewige Leben mit Jesus ermutigt. Bonhoeffer ist halb als Jünger Jesu gestorben, weil er dem Bösen, Hitler, widerstand, er ist aber halb als Sünder, der Mord am Tyrannen als Gottes Gebot ausgab, aber selbst als Schuld und Sünde empfand, Opfer seines schuldhaften Verhaltens geworden. Die Frage ist doch: Was gebietet Gott? Im anderen Fall dürfen wir uns des getrösten, dass Gott uns vergibt, auch wenn wir gegen sein Liebesgebot verstoßen.

Habe ich mich klar ausgedrückt? Auf keinen Fall will ich die „richten“, die gegen Gottes Gebot handelten, habe ja selbst immer wieder gegen die Liebe verstoßen, etwa durch passives Schweigen zum Massenmord.

Beiliegend ein Brief an Ruth Lapide, der zeigt, was mich seit Monaten beschäftigt.

Herzlich grüßt Sie

Ihr H. Treblin

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