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Rute

Wenn im Zusammenhang mit Gott die Rute erwähnt wird, so wird sie als Ruf zur Umkehr verstanden. Die knechtende Rute der Tyrannen, die Kinder misshandelt und Völker unterdrückt, hat nichts mit Gott zu tun, die kann er nur zerbrechen. Und wie aus einem Baumstumpf eine neue Rute sprossen kann, so wird aus Israel der kommen, der Frieden bringen wird.

Kleiner Zweig mit Knospen
Ein Zweig mit Knospen, der bald wieder ausschlagen kann (Bild: Karsten PaulickPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Sonntag, 4. Advent, 21. Dezember 1986, um 9.30 Uhr in Reichelsheim (mit dem Musikverein) und um 10.30 Uhr in Heuchelheim
Musikverein Reichelsheim: „Heilig“

Im Gottesdienst am 4. Advent grüße ich Sie und Euch alle herzlich!

Besonders danke ich dem Musikverein Reichelsheim, der uns zum Beginn des Gottesdienstes das „Heilig“ geblasen hat und uns auch bei den Liedern im Gottesdienst begleiten wird. Die Liturgieteile werden wir heute einmal ohne musikalische Begleitung singen.

Am 4. Advent steht Weihnachten schon ganz dicht vor der Tür; zur Einstimmung auf den, der da kommt, singen wir das Lied EKG 33, 1-3 (EG 41):

1. Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel, in Chören, singet dem Herren, dem Heiland der Menschen, zu Ehren! Sehet doch da: Gott will so freundlich und nah zu den Verlornen sich kehren.

2. Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket, ihr Enden der Erden! Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden. Friede und Freud wird uns verkündiget heut; freuet euch, Hirten und Herden!

3. Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget; sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget! Gott wird ein Kind, träget und hebet die Sünd; alles anbetet und schweiget.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9, 1)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, unser Vater im Himmel, in der dunkelsten Jahreszeit feiern wir Weihnachten, wo es am finstersten bei uns aussieht, da scheint das Licht des Sterns von Bethlehem hinein. Mach uns bereit, auf deine Stimme zu hören, die Stimme des kleinen Kindes in der Krippe, die Stimme des Rufers zur Umkehr, die Stimme dessen, der die Mühseligen und Beladenen zu sich einlädt. Mach uns bereit, da hin zu schauen, wo du dich uns offenbarst, auf den Weg zwischen Krippe und Kreuz, den Lebensweg deines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Schriftlesung: Jesaja 11, 1-10

1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.

2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören,

4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.

5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.

6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.

7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.

8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.

9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.

10 Und es wird geschehen zu der Zeit, daß das Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.

Lied EKG 23, 1-3 (EG 23, 1-3):

1. Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.

2. Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt, hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd; aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren, welches uns selig macht.

3. Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis. Wahr’ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Zur Predigt habe ich heute nicht einen einzelnen Text, sondern verschiedene Texte aus der Bibel zusammengesucht. Was diese Texte verbindet, die ich im Laufe der Predigt lesen werde, ist, dass sie alle von einer Rute handeln. Diese Rute hier, die mir der Bibelkreis zum Nikolaustag geschenkt hat, ist also heute sozusagen der Predigttext (in Heuchelheim jetzt schon zum zweiten Mal – mir ist nämlich zu diesem Thema noch mehr eingefallen).

Herr, unser Gott, segne unser Reden und unser Hören. Amen.

Liebe Gemeinde!

Die Rute ist etwas aus der Mode gekommen. Nikoläuse und Weihnachtsmänner werden nur noch selten als zusätzliche Erziehungsmittel eingesetzt, wo elterliche Ermahnungen versagt haben; sie bringen kleine oder große Geschenke, und die Rute bleibt stecken. Oder sie bleibt symbolisch erhalten, wird dann aber geschmückt und in ihrer Bedrohlichkeit entschärft. Solch eine Rute habe ich vom Bibelkreis geschenkt bekommen, verziert mit einem Tannenzweig und Weihnachtssternen.

Eine Rute für den Pfarrer, was sollte das wohl bedeuten? Nein, die Bibelkreisleute wollten mich damit nicht schlagen oder strafen, mir auch keinen Seitenhieb versetzen. Sie wollten mich an einen Satz von Paulus erinnern, den wir vor kurzem in 1. Korinther 4, 21 gelesen hatten und den sie auch für mich als Prediger passend fanden. Der Satz lautet:

„Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock, mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist?“

Darüber habe ich dann nachgedacht. Wie ist das, wenn ich als Prediger Gottes Wort auslege – muss ich dann immer sanfte Worte finden, Trost spenden, zur Harmonie beitragen? Oder muss ich auch den Mut haben, die Rute anzuwenden, zu ermahnen, Gottes Gericht zu predigen, ins Gewissen zu reden?

Dass wir uns schwer tun mit der Rute, hat ja seine Gründe. Ich jedenfalls möchte nicht autoritär sein, möchte nicht, dass Kinder nur aus Angst vor Strafe kuschen und blinden Gehorsam lernen. Mir ist es auch viel lieber, wenn mir Kinder auf der Straße fröhlich zuwinken aus eigenem Antrieb, als wenn sie mich nur deshalb grüßen, weil ich der Pfarrer bin. Gut finde ich es auch, dass es in der Schule die Prügelstrafe nicht mehr gibt, jedenfalls nicht mehr offiziell, und dass die Zahl der Kinder geringer wird, die Gott mit einem himmlischen Polizisten gleichsetzen, der nur auf das schaut, was die Menschen auf der Erde alles falsch machen.

Auf der anderen Seite kenne ich auch das Gefühl: man kann nicht alles durchgehen lassen. Es muss auch Grenzen geben. Aber wer setzt Grenzen? Und wie sollen Grenzen gesetzt werden? Wenn ein Kind mich anlügt, wenn es stiehlt, wenn es ein anderes Kind leichtsinnig in Gefahr bringt – wie mache ich ihm deutlich, dass das so nicht geht? Oder im Konfirmandenunterricht – wie gelingt es, solche Regeln zu finden und einzuhalten, damit möglichst viele einen inneren Gewinn vom Konfirmandenjahr haben? Oder in der Welt der Erwachsenen – wer hält seine Mitmenschen davon ab, sich durch Alkohol selbst kaputtzumachen? Wie gehen wir damit um, wenn ein Bekannter sich fahruntüchtig ans Steuer setzt? Und was tun wir dagegen, dass Flüsse und Wälder sterben und dass der Wettlauf der Waffensysteme immer heftiger und immer bedrohlicher ausgetragen wird? Wenn wir sehen, wie ein Ehepaar seine Beziehung ruiniert, statt sich eine fachkundige Beratung zu suchen – müssen wir ohnmächtig zusehen? Wenn wir hören, wie viele Abtreibungen es in unserem Sozialstaat immer noch gibt – wem müssten wir ins Gewissen reden, wo ist die richtige Adresse, um unser Miteinander so menschlich zu machen, dass jedes Kind ein erwünschtes sein kann?

Ich habe so ausführlich Beispiele angeführt von Problemen und Fehlentwicklungen, damit das Symbol von der Rute seinen richtigen Stellenwert bekommt. Ich denke, dass jeder irgendwo an den Punkt kommt, wo er seine Grenzen hat und anderen deutlich sagen möchte: Bis hierher und nicht weiter! Bei Paulus war dieser Punkt der Hochmut eines Teils der korinthischen Gemeinde. Aufgeblasene Christen, die von sich dachten, sie seien etwas Besseres als die gewöhnlichen Christen, die konnte er nicht leiden. Denen wollte er am liebsten mit der Rute kommen.

Wie ist das nun mit der Rute im Zusammenhang mit Gott? Es gibt das Bild vom strafenden Gott in der Bibel, vor allem bei den Propheten. Im zehnten Kapitel des Buches Jesaja wird z. B. die assyrische Großmacht, die Israel zu unterwerfen droht und später auch unterworfen hat, als die Rute von Gottes Zorn bezeichnet (Jesaja 10, 5). Für die Propheten war klar: der Gott Israels muss nicht automatisch auf der Seite seines Volkes stehen, ganz gleich, was dieses Volk tut. Sie gehen davon aus, dass jedes Verhalten auch seine Folgen nach sich zieht. Und wenn es am Anfang des zehnten Jesajakapitels (Jesaja 10, 1-2) heißt:

„Weh denen, die unrechte Gesetze machen, und den Schreibern, die unrechtes Urteil schreiben, um die Sache der Armen zu beugen und Gewalt zu üben am Recht der Elenden in meinem Volk, dass die Witwen ihr Raub und die Waisen ihre Beute werden!“

– dann erscheint es nur als folgerichtig, dass es dem Volk, in dem solche Dinge geschehen, auch schlimm ergehen wird: Assyrien wird Israel berauben und ausplündern und es zertreten wie Dreck auf der Gasse (Jesaja 10, 6).

Man muss sich einmal vorstellen, wie Jesajas Rede von den Leuten aufgefasst worden sein mag. Redete er nicht gegen sein eigenes Volk, beschmutzte er nicht das eigene Nest, führte er nicht die Sache des Feindes? Das war zwar nicht seine Absicht, aber es erging dem Jesaja so, wie es vielen ergeht, die nicht schwarzweiß malen wollen, sondern auch Selbstkritik üben: man hörte nicht auf ihn, man wollte solche Dinge nicht hören. Sollte der äußere Unfriede des Landes wirklich etwas mit dem inneren Unrecht im Lande zu tun haben? Ach nein, lieber verbünden wir uns mit einigen anderen Königen und wehren uns gegen Unterwerfung, bis zum letzten Mann, das waren die Rezepte, nach denen die Politiker damals verfuhren. Das Ende vom Lied war, dass Israel zerstört wurde, das Volk in die Verbannung geriet, dass es viele Jahrhunderte hindurch, auch nach seiner Rückkehr ins Land Israel, von fremden Mächten besetzt und beherrscht wurde. Die Propheten behielten Recht mit ihrer Mahnung.

Das Ende vom Lied? Ist das wirklich das Ende vom Lied der Propheten? Haben sie wirklich nur gesagt: so geschieht es euch recht, dass ihr in finsteren Zeiten leben müsst? Nein, das Lied der Propheten hat noch mehr Strophen als die eine, die wir alle kennen: „Wer nicht hören will, muss fühlen!“

Zunächst einmal ist für die Propheten nichts und niemand wichtiger als der lebendige Gott Israels. Es geht ihnen also nicht um ein allgemeines Prinzip der Bestrafung, sondern es geht ihnen um die Frage, wie die Beziehung ihres Volkes zu Gott wiederhergestellt werden kann. Die ist nämlich in Frage gestellt durch das Unrecht in Israel, durch die Bedrückung von Witwen und Waisen und die Ausplünderung der Armen durch die Reichen. Und wenn die Propheten dann sagen: Assyrien, die feindliche Weltmacht, ist für uns die Rute Gottes, dann haben sie damit ausdrücken wollen: Gott hat uns nicht etwa verlassen, er hat sich nicht auf die Seite der Assyrer gestellt, sondern er ist weiterhin unser Gott, indem er uns die Folgen unseres Verhaltens spüren lässt. Vollkommen klar war für die Propheten auch, dass der Gott Israels nicht etwa aus Ohnmacht die Assyrer gewähren ließ. Dass Gott mächtiger ist als jede militärische Macht, drückte Jesaja im selben Atemzug aus, indem er das Strafgericht gegen sein eigenes Volk ankündigte. „Wehe Assyrien“, so gab Jesaja 10, 5.12b-13, ein Wort von Gott weiter,

„wehe Assur, der meines Zornes Rute und meines Grimmes Stecken ist! … Ich will heimsuchen die Frucht des Hochmuts des Königs von Assyrien und den Stolz seiner hoffärtigen Augen, weil er, dieser König, spricht: »Ich hab‛s durch meiner Hände Kraft ausgerichtet und durch meine Weisheit, denn ich bin klug. Ich habe die Grenzen der Länder anders gesetzt und ihre Schätze geraubt und wie ein Stier die Bewohner zu Boden gestoßen«.“

Gegen diesen Hochmut des Königs von Assyrien steht der Gott Israels genau so auf wie gegen das Unrecht im eigenen Volk, sagt Jesaja, und er verspottet die Mächtigen, weil sie nicht wissen, dass sie nicht mehr sind als Werkzeuge in der Hand eines Mächtigeren (Jesaja 10, 15):

„Vermag sich auch eine Axt zu rühren wider den, der damit haut, oder eine Säge groß zu tun wider den, der sie zieht? Als ob die Rute den schwänge, der sie hebt; als ob der Stock den höbe, der kein Holz ist!“

Nochmals zusammengefasst: Nach dem Propheten Jesaja ist Gott einer, der Unrecht nicht durchgehen lässt, auch dann nicht, wenn sein eigenes Volk es tut, womöglich noch im Namen Gottes. Und er ist ein Gott, der mächtiger ist als alle Großmächte der Welt, selbst wenn es so aussieht, als ob er seinem eigenen Volk nicht helfen kann.

Die Art, wie die Propheten den Zusammenhang von ungerechtem Verhalten und göttlicher Bestrafung formulieren, erscheint uns vielleicht naiv. Als ob jeder Untat, die verübt wird, die Strafe auf dem Fuße folgen müsste. Dass diese nicht so ist, wussten die Propheten sicher so wie wir. Sie wussten sogar, dass häufig gerade die Unschuldigen besonders viel leiden müssen. Aber sie wussten auch, dass es sich auf die Dauer rächen muss, wenn man nicht nach den Geboten Gottes lebt.

Was will uns die Rute heute mahnend sagen? Wenn wir die Themen durchgehen, die ich vorhin andeutete, dann müssen wir sehr schnell entweder sehr persönlich werden, z. B. beim Stichwort „alkoholisiert Autofahren“ oder „mein Bauch gehört mir!“ Oder es wird politisch, z. B. beim Thema „Vergiftung der Flüsse“ oder beim Sternenkrieg. Schauen wir uns diese Dinge wirklich aus dem Blickwinkel der Beziehung zu Gott an, aus dem Blickwinkel der Gebote? „Du sollst nicht töten!“ „Du sollst die Erde bebauen und bewahren!“ „Liebe deine Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“

Bußpredigt am 4. Advent – sie soll nicht konkreter werden, weil jeder seine eigenen Konsequenzen ziehen muss, selber nachdenken, Verantwortung übernehmen muss. Es geht nicht darum, dass ein Pfarrer seine Gemeinde bevormundet, sondern dass wir uns für unsere eigene Verantwortlichkeit Maßstäbe aus der Bibel holen.

Eine Bußpredigt am 4. Advent über diese Rute kann aber noch weitere Strophen singen, ganz im Sinne des Propheten Jesaja. Der kündigt nämlich nicht nur Gottes Strafgericht an, sondern noch etwas anderes (Jesaja 14, 5.7):

„Der Herr hat den Stock der Gottlosen zerbrochen, die Rute der Herrscher. Nun hat Ruhe und Frieden alle Welt und jubelt fröhlich!“

Wenn also im Zusammenhang mit Gott die Rute erwähnt wird, so wird sie erzieherisch, mahnend, als Ruf zur Umkehr verstanden. Die knechtende Rute der Tyrannen, die Rute, die Kinder misshandelt und ganze Völker in Unterdrückung gefangenhält, die hat nichts mit Gott zu tun, die kann er nur zerbrechen.

Wie kommt es aber dazu, dass die Menschen wieder auf Gott hören, dass sie Frieden miteinander halten, dass sie versöhnt werden mit Gott? Für die Propheten ist auch dies klar: Strafe allein genügt da nicht. Auch durch Strafgerichte werden die Menschen noch nicht klüger. Es muss vielmehr noch etwas anderes geschehen. Und hier wird das Bild von der Rute noch einmal in einer ganz anderen Weise, und zwar sehr tröstlich und befreiend uns vor Augen gestellt. Ich denke an die winterlichen Bäume, vor allem die jungen Bäume, die nicht viel anders als wie kahle Ruten aus dem Boden herausragen; oder ich denke an abgehauene oder abgestorbene Bäume, von denen nicht viel mehr als ein Stumpf übrig geblieben ist. So ein zunächst trostloses Bild hat Jesaja vor Augen, wenn er das Schicksal seines Volkes Israel anschaut: kahlgeschlagen, niedergemacht, am Boden zerstört. Aber dann hat er eine Vision, dass nämlich auch aus einem solchen scheinbar toten Stumpf neues Leben hervorbrechen kann. Um beim Bild der Rute zu bleiben, müssen wir dieses Mal auf die Lutherbibel von 1912 zurückgehen (Jesaja 11, 1):

„Und es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm Isais und eine Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen“.

So wie ein Baumstumpf einen neuen Trieb hervorbringen kann, so wird Israel dereinst den Gesandten Gottes hervorbringen, der Frieden bringen wird – das ist die letzte Strophe im Lied der Propheten. Wir haben sie vorhin in der Schriftlesung gehört. Wir haben auch davon gesungen: „Es ist ein Ros entsprungen, aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art“, das ist nicht eigentlich eine Rose, sondern ein Reis, ein Zweiglein, ein neuer Trieb aus dem Stammbaum der Familie Davids und seines Vaters Isai. Wir Christen haben diese Vorausschau des Propheten Jesaja immer auf Jesus hin gedeutet, in dem wir den Messias erkennen, den, der uns Frieden bringt mit Gott und der uns in den Frieden hineinruft auch mit den anderen Menschen und auch mit der Natur. In diesem Messias, diesem Christus, der Jesus heißt, wird endgültig klar, dass die Rute Gottes kein Stock ist, der uns niederprügeln will. Jesus hat ja vielmehr lieber sich selbst prügeln lassen, als seine Liebe zu den Feinden zu verraten. So mag denn diese Rute uns vor allem an das Reis erinnern, das aus der Wurzel Isais entsprungen ist: an Jesus aus dem jüdischen Volk; an das Geschenk, das uns Gott gemacht hat; an die Verantwortung, die er uns zutraut, uns von seinem Geist der Liebe und des Friedens leiten zu lassen.

Ich glaube, diese Predigt war nicht so ganz leicht zu verstehen. Auf mehrere verschiedene Arten bin ich auf das Symbol der Rute eingegangen, und es liegt vielleicht nicht immer am Text oder am Zuhörer, wenn etwas nicht klar geworden ist. Es kann auch an mir und meinem Um-die-Ecke-Denken liegen, wie eine Konfirmandin einmal gesagt hat. Wenn es aber so ist, dass manches offen oder unklar geblieben ist, dann bitte ich darum: sprechen Sie mich darauf an, sprecht mich darauf an. An sich müsste jede Predigt noch weitergehen, in inneren Klärungen oder in Gesprächen oder in Anregungen zum Handeln. Es ist gut, wenn wir es immer wieder auch fertigbringen, gemeinsam etwas zu tun. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Lied EKG 10, 1+7+8 (EG 11):

1. Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir, o aller Welt Verlangen, o meiner Seelen Zier? O Jesu, Jesu, setze mir selbst die Fackel bei, damit, was dich ergötze, mir kund und wissend sei.

7. Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht, wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst.

8. Auch dürft ihr nicht erschrecken vor eurer Sünden Schuld; nein, Jesus will sie decken mit seiner Lieb und Huld. Er kommt, er kommt den Sündern zu Trost und wahrem Heil, schafft, dass bei Gottes Kindern verbleib ihr Erb und Teil.

Gott, wenn wir beten, kann etwas Neues in uns wachsen. Lass mitten im Dunkel ein Licht aufleuchten. Lass aus abgestorbenem Holz neue Triebe brechen. Lass aus mutlosem Geist neue Ideen hervorkommen, die zu Taten drängen! Und wenn wir deine Mahnungen hören, lass sie uns nicht verwechseln mit Bevormundungen und sinnlosen Befehlen. Lass uns in ihnen Hilfen zum Leben erkennen, die uns befreien, trösten, neue Anfänge möglich machen.

Für die Menschen bitten wir dich, die heute unter dem Stock der Tyrannen leiden müssen; mach uns bewusst, wo wir uns schuldig machen durch Schweigen oder Mitwisserschaft. Für die Menschen bitten wir dich, die in den Weihnachtstagen ihre Einsamkeit besonders bedrückend erfahren; erinnere uns an ein paar von ihnen, die wir noch besuchen können. Für die Menschen bitten wir dich, die in schweren seelischen Nöten nicht mehr weiter wissen; gib ihnen den Mut, sich jemandem anzuvertrauen – und wenn dieser jemand wir selbst sind, gib uns die Kraft zum guten Zuhören und Begleiten.

Was wir außerdem auf dem Herzen haben, bringen wir im stillen Gebet vor dich, o Herr!

Stilles Gebet und Vater unser
Lied EKG 48, 1+3 (EG 70):

1. Wie schön leuchtet der Morgenstern voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn, die süße Wurzel Jesse. Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm, mein König und mein Bräutigam, hast mir mein Herz besessen; lieblich, freundlich, schön und herrlich, groß und ehrlich, reich an Gaben, hoch und sehr prächtig erhaben.

2. Ei meine Perl, du werte Kron, wahr’ Gottes und Marien Sohn, ein hochgeborner König! Mein Herz heißt dich ein Himmelsblum; dein süßes Evangelium ist lauter Milch und Honig. Ei mein Blümlein, Hosianna! Himmlisch Manna, das wir essen, deiner kann ich nicht vergessen.

3. Gieß sehr tief in das Herz hinein, du leuchtend Kleinod, edler Stein, mir deiner Liebe Flamme, dass ich, o Herr, ein Gliedmaß bleib an deinem auserwählten Leib, ein Zweig an deinem Stamme. Nach dir wallt mir mein Gemüte, ewge Güte, bis es findet dich, des Liebe mich entzündet.

Abkündigungen und Segen

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