Bild: Helmut Schütz

Zur tiefenpsychologischen Bibelauslegung von Eugen Drewermann

Leserbrief von Helmut Schütz, Alzey, am 22. März 1992 zu einem Artikel in der Mainzer Allgemeinen Zeitung vom 8. Februar 1992: „Drewermanns Lehre geistert durch alle Predigten“
Zwei Buchcover von Eugen Drewermann: Tiefenpsychologie und Exegese Band I und Das Markusevangelium, Zweiter Teil
Zwei Bände von Eugen Drewermanns umfangreichen Veröffentlichungen über tiefenpsychologische Bibelauslegung

Ich bin einer der evangelischen Pfarrer, durch dessen Predigten „Drewermanns Lehre geistert“, genauer gesagt: ich fühle mich ihm verwandt in seiner Grundhaltung einer seelsorgerlich geprägten Verkündigung und habe von Drewermanns Art, sich vom Geist der biblischen Wahrheit heute ansprechen und berühren zu lassen, viele wertvolle Anregungen bekommen.

Bestürzt haben mich die nur negativen Stellungnahmen zu Drewermann in den Leserbriefen vom 21. März. Hat jemand von den Kritikern Drewermann selbst überhaupt gelesen? Es ist eine furchtbare Unterstellung, zu sagen, Drewermann wolle das Gewissen zum Schweigen bringen, wolle „Begriffe wie Beten, Opfer, Sünde, Buße, Demut, Ehrfurcht… mit seinem psychologischen Begriff der Angst abtun“. Er greift auch nicht „Jesus als den Sohn Gottes und als den Christus“ an.

Drewermann ist ein tiefgläubiger Christ, der sich die ernsthafte Frage stellt, wie Gott eigentlich zu uns Menschen reden kann. Er sagt einmal: „Gott hat keine andere Sprache an uns als die Sprache der Seele in uns“, nur auf dem Wege über die Bilder, die tief in unserer Seele verborgen liegen, kann Gott uns erreichen, anrühren, innerlich verwandeln. Wenn er als Hilfsmittel, um die Bilder der Bibel zu verstehen, tiefenpsychologische Einsichten verwendet, dann nicht, um Theologie in Psychologie aufzulösen, sondern um uns Menschen des 20. Jahrhunderts begreiflich zu machen, was der lebendige Gott uns sagen will. Wer dagegen fordert, alle biblischen Erzählungen und Bilder wortwörtlich, buchstäblich als Tatsachenbeschreibungen aufzufassen, der geht gerade am Sinn, am Geist der Bibel vorbei.

Für Drewermann ist in der Tat die „Angst“ ein wichtiger Begriff. Angst ist für ihn die Grundhaltung des Menschen ohne Gott, ohne das Vertrauen zu einer die Schöpfung und den Menschen tragende Macht. Diese Angst ist theologisch gleichbedeutend mit dem Begriff „Sünde“ = „Absonderung von Gott, Trennung zwischen Mensch und Mensch, Entfremdung von meinem eigentlichen Wesen“. Sie führt zu allen Formen des Bösen und der Schuld (die Drewermann gerade nicht auf billige Weise wegerklären und verharmlosen will), indem der Mensch sich einen Ersatz zu verschaffen versucht für das, was ihm Gott eigentlich schenken will: Liebe, Vertrauen, Hoffnung.

Angst in diesem Sinn, Angst als Sünde, als Gottferne, kann nur überwunden werden, wenn Gott uns neues Vertrauen schenkt, wenn er selbst zu uns kommt. Das hat er in dem Menschen Jesus getan. Jesus hat das Vertrauen zu seinem himmlischen Vater so radikal gelebt, bis hin zum Opfer seines Lebens am Kreuz, da auch wir in der Nachfolge Jesu wieder Vertrauen zu Gott und zum Leben finden können. In diesem Sinne ist Jesus auch für Drewermann und für mich „von der Jungfrau geboren“, nicht ein Spross menschlicher Selbstbehauptung, sondern ein Geschenk des Geistes Gottes. Er ist „auferstanden“, weil im Vertrauen auf Gott im Tod nicht alles aus ist, sondern wir in der Liebe Gottes geborgen bleiben. Er ist „aufgefahren in den Himmel“, weil Gott im Himmel seit den Tagen Jesu für alle Zeit und Ewigkeit das menschliche Gesicht Jesu trägt, der uns liebt und in einer Welt der Angst getrost leben lässt.

Religiöse Texte in ihrem symbolischen Gehalt ernst nehmen

Leserbrief von Helmut Schütz zum Artikel von Ulrich Bergner in der „Evangelischen Kirchenzeitung“ vom 1. März 1992, S. 4: „Jesus verkommt zum reinen Symbol“

Liebe Redaktion, liebe Leser(innen) der „Evangelischen Kirchenzeitung“!

Als Teilnehmer am Wintervortrag „Jesus – Symbol oder Wirklichkeit“ von Prof. Lüdemann über Eugen Drewermanns Bibelauslegung habe ich mich über den entsprechenden Artikel in der „Evangelischen Kirchenzeitung“ (Nr. 9, 1992) geärgert. Aufgrund des Vortrages hatte ich angenommen, dass Lüdemann auf Gefahren aufmerksam macht, denen man erliegen kann, wenn man einer symbolisch ausgerichteten, tiefenpsychologisch orientierten Exegese folgt. In der Zeitung heißt es nun kategorisch: „Jesus verkommt zum reinen Symbol“!

Ich habe selbst Drewermann gelesen und weiß, dass er an der konkreten geschichtlichen Gestalt Jesu durchaus interessiert ist. „Es wäre gut“, schreibt er zum Beispiel im Kommentar zum Markusevangelium (Band 2, S. 341, Anmerkung 27), „wenn in theologischen Auseinandersetzungen die symbolische Einheit von Archetypischem und Historischem in der Sprache der Religion endlich begriffen, statt in einem unsinnigen Entweder-Oder aufgelöst würde.“ Sein Anliegen ist die zentrale Einsicht, dass sich die Bedeutung geschichtlicher Ereignisse und Persönlichkeiten – und erst recht ihre religiöse Bedeutung – gar nicht anders als in symbolischer Sprache ausdrücken lässt. Er verachtet also die Historie gar nicht. Vielmehr nimmt er die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese ernst, denen zufolge die meisten religiösen Texte, die im Gewand scheinbar historischer Berichte auftreten, in Wirklichkeit mythen-nahe oder legendenhafte Erzählungen sind. Darüber hinaus geht er aber davon aus, dass auch sie gerade mit ihrem symbolhaften Inhalt entscheidend zum Verständnis auch des historischen Geschehens beitragen, in dessen Zusammenhang oder Umfeld diese Texte entstanden sind.

Wenn Lüdemann einerseits kritisiert, dass Drewermann nicht genug nach der subjektiven Aussageabsicht zum Beispiel des Markus frage, andererseits ihm aber vorwirft, durch ein durchweg negatives Pharisäerbild dem Dialog zwischen Christen und Juden zu schaden, dann widerspricht sich Lüdemann übrigens selbst. Denn Markus selbst hat ja wohl die Absicht, Jesus und die Pharisäer in scharfem Gegensatz zueinander darzustellen. Gerade die historisch-kritische Methode fragt jedoch hinter den Text zurück, ob das Bild des Markus von den Pharisäern der damaligen historischen Wirklichkeit der Pharisäer überhaupt gerecht wird. Drewermann teilt die Auffassung, dass die Darstellung der Pharisäer bei Markus historisch nicht zutrifft; der Evangelist schrieb ja nicht als Historiker, sondern als Prediger, der aus seinem Glauben heraus die Bedeutung der einzigartigen Person Jesu Christi den Menschen aller Zeiten vor Augen stellen und damit wiederum Glauben wecken wollte. Hierzu Drewermann selbst (Markusevangelium II, S. 532, Anmerkung 10): „Man wird die zeitbedingte antijüdische Polemik der Evangelisten erst dann überwinden, wenn man die Typologie ihrer legendenhaften Darstellungsweise gerade mit psychologischen Mitteln auf die in ihnen enthaltenen wesentlichen Konflikte der menschlichen Existenz und der menschlichen Geschichte bezieht, oder die vier Evangelisten haben uns Heutigen an der entscheidenden Stelle ihrer ‚Verkündigung‘ schlechterdings nichts mehr zu sagen!“

Mir scheint, dass das wichtigste Anliegen Drewermanns, religiöse Texte gerade in ihrem symbolischen Gehalt ernstzunehmen und ihren Ursprung und Widerhall in den Tiefen der menschlichen Seele aufzuspüren, von Herrn Lüdemann in seiner vollen Bedeutung nicht gewürdigt wurde. Es geht dabei nicht um das Eintragen heutiger Symbole in alte Texte entgegen der Aussageabsicht des damaligen Verfassers. Vielmehr können nach Drewermann die alten Texte uns heute nur dann noch im Tiefsten unserer Seele ansprechen, wenn es zwischen heute und damals eine gemeinsame Basis gewisser Grunderfahrungen menschlichen Erlebens gibt (auch wenn im einzelnen die Inhalte archetypischer Symbole sich durchaus wandeln können).

Und schließlich geht es auch nicht um die Ersetzung von Theologie durch Psychologie, sondern um die Frage, in welcher Sprache der lebendige Gott denn eigentlich zu uns reden kann – in der verstandesbetonten Sprache wissenschaftlicher Theologie (die zur Klärung von Sachverhalten ihren wichtigen Stellenwert hat) doch wohl kaum. Dazu noch ein schöner Satz von Drewermann selbst (Tiefenpsychologie und Exegese, Band 1, S. 484): „Gott hat keine andere Sprache an uns als die Sprache der Seele in uns; wer als Theologe sich weigert, diese Sprache geduldig und bescheiden zu lernen, wird Gott nicht hören können…“.

Mit freundlichen Grüßen
Helmut Schütz, Alzey

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