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Hoffnung für gefangene Seelen

Trauerfeier für einen Menschen, der nicht nur Kriegsgefangenschaft, sondern lebenslang eine seelisch verursachte innere Gefangenschaft erdulden musste.

Hoffnung für gefangene Seelen: Ein Männchen scheint aus einem Gully zu klettern und hält einen riesigen Schlüssel in der Hand
Ein Schlüssel als Symbol für Befreiung aus Gefangenschaft (Bild: Constance KowalikPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Wir haben uns hier versammelt, um von Herrn E. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Mit Worten aus Psalm 126 rufen wir zu Gott, dem Herrn:

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Liebe Trauergemeinde!

Wenn wir einen Verstorbenen auf seinem letzten Weg begleiten, dann nehmen wir Abschied von ihm, von diesem besonderen Menschen ganz persönlich. Wir denken an sein Leben, an die Geschichte, die ihn geprägt hat, an die Art, wie wir ihm begegnet sind, und an all das, was sein Wesen ausgemacht hat.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Er wurde krank, mehr und mehr, er veränderte sich in seinem Wesen, er musste mehrfach in der Nervenklinik behandelt werden, bis es nicht mehr anders ging: man musste ihn auf Dauer dort unterbringen. Viele Jahre lang ist ihm die Klinik fast zu einer Art neuer Heimat geworden. Die Kontakte zu seiner Familie blieben aber bestehen. Ich erinnere mich noch, wie er mich einmal beauftragt hat, eine Nachricht weiterzugeben: „Der X. soll kommen, er soll Blättchen mitbringen!“

Die Zigaretten waren seine große Ablenkung und Leidenschaft, mehr als seiner Gesundheit gut tat, Sie wissen ein Lied davon zu singen. Ich weiß nicht mehr genau, ob er es war, der einmal zu mir sagte: „Was sind Sie denn für ein Pfarrer, wenn Sie noch nicht mal Zigaretten bei haben?“ Aber er fand sich dann doch damit ab, dass er von mir nichts zum Rauchen bekam; stattdessen konnten wir uns immer wieder einmal unterhalten, und er nahm meistens an unseren Stationsandachten teil, auch wenn er manchmal meinte: „Junge, mach‘s nicht zu lang!“

Seit einiger Zeit litt Herr E. nun auch noch an einer körperlichen Krankheit, die an seinen Kräften zehrte; er wurde bettlägerig und ist schließlich vor ein paar Tagen gestorben. Bis auf diese letzte Zeit hat Herr E. immer den Eindruck eines robusten, kernigen Mannes gemacht. Er war an harte Arbeit gewöhnt, und er musste in Krieg und Gefangenschaft und auch in familiären Schicksalsschlägen viel Unglück und Leid verkraften. Die Kriegszeit war übrigens auch die Zeit, an die er die meisten Erinnerungen bewahren konnte, wie er zum Beispiel als Melder zu Pferd oder auch mit dem Motorrad Nachrichten überbringen musste oder wie er in der Gefangenschaft gute Erfahrungen mit einer russischen Familie machen konnte. Das hat mich übrigens an meinen eigenen Vater erinnert, der im Krieg auch als Melder mit dem Motorrad zwischen den Fronten unterwegs war.

Herrn E.s Leben, es ist vorüber, es ist gelebt. Erinnerungen werden noch bleiben, die schönen und die schweren. Dankbarkeit, Verbundenheit, die da waren, behalten ihre Bedeutung und ihren Wert. Vielleicht gerade die kleinen Begebenheiten, die scheinbar unwichtigen Alltagsbegegnungen, sie spiegeln wider, was uns ein Mensch bedeutet, wie er in unserem Gedächtnis haften bleibt, sei es in der Familie oder auf der Station.

Als ich diese Trauerfeier für Herrn E. vorbereitete, fiel mir der Psalm 126 ein, den wir vorhin gebetet haben. Das ist ein altes Lied, in dem von Gefangenschaft die Rede ist und von der Hoffnung auf Erlösung.

4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

Aus der Gefangenschaft in Russland, in die Herr E. durch den Krieg geriet, konnte er erst nach Jahren bangen Wartens befreit werden. Und war nicht auch seine Krankheit wie ein inneres, ein seelisches Gefangensein, so dass er sich nicht mehr allein versorgen und orientieren konnte und auch den äußeren Schutz der Klinik brauchte? Und doch spricht die Bibel von Hoffnung für gefangene Menschen, für gefangene Seelen:

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

Es ist eigentümlich, wie viel Interesse Gott gerade an den Menschen hat, die eher am Rande der Gesellschaft leben, die weder Macht noch Einfluss haben, die kaum etwas Besonderes zu erhoffen haben oder der Verzweiflung nahe sind. Gerade an ihnen wird in der Bibel immer wieder deutlich: Bei Gott herrschen andere Maßstäbe. Da geht es nicht um das dickere Portemonnaie oder um die höhere Leistung des einzelnen; da zählt die einfache Menschlichkeit, die einfache gütige Nähe und Wärme, die jeder Mensch braucht und die es nach Gottes Willen auch reichlich in der Welt geben könnte. Gott ist nämlich einer, der Liebe verschenkt, der uns Menschen nahe ist, der uns das Vertrauen zum Leben einflößen will, und er tut das auf eine absolut menschliche Weise, indem ein Mensch dem anderen eben diese Güte und Herzlichkeit und Barmherzigkeit weitervermittelt. Jesus fing damals damit an; seine Liebe zu den Menschen hatte keine Grenzen; selbst als man ihn tötete, konnte man die Liebe nicht mit ihm töten: Wir glauben an seine Auferstehung, wir glauben, dass das Vertrauen auf Gott stärker ist als der Tod, wir glauben, dass uns im Tode nichts von der Liebe Gottes trennen kann.

Wenn wir einen Menschen geliebt haben und er stirbt, dann sind wir traurig. Wenn der Mensch alt geworden ist, dann trösten wir uns, dass er sein Leben gelebt hat. Und in jedem Fall dürfen wir uns damit trösten, dass wir in Gottes Hand geborgen bleiben, dass wir im Tode nicht verlorengehen, auch Herr E. nicht. Und wenn wir uns fragen: Was bleibt von einem Leben, das zwar zum Teil auch ein Arbeitsleben war, das vom Säen und Ernten, vom Pflanzen und Aufbauen bestimmt war, in dem es aber auch lange Zeiten des Krieges und der Krankheit gab? Der Psalm weiß auch von Zeiten der Tränen, von Zeiten, die schwer durchzustehen sind. Und zugleich hält der Psalm an der Hoffnung fest, dass man auf einem Weg der Tränen auch wieder Freude finden kann. Nicht unbedingt immer erst in der Ewigkeit, nach unserem Tod. Nein, Wege durch das Leid hindurch, die zu neuer Getrostheit und Zuversicht führen, gibt es schon hier auf Erden, überall da, wo wir einander in schweren Zeiten beistehen, wo wir uns helfen, zu fühlen, was wir fühlen, zum Beispiel auch, wenn durch neues Leid alte Wunden wieder aufgerissen werden:

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Wir gehen nun hin und legen den Leib des Verstorbenen wie einen Samen in die Erde. Und so wie der Landwirt bei der Saat schon auf die reiche Ernte hofft, so dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott auch den toten Menschen zu neuem, unvergänglichen Leben erweckt, zwar nicht mehr hier auf der Erde, sondern in der Ewigkeit, in uns unvorstellbarer Weise.

Ohne dieses Vertrauen – was wäre unser Leben dann wert? Wir würden ja alle vor dem gleichen Abgrund stehen – Tod, Ende, alles aus! Aber mit diesem Vertrauen auf den lebendigen Gott, der kein Gott der Toten sein will und der jeden einzelnen Menschen in sein Herz geschlossen hat, mit diesem Gott behält ein Mensch als ein Kind Gottes seinen eigenen, unverlierbaren Wert, egal ob arm oder reich, krank oder gesund, leistungsstark oder am Ende seiner Kräfte. Lasst uns für uns selbst um dieses Vertrauen zu Gott beten und unseren Verstorbenen der Liebe Gottes anvertrauen. Amen.

Wir beten noch einmal mit den Worten eines alten Liedes, mit dem bekannten Psalm 23:

1 Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.

3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Amen.

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