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Blickrichtungen an der Grenze des Todes

An der Grenze des Todes können wir in verschiedene Richtungen blicken: nach hinten und nach vorn, nach unten und nach oben. Zurück in der Erinnerung, nach vorn in der Frage, wie wir weiterleben können, nach unten im Bewusstsein dessen, dass wir unsere Toten begraben in der Erde, und nach oben in der Hoffnung auf Gott. Alle diese Blickrichtungen sind wichtig.

Blickrichtungen auf dem Friedhof: Ein nachdenklicher Friedhofsengel mit gesenktem Blick
Der Blick eines Friedhofsengels – wohin richtet er sich? (Bild: Uwe BaumannPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir sind vom Tod betroffen. Herr I. ist nach kurzer, schwerer Krankheit ganz plötzlich gestorben. Es ist für Sie noch nicht zu begreifen, dass er nicht mehr da sein soll; noch ist nicht abzusehen, wie der Abschied ertragen werden kann. Wir können den Abschied nicht vermeiden, müssen den schweren Weg miteinander gehen. Wir sind hier, um uns anlehnen zu können oder um Stütze zu sein, um uns von dem Verstorbenen zu verabschieden und den Angehörigen nahe zu sein; wir fragen in dieser Stunde nach Gottes Hilfe und Trost.

Wie sollen wir beten? Worte der Bibel geben uns Hilfe, wenn wir ausdrücken wollen, was uns bewegt, was in uns vorgeht. Worte der Bibel geben uns ein Beispiel, wie wir alles vor Gott bringen können: Klage und Anklage, Trauer und Schuld, Erinnerung und Dankbarkeit, Liebe und Zorn, Verzweiflung und Hoffnung. So hören wir die Worte eines Liedes aus der hebräischen Bibel, aus dem Psalm 39, und können vielleicht an manchen Stellen mit unserem inneren Gespräch mit Gott in dieses Gebet einstimmen:

3 Ich bin verstummt und still und schweige fern der Freude und muss mein Leid in mich fressen.

4 Mein Herz ist entbrannt in meinem Leibe; wenn ich daran denke, brennt es wie Feuer. So rede ich denn mit meiner Zunge:

5 »HERR, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

6 Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!

7 Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.«

8 Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.

9 Errette mich aus aller meiner Sünde und lass mich nicht den Narren zum Spott werden.

13 Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter.

Liebe Frau I., liebe Trauergemeinde!

Es ist ein harter Schlag für Sie, dass Herr I. so schnell aus Ihrer Mitte gerissen wurde. Ohne vorherige Anzeichen ging alles so rasch: Arzt, Krankenhaus, Intensivstation. Er ist zum Schluss nicht mehr zu sich gekommen und sehr bald gestorben.

Es wird noch einige Zeit dauern, bis dieser Verlust voll ins Bewusstsein tritt. Sie werden den Weg der Trauer gehen müssen, den Ihnen niemand abnehmen kann. Es ist gut, wenn Sie auf diesem Weg immer wieder Menschen begegnen, die Sie nicht allein lassen. Es ist gut, wenn Sie spüren, dass Sie auch von Gott nicht verlassen sind. Und wenn es so aussieht, als ob niemand da sei, und man denkt, wie es in dem Psalm heißt: „Ich muss mein Leid in mich fressen“, dann kommt vielleicht auch wieder der Zeitpunkt, an dem man merkt: Man kann Leid auch teilen, mitteilen, gemeinsam tragen. Man kann zu Gott, wie im weiteren Verlauf des Psalms, auch sprechen: „Wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich!“

Trost von Gott sieht nicht so aus, als ob alle Trauer damit weggewischt sei. Es heißt vielmehr in der Bibel, dass Gott uns tröstet, wie eine Mutter tröstet (Jesaja 66, 13). Die Mutter kann den Schmerz nicht wegnehmen, aber sie nimmt ihr Kind in den Arm und lässt es nicht allein. Die Mutter gibt die Zuversicht, dass es gut ist zu weinen und dass man auch wieder aufhören kann, wenn es genug ist. So sieht Gottes Trost aus, der uns im Schmerz festhält und nicht fallen lässt. Gott hält es aus, wenn wir uns anklagend gegen ihn wenden, wenn wir unsere Enttäuschung oder Verbitterung vor ihm laut werden lassen. So können wir zu Gott beten (Psalm 39, 13):

Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter.

„Ich bin ein Gast auf Erden“, heißt es auch in einem alten Lied zur Beerdigung, das ich nachher noch vorlesen möchte. Wir haben Gastrecht auf der Erde, nicht das Hausrecht. Wir haben unser Leben von Gott anvertraut bekommen, wir können nicht vollkommen frei über unser Leben verfügen. Darum sind und bleiben wir angewiesen auf den, der uns unsere Lebenszeit gegeben hat. Nur bei ihm finden wir Trost, der wirklich tröstet, nur bei ihm kommt die Suche nach Heimat zu ihrem Ziel. Auf der Erde können wir uns nur immer eine Zeitlang heimatlich einrichten und es uns schön machen; zur Ruhe kommen wir nur vorübergehend. Heimat erleben wir dort, wo uns Menschen Geborgenheit geben, wo wir angenommen sind, so wie wir sind, wo wir spüren: Hier gehören wir dazu, hier bin ich nicht allein. Doch das ist auf unserer Erde immer nur begrenzt möglich: begrenzt durch menschliche Schuld, durch unsere Unvollkommenheit, durch äußere Umstände, schließlich durch den Tod.

An der Grenze des Todes können wir in verschiedene Richtungen blicken: nach hinten und nach vorn, nach unten und nach oben. Zurück in der Erinnerung, nach vorn in der Frage, wie wir weiterleben können, nach unten im Bewusstsein dessen, dass wir unsere Toten begraben in der Erde, und nach oben in der Hoffnung auf Gott. Alle diese Blickrichtungen sind wichtig.

Heute steht im Vordergrund das Gedenken an den Mann, um den Sie trauern. Erinnerungen an Herrn I. stehen Ihnen vor Augen, Erinnerungen an das, was Sie mit ihm erlebt haben, und an das, was er von früher erzählt hat. Heimat im Sinne von Beständigkeit, im Sinne von Verwurzelung an einem Ort und in einem Beruf hat er sein Leben hindurch erlebt. Er war hier geboren und aufgewachsen und ist sein Leben lang hier ansässig geblieben. Nur im Krieg musste er fern der Heimat bittere Jahre durchmachen; danach stand ihm der Sinn nicht mehr danach, viel in der Welt herumzukommen. Durch eine glückliche Fügung gerade noch der Einkesselung in Stalingrad entkommen und nach Kriegsende in Gefangenschaft geraten, wünschte er sich für die Folgezeit nichts mehr, als endlich zur Ruhe zu kommen. Dabei verstand er Ruhe nicht als Untätigkeit.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Vielen wird Herr I. nun fehlen. Sie wissen, was Sie an ihm gehabt haben, was Sie ihm verdanken und was Sie ihm geben konnten. In all dem können wir Grund zur Dankbarkeit erkennen, Dank auch an den Gott, der uns das alles geschenkt hat. Was wir an Liebe erfahren haben und was wir an Liebe für den Verstorbenen empfinden, können wir ihm auch über den Tod hinaus bewahren. Und wo wir einander etwas schuldig geblieben sein sollten, wo etwas unabgeschlossen geblieben ist, was wir jetzt nicht mehr ändern können, da stellen wir alles Gott anheim und bitten um seine Vergebung. Auf diese Weise können wir Abschied nehmen von Herrn I., so wie es Christen tun sollen und dürfen.

Was aus Herrn I. wird, darüber will ich nur sagen, dass Gottes Liebe zu ihm auch nicht aufhört im Tod. Seinen Leib legen wir in die Erde; was er für uns sein konnte, hat nun aufgehört. Doch bei Gott ist nicht unmöglich, dass wir von ihm in einer neuen Welt neu geschaffen werden. Ich glaube daran, dass niemand von uns bei Gott vergessen wird und verloren geht. So vertrauen wir ihn der Gnade Gottes an, auf die wir alle angewiesen sind, im Leben und im Sterben. Wenn wir so an Gott glauben können, dann blicken wir zwar traurig nach unten, in die Grube, in die der Leib des Menschen gelegt wird, doch wir können zugleich unsere Hoffnung auf Gott setzen und werden vielleicht auch wieder zuversichtlich unseren Kopf heben, nach oben und nach vorn schauen können. Gott hat mit jedem von uns noch etwas vor. Er traut uns viel zu. Er fordert nicht von uns, was über unsere Kräfte geht, sondern gibt uns Zeit für das, was seine Zeit braucht. Gerade wenn wir uns in besonderer Weise entwurzelt fühlen, einsam fühlen, wenn wir denken, wo ist eigentlich unsere Heimat?, dann will Gott unser Tröster sein, will Gott uns daran erinnern, dass wir ohnehin unser ganzes Leben hindurch nur Gäste auf der Erde sind, Fremdlinge mit Gastrecht. Unser Lebenssinn kommt daher nicht aus dem, was wir uns selber erarbeiten und verdienen können, sondern aus dem, was uns geschenkt ist und was wir anderen weiterschenken können: Liebe zwischen Gott und uns, Liebe zwischen Menschen, Verantwortung und Hilfsbereitschaft füreinander. Wenn wir wissen wollen, was denn bleibt, wenn wir einen geliebten Menschen verloren haben, können wir von Paulus lernen, der gesagt hat (1. Korinther 13, 13):

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Amen.

Lasst uns beten mit Worten aus dem bekannten Kirchenlied (EG 529)

1. Ich bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand; der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu.

2. Was ist mein ganzes Wesen von meiner Jugend an als Müh und Not gewesen? Solang ich denken kann, hab ich so manchen Morgen, so manche liebe Nacht mit Kummer und mit Sorgen des Herzens zugebracht.

3. Mich hat auf meinen Wegen manch harter Sturm erschreckt; Blitz, Donner, Wind und Regen hat mir manch Angst erweckt.

6. Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt, da mich ohn alle Maße mein Vater trösten wird.

Amen.

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