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Bittere Fragen

Der plötzliche Tod eines Familienvaters wirft bittere Fragen auf. Wo ist Trost zu finden ohne billige Sprüche und Vertröstung?

Bittere Fragen: Viele schwarze und einige rote Fragezeichen liegen verstreut auf einem schwarzen Boden
Der Tod eines Familienvaters wirft bittere Fragen auf (Bild: Arek SochaPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir wissen, wie schwer es ist, was wir jetzt vor uns haben. Aber wir müssen diesen Weg miteinander gehen. Wir suchen in dieser Stunde Hilfe und Trost.

Eingangsgebet

Wir beten mit Worten aus dem Psalm 90:

1 Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.

2 Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

3 Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!

4 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.

5 Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst,

6 das am Morgen blüht und sprosst und des Abends welkt und verdorrt.

7 Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.

8 Denn unsre Missetaten stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.

12 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

13 HERR, kehre dich doch endlich wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig!

14 Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.

17 Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unsrer Hände bei uns. Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!

Liebe Familie F., liebe Trauergemeinde!

In einem alten Kirchenlied heißt es: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ Diese bittere Wahrheit mussten Sie in diesen Tagen in schmerzlichster Weise erfahren. Mitten aus dem Leben wurde Ihr Verwandter, Arbeitskollege und Freund gerissen. Mitten aus dem Leben: unvermutet, ohne vorherige Anzeichen, von einem auf den anderen Augenblick. Die Nachricht blieb unvorstellbar. Es ist wie ein langer böser Traum, den man von sich abschütteln möchte und den man nicht los wird. Das Bewusstsein hat die Wirklichkeit noch nicht eingeholt. Doch von Tag zu Tag wird es gewisser ins Bewusstsein eingepflanzt, dass dieses Leben, das Leben von Herrn F., abgebrochen ist, abgebrochen mitten im Leben.

Sie sind tief betroffen und erschüttert, liebe Leidtragende. In Ihr Haus, in dem vor kurzem noch frohe Zufriedenheit das Miteinander der Familie bestimmte, sind Schmerz und Tränen eingekehrt. Er hat es nicht leicht gehabt in seinem Leben; doch er war einer, der es verstand, sein Leben zu meistern, von Arbeit und Fleiß und Gewissenhaftigkeit war es erfüllt. Die Arbeit war da, sie musste getan werden, und Herr F. entzog sich ihr nicht. Aber sie war ihm nicht der letzte Lebenssinn. Mit seiner Familie in Zufriedenheit leben zu können, danach strebte er, dafür arbeitete er. Er konnte sich an kleinen Dingen freuen, am gemeinsamen Feierabend in der Familie, am Schein der Kerzen in der Wohnstube. Und nun, nachdem er in der letzten Zeit ein wenig mehr Ruhe gehabt hatte, ist seine Lebenszeit plötzlich abgebrochen. Er hätte gern noch gelebt – es war ihm nicht vergönnt. Da waren manche Zukunftspläne – er kann sie nicht mehr verwirklichen.

Wir spüren unsere Ohnmacht, ein Gefühl von Sinnlosigkeit überkommt uns. In solchen Augenblicken scheint alles zu wanken, was einem bisher Halt versprach, scheint alles seine Bedeutung zu verlieren, was einem bisher Freude bereitete, die Kehle wird einem zugeschnürt, als würde man von einer unsichtbaren Hand gewürgt.

Und nach dem ersten lähmenden Schock, der sprachlos und fassungslos macht, versuchen sich verzweifelte Klagen und Fragen Bahn zu brechen: Warum denn gerade er, der Frau und Kinder an die erste Stelle setzte und sich selbst dahinter? Warum musste er so früh von uns gehen und so unbegreiflich plötzlich? Warum wurden gerade wir auseinandergerissen, die wir so vertrauensvoll und harmonisch zusammenlebten?

Fragen, bittere Fragen, auf die sich eine vorschnelle und leichtfertige Antwort verbietet. Vielleicht können wir diese Warum-Fragen überhaupt nicht beantworten. Als Jesus einmal über eine Katastrophe benachrichtigt wird, bei der mehrere Menschen ums Leben kommen, da wendet er diese Warum-Fragen um: Seine Freunde sollen nicht fragen, ob dieses Sterben eine Strafe Gottes war; sie sollen nach ihrem eigenen Leben fragen, nach dem Sinn ihres eigenen Lebens und wie sie es führen. Nicht die Länge eines Lebens entscheidet über dessen Wert. Nicht schon eine lange Lebensspanne verleiht unserem Dasein Sinn, sondern allein die Art und Weise, wie wir unsere Tage zubringen, lässt eine Aussage über deren Sinn oder Sinnlosigkeit zu. Und selbst diese Aussage kann im Letzten nur der in unser Buch des Lebens schreiben, der unser Herz kennt, besser als wir selbst, der der Herr über Leben und Tod ist.

Erinnerung wird Ihnen vor Augen führen, wofür Sie dankbar sein können in Ihrem Leben bis zum Todestag des Verstorbenen. Wie kann das Ihnen bleiben? Kann die Liebe zu den ihm Anvertrauten, dieser Keim der Liebe, den er pflanzte, zum Baum des Lebens für die Hinterbliebenen werden, von dem sie reichlich Früchte des Trostes ernten können, in dessen Schatten, der gleichsam aus der Ewigkeit zu uns herüberragt, sie sich bergen und von ihrer Mühseligkeit erholen können?

Was bleibt? Dass die Liebe, die Sie einander zugewendet haben, und dass Ihr Leben nicht verloren sind, dass beide erhalten bleiben, ist allein dann wieder allmählich zu erfassen und zu bejahren, wenn Sie sich glaubend Gott anvertrauen. Was bleibt, das ist in dem Bibelvers aus dem Buch Jesaja 54, 10 ausgedrückt, den Sie, liebe Frau F., als Text für diese Ansprache gewünscht haben:

Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Das ist kein Versuch, den Ernst des Todes zu überspielen, so als ob die Trauer nichts wäre und der Schmerz unnötig. Das ist auch keine Antwort auf die Frage: „Warum?“ Sondern es ist die Zusage Gottes, dass er das Leben will und nicht den Tod, dass mit dem Tod seine Macht nicht am Ende ist, dass er möglicherweise andere Pläne mit uns verfolgt, als wir dachten. Uns allen sagt Gott, dass er mit seiner Liebe, seiner Gnade bei uns ist, ob wir es merken oder nicht; dass der Tod kein Argument gegen das Leben ist – das sagt er uns allen, die ja dem eigenen Tod in naher oder ferner Zukunft ebenfalls entgegenblicken. Gerade der plötzliche und unerwartete Tod eines geliebten Menschen öffnet uns ja die Augen dafür, wie sehr jeder unserer Lebenstage ein Geschenk Gottes ist. Jeder Tag ist eine Gabe und zugleich eine Aufgabe, eine Einladung Gottes, den Spuren Jesu zu folgen, die uns zu denen führen, die unsere Liebe brauchen, in der Familie wie in der Ferne.

Und darin kann, nach allem, was ich von vielen Seiten über Herrn F. gehört habe, der Verstorbene uns ein Ansporn sein. Selbstverständlich war es ihm, helfend einzuspringen, wenn Not am Mann war, sei es durch Geldopfer oder seinen tatkräftigen Einsatz, sei es durch ermutigende, aufrichtende Worte oder einen Blumengruß am Krankenbett. Viele von Ihnen werden solche Bilder vor Augen haben, wenn Sie sich an Herrn F. erinnern. Das ist es, was so viele, die hier versammelt sind, traurig macht, dass er so früh sterben musste und eine Familie hinterlässt, die ihn doch nötig brauchen würde. Gerade das ist es aber auch, was uns an diesem Sarg dankbar zurückblicken lässt. Je lieber uns ein Mensch war, je näher er uns stand, je mehr er für uns bedeutete, desto größer der Schmerz über seinen Verlust, desto größer auch unsere Angst vor dem leeren Platz. Niemand kann an seine Stelle treten im Sinne eines Ersatzes. Alle sind wir aber aufgerufen, zu helfen, wo wir nun gebraucht werden – ganz im Sinne des Verstorbenen.

Wo unsere Worte nicht trösten und wo auch Bibelverse wie leere Sprüche klingen, da kann nur der, der sagt, dass der Bund des Friedens nicht hinfallen soll, dem mit einem Schlag völlig veränderten Leben wieder eine neue Richtung geben. Wie das geschehen soll, das können wir jetzt noch nicht sagen. Wir wissen nur, dass der, der selbst mit jungen Jahren am Kreuz gelitten hat, uns zugesagt hat, dass er bei uns sein wird alle Tage bis ans Ende der Welt (Matthäus 28, 20). Allein zurückgelassen von Ihrem Ehemann und eurem Vater – und doch nicht verlassen: das ist die schwer zu ertragende, schmerzliche Spannung, die Ihnen aufgegeben ist. Zeichen dafür, dass Sie nicht von Gott verlassen sind, werden Sie bitter nötig haben, vor allem Menschen, die in der nächsten Zeit und später Ihnen und euch beistehen.

Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Amen.

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