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„Selig sind, die da Leid tragen“

Trauerfeier für eine junge Frau, die seelisch krank wurde und sich immer mehr aus ihrer großen Familie zurückzog. Ich gehe auf zwei Worte von Jesus und Paulus ein, die dabei helfen können, mit widerstreitenden Gefühlen umzugehen.

"Selig sind, die da Leid tragen": Eine Frau mit gesenktem Kopf, von hinten fotografiert, alles grau in grau
Wie gelingt es, Leid mitzutragen, wenn die Angst vor Gefühlen niederdrückt? (Bild: Free-PhotosPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um von Frau K. Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 30] Jahren gestorben ist.

Trauer ist Erinnerung. Wir rufen uns in Gedächtnis, was war, und bewahren in Liebe, was bleibt.

Trauer ist ein Weg. Wir gehen nachher gemeinsam den Weg zum Grab und helfen einander, das Schwere zu bewältigen, heute und in den Tagen, die kommen.

Trauer ist Trost. Wir hören Worte von Gott, dessen Liebe uns umschließt. Getragen sind wir, und niemals allein. Die Tränen, die wir weinen, sollen abgewischt werden.

Wir beten mit Psalm 139, einem alten Lied des Vertrauens aus der Bibel:

1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.

2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.

5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,

10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –,

12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

13 Denn du hast [mein Inneres] bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.

14 Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

15 Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.

16 Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

17 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Liebe Trauergemeinde, wir haben einen Psalm gebetet von dem Gott, der uns besser kennt, als wir selber uns kennen. Denn dieser Gott hat uns geschaffen, geplant hat er uns schon, als noch kein Mensch an uns dachte, in sein Buch des Lebens hat er von Ewigkeit her unsere Namen eingetragen, und wir sind wunderbar von ihm im Mutterleib gestaltet worden. Das gilt für uns alle, und so auch für die Verstorbene, für Frau K.

Aber nicht jeder Lebensweg läuft so unbeschwert und ohne Sorgen ab, wie wir uns das wünschen. Über weite Strecken ihres Lebens hat es Frau K. sehr schwer gehabt. Und da ihre Seele schwer krank war, machte sie auch selber das Leben sich selbst und anderen nicht gerade leicht.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Krankheiten, die die Seele eines Menschen angreifen, sind ja außerordentlich belastend; in wenigen Jahren kann sich Mensch so sehr verändern, auch in seinem ganzen Charakter, dass man ihn kaum wiedererkennt; es ist schwer, damit umzugehen. Frau K. konnte nicht mehr arbeiten, ihre Ehe zerbrach. Sie zog sich einerseits zurück, war mit der ganzen Situation, mit sich selbst und der ganzen Welt uneins, es war auf der anderen Seite aber auch klar, dass sie auf Hilfe angewiesen war.

Verständlich ist, dass mancher in der großen Familie gar nicht wusste, wie er damit umgehen sollte und sich nur selten bei ihr sehen ließ. Gerade uns Männern, von denen erwartet wird, stark zu sein und die Dinge im Griff zu haben, fällt es oft schwer, eine Situation auszuhalten, die gar nicht in den Griff zu bekommen ist.

Für Frau K. war es gut, dass einige Frauen in der Familie ihr zur Seite standen und ihr halfen, eine gute Betreuung zu bekommen und doch ihre Eigenständigkeit in der eigenen Wohnung zu bewahren. Sie ließ nicht jeden hinein, aber es gab auch Menschen, denen sie die Tür ihrer Wohnung und wohl auch ihres Herzens öffnete und ein Stück Vertrauen schenkte.

Das klingt jetzt alles so, als wäre das Leben von Frau K. in seiner zweiten Hälfte nur schwer und belastend gewesen; Sie haben mir aber gesagt, dass es auch andere Seiten in diesem Leben gab. Jeder Mensch will glücklich sein und sucht sein Glück auf seine Weise. Sie ging zum Beispiel gerne in der Stadt spazieren. Oder sie malte Bilder, in denen sie ausdrücken konnte, wie es ihr ging, und mit denen sie vielleicht auch manches, was sie belastet hat, verarbeiten konnte.

Bereits seit einem Jahr ging es ihr immer schlechter. Das Leben machte ihr immer weniger Freude. Trotzdem war es nicht vorhersehbar, dass sie so rasch sterben würde. Ihre Kraft reichte offenbar nicht mehr aus, ihr Herz hörte auf zu schlagen.

Jetzt müssen Sie Abschied von ihr nehmen. Diejenigen, die regelmäßig bei ihr waren, und auch diejenigen, die sie vielleicht noch einmal besuchen wollten, aber sich nicht dazu entschließen konnten. Es tut weh, einen Menschen zu verlieren, den man geliebt hat; es ist besonders schwer, wenn man schon lange nicht mehr wusste, wie man einander wirklich zeigen sollte, dass man sich lieb hat.

Jeder einzelne wird auf seine eigene Weise um die Verstorbene trauern, sicher auch mit gemischten Gefühlen. Viele sind traurig, dass sie nicht mehr da ist, sind dankbar für alles Liebe und Gute, das man von ihr erfahren hat und das man ihr geben konnte. Man wird sie vermissen, und man fragt sich, ob sie in ihrem Leben noch einmal hätte viel glücklicher werden können. Manch einer wird grübeln, ob er sie öfter hätte besuchen sollen und ob sie ihm überhaupt die Tür aufgemacht hätte.

Ich möchte Ihnen in dieser Stunde zwei Bibelworte ans Herz legen. Das eine ist ein Wort unseres Herrn Jesus (Matthäus 5, 4):

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Das andere stammt von dem Apostel Paulus (Römer 12, 15):

Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.

Was Jesus sagt, scheint auf den ersten Blick nicht logisch zu sein. Wieso sollen Leidtragende selig sein, also überglücklich? Sie sind doch eigentlich ganz im Gegenteil todtraurig.

Sein Wort weist und aber auf eine Wahrheit hin, die tiefer liegt. Es gibt ja letzten Endes kein Leben ohne Leid, und derjenige, der Leid tragen kann, ertragen kann, ist möglicherweise stärker als der, der vor allem zurückschreckt, das aus dem herausfällt, was man in unserer Welt für normal hält.

Als Seelsorger in einer psychiatrischen Klinik weiß ich, wie viele Menschen gerade im Durchstehen einer schweren seelischen Erkrankung Kräfte entwickeln und auch ihr persönliches eigenes Glück finden, wovon sich sogenannte gesunde Menschen gar keine Vorstellung machen können.

Wer Leid trägt, kann Trost erfahren, nicht indem das Traurige ungeschehen gemacht wird, sondern indem man es annimmt, so wie es ist. Und zu diesem Tragen und Annehmen kann vieles gehören. Zum Beispiel, dass man sich klarmacht, dass das Glück im Leben viel mehr aus Liebe und Freundschaft besteht als aus Dingen wie Geld und Besitz und sogar Gesundheit.

Und ganz wichtig ist, dass man Trost erfahren kann, indem man Leid gemeinsam trägt. Darauf weist das zweite Bibelwort des Paulus in seinem zweiten Teil besonders hin. Da heißt es:

Weint mit den Weinenden.

Es ist heute für viele peinlich, in Gegenwart anderer zu weinen. Man zeigt sich damit ja verletzlich, man wirkt überhaupt nicht stark. Vielleicht laufen Rotz und Wasser und man sieht nicht besonders schön aus. Und vielleicht hat man manchmal sogar Angst, man könne mit dem Weinen gar nicht mehr aufhören. Trotzdem macht Paulus Mut zum Weinen. Sogar zum Mitweinen mit anderen, zum Aushalten der Tränen des Familienmitglieds, der Freundin oder des Freundes oder auch des Menschen, den man gar nicht gut kennt, der aber trotzdem ein offenes Ohr sucht und eine Schulter, an der er sich ausweinen kann.

Sicher meint Paulus damit auch noch mehr und anderes als das wörtlich genommene Weinen; es kann sehr hilfreich sein, sich einmal aussprechen zu können, um zu sortieren, was man in der eigenen Seele für ein Gefühlsdurcheinander hat und wie man damit klarkommen soll. Nein, man muss auch in der heutigen Zeit nicht mit allem allein klarkommen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in diesem Sinne immer ein offenes Ohr und eine tröstende Schulter finden, wenn sie sie brauchen – in Ihrer Familie oder unter guten Freunden oder vielleicht auch einmal bei einem anderen hilfreichen Menschen, zum Beispiel einem Pfarrer.

Bevor Paulus aber vom Weinen spricht, redet er vom Lachen und sich Freuen. Zuerst fordert er uns auf:

Freut euch mit den Fröhlichen.

Das heißt wohl: Lasst es nicht zu, dass eure Trauer das ganze Leben herunterzieht, so dass alles in Depression versinkt. Trotz der Traurigkeit gibt es auch immer wieder Grund zur Freude im Leben. Das Lachen eines Kindes in der Familie, das glückliche Gefühl, wenn man sich mitten im Weinen bei einem anderen Menschen festgehalten und gut aufgehoben fühlt. Und wer fröhliche Feste mit Familie und Freunden feiern kann, legt vielleicht auch einen guten Grundstein dafür, dass man sich auch in traurigen Zeiten aufeinander verlassen kann.

Beides kann ganz eng nebeneinander liegen: die frohe Dankbarkeit für die Erinnerung an gemeinsame fröhliche Stunden – und die Tränen der Trauer über das, was nun einfach vorbei ist. Lachen und Weinen, beides gehört zum Leben; und ich denke, dass sowohl Jesus als auch Paulus genau wussten: Nur wer wirklich trauern kann, der kann auch wirklich von Herzen froh werden.

Was bleibt uns heute noch zu tun? Wir müssen Frau K. loslassen; wir können nichts mehr für sie tun, außer ihren Leib zum Grab zu geleiten und in Gottes Erde zu bestatten. Zugleich vertrauen wir damit ihre Seele den liebevollen Händen Gottes an. Ich bin überzeugt, dass Gott gerade die geplagten und verzweifelten Seelen ganz besonders lieb hat, auch wenn sie das in ihrem großen Leid oft gar nicht merken und an sich heranlassen können. Ich vertraue darauf, dass Frau K. in ihrem Tode nicht verloren geht, sondern dass Gott sie in seinem Himmel mit Ehren und im Frieden annimmt. Darum können wir sie getrost loslassen. Amen.

EG 533: Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand

Barmherziger Gott, nimm Frau K. gnädig auf in dein ewiges Reich im Himmel. Hilf uns, dass wir sie getrost loslassen können in Dankbarkeit und Liebe.

Vergib, was wir einander schuldig geblieben sind. Lass uns bewältigen, was uns belastet, und hilf uns, im Einklang zu leben mit uns selbst, mit denen, die uns die Nächsten sind, und nicht zuletzt mit dir, Gott, unser barmherziger Vater. Hilf uns, deinen Trost zu erfahren, indem wir das Leid unserer Trauer tragen. Hilf uns, dass wir dazu bereit und stark genug sind, unsere Freude mit anderen ebenso zu teilen wie unser Leid. Amen.

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