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Gott ist dennoch der einzige Halt im Leiden

Wenn kein Sinn im Leiden und Sterben eines Menschen zu erkennen ist, dann muss man auch keinen erfinden, sondern man kann Gott anklagen wie Hiob. Und paradoxerweise gerade so an Gott Halt finden.

Dennoch: eine Faust scheint eine Frau zu zerdrücken. Ihr Kopf ist ganz nach hinten gebeugt, aber sie hat die Hände zum Gebet gefaltet.
Wenn Gott mich wie mit einer Faust zerdrückt, kann ich trotzdem beten? (Bild: akiragiuliaPixabay)

Orgelspiel (EG 85):

9. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.

10. Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Wir sind hier zusammengekommen, um von Frau T. Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist. Wir sind im Namen des Gottes versammelt, dessen Wege uns manchmal unbegreiflich sind, der uns urplötzlich wie ein Fremder gegenübertritt, obwohl wir gewohnt waren, ihm unser Vertrauen zu schenken.

Menschen der Bibel helfen uns, auch in schweren Zeiten unsere Gedanken und unser Fühlen auf Gott hin auszurichten. Sie haben uns Gebete hinterlassen, in denen wir uns wiederfinden können und die uns anregen zum eigenen Beten. Eines dieser Gebete ist der Psalm 73, in dem sich ein gläubiger Mensch in den Qualen seines Lebens mit dem scheinbar sorglosen Schicksal gottloser Menschen auseinandersetzt. Wir beten mit den Worten dieses Menschen, der fast an Gott verzweifelt wäre, der aber sein Herz mit all seiner Verzweiflung vor Gott selbst ausschüttet:

1 Gott ist dennoch Israels Trost für alle, die reines Herzens sind.

2 Ich aber wäre fast gestrauchelt mit meinen Füßen; mein Tritt wäre beinahe geglitten.

3 Denn ich ereiferte mich über die Ruhmredigen, als ich sah, dass es den Gottlosen so gut ging.

4 Denn für sie gibt es keine Qualen,

5 [sie] werden nicht wie andere Menschen geplagt.

8 Sie achten alles für nichts und reden böse, sie [tun, was ihnen einfällt].

9 Was sie reden, das soll vom Himmel herab geredet sein; was sie sagen, das soll gelten auf Erden.

11 Sie sprechen: Wie sollte Gott es wissen? Wie sollte der Höchste etwas merken?

12 Siehe, das sind die Gottlosen; die sind glücklich in der Welt und werden reich.

13 Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche?

14 Ich bin doch täglich geplagt, und meine Züchtigung ist alle Morgen da.

15 Hätte ich gedacht: Ich will reden wie sie, siehe, dann hätte ich das Geschlecht deiner Kinder verleugnet.

16 So sann ich nach, ob ich‘s begreifen könnte, aber es war mir zu schwer.

21 Als es mir wehe tat im Herzen und mich stach in meinen Nieren,

22 da war ich [wie] ein Narr und wusste nichts, ich war wie ein Tier vor dir.

23 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

24 du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

25 Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

26 Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

28 Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott den HERRN, dass ich verkündige all dein Tun.

Lieber Herr T., liebe Trauergemeinde!

Der Tod war eine Erlösung für die Verstorbene, so haben Sie es mir gesagt. Und doch sind wir traurig, wenn wir Frau T. heute begraben müssen – traurig nicht nur wegen des Abschieds von ihr, traurig vor allem auch um des schweren Schicksals willen, das sie in ihrem Leben zu tragen gehabt hat.

Wir möchten ja so gern am Grabe eines Mitmenschen neben den Worten der Trauer auch Worte der Dankbarkeit finden. Wir möchten gern Bilanz ziehen über ein Leben und feststellen: Es war ein erfülltes Leben!

Aber über das Leben von Frau T. können wir nicht in ungetrübten Worten der Dankbarkeit und Freude sprechen. Zu viele ihrer Hoffnungen wurden enttäuscht, zu früh versank ihr Leben in der Dunkelheit einer Krankheit, so dass man über lange Jahre hin kaum noch Kontakt zu ihr aufnehmen konnte.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

War das Leben von Frau T. erfüllt? Es gab sicher Zeiten des Glücks, der Freude, der Gemeinschaft mit Menschen, die ihr lieb waren. Doch könnte man auch sagen – und Sie haben es gesagt: Ein unmenschliches Schicksal musste sie erleiden. Wie kann man da von Erfüllung sprechen?

Nach der Bibel hängt Lebenserfüllung nicht an der Zahl der Jahre, die ein Mensch lebt. Auch nicht am Grad der Gesundheit, des Wohlstands, des äußeren Glücks. Paulus sagt einmal (1. Korinther 13, 13): Glaube, Hoffnung, Liebe werden bleiben, auch wenn wir sterben, auch wenn alles andere vergeht – damit haben wir einen Maßstab, mit Hilfe dessen wir uns fragen können: Gab es nicht doch auch Grund zur Dankbarkeit, wenn wir an das Leben von Frau T. denken? Gab es nicht Liebe, die sie geben konnte, solange sie für ihre Familie oder überhaupt für andere da war? Ist sie nicht couragiert und selbstbewusst und manchmal auch mit Selbstverleugnung ihren Weg gegangen, getreu ihrem Wahlspruch: „Tue recht und scheue niemand!“? Hat sie nicht viel Liebe erfahren, als sie selber hilflos war? Das wird bleiben, das sind die Dinge, auf die es vor Gott ankommt.

Aber trotzdem bleibt die Frage bohrend in uns: Warum muss jemand ein solches Schicksal erleiden, der es nach menschlichem Ermessen nicht verdient hat? Wie kann Gott so ungerecht sein, wie kann er solches Leiden zulassen?

Vielleicht kann es uns schon ein Trost sein, wenn wir wissen: Wir sind nicht die ersten, die diese Frage stellen. Schon in der Bibel wurde so gefragt, wurde Gott angeklagt wegen seiner Ungerechtigkeit.

Hiob war es, der seinen ganzen Reichtum und alle seine Kinder durch Unglücksfälle verloren hatte, der dann außerdem noch schwer krank wurde, und den nicht einmal seine besten Freunde trösten konnten. Sie versuchten ihm nahezubringen, dass er sein Schicksal mit irgendetwas verdient haben und als Strafe akzeptieren müsse. Aber Hiob ließ sich nicht beruhigen; er antwortete seinen Freunden unter anderem (Hiob 19):

2 Wie lange plagt ihr doch meine Seele und peinigt mich mit Worten!

4 Habe ich wirklich geirrt, so trage ich meinen Irrtum selbst.

5 Wollt ihr euch wahrlich über mich erheben und wollt mir meine Schande beweisen?

6 So merkt doch endlich, dass Gott mir unrecht getan hat und mich mit seinem Jagdnetz umgeben hat.

7 Siehe, ich schreie „Gewalt!“ und werde doch nicht gehört; ich rufe, aber kein Recht ist da.

8 Er hat meinen Weg vermauert, dass ich nicht hinüber kann, und hat Finsternis auf meinen Steig gelegt.

10 Er hat mich zerbrochen um und um, dass ich dahinfuhr, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.

11 Sein Zorn ist über mich entbrannt, und er achtet mich seinen Feinden gleich.

14 Meine Nächsten haben sich zurückgezogen, und meine Freunde haben mich vergessen.

20 Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon.

21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen!

So betete Hiob, ja, das war ein Gebet, ein Zornesausbruch Hiobs gegen Gott, den er aber vor Gott selbst aussprach. So können wir auch beten, so dürfen wir auch beten. Gott hält das aus.

Und das Erstaunliche ist nun: Hiob kommt durch sein Klagegebet dann auch zu anderen Gedanken. Im gleichen Atemzug geht es dann nämlich weiter:

25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser – Gott, mein Anwalt – lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben.

26 Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen.

27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Zugleich klagt Hiob Gott an – und sehnt er sich nach ihm. In einem Atemzug sieht Hiob Gott als den, der ihn zerstört hat – und als den, der ihn erlösen wird. Hiob weiß: Wenn Gott lebt, dann ist er sowohl der, der das Böse zulässt, als auch der, der in der Not helfen kann. Er weiß nicht, warum das so ist, aber er kann nicht anders, als sich an diesen Gott zu klammern.

Für die Freunde Hiobs war es leichter, sich das so vorzustellen: Jedes Unglück, jede Krankheit ist eine gerechte Strafe Gottes für ein Vergehen eines Menschen. Bis heute sind wir ja noch nicht frei von solchen Gedanken. Aber Hiob hat die schwere Erkenntnis ausgehalten, dass er leiden musste, ohne dass das eine Strafe war. In der Rahmenerzählung des Hiob-Buches wird gesagt, dass die Leiden Hiobs ihm auferlegt werden, um seinen Glauben zu prüfen, aber davon weiss Hiob nichts. Er weiß nur: Ich habe niemand anderen, dem ich mein Leid klagen könnte, außer dem, der mich leiden lässt.

Wir haben vorhin gehört, wie ein anderer Beter der Bibel die gleiche Wahrheit ausgedrückt hat, der Verfasser von Psalm 73:

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

Auch dieser Mensch weiß, wie es in der Welt zugeht. Er hat es am eigenen Leib erfahren, wie es ist, Schmerzen zu leiden, den Verstand zu verlieren, geplagt und gezüchtigt zu sein, obwohl er sich keines Unrechts bewusst ist. Er weiß, auf welche Gedanken man kommen kann, wenn man sieht, dass es den bösen Menschen oft besser geht als den guten.

Dieser Mensch weiß aber auch noch etwas anderes. Er weiß, dass Gott trotzdem, dennoch, der einzige Halt im Leiden ist. Selbst wenn Gott selbst es ist, der ihn ungerecht behandelt – an wen sonst soll er sich wenden? Selbst wenn Gott selbst ihn züchtigt und plagt, ohne dass er einen Sinn darin erkennen kann – zu wem soll er sonst um Hilfe schreien?

Eine endgültige Antwort haben die Beter des Alten Testaments nicht auf ihre Fragen erhalten. Sie hielten sich an Gott und ergaben sich in seinen Willen. Und auch wir Christen stehen immer noch ratlos vor den oft undurchschaubaren Wegen Gottes. Doch eins dürfen wir wissen: Dem großen Gott selber ist das Leiden seiner Menschenkinder nicht gleichgültig. In Jesus ist Gott selber zur Welt gekommen, hat er selber das Menschenschicksal miterlebt, mit allen Höhen und Tiefen. Jesus ist nicht alt geworden, er hat Verachtung und Folterqualen erduldet, er hat am eigenen Leibe erfahren, was es bedeutet, ein Mensch unter Menschen zu sein, als Mensch seinem Schicksal ausgeliefert zu sein.

Und weil das so ist, dürfen wir dessen gewiss sein: In all unseren Leiden leidet Gott auch mit uns. Wir sind nie verlassen, auch wenn wir meinen, am Ende zu sein. Selbst im Tod bleibt Gott bei uns. Alles, was an unserem Leben wertvoll gewesen ist, jede Erfahrung von Liebe, jedes Fünkchen Hoffnung, jedes Stückchen Glaube behält in Gott seinen Wert. Er bewahrt uns auf in seinem Gedächtnis und wird uns in seinem himmlischen Reich neu schaffen – neu schaffen in Herrlichkeit.

Unser älterer Sohn fragte mich einmal, ob Gott es denn wolle, dass schon kleine Kinder sterben müssen. Damals war er, glaube ich, sechs Jahre alt, und die einjährige Schwester eines Schulkameraden war gestorben. Er gab damals selbst die Antwort: Nein, die kleine C. ist nicht gestorben, weil Gott das wollte. Sie ist an einer Krankheit gestorben. Aber Gott hat das Mädchen trotzdem zu sich gerufen.

Nur eins war ihm noch unklar. Wird das Mädchen denn im Himmel auch noch größer werden? Wie sieht sie denn dort aus im Himmel? Ich habe ihm gesagt, dass ich glaube, sie wird dort noch wachsen und größer werden. Überhaupt wird sie vielleicht ganz anders aussehen, als wir es uns vorstellen können. Denn wir sind ja heute auch anders als in unserer Kinderzeit und anders, als wir in der Zukunft sein werden, und trotzdem sind wir immer derselbe Mensch. Gott wird uns im Himmel nach seinem eigenen Bilde neu schaffen.

Im Vertrauen darauf geben wir heute die verstorbene Frau T. in die Hände Gottes. Und zugleich können wir auch uns selbst dem Gott anvertrauen, der uns tragen will in guten und in schweren Zeiten. Amen.

Orgelmusik

Lasst uns beten mit den Worten des Liedes, dessen Weise wir soeben gehört haben (EG 376):

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt; wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz; lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind, es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht; so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Amen.

Orgelmusik: „Ich bete an die Macht der Liebe“

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