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„Ihr seid das Licht der Welt“

In der Trauerfeier für einen Mann, der ganz unerwartet gestorben ist, gehe ich auf Psalmen der Erinnerung und des Trostes ein – und auf ein Wort von Jesus: „Ihr seid das Licht der Welt“.

"Ihr seid das Licht der Welt": Ein Mensch tritt aus dem Globus heraus, in dem er einen Schattenriss hinterlässt, im Hintergrund das Universum mit Sternen und Galaxien
Inwiefern können Menschen „Licht der Welt“ sein? (Bild: Steve WattsPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um von Herrn S. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Der Abschied fällt schwer. Es tut weh, einen geliebten Menschen herzugeben. Er war ein Stück des eigenen Lebens. Wir sind erschüttert, traurig, können es nicht begreifen, dass er so plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, nicht mehr bei uns ist.

Aber wir sind auch dankbar, denn mit diesem geliebten Menschen war uns viel geschenkt. Mit gemischten Gefühlen und Gedanken sind wir hier und stehen einander bei.

Wir besinnen uns auch auf Gott. Wir beten zu ihm, der unsere Gedanken kennt, dem wir uns anvertrauen können, von dem unser Leben herkommt und zu dem es im Tode zurückkehrt. Wir sprechen Worte aus Psalm 31:

2 HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!

3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!

6 In deine Hände befehle ich meinen Geist.

9 Du stellst meine Füße auf weiten Raum.

10 HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst! Mein Auge ist trübe geworden vor Gram, matt meine Seele und mein Leib.

11 Denn mein Leben ist hingeschwunden in Kummer.

15 Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!

16 Meine Zeit steht in deinen Händen.

17 Lass leuchten dein Antlitz über mir; hilf mir durch deine Güte!

18 HERR, lass mich nicht zuschanden werden; denn ich rufe dich an.

20 Wie groß ist deine Güte, HERR, die du bewahrt hast denen, die dich fürchten, und erweisest vor den Leuten denen, die auf dich trauen!

21 Du birgst sie in deinem Schutz vor den Rotten der Leute, du deckst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen.

22 Gelobt sei der HERR; denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt.

23 Ich sprach wohl in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Doch du hörtest die Stimme meines Flehens, als ich zu dir schrie.

25 Seid getrost und unverzagt alle, die ihr des HERRN harret!

Liebe Trauergemeinde, ich habe als Gebet den Psalm 31 ausgesucht, weil in ihm der Vers 9 vorkommt:

Du stellst meine Füße auf weiten Raum.

Den weiten Raum, die freie Natur, die frische Luft hat Herr S. geliebt, davon werden wir noch hören.

Im Psalm 31 heißt es aber auch in Vers 16:

Meine Zeit steht in deinen Händen.

Es ist nicht selbstverständlich, dass wir leben. Unsere Zeit ist begrenzt, ist kostbar, sie ist uns von Gott anvertraut, und erst am Ende erfahren wir, für wie lange.

Die Weite und die Begrenztheit, wie verträgt sich beides in einem menschlichen Leben? Es passt eine ganze Menge hinein in unsere endliche Lebenszeit, und wenn wir Zufriedenheit und Glück und Liebe erfahren haben, dann sprechen wir von einem reich erfüllten Leben. Die Weite eines Lebens entsteht dadurch, dass ein Mensch offen ist in seiner Zugewandtheit zur Welt und im Vertrauen zu anderen Menschen.

Erinnern wir uns an das konkrete Leben von Herrn S. in seiner Begrenztheit, Erfülltheit und Weite.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Ihm gefiel es, die nähere Umgebung zu erkunden. Er fuhr viel mit dem Fahrrad und brachte immer etwas von unterwegs mit, Wiesenblumen oder Schafgarbe zum Trocknen und Kräuter für Tee-Aufgüsse. Er kannte auch die Stellen, wo es die leckersten Früchte gab, Brombeeren, Pflaumen und Äpfel, die man am Wegesrand pflücken durfte. Wie man in Gießen mit der Natur umgeht, gefiel ihm nicht, zum Beispiel dass die Stadt so viele Nussbäume und Weißdornsträucher weggemacht hat.

Überhaupt war er ein Naturbursche, er liebte auch die Gartenarbeit, man kannte ihn nur braungebrannt, weil er so viel an der frischen Luft war.

Aber die Liebe zur Natur hielt ihn nicht vom Kontakt zu den Menschen ab, im Gegenteil; gerade wenn er unterwegs war, knüpfte er auch viele Kontakte, wenn er an den Gärten vorbei kam. Und noch im Alter spielte er auch einmal gern mit Kindern aus der Verwandtschaft Fußball. Er war allerdings kein Freund von großen Feiern; im kleinen Kreis fühlte er sich wohler.

Und manchmal brauchte er auch Zeiten, in denen er ganz für sich allein war. Aber dieser Rückzug bedeutete keine Flucht aus der Familie; das Zusammensein genoss er ebenso wie das Alleinsein. Er war ein lebensfroher Mensch, hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen, mochte gern die Situation auflockern. Zum Beispiel meinte er: „Lieber kurz und gut gelebt als lang und schlecht.“ Ich entnehme diesem Spruch, dass er sein Leben als gut empfand. Er hat den Augenblick genießen können. Um ein Genussmensch zu sein, muss man nicht viel Geld ausgeben. In der Sonne auf der Bank sitzen zu können, das war für ihn pure Lebensfreude. Oder als Feinschmecker durchaus wählerisch zu sein, um auch das Essen als eine der vielen „kleinen Freuden“ zu erleben.

Freude machte es ihm auch, anderen kleine Freuden zu bereiten, zum Beispiel durch die vielen Dinge, die er von unterwegs mitbrachte, meistens aus dem unerschöpflichen Reichtum der Natur. Hin und wieder kaufte er aber auch ein kleines Geschenk, und zwar ganz ohne Anlass.

Zuletzt brachte er Ihnen, liebe Frau S., wieder etwas mit. Sie haben erst später gesehen, dass es die Aufschrift trug: „Ihr seid das Licht der Welt“, und das hat Sie besonders berührt, weil er Ihnen das Geschenk erst so kurz vor seinem Tod gemacht hat.

Im Evangelium nach Matthäus 5, 14 steht dieser Satz:

Ihr seid das Licht der Welt.

Jesus hat das gesagt, und er meinte damit die Menschen, die im Vertrauen auf Gott leben. Ich möchte jetzt keine ganze Predigt über diesen Spruch halten, das werde ich am nächsten Sonntag im Gottesdienst tun, denn zufällig steht dieser Vers im Predigttext, der dann „dran“ ist. Aber einige Gedanken im Zusammenhang mit diesem „Licht der Welt“ möchte ich Ihnen doch ans Herz legen.

Ich denke, der Satz hat viel zu tun mit dem, was ich am Anfang gesagt habe, wie unser begrenztes menschliches Leben trotzdem Weite gewinnen kann und in reichem Maß erfüllt sein kann.

Es ist ja nicht einfach so, dass ein Leben nur dadurch, dass man möglichst viel unternimmt, erfüllt wird. Manche Menschen reisen überall hin, sind in ihrer Arbeit rastlos ohne Ende und kommen nie zur Ruhe. Ein solcher Mensch war Herr S. offenbar nicht. Er kannte einen Rhythmus von Nähe und Distanz, von Kontaktfreudigkeit und Alleinseinkönnen; und vor allem gab es eine Mitte für sein Streben nach Weite und Offenheit, ein Ziel, auf das hin sein Leben ausgerichtet war.

Diese Mitte, dieses Ziel, das waren die Menschen, mit denen und für die er lebte, mit denen er in Liebe verbunden war. So etwas meint auch Jesus, wenn er vom „Licht der Welt“ spricht: ein Leben, das von Liebe erfüllt ist und das Liebe ausstrahlt.

Licht der Welt zu sein, das bedeutet also, ein Mensch zu sein, dem man es anmerkt, was ihn erfüllt. Man ist gern mit ihm zusammen, man lässt sich von ihm beschenken, von ihm aufmuntern durch einen lockeren Spruch. Er kann auch einmal schimpfen und den Finger auf einen wunden Punkt legen, weil es ihm nicht gefällt, wenn Menschen, zum Beispiel im Blick auf die Natur, falsche Entscheidungen treffen. Wer „Licht der Welt“ ist, an den erinnert man sich auch gern, zwar mit Trauer und Wehmut, wenn er gestorben ist, aber doch auch mit großer Dankbarkeit. Man kann sich einen solchen Menschen zum Vorbild nehmen und sich bewusst machen, in welcher Weise er uns begegnet ist und uns geprägt hat.

„Ihr seid das Licht der Welt“, vielleicht können Sie das auch als Aufforderung von Herrn S. an Sie, die trauernden Familienmitglieder aufnehmen. Er würde nicht wollen, dass Sie in der Trauer verzweifeln. Natürlich ist der Schmerz einfach da, und die Trauer wird noch lange weh tun; aber dennoch gibt es Wege, die Sie in der Zukunft mit Zuversicht zu gehen haben, und dafür brauchen Sie neue Kraft und Ermutigung.

Sie können „Licht sein“ füreinander, indem sie einander beistehen. Tränen wollen geweint sein und auch wieder abgewischt werden. Erinnerung ist notwendig zum Weinen und auch zum Weitergehen.

Es gibt vieles, von dem Sie in unserem Gespräch gesagt haben: „Das ist alles vorbei.“ Sie müssen einen Menschen loslassen, mit dem Sie so viele Erinnerungen verbinden, können dies zugleich in dem Bewusstsein tun, dass der Schatz dieser Erinnerungen Ihnen bleibt. Und auch die Liebe bleibt, in der Sie sich Ihrem Ehemann, Ihrem Vater und Schwiegervater verbunden fühlen.

Trotzdem fällt das Loslassen besonders schwer, weil er so plötzlich aus Ihrem gemeinsamen Leben gerissen wurde, ohne dass Sie in irgendeiner Weise darauf vorbereitet gewesen wären.

Wir lassen Herrn S. los, aber er geht nicht verloren. Gott lässt ihn nicht los, sondern er nimmt ihn auf. Gott nimmt ihn mit Ehren an im seinem Reich, der Gott, der in Jesus Christus unser Leben auf dieser Erde geteilt hat und gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt.“ Ein Mensch, der hier auf Erden Liebe erfahren und ausgestrahlt hat, der bleibt auch in Ewigkeit in der Liebe und im Gottvertrauen geborgen und aufbewahrt.

Vorhin haben wir den Psalm 31 gebetet, in dem es um das Leben von Herrn S. ging in der Spannung zwischen Begrenztheit und Weite und Lebenserfüllung.

An den Schluss dieser Ansprache stelle ich einen anderen Psalm, in dem es mehr um Sie als Trauernde geht, ein Gebet für Stunden der Verzweiflung, in denen Ihnen vielleicht gar nicht nach Beten zumute ist. Aber gerade dann können wir Gott auch unsere Klage, unseren Zorn entgehenbringen, ja, sogar unsere Anklage, wenn wir nicht begreifen, warum er zulässt, dass er uns einen geliebten Menschen genommen hat.

So beten wir mit Worten aus dem Psalm 77:

2 Ich rufe zu Gott und schreie um Hilfe, zu Gott rufe ich, und er erhört mich.

3 In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; meine Hand ist des Nachts ausgereckt und lässt nicht ab; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen.

4 Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten.

5 Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann.

6 Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre.

7 Ich denke und sinne des Nachts und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen.

8 Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?

9 Ist‘s denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung für immer ein Ende?

10 Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen?

11 Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann.

12 Darum denke ich an die Taten des HERRN, ja, ich denke an deine früheren Wunder

13 und sinne über alle deine Werke und denke deinen Taten nach.

14 Gott, dein Weg ist heilig. Wo ist ein so mächtiger Gott, wie du, Gott, bist?

15 Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern.

21 Du führtest dein Volk wie eine Herde.

Die Wunder Gottes bestehen nicht in sensationellen Ereignissen. Echte Wunder brauchen auch keinen übernatürlichen Touch. Wunder in der Bibel sind Erfahrungen von Befreiung und Ermutigung – dass Menschen einander zum Licht, zum Segen, zum Trost werden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf dem schweren Weg Ihrer Trauer solche Wunder erleben – wie diese kleine Fügung, dass Herr S. Ihnen kurz vor seinem Tod diesen Satz mit auf den Weg gegeben hat: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Amen.

Lieber Vater im Himmel, wir müssen einen geliebten Menschen begraben. Du weißt, wie schwer das ist. Wir müssen uns fügen und den Verlust hinnehmen.

Lass uns bewältigen, was uns belastet. Baue uns auf durch die Erinnerungen an den Verstorbenen, die wir dankbar bewahren.

Gnädiger Gott, deiner Liebe vertrauen wir Herrn S. im Glauben an deinen Sohn Jesus Christus an, der unser menschliches Leben gelebt hat und unsern Tod gestorben ist, damit wir uns von seiner Liebe anrühren lassen und auch etwas ausstrahlen von diesem Licht.

Lass uns nicht in der Trauer versinken und hilf uns dabei, füreinander „Licht der Welt“ zu sein, dass wir schwere Stunden gemeinsam durchstehen, dass wir unser Herz ausschütten können, dass wir mit der Zeit Ruhe finden für unsere Seele und neue Zuversicht und Kraft, um die Aufgaben unseres Alltags zu bewältigen. Amen.

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