Bilder zu diesem Beitrag: Manuel Heinrich und Christoph von Weyhe

Lebenslanges Lernen

Ja, ich möchte meinen bisherigen Lebensweg als Kette von Erziehungsmaßnahmen Gottes begreifen. Wobei ich von Gott weniger väterliche Strenge, sondern eher mütterlichen Trost erfahren habe. Leben in der Begleitung durch Gott bedeutet für mich also: Lebenslanges Lernen. Immer wieder im Vertrauen auf Gott von Altbekanntem Abschied nehmen. Sich auf Neues einlassen. Herausforderungen angehen und bewältigen. Manchmal auch an Grenzen stoßen.

Danke aus großen farbigen Buchstaben
Die Kindergartenkinder sagten ihrem „Pfarrer Schütz“ mit großen Buchstaben ein herzliches Danke!

#predigtGottesdienst mit der Verabschiedung von Pfarrer Helmut Schütz nach 40 Dienstjahren im Pfarramt am Sonntag Kantate, 24. April 2016, um 14.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen (die Fotos wurden aufgenommen von Manuel Heinrich und Christoph von Weyhe)
Orgelvorspiel mit Einzug derer, die den Gottesdienst mitgestalten
Kirchenvorsteherin Ingrid Walpert:

Mit dem Wort zur Woche aus Psalm 98, 1 heiße ich alle herzlich in der Pauluskirche willkommen:

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.

Kirchenvorsteherin Ingrid Walpert
Kirchenvorsteherin Ingrid Walpert

Wir verabschieden heute unseren Gemeindepfarrer Helmut Schütz in seinen Ruhestand. Seine Familie und ihn begrüße ich besonders herzlich – und natürlich auch Herrn Propst Matthias Schmidt, der als Vertreter der Kirchenleitung Herrn Pfarrer Schütz von seinen Amtspflichten in der Paulusgemeinde entbindet.

Wir sind heute eine besonders bunte und vielfältige Gemeinde, denn unter uns sind nicht nur Christen, sondern auch Gäste, die anderen Religionen angehören, zum Beispiel Aleviten und Muslime, mit denen uns und besonders Pfarrer Schütz eine schon lange andauernde Weggemeinschaft verbindet. Auch Sie sind uns in unserer Gottesdienstfeier herzlich willkommen. Nicht alle unsere Gebete und religiösen Gedanken werden Sie mitvollziehen können, und doch gehören wir alle als Gemeinschaft der von Gott geliebten Geschöpfe zusammen.

Wir singen das Lied 287 von den Wundern Gottes, die er an uns Menschen tut.

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder

 

Gottesdienstbesucher in der Pauluskirche
Gottesdienstbesucher in der evangelischen Pauluskirche Gießen zum Abschied ihres langjährigen Pfarrers
Im Namen des einen Gottes, der als der unsichtbare Vater im Himmel die Liebe ist, der in Jesus Christus seine ewige Liebe in einem sterblichen Menschen vollkommen wohnen ließ und der in der Kraft des Heiligen Geistes seine Liebe in Menschen aller Völker und Religionen wohnen und wirken lässt. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“
Pfarrer Helmut Schütz am Altar vor dem Fensterbild von Claus Wallner
Pfarrer Helmut Schütz am Altar vor dem Fensterbild von Claus Wallner

Pfarrer Helmut SchützDer Ruhestand liegt vor mir. Und hinter mir liegen 40 Jahre und 0 Tage „ruhegehaltfähige Dienstzeit“, wie es mir der zuständige Oberkirchenrat aus Darmstadt in schönem Beamtendeutsch mitteilte. Darin eingeschlossen meine Zeit der praktischen Ausbildung als Vikar und acht Monate zusätzlich anerkannter Studienzeit.

40 Jahre – diese Zahl hat mich angeregt, in der Bibel nachzuschauen, wo dort diese Zeitangabe zu finden ist. Die Könige David und Salomo regierten 40 Jahre lang. Allerdings starben sie anschließend; ein Ruhestand für Könige war damals nicht vorgesehen. Bei Mose, dem großen Gesetzgeber und Propheten Israels, mit dem Gott redete (Exodus 33, 11) –

von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet…

Pfarrer Helmut Schütz… kommt die Zahl 40 drei Mal vor. Als israelitisches Kind von einer ägyptischen Prinzessin vor dem Tod errettet, wird er am Pharaonenhof als Ägypter erzogen, bis er im Alter von 40 Jahren seine Solidarität für sein eigenes Volk Israel entdeckt (Apostelgeschichte 7, 23). Seine Karriere als Revolutionär auf eigene Faust endet aber so rasch, wie sie begonnen hat mit einer Gewalttat an einem ägyptischen Sklavenaufseher; das Vertrauen seines Herkunftsvolkes kann er so nicht gewinnen. Er muss fliehen, bereits mit 40 Jahren verurteilt zum Vorruhestand, und züchtet Schafe im Land Midian. Nach weiteren 40 Jahren begegnet ihm Gott persönlich in einem brennenden Dornbusch. Und der überredet ihn dann doch noch, das Volk Israel in die Freiheit zu führen. Damit erst beginnt Moses Dienstzeit im Alter von 80 Jahren. Der Märtyrer Stephanus sagt später über diese Zeit (Apostelgeschichte 7, 36):

Dieser Mose führte sie heraus und tat Wunder und Zeichen in Ägypten, im Roten Meer und in der Wüste vierzig Jahre lang.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Pfarrer Helmut Schütz40 Jahre Dienstzeit – bei Mose sind das nicht die Regierungsjahre eines Königs wie bei David oder Salomo, sondern Jahres des Umherirrens in der Wüste. Warum dauert es eigentlich so lange, bis Israel die Schwelle des Landes Kanaan überschreitet? So weit ist der Weg dort hin doch gar nicht. Das Problem ist: die aus der Sklaverei Befreiten haben nicht genug Gottvertrauen und fürchten sich vor den Menschen, die bereits im Land Kanaan wohnen. Darum sagt Gott (Numeri 32, 11-12 und 14, 34):

11 [Sie] sollen das Land nicht sehen…, weil sie mir nicht treu nachgefolgt sind,

12 ausgenommen Kaleb … und Josua.

34 Nach der Zahl der vierzig Tage, in denen ihr das Land erkundet habt – je ein Tag soll ein Jahr gelten -, sollt ihr vierzig Jahre eure Schuld tragen, auf dass ihr innewerdet, was es sei, wenn ich die Hand abziehe.

Barmherziger Gott, vertrauen wir dir nicht, dann erfahren wir dich so, als ob du uns die kalte Schulter zeigst. Leben wir, ohne von Liebe getragen zu sein, dann mag uns das Leben wie eine unaufhörliche Durststrecke ohne Hoffnung und Hilfe erscheinen. Darum bitten wir dich um deine Liebe und um Vertrauen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Trotz allem: Moses Zeit in der Wüste war nicht nur Strafe, keine untätige Auszeit, sondern eine gesegnete Zeit, voller Wunder und Zeichen. Durch Mose spricht Gott zum Volk Israel (Deuteronomium 2, 7):

7 Der HERR, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner Hände. Er hat dein Wandern durch diese große Wüste auf sein Herz genommen. Vierzig Jahre ist der HERR, dein Gott, bei dir gewesen. An nichts hast du Mangel gehabt.

Eine lange Kette von Herausforderungen, auch eine Durststrecke, muss keine verlorene Zeit sein. Wer auf Gott hört, wer Zeichen seiner Liebe wahrnimmt, lernt zu vertrauen. Er nimmt wahr, wie wunderbar ein Leben ist, das von Liebe getragen ist. Das gilt auch in unseren ungewissen Zeiten, die von Ängsten und Herausforderungen geprägt sind, vom Kalten Krieg bis zur deutschen Wende, von der Entstehung eines Deutschlands der Vielfalt bis zur Flüchtlingskrise. Darum:

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Großer Gott, vor allem mit Dankbarkeit im Herzen bin ich heute hier im Gottesdienst. Darum lade ich alle ein, mit mir gemeinsam den Psalm 100 zu beten, im Gesangbuch Nummer 740. Sprechen Sie bitte die linksbündigen Verse:

Danket dem Herrn, lobet seinen Namen!

1 Jauchzet dem HERRN, alle Welt!

2 Dienet dem HERRN mit Freuden, kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!

3 Erkennet, dass der HERR Gott ist! Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.

4 Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben; danket ihm, lobet seinen Namen!

5 Denn der HERR ist freundlich, und seine Gnade währet ewig und seine Wahrheit für und für.

So danken wir dir, Gott, für deine liebevolle Begleitung. Und wir bitten dich, lass uns nicht aufhören, deine Liebe anzunehmen und in unserem Leben weiterzugeben. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören als Text zur Predigt aus dem 5. Buch Mose – Deuteronomium 8, 2-6:

2 Gedenke des ganzen Weges, den dich der HERR, dein Gott, geleitet hat diese vierzig Jahre in der Wüste, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit kundwürde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.

3 Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf dass er dir kundtäte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht.

4 Deine Kleider sind nicht zerrissen an dir, und deine Füße sind nicht geschwollen diese vierzig Jahre.

5 So erkennst du ja in deinem Herzen, dass der HERR, dein Gott, dich erzogen hat, wie ein Mann seinen Sohn erzieht.

6 So halte nun die Gebote des HERRN, deines Gottes, dass du in seinen Wegen wandelst und ihn fürchtest.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Das Lied 444 ist eigentlich ein Morgenlied. Nun ist es jetzt ja schon Nachmittag, darum singen wir nur die Strophen 3 bis 5, die zum Thema meiner Predigt „Lebenslanges Lernen“ passen:

3. Kommt, lasset uns singen, die Stimmen erschwingen, zu danken dem Herrn. Ei bittet und flehet, dass er uns beistehet und weiche nicht fern.

4. Es sei ihm gegeben mein Leben und Streben, mein Gehen und Stehn. Er gebe mir Gaben zu meinem Vorhaben, lass richtig mich gehn.

5. In meinem Studieren wird er mich wohl führen und bleiben bei mir, wird schärfen die Sinnen zu meinem Beginnen und öffnen die Tür.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Pfarrer Helmut SchützLiebe Gemeinde, wir haben von den 40 Jahren gehört, die das Volk Israel nach der Befreiung aus der Versklavung im Pharaonenreich Ägyptens durch die Wüste wandern muss, bevor ihm das Gelobte Land von Gott zur Besiedlung freigegeben wird.

Ob das eine Parallele ist zu meinem Eintritt in den Ruhestand? Sind 40 Jahre im Pfarramt eine Wüstenwanderung? Ist mit dem Ruhestand ein Gelobtes Land erreicht? Sicher: Es gab schon auch Durststrecken durchzustehen in den vier Jahrzehnten. Noch mehr erinnere ich mich an das Gefühl, unterwegs zu sein. Es gab immer wieder neue Herausforderungen zu meistern, und dabei hat sich mein Glaube verwandelt, wenn sich auch an dem Gefühl, von Gott getragen und begleitet zu sein, im Kern nichts geändert hat. Und nun freue ich mich in der Tat auf den Ruhestand als eine selbstbestimmte Zeit, ein Land der Freiheit, in dem gewiss neue Herausforderungen auf mich warten, die ich allerdings wirklich erst einmal ganz in Ruhe auf mich zukommen lasse.

Vor allem sieht die Bibel die 40 Jahre in der Wüste als eine Zeit des Lernens an (Deuteronium 8, 2 und 5). Israel ist zwar frei geworden von Fremdherrschaft. Aber ist das Volk auch fit für die Freiheit? Kann es nach den Regeln der Freiheit leben, nach den Geboten Gottes, die Ausbeutung und Unmenschlichkeit im Namen Gottes verbieten?

Wir haben gehört, Mose sagt seinem Volk (5. Buch Mose – Deuteronium 8):

2 Gedenke des ganzen Weges, den dich der HERR, dein Gott, geleitet hat diese vierzig Jahre in der Wüste, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit kundwürde, was in deinem Herzen wäre, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.

Gedemütigt werden, das klingt nicht schön. Aber wenn es der befreiende Gott ist, der uns demütigt? Er rückt uns den Kopf zurecht, nämlich so, dass wir den Kopf nicht zu weit oben tragen, sondern eher dorthin sehen, wo Menschen sind, die Hilfe, Befreiung, Trost und Ermutigung brauchen. Das will Gott von uns.

Ich jedenfalls habe Gott so erfahren, habe immer wieder neu zu lernen versucht, wie wir Menschen gerecht werden können, die uns als Kirche brauchen und auch mich als Prediger, als Seelsorger und als Lehrer und Begleiter von Kita-Kindern, Schülern und Konfirmanden.

5 So erkennst du ja in deinem Herzen, dass der HERR, dein Gott, dich erzogen hat, wie ein Mann seinen Sohn erzieht.

Ja, ich möchte im Rückblick meinen Lebensweg als eine Kette von Erziehungsmaßnahmen Gottes begreifen. Wobei ich von Gott nie nur väterliche Strenge, sondern immer zugleich mütterlichen Trost erfahren habe. Leben in der Begleitung durch Gott bedeutet für mich also: Lebenslanges Lernen. Immer wieder im Vertrauen auf Gott von Altbekanntem Abschied nehmen. Sich auf Neues einlassen. Herausforderungen angehen und bewältigen. Manchmal auch an Grenzen stoßen.

Pfarrer Helmut SchützAls Kind bin ich ganz selbstverständlich in die Kirche hineingewachsen, erzogen von einer Mama, die sich durch Kriegs- und Vertreibungszeiten hindurch im Glauben getragen wusste. Meinem Papa half ich schon als Kind beim Kollektenzählen nach dem Gottesdienst, denn er gehörte zum Presbyterium, was hier bei uns Kirchenvorstand heißt. Aber Pfarrer zu werden, das hätte ich mir damals nicht vorstellen können. Dazu war ich viel zu schüchtern und zurückhaltend.

Als ich Konfirmand war, war mein Glaube ziemlich zwanghaft ausgeprägt. Ich verstand nicht, warum sich viele meiner Mitkonfirmanden überhaupt konfirmieren ließen, weil sie doch nicht ernsthaft an Gott glaubten. Einige Jahre später versuchte ich sogar, meine damalige Freundin zu meiner engstirnigen Glaubensauffassung zu bekehren. Das ist mir, Gott sei Dank, nicht gelungen. Stattdessen hat sie wesentlich dazu beigetragen, dass ich mich selber annehmen konnte, wie ich bin, und dass ich darum auch mit anderen barmherziger umzugehen lernte. Ich darf Gott heute für vieles danken, am meisten danke ich Gott dafür, dass er mir damals dich, meine liebe …, über den Weg geschickt hat. Du warst diese Freundin, wurdest meine Frau, hast mir immer den Rücken gestärkt in all den Jahrzehnten meines Pfarrdienstes. Auch dafür hast du gesorgt, dass ich mich nicht allzu sehr nur auf den Kopf und geistig abgehobene Theologie stütze. Und meine ökumenische Offenheit begann auch schon damals sowohl im Austausch mit jungen katholischen Kaplänen als auch durch dich, liebe …, denn du hast als im Herzen katholisch fühlende Ehefrau meinen Dienst als evangelischer Pfarrer immer mitgetragen.

Auch in meinem Studieren hat Gott mich wohl geführt, möchte ich in Anlehnung an das eben gesungene Lied sagen. In Selbsterfahrungsseminaren bei Professor Stollberg in Bethel lernte ich tatsächlich mich selber noch besser kennen und akzeptieren und bekam Lust auf eine Tätigkeit als Seelsorger.

Zugleich faszinierten mich die Theologen Helmut Gollwitzer und Karl Barth mit ihrer Verbindung von christlichem Glauben und sozialpolitischem Engagement. Ich bekehrte mich mehr und mehr weg von einer evangelischen Form der Werkgerechtigkeit, nämlich sich selber klein machen zu müssen, damit Gott mich retten kann. Und wohin bekehrte ich mich? Hin zu einer Demut, die auch bedeutet: mich in meinen Stärken annehmen zu können, die Gott mir schenkt. Von Gollwitzer lernte ich außerdem, dass für uns im Jenseits gesorgt ist, so dass wir unsere Kräfte ganz für unser Tun und Lassen im Diesseits einsetzen können.

Dann begann meine Tätigkeit als Pfarrer zuerst im Gemeindepfarramt in der Wetterau. Das Lernen hörte nicht auf. Ich war der friedensbewegte Landpfarrer, der für alle da sein wollte und der auch lernen musste, Nein zu sagen.

Als ich Handwerkszeug brauchte, um seelisch belasteten Menschen beistehen zu können, machte ich eine psychotherapeutische Zusatzausbildung. Durch sie gewann ich nach den ersten zehn Dienstjahren den Mut, die nächsten zehn Jahre im Klinikpfarramt in Rheinhessen psychisch kranke Menschen zu begleiten. Wieder ging das Lernen weiter, als ich Frauen kennenlernte, die als Kind sexuell missbraucht worden waren. Ich lernte in einem dreimonatigen Studienurlaub möglichst viel über diese Problematik, um ihnen als Seelsorger zur Seite stehen zu können.

Pfarrer Helmut SchützSchließlich trat ich vor siebzehneinhalb Jahren meine dritte Pfarrstelle an, hier in der Gießener Nordstadt. Auch in der Paulusgemeinde hörte das Lernen nicht auf. In der ersten Zeit im Pfarrerteam mit Frank-Tilo Becher stellte ich mich unter anderem auf die für mich ganz neue Arbeit im Kindergarten ein – und ich lernte eine Menge von deiner sehr strukturierten Art, mit organisatorischen Dingen umzugehen und sich auf die Verantwortung von Kirche im Gemeinwesen einzulassen. Von dem Philosophen Odo Marquard, der zu unserer Paulusgemeinde gehörte, habe ich ebenfalls viel gelernt, zum Beispiel, dass Gott sich in vielen Geschichten offenbart.

Und je mehr ich selber darauf aufmerksam wurde, wie bunt und vielfältig unser Stadtteil bis hinein in unseren Kindergarten sich darstellt, bekam mein Lernen noch einmal eine Facette hinzu, es gewann interreligiöse Weite, unter anderem im Kontakt zu Muslimen und Buddhisten, Aleviten und Jesiden. Ich lernte, dass jede wahre Religion in ihrem Kern von Menschenliebe geprägt ist. In einem zweiten Studienurlaub ging mir auf, wie eng der auf jüdischen Wurzeln aufbauende christliche Glaube trotz aller Fremdheit mit der islamischen Hingabe an Gott verwandt ist. Darum habe ich den Kindern im Kindergarten oft und gern mit Hilfe meiner Handpuppen Zappi, Fischli und Jamal Geschichten aus der Bibel und dem Koran erzählt. Und ich wünsche mir, dass die Paulusgemeinde auch in Zukunft Offenheit und Weite und Menschenfreundlichkeit ausstrahlt.

Mich lässt Gott nun in den Ruhestand eintreten. Das Lernen wird auch dann nicht aufhören. Auch für Israel damals werden im endlich erreichten Gelobten Land die Herausforderungen nicht unbedingt kleiner. Sie sind anders und doch auch wieder gleich, denn überall geht es darum, in den Wegen Gottes, also des Friedens, zu wandeln, neue Schritte zu wagen, die immer mit Vertrauen und Liebe zu tun haben.

Auf einen Vers im Predigttext bin ich noch nicht eingegangen. Da wird ein Wunder beschrieben, das die Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung erleben dürfen:

4 Deine Kleider sind nicht zerrissen an dir, und deine Füße sind nicht geschwollen diese vierzig Jahre.

Das klingt naiv. Welche Kleidung hält schon 40 Jahre? Welche Füße halten einen 40jährigen ununterbrochenen Fußmarsch ohne Schwellungen oder Blutblasen aus?

Ich liebe diese bildhafte biblische Sprache, denn sie erinnert uns daran, wie wunderbar es ist, wenn uns auf unserem Weg durchs Leben Ängste und Belastungen nicht zerreiben und zerreißen und wenn unsere Füße so stark bleiben, dass sie jeden Tag neue kleine Schritte gehen können. Indem wir es wagen, auf Gott zu vertrauen, erfahren wir immer wieder das Wunder, dass wir getragen und gehalten sind, begleitet von dem Gott, der uns liebt und der uns die Menschen anvertraut, mit denen wir gemeinsam unterwegs sind. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 236: Ohren gabst du mir, hören kann ich nicht
Ansprache von Propst Matthias Schmidt
Entpflichtung von Pfarrer Helmut Schütz durch Propst Matthias Schmidt

Entpflichtung von Pfarrer Helmut Schütz durch Propst Matthias Schmidt

Segen durch Propst Matthias Schmidt, Iris Cölinski, Christoph von Weyhe und Yesim Kantekin
Lied 393, 6-8:

6. Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Vater gehet mit; er selbst will bei uns stehen bei jedem sauren Tritt; er will uns machen Mut, mit süßen Sonnenblicken uns locken und erquicken; ach ja, wir haben’s gut, ach ja, wir haben’s gut.

7. Kommt, Kinder, lasst uns wandern, wir gehen Hand in Hand; eins freuet sich am andern in diesem wilden Land. Kommt, lasst uns kindlich sein, uns auf dem Weg nicht streiten; die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn, als Brüder unsre Reihn.

8. Sollt wo ein Schwacher fallen, so greif der Stärkre zu; man trag, man helfe allen, man pflanze Lieb und Ruh. Kommt, bindet fester an; ein jeder sei der Kleinste, doch auch wohl gern der Reinste auf unsrer Liebesbahn, auf unsrer Liebesbahn.

Fürbitten, unterbrochen durch das Lied 599: Selig seid ihr, mit Dekan Frank-Tilo Becher, Abderrahim En-Nosse, Gaby Engel, Nuray Atmaca und Andreas Pithan
Gebetsstille und Vater unser
Lied 435: Dona nobis pacem
Abkündigungen
Einladung zum Empfang mit Gesang, Grußworten und Capoeira
Propst Matthias Schmidt spricht den Segen für die Gemeinde
Propst Matthias Schmidt spricht den Segen für die Gemeinde

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Orgelnachspiel

Bilder vom anschließenden Empfang sind in den beiden nachfolgenden Galerien zu sehen, zunächst von den Grußworten und der Übergabe von Geschenken:

Die zweite Bildergalerie enthält Fotos vom Auftritt der Capoeira-Gruppe, die seit einiger Zeit zwei Mal in der Woche im Saal der Paulusgemeinde trainiert:

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