Bild: Helmut Schütz

„Ich glaube nur, was ich sehe!“

In der Bibel heißt es nicht: Friss, Vogel, oder stirb! Man kann das, was man glaubt, einem Außenstehenden nicht beweisen. Aber jedes Glauben beruht auf einem Sehen mit den Augen des Glaubens. Thomas hat keinen medizinischen Beweis geführt, dass die Auferstehung wahr ist. Er hat die Erlaubnis gespürt, dass er zweifeln durfte.

Der Mittelteil des Altarbildes mit Christus und Thomas in der Evangelischen Thomasgemeinde Gießen
Der Mittelteil des Altarbildes mit Christus und Thomas in der Evangelischen Thomasgemeinde Gießen

direkt-predigtGottesdienst am Sonntag Quasimodogeniti, 27. April 2003, dem Tag der Kirchenvorstandswahl, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen im Gottesdienst am Wahlsonntag! Die evangelischen Kirchengemeinden in Hessen und Nassau wählen heute ihren neuen Kirchenvorstand. Ab 11 Uhr ist in der Paulusgemeinde nebenan im Saal das Wahllokal geöffnet. Bis 17 Uhr haben Sie Gelegenheit, auf Ihrem Stimmzettel bis zu 10 Namen anzukreuzen.

Der Gottesdienst steht unter dem Thema: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Das ist nicht nur ein Spruch von Leuten, die nichts von der Kirche halten, so hat auch ein Jünger von Jesus geredet, der Thomas. Wie es ihm ergeht mit diesem Spruch, davon hören wir in der Predigt mehr.

Jetzt singen wir am Sonntag nach Ostern noch einmal ein Osterlied, und zwar das Lied 107:

1) Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du vom Tod erstanden bist und hast dem Tod zerstört sein Macht und uns zum Leben wiederbracht. Halleluja.

2) Wir bitten dich durch deine Gnad: nimm von uns unsre Missetat und hilf uns durch die Güte dein, dass wir dein treuen Diener sein. Halleluja.

3) Gott Vater in dem höchsten Thron samt seinem eingebornen Sohn, dem Heilgen Geist in gleicher Weis in Ewigkeit sei Lob und Preis! Halleluja.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Wir haben Ostern hinter uns. Die Ostererfahrung im Rücken, dürfen wir darauf bauen: Jesus lebt! Der Tod ist entmachtet, für immer und ewig.

Ein kleiner Junge aus dem Kindergarten hat hier in der Kirche ein riesengroßes Osterei entdeckt. Sehen Sie es auch? Oben auf unserem Altarfensterbild – der Kreis, in den Jesus hineingemalt ist, der kam ihm wie ein Osterei vor. Jesus, wie aus dem Ei gepellt. Wie ein Küken die Eierschale durchbricht, so erwacht der Auferstandene aus der verschlossenen Höhle des Grabes zum neuen Leben.

Kommt, lasst uns ihn anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, manchmal zweifeln wir mit dem Kopf. Kann ein Toter auferstehen? Kann Jesus nach seinem Tod den Jüngern erschienen sein? Ist Jesus wirklich unsichtbar bei uns? Gibt es dich überhaupt? Solche Gedanken kommen und gehen und berühren uns oft nicht weiter.

Manchmal, Gott, geht uns ein Zweifel unter die Haut. Wenn wir mit dem Herzen zweifeln. Wir fühlen uns leer, sind ohne Liebe, finden keinen Trost, lassen den Mut sinken. Verzweiflung greift nach unserem Herzen, schnürt uns den Hals zu.

Manchmal, Gott, zweifeln wir an unserer Kirche. Ist in ihr dein Geist am Werk? Sind die Menschen, die hier zur Taufe, zur Hochzeit und zur Konfirmation kommen, wirklich auf der Suche nach dir? Werden wir Pfarrer und die Verantwortlichen in der Kirche ihnen gerecht, die dich suchen?

Wir bitten: vergib uns. Wir bitten: nimm uns an, wenn wir zweifeln. Wir bitten um Glauben und rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Wir beten mit Psalm 116:

3 Stricke des Todes hatten mich umfangen…; ich kam in Jammer und Not.

4 Aber ich rief an den Namen des Herrn: Ach, Herr, errette mich!

5 Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig.

8 Denn du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.

9 Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, nimm uns an, so wie wir sind. Zeig uns die Verantwortung, die wir tragen können.

Nimm unsere Zweifel ernst und zeig uns, wo unsere Zweifel überflüssig sind.

Verwandle die Stolpersteine auf dem Weg zum Glauben in Anstöße zum Glauben.

Hilf uns, dass wir uns und unserer Kirche im Vertrauen auf dich mehr zutrauen. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören den Predigttext zum Sonntag nach Ostern aus dem Evangelium nach Johannes 20, 19-29:

19 Am Abend [des] ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!

23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.

26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir glauben – und wissen doch, dass wir immer wieder zweifeln. Wir glauben – und sind darauf angewiesen, dass Gott uns immer wieder neu den Glauben schenkt. Wir glauben – Herr, hilf unserem Unglauben. Gemeinsam bekennen wir unseren christlichen Glauben mit den alten Worten und Bildern des Apostolischen Bekenntnisses:
Glaubensbekenntnis

Vor der Predigt singen wir das Lied 584:

Meine engen Grenzen
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! Haben Sie das auch schon gehört – oder selber gedacht: „Ich glaube nur, was ich sehe!“? Wer will sich schon etwas vormachen lassen? Auch ich will mir nicht leichtgläubig etwas weismachen lassen. Man wird zu viel belogen. Von Geschäftemachern, von Politikern, auch – von der Kirche?

Die Auferstehung Jesu – ist sie wirklich geschehen? Lässt sie sich beweisen? Wie glaubwürdig sind die Berichte derer, die sie bezeugen? An dieser Frage hängt eine ganze Menge, denn auf dem Glauben an die Auferstehung Jesu baut das gesamte Christentum auf. Die Kirche, die Gemeinde, die Wahl zum Kirchenvorstand, die wir heute durchführen, alles das wäre sinnlos, wenn der Glaube an die Auferstehung Jesu keine Grundlage hätte.

Die Geschichte vom Ostersonntag, die Herr Kern vorgelesen hat, liest sich nicht wie ein Tatsachenbericht, eher wie ein Märchen oder wie eine Szene aus einem Traum:

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

Verschlossene Türen, verschlossene Herzen: äußerlich und innerlich zu sind die Jünger am Osterabend. Draußen mögen Soldaten lauern, die nach Jesus auch seine Jünger verhaften wollen. Drinnen brodeln Gefühle, die sie lieber nicht fühlen wollen. Feige weggelaufen sind sie, als Jesus ans Kreuz genagelt wurde – und mit ihm all ihre Hoffnungen. Johannes erzählt das für Menschen, die so etwas kennen – die Seele eingeschnürt von Trauer und von Angst, von Schuldgefühlen und Verzweiflung.

Plötzlich taucht Jesus aus dem Nichts zwischen ihnen auf und spricht zu ihnen. Unmöglich, sagt unser Verstand, nur im Traum gehen Menschen durch Wände, nur im Märchen durch verschlossene Türen. Spielt den Jüngern ihre übererregte Phantasie einen Streich, dass sie ihren toten Freund und Meister sehen? Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben, haben manchmal den Eindruck, als ob der Verstorbene ihnen auf geheimnisvolle Weise noch etwas mitteilen will.

Für die Jüngergemeinde ist es mehr. Mitten in ihrer Verzweiflung erfahren sie Trost, Vertrauen, abgewischte Tränen, neue Zuversicht. Wie auch immer – Jesus ist auf einmal bei ihnen, anders als vorher und doch absolut real. Er selbst schenkt ihren müden Herzen Ruhe und ihrer gequälten Seele Frieden. Sie erfahren: er ist da, indem sie seinen vertrauten Gruß hören: „Friede sei mit euch!“

Eine gemeinsame Erscheinung wird den Jüngern zuteil. Eine Vision, die nicht verleugnet, was geschehen ist. Die Jünger sehen Jesus mit seinen Wunden. Er zeigt ihnen seine von Nägeln durchbohrten Hände, seine von der Lanze durchstoßene Seite. Und obwohl sie es nicht ungeschehen machen können, dass dieser Jesus irdisch tot ist, freuen sie sich, ihn zu sehen. Sein Leben nach dem Fleisch ist, wie Paulus später sagt, wirklich beendet. Nun ist es Zeit, sich dem zu stellen. Sie hatten nicht wirklich Abschied genommen, sie waren feige weggelaufen, hatten ihn im Stich gelassen. Ungetröstet waren sie zurückgeblieben mit ihrer Angst, ihrer Trauer und ihrer Schuld. Weil er all das weiß, spricht Jesus ihnen ein zweitesmal seinen Frieden zu:

21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.

Das Entscheidende an dieser Geschichte ist: Johannes erzählt nicht einfach etwas, was einmal passiert und längst vergangen ist. Der Evangelist ist überzeugt: Wie Jesus damals den Jüngern begegnet, so tritt er zu jeder Zeit allen gegenüber, die für ihn offen sind – auch uns. In Trauer tröstet er uns, in Angst gibt er uns Mut, unsere Schuld vergibt er und uns Ratlosen gibt er Orientierung.

Darüber hinaus mutet er seinen Jüngern und auch uns noch etwas anderes zu – er sendet sie, senden heißt auf Griechisch: apostellein, er macht sie zu Aposteln. Jesus kann nicht mehr persönlich, leibhaftig zu den Menschen gehen. Darum erwartet er von seinen Jüngern, dass sie das an seiner Stelle tun. Auch diese Zumutung erreicht uns; allen, die auf Jesus vertrauen, überträgt er diesen großen Auftrag: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!“

Damit diese Mission keine „unmögliche Mission“ wird, keine „mission impossible“, gibt es von Jesus aber auch die notwendige Ausrüstung gratis dazu.

22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!

Die Jünger fühlen den Hauch des Atems Jesu, er bläst sie an. Das wird genau so beschrieben wie das Wunder der Schöpfung des Menschen am Anfang der Bibel: Da haucht Gott einem Erdklumpen namens Adam seinen eigenen Atem ein – und er wird lebendig. Hier lässt Christus, er, der Tote und Auferstandene, sie, die Hinterbliebenen und biologisch Lebenden, erst richtig lebendig werden. Er schenkt ihnen heiligen Geist. Es fallen also im Johannesevangelium Ostern und Pfingsten zusammen, bereits am Osterabend werden die Jünger vom heiligen Geist erfüllt.

Es ist wichtig, sich das klarzumachen: Wer in der Kirche Verantwortung trägt, der braucht und kriegt den Heiligen Geist. Alle anderen Fähigkeiten und Gaben sind nützlich, aber ohne den Geist, den wir von Jesus persönlich bekommen, der uns mit ihm verbindet, geht es nicht.

Dann weist Jesus ganz betont darauf hin, was seine Jünger mit dem Heiligen Geist anfangen sollen:

23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen er sie behaltet, denen sind sie behalten.

Wo Heiliger Geist herrscht, können Sünden vergeben werden, all denen, die dafür offen sind. Als Hauptmerkmal einer christlichen Gemeinde erkennen wir in den Worten Jesu den Geist der Vergebung – nur in diesem Geist kann auch ein Kirchenvorstand eine Gemeinde recht leiten.

Aber, liebe Gemeinde, haben die Jünger sich die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus vielleicht doch nur eingebildet? Die Bibel erzählt von einem Jünger, der schon damals massiv an der Auferstehung zweifelt.

24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.

Thomas ist der Zweifler. Er sagt: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Er hat nicht miterlebt, was die anderen erlebt haben, nicht mitgefühlt, was sie gefühlt haben, nicht ihre innere Verwandlung mitgemacht. „Ihr könnt mir viel erzählen“, sagt er.

Thomas ist vielleicht noch verzweifelter, noch verschlossener als die anderen, hat es nicht einmal ausgehalten, mit ihnen zusammenzusein. Zu schwer fällt es ihm, für etwas Neues offen zu sein, für den Glauben an Auferstehung, an neues Leben nach dem Tod, an Trost in der Trauer, an Mut mitten in der Furcht.

Stark finde ich: Niemand sagt dem Thomas: „Du darfst nicht zweifeln!“ Stattdessen passiert folgendes:

26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Es ist fast wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: eine Woche nach Ostern erleben die Jünger noch einmal genau das Gleiche – mit einem Unterschied: Diesmal ist Thomas dabei. Noch einmal spricht Jesus ihnen allen, auch dem Thomas, seinen Frieden zu.

Aber dann verändert sich die Szene. Jesus wendet sich direkt dem ungläubigen Thomas zu und gibt ihm eine Sondererlaubnis. Thomas kriegt die absolute Lizenz zum Zweifeln. „Du glaubst nur, was du siehst? Komm her, Thomas, warum willst du nur sehen? Du darfst hautnah spüren, dass ich es bin!“ Jesus lässt sich anfassen. Die Stellen, wo die Nägel seine Hände durchbohrt haben, soll Thomas mit dem Finger sehen, sagt Jesus wörtlich. „Und hier, nimm deine Hand, steck sie in meine Seitenwunde hinein, fühle es, was die Menschen mir angetan haben!“

Wie geht der Zweifler Thomas mit dieser Erlaubnis um? Er könnte Jesus nun anfassen, ausgiebig befühlen, medizinisch untersuchen. Er könnte genauestens prüfen, ob ihm wirklich Jesus gegenübersteht. Doch nichts von allem tut Thomas. Sondern:

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

Die Erlaubnis zum Zweifeln verwandelt seinen Zweifel und dreht ihn um – aus dem Zweifler ist ein Glaubender geworden. In dem Menschen, der ans Kreuz genagelt und durchbohrt war, erkennt Thomas Gott selber. Als er Jesus anfassen darf, fühlt er die Qual seines gekreuzigten Leibes und seiner erniedrigten Seele. Er spürt, wie sehr Jesus die Menschen geliebt hat, auch ihn, den Zweifler. Nie zuvor hat sich Thomas seinem Herrn so nahe gefühlt. Er begreift: im gequälten Jesus offenbart sich die Liebe Gottes selbst.

Zweifeln und Glauben, so weit scheint das nicht voneinander entfernt zu sein – gerade der Mann mit der Lizenz zum Zweifeln ist der erste Mensch in der Bibel, der Jesus als Gott anbetet. Niemand sollte sich also aus der Gemeinde ausgeschlossen fühlen, nur weil er von Zweifeln geplagt ist.

Oder verbietet Jesus zum Schluss doch das Zweifeln?

29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Hätte Thomas also doch nicht zweifeln dürfen? Ist Thomas ein unseliger Thomas, weil er sehen wollte und sehen durfte und nur so zum Glauben gekommen ist? Darf nach der Erfahrung des Thomas niemand mehr zweifeln, weil Jesus ja den Glauben ohne das Sehen selig gepriesen hat? Das würde den Sinn der Thomaserzählung auf den Kopf stellen.

Ich sehe die Sache so: in gewisser Weise gehören Glauben und Sehen zusammen, und in anderer Weise schließen sie sich aus.

Jedes Glauben ist ein Glauben ohne Sehen, weil man das, was man glaubt, einem Außenstehenden nicht beweisen kann.

Aber jedes Glauben beruht zugleich auf einem Sehen, auf Erfahrung, auf einem Sehen mit den Augen des Glaubens.

Thomas hat keinen medizinischen Beweis geführt, dass die Auferstehung wahr ist. Er hat eine persönliche Erfahrung mit seinem Herrn gemacht. Er hat die Erlaubnis gespürt, dass er zweifeln durfte.

Jesus hat ihn so angenommen hat, wie er eben war. Zugleich erkannte er Jesus, wie er wirklich war: dieser verwundete, geschundene Mensch ist zugleich Gott.

Es darf Zweifler geben, die nicht gleich alles glauben, was andere ihnen vorschreiben. Jeder hat das Recht zu fragen: wie ist das gemeint? was soll das heißen? was kann ich damit anfangen? In der Bibel heißt es nicht: Friss, Vogel, oder stirb! Wer sich einlässt auf Jesus, auf das, was von ihm erzählt wird, auf Menschen, die in seinem Sinne leben, der spürt irgendwann wie Thomas: Ich muss nicht zu bleiben für Gott, ich darf mich öffnen für den Glauben.

„Sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ – Jesus nimmt Zweifler ernst und lockt sie aus der Reserve: Du darfst sehen wollen. Du darfst zweifeln. Lass dich auf neue Erfahrungen ein. Wenn Sie auch manchmal zweifeln, machen Sie‘s wie Thomas: Stehen Sie zum Zweifel, lesen Sie die Bibel, fragen Sie nach, lassen Sie nicht locker und werden Sie zum gläubigen Thomas. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen nach der Predigt das Lied 382:

Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

Herr Jesus Christus, wir dürfen dich anbeten, wie Thomas dich angebetet hat als unseren Gott zum Anfassen. Hab Dank, unser Herr und unser Gott, dass du uns ernstnimmst mit unseren Zweifeln und dass du uns aufrichtest, so dass wir an dich glauben als Menschen mit aufrechtem Gang. Danke, dass du uns Sünder zu dir rufst und uns vergibst, dass du aus unvollkommenen Menschen deine Gemeinde aufbaust, in der es Freude macht, mitzufeiern und mitzuarbeiten. Lass uns füreinander offen sein auch im neuen Kirchenvorstand.

„Friede sei mit euch!“ sagst du deinen Jüngern und auch uns. Schenke uns die Kraft zum Frieden, in der Nähe und in der Ferne, in der Familie und in der Nachbarschaft, in Kirche und Politik.

Schenke uns heute deinen Heiligen Geist, damit wir in der Wahl zum neuen Kirchenvorstand eine gute Entscheidung treffen. Steh denjenigen, die gewählt werden, mit deinem Geist zur Seite, damit sie ihren Leitungsaufgaben in der Gemeinde gerecht werden. Hilf auch denen, die nicht gewählt werden, dass sie sich nicht enttäuscht zurückziehen, sondern ihre Gaben auf andere Weise der Gemeinde zur Verfügung stellen.

Insbesondere beten wir heute für ein verstorbenes Mitglied unserer Gemeinde … . Herr Jesus Christus, nimm ihn durch die Kraft deiner Auferstehung auf in dein himmlisches Reich und begleite die Angehörigen mit deinem Trost, so wie du damals deine Jünger getröstet und aufgerichtet hast. Amen.

In der Stille bringen wir vor Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 590:

Herr, wir bitten: Komm und segne uns
Abkündigungen

Nun empfangen Sie – bevor Sie durch den Saal die Kirche verlassen und (wenn Sie wahlberechtigt sind) zur Kirchenvorstandswahl gehen, den Segen Gottes:

Gott segne euch und behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden. Amen.

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