Bild: Pixabay

Gnade und Friede statt Hochmut und Neid

Als ich einen anderen Pfarrer faszinierend gut predigen hörte, wurde ich neidisch. Im Vergleich dazu fand ich meine eigenen Predigten langweilig. Eigentlich hätte ich lieber eine schlechte Predigt gehört, dann könnte ich mir sagen: Ganz so schlecht predige ich nicht. Aber dann fiel mir ein: Ob wir Menschen von Gott überzeugen, dafür sorgt nur der Heilige Geist selbst.

Neid auf einen, der besser predigt? Das Bild zeigt einen Prediger auf seiner Kanzel
Ein Prediger auf der Kanzel (Bild: OpenClipart-VectorsPixabay)

#predigtGottesdienst am 5. September 1982 in Beienheim und Heuchelheim
Lieder: 238, 1-2+5 / 257, 1-3 / 145, 1-2+6 / 140
Lesung – Johannes 8, 1-11:

1 Jesus aber ging zum Ölberg.

2 Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie.

3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte

4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.

5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?

6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.

9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.

10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?

11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Gott, der uns alle besser kennt als wir ihn, der ist hier bei uns, wenn er hier bei uns sein will. Lassen wir es zu, dass Gott zu uns kommt. Amen.

Liebe Gemeinde, ich habe absichtlich den Spruch geändert, den ich gewöhnlich von der Kanzel aus am Beginn der Predigt sage. Wir sollten uns nicht zu sehr daran gewöhnen, dass der Pfarrer eben festgelegte Sprüche über Gott zu sagen hat. Wir sollten uns nicht einbilden, wir wüssten irgendwann einmal genug über Gott und hätten ihn dann sozusagen in der Tasche und könnten uns nur bei Bedarf auch mal an ihn erinnern.

Ich halte den Spruch, den ich sonst meistens am Beginn der Predigt sage, nicht für schlecht oder falsch: „Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn.“ Das ist ein guter Vers, eine gute Bitte. Aber wenn wir das jeden Sonntag hören, halten wir es vielleicht für langweilig, längst bekannt, und hören schon gar nicht mehr richtig hin.

Was heißt das denn, wenn wir um Gnade bitten? Was heißt es denn, wenn wir um Frieden bitten? Was heißt es, wenn wir Gnade und Frieden nicht von uns selbst erwarten, sondern von Gott, dem Vater, und von Jesus, dem Herrn? Wir werden das nur verstehen, wenn Gott selbst zu uns kommt.

Es wäre absolut kein Wunder, wenn jemand davon überhaupt nichts kapierte. Das hat nichts mit Intelligenz oder Dummheit zu tun. Diese beiden Sätze: „Gnade und Frieden haben wir nur von Gott zu erwarten“. Und: „Gnade und Frieden von Gott haben wir nötig.“ Um das einzusehen, muss Gott uns selbst überzeugen; und wenn das geschieht, dann ist der Heilige Geist über uns gekommen, dann ist Gott selbst bei uns und verändert uns.

Wie das geschieht? Ganz undramatisch. Einfach indem jemand versteht und einsieht, was Gott ihm gibt und was Gott von ihm erwartet. Das scheint nicht viel zu sein, eine fast langweilige Sache. Aber das ist in Wirklichkeit das große Wunder, das Gott an jedem von uns tun will. Und wenn dieses große Wunder nicht geschieht, dann kann ich versuchen, Sie und euch zu überzeugen, so viel ich will, ich werde es nicht schaffen.

Sie werden vielleicht denken, dass ich mir Mühe gebe. Ihr werdet vielleicht sagen, heute ist es aber mal wieder zu lang und auch langweilig, oder ihr werdet es auch einmal spannend finden. Aber darum geht es im Gottesdienst nicht im Wesentlichen. Unterhaltung kann Frank Elstner oder Emil Steinberger besser bringen als ich. Für Spannung und Nervenkitzel sind Alred Hitchcock oder Agatha Christie bessere Experten. Und auch über Jesus erzählen der Film von Zeffirelli oder die Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“ sicher viel eindrücklicher und spannender als ich es meistens in einer Predigt tue.

Also: es ist zwar gut, wenn es im Gottesdienst nicht immer langweilig und auch manchmal spannend zugeht. Es geht aber um etwas Wichtigeres: dass Gott uns, jedem einzelnen von uns, etwas Neues über sich sagen oder zeigen will. Etwas Neues, das nicht bloß eine Neuigkeit ist, die man gleich wieder vergisst, sondern das uns selber neu macht. Wie gesagt: wer das nicht einsieht, wem Gott die Einsicht dafür nicht schenkt, dass wir Gottes Gnade und Frieden brauchen und bekommen können, der lacht sich darüber kaputt, dass das etwas Neues für uns sein soll. Der hält das nur für die altbekannten Sprüche, die der Pfarrer und viele Pfarrer vor ihm schon immer wiederholt haben.

Ich will sagen, warum ich Gnade und Frieden von Gott für uns für etwas Neues halte, so neu, dass es uns jeden Tag neu machen kann. Ich will dazu den heutigen Predigttext lesen. Er steht im Brief des Paulus an die Galater 5, 25-26; 6, 1-3.7-8 (GNB):

25 Wenn nun Gottes Geist von uns Besitz ergriffen hat, dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen.

26 Wir wollen nicht nach vergänglicher Ehre streben, uns nicht voreinander aufspielen und gegenseitig beneiden.

1 Auch wenn ein Bruder von einer Verfehlung ereilt wird, müsst ihr zeigen, dass der Geist Gottes euch leitet. Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg. Passt auf, dass ihr nicht selbst zu Fall kommt!

2 Einer soll dem anderen helfen, seine Lasten zu tragen. So erfüllt ihr das Gesetz Christi.

3 Wer sich über den anderen erhebt, obwohl er doch gar keine Ursache dazu hat, betrügt sich selbst.

7 Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben. Jeder wird ernten, was er gesät hat.

8 Wer sich von seiner Selbstsucht leiten lässt, wird den Tod ernten. Wer sich von Gottes Geist leiten lässt, wird unvergängliches Leben ernten.

Soweit Paulus.

Was hat nun das, was Paulus zu sagen hat, mit Gottes Gnade und Frieden zu tun? Diese beiden Worte kommen in dem Text ja gar nicht vor. Aber der Inhalt dieser beiden Worte kommt vor. Friede ist eine intakte Beziehung, zwischen Mensch und Gott oder zwischen Mensch und Mensch – und im Paulustext geht es um die Überwindung von gestörten Beziehungen. Gnade ist die Art, wie einer, der an sich verurteilen und strafen und vernichten könnte, eine zerstörte Beziehung wieder herstellt – und der Paulustext redet davon, dass auch Christen Gnade üben sollen.

Gestörte Beziehungen entstehen nach Paulus dadurch, dass wir uns mit anderen vergleichen, um dabei besser abzuschneiden. Hochmut, Angeberei, Überlegenheitsgefühl stören oder zerstören Beziehungen. Nicht nur, wenn einer unbegründet prahlt und angibt und sich damit sowieso lächerlich macht. Sondern auch, wenn einer wirklich oft Recht behält, wenn einer es wirklich zu etwas gebracht hat. In jedem Fall ist Hochmut Selbstbetrug.

Der einfachste Grund, den Paulus dafür nennt, ist der Tod. Wozu wir es gebracht haben, können wir nicht mitnehmen, wenn wir sterben. Hochmut ist aber auch darum Selbstbetrug, weil schon mitten in unserem Leben unsere Beziehungen sterben. Wer sich und den anderen immer beweisen muss, dass er besser, klüger, reicher oder was sonst noch ist als andere, der wird einsam bleiben, auch wenn er viele Menschen um sich hat.

Umgekehrt gehen Beziehungen auch dann kaputt, wenn jemand zwar besser dastehen will als andere, er dies aber nicht geschafft hat. Dann entsteht Neid – das Gefühl, ich bin weniger wert, so lange ich nicht das habe oder so bin wie jemand anderes.

Wir kennen alle Hochmut und Neid. Ich will ein persönliches Beispiel anführen. Ich hörte heute vor einer Woche auf der Jugendfreizeit in Höchst die Predigt des dortigen Pfarrers. Und ich empfand eine Zeitlang das Gefühl des Neids: so müsste ich auch predigen können. Denn mich hatte diese Predigt sehr fasziniert und fand im Vergleich dazu meine eigenen Predigten langweilig.

Dann wurde mir bewusst: eigentlich würde ich ja viel lieber eine schlechte Predigt hören, denn dann könnte ich mir sagen: na, ganz so schlecht predige ich selbst ja nicht. Und als mir dieser hochmütige Gedanke gekommen war, sagte ich mir schließlich: Was soll denn dieser ganze Quatsch? Er predigt auf seine Weise, ich auf meine; er hat manchmal gute und manchmal schlechte Tage, und ich auch. Er wird manchen gefallen und manchen nicht, und bei mir ist es genauso. Und er kann genausowenig wie ich die Menschen von Gott überzeugen, wenn der heilige Geist das durch seine und meine Worte nicht selber tut.

Als ich mir das klar gemacht hatte, konnte ich mein Neidgefühl aufgeben und auch mein verstecktes Hochmutsgefühl weglassen. Ich konnte dem Inhalt der Predigt wieder folgen, mich über sie freuen und an manchen Stellen auch ärgern. Denn die Frage: wer ist besser, wer ist der Größte, wer hat Recht? – er oder ich – die war weg.

Übrigens: es geht hier auch nicht um falsche Bescheidenheit. Wer sich selber kleiner darstellt, als er ist, tut das vielleicht, um von den anderen umsomehr gelobt zu werden – und so etwas ist Manipulation. Wir sollten uns vielmehr so annehmen, wie wir sind – die anderen und auch uns selbst, mit unseren Möglichkeiten und unseren Grenzen, mit unseren starken und unseren schwachen Seiten. Dann können wir ruhig sagen: „Ich glaube, das habe ich gut gemacht“ – und brauchen dabei niemanden anders herabzusetzen. Oder wir können jemanden anders loben, ohne uns darüber zu ärgern, dass wir selbst auf diesem Gebiet nicht so stark sind.

Besonders schnell und besonders stark werden Beziehungen gestört, wenn Schuld im Spiel ist. Wenn jemand versagt hat, wenn jemand sich – für die Augen anderer offenbar – verfehlt hat. Paulus sagt: „Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg.“ Aber wir glauben ja oft gar nicht daran, dass einer, den wir verurteilen, wieder auf den rechten Weg kommen könnte.

Und Paulus sagt weiter: „Passt auf, dass ihr nicht selbst zu Fall kommt!“ Zu Fall können wir kommen, wenn wir ein offensichtliches Versagen einfach verharmlosen. Vergeben heißt nicht: Schwamm drüber. Zu Fall können wir auch kommen, wenn wir uns für besser halten. Kennen wir nicht auch alle den hochmütigen Gedanken: Also so etwas würde ich nie tun?

Aber, liebe Gemeinde, es gehört zu den schwersten Dingen im menschlichen Miteinander, eigene oder fremde Fehler beim Namen zu nennen und dabei trotzdem zusammenzubleiben. Wieviel Ärger und Wut aufeinander staut sich bei uns an, weil wir Angst haben, darüber mit dem zu reden, auf den wir ärgerlich oder wütend sind! Angst vor den Folgen, Angst, der andere könnte zurückschlagen, Angst, es könnte falsch aufgefasst werden, Angst auch, der andere könnte meine Äußerung nicht verkraften, wäre gar nicht in der Lage, sich zu ändern.

Es ist wirklich bequemer, über die Fehler anderer zu reden, wenn die Betroffenen selber gar nicht dabei sind. Es ist bequemer, sich von jemandem zurückzuziehen, der in unseren Augen schuldig geworden ist.

Aber Paulus sagt uns: wir sollen ihn wieder auf den rechten Weg bringen. Wir sollen die Beziehung mit ihm aufrechterhalten, nicht abbrechen. Wir sollen ihm nicht mit dem Zeigefinger drohen, sondern von unserer Betroffenheit aus mit ihm ins Gespräch kommen. So werden wir das Gesetz Christi erfüllen. So werden wir nicht den Tod, auch nicht den Tod unserer Beziehungen ernten, sondern unvergängliches Leben, vielleicht auch neues, unverhofftes Leben und Glück in unseren Beziehungen. Wo offen und ohne Verurteilungen zur Sprache kommt, was uns aneinander ärgert und voneinander trennt, da entdecken wir möglicherweise auch das neu, was uns aneinander freut und miteinander verbindet.

Das wirft ein neues Licht auf viele Beziehungen – in der Familie, in der Schule, im Kindergarten, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und auch in kirchlichen Gruppen, im Konfirmandenunterricht, im Kirchenvorstand, in der Dekanatssynode oder unter den Pfarrern unseres Dekanats. Wir sind alle, wie die Ehebrecherin in der Lesung von vorhin, durch Jesus gerechtfertigt worden – allein aus Gnade. Er sieht unseren Hochmut, unseren Neid, unsere Selbstsucht, unsere Fehler und unsere Neigung, andere zu verurteilen. Und er rechnet diese Dinge uns nicht an. Er nimmt uns so an, wie wir sind. So sollen wir auch die anderen annehmen, wer und wie sie auch sind. Vergessen wir nicht: die Bitte um Vergebung geht weiter: „…wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Amen.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.