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Jesus ist stärker als das Grauen

Trauerfeier für einen jungen Mann, der bei einem Unfall getötet wurde. Ich erinnere an die Sehnsucht, von der sein Leben geprägt war, und frage nach Trost vor allem für die Mutter, die ihren Sohn verloren hat.

Christus-Statue vor der Kirche Ste. Croix in Warschau mit Dornenkrone auf dem Kopf und Kreuz auf der Schulter und ausgestrecktem Arm unter schwarzgrau bewölktem Himmel
Jesus ist stärker als alles Grauen (Bild: Denis DoukhanPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauernde, wir sind vom Tod betroffen. Wir müssen Herrn Y. begraben, der im Alter von [über 30] Jahren gestorben ist. Wir wollen bedenken, wie wir das ertragen können. Wir fragen, wie wir weiterleben können, nachdem dieses Unglück über uns hereingebrochen ist.

Unglücklich und machtlos fühlen wir uns gegenüber dem, was geschehen ist. Gibt es Worte, die uns helfen können, den Schmerz zu ertragen?

Schon vor dreitausend Jahren gab es Menschen, die Schreckliches erlebten. Sie versuchten zu beten. Was schwer auf ihrer Seele lag, schluckten sie nicht herunter. Sie sprachen aus, was sie bedrückte, sie klagten ihren Schmerz, riefen zu Gott. Ich meine die Menschen des Volkes Israel, die uns in der Bibel die Psalmen hinterlassen haben. Mit einem dieser alten Lieder lasst uns beten – mit Worten aus dem Psalm 77:

2 Ich rufe zu Gott und schreie um Hilfe, zu Gott rufe ich, und er erhört mich.

3 In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; meine Hand ist des Nachts ausgereckt und lässt nicht ab; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen.

4 Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten.

5 Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann.

6 Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre.

7 Ich denke und sinne des Nachts und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen.

8 Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?

9 Ist‘s denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung für immer ein Ende?

10 Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen?

11 Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann.

15 Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern.

21 Du führtest dein Volk wie eine Herde.

Liebe Trauergemeinde!

„Hat Gott vergessen, gnädig zu sein?“ So fragt der Mensch aus dem alten Israel, der den 77. Psalm betet.

Wir wissen nicht genau, welches Leid er erfahren hat, aber wir hören die Worte seiner Klage, die sich an einen Gott wenden, den er nicht mehr versteht. Früher hat Gott sein Volk bewahrt und geführt wie ein guter Hirte. Nun erfährt er nur noch Unglück und Leid. Er will sich nicht trösten lassen.

„Bist du nicht der Gott, der Wunder tut?“ Der Psalmbeter erinnert sich. Gott tut Wunder, das hat er gelernt, vielleicht auch selber erfahren. Aber jetzt? Die harte Realität hat zugeschlagen. Wie soll man noch an Wunder glauben, wenn das Herz nur noch von Schmerz und Trauer wund ist, und wenn der Aufruhr der Gedanken nicht zur Ruhe kommen will.

Ja, wäre doch ein Wunder geschehen, hätte Gott doch diesen Unfall verhindert, oder hätte er doch wenigstens nicht diese schlimmen Folgen gehabt! Unsere Gedanken gehen im Kreise.

Wir können es mit all unseren Gedanken nicht ungeschehen machen: Y. ist gestorben. Mitten aus dem Leben wurde er gerissen, durch einen Unfall auf der Strecke bis zum Nachbarort.

Warum das geschehen ist? Wir können nicht aufhören, danach zu fragen. Wir wollen es genau wissen, möchten den Hergang rekonstruieren, als ob wir es vielleicht doch ungeschehen machen könnten, wenn wir wüssten, wer verantwortlich zu machen wäre, wer etwas hätte anders machen können. Und dennoch – wir sind machtlos gegenüber der harten Realität. Y. ist tot. So sinnlos erscheint das, so undenkbar. Wir können das Unerträgliche nicht einordnen, nicht erklären. Wir müssen ertragen, was eigentlich nicht zu ertragen ist.

Ein schwerer Weg muss gegangen werden, der lange Weg der Trauer. Die eigenen Gedanken und Gefühle, die Erinnerungen und nicht ausgeführten Pläne, all das treibt uns um. Wir brauchen viel Zeit und viel Kraft, um all das auszuhalten und zu bewältigen.

Der heutige Tag ist einer der ersten Schritte auf dem Weg der Trauer. Buchstäblich werden wir nachher auf dem Weg zum Grab den Weg von Herrn Y. bis zum Ende mitgehen. Vorher erinnern wir uns an dieses besondere Leben, das so früh an sein Ende gelangt ist.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Überraschend war, wie sehr sich Herr Y. mit dem Tod auseinandergesetzt hat – zum Beispiel mit dem Tod von Musikern, die ihm viel bedeuteten. Er hatte Wünsche für seine Beerdigung, manches schrieb er aus dem Augenblick heraus, was er später nicht mehr so meinte, und so gut wir können, versuchen wir seinem Letzten Willen gerecht zu werden. Wir blicken ja niemandem ins Herz, und manchmal mag uns der vertrauteste Mensch fremd erscheinen, wenn wir eine Seite an ihm erkennen, die uns nicht bewusst war. Aber was auf seinem Computer gespeichert war, zeugt davon, dass er nicht nur dem Tod zugewandt war, sondern auch der Zukunft; so befasste er sich intensiv mit politischen Fragen.

Auch Musik war Herrn Y. außerordentlich wichtig. Seine Lieblingslieder hatten den gemeinsamen Nenner „Sehnsucht“. Die Sehnsucht nach Leben, wirklichem Leben. Und die Sehnsucht nach Liebe, wobei Leben und Liebe miteinander verbunden und gar nicht so einfach sind. Sehnsucht – sie mündet in die Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem Paradies. Biblische Hoffnungen kommen mir dabei in den Sinn, der Satz von Jesus (Lukas 10, 20):

Freut euch…, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

und das, was Jesus dem Mann sagte, der neben ihm am Kreuz hing, bevor Jesus als gerade 33-Jähriger starb (Lukas 23, 43):

Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Von einer ähnlichen Zuversicht war auch der Konfirmationsspruch aus Psalm 27, 1 geprägt gewesen, den Pfarrer S. ihm bei der Konfirmation zugesprochen hatte:

Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?

„Mein Licht und mein Heil“ – das klingt auf altmodische Weise fromm und überholt – aber der Nachsatz: „Vor wem sollte ich mich fürchten?“ – wünschen wir uns nicht solchen Mut? Brauchen wir nicht ein Licht, wenn es finster aussieht in unserer Seele? Wenn sich vor Schmerz und Angst alles in uns zusammenkrampft? Wünschen wir uns nicht einen, der alles heil macht, der die Bruchstücke eines gelebten Lebens wie ein zerbrochenes Gefäß wieder sorgsam zusammensetzt und als Ganzes aufbewahrt?

Der HERR – was ist das für einer? Von wem lassen wir uns so viel sagen? Ich glaube, wir können nichts anfangen mit einem alten Mann, der auf seinem Thron im Himmel sitzt und die Welt regiert. Dieser HERR, von dem in dem Psalm die Rede ist, ich erkenne ihn in Jesus wieder – genau in dem, der am Kreuz starb, für die Menschen, aus Liebe.

Wer es nicht nötig hat, sich mit Gewalt zu wehren, wer das Leben liebt, aber nicht um den Preis, die Liebe zu verraten, der überwindet die Lebensangst und die Furcht vor dem Tod. Der gewinnt eine Kraft, die man sich nicht im Kraftraum antrainieren kann – eine Kraft, die stärker ist als die Mächte des Bösen und stärker auch als die Mächte, die einen runterziehen wollen und den Lebensmut nehmen.

Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?

Wenn das Leben grauenvoll ist, dann brauchen wir einen, der stärker ist als das Grauen. Jesus hat das grauenhafte Schicksal erlebt, am Kreuz zu sterben; er hat sich nicht nach dem Tod gesehnt, aber er starb nicht in Verzweiflung, weil er eine Gewissheit hatte: Dieses Leben hier auf Erden ist nicht alles. Es gibt den Himmel, es gibt das Paradies, wir sind umschlossen von der Liebe des Vaters im Himmel.

In dieser Gewissheit konnte Jesus damals auch seiner Mutter und seinem besten Freund noch einen Trost zurufen (Johannes 19, 26-27):

Siehe, das ist dein Sohn! … Siehe, das ist deine Mutter!

Er wollte nicht, dass sie aufhören zu leben. Er wollte, dass die Lebenden sich umeinander kümmern. Er wusste, dass der Abschied weh tut.

Nicht umsonst wird von Maria in der Bibel gesagt, dass ein Schwert durch ihre Seele ging, als sie ihren Sohn verlor (Lukas 2, 35). Ein Kind zu verlieren, das ist so, als ob alles seinen Sinn verliert; das vertraute Lachen fehlt, der Schlüssel hängt nicht mehr an seinem Platz, es macht alles keinen Spaß mehr, das Zimmer, das er eben noch bewohnt hat, ist leer.

Darum ist es so wichtig, behutsam zu gehen auf dem Weg der Trauer, und dabei nicht allein zu sein, die Tränen zuzulassen und die Worte aussprechen, die gesagt werden wollen, obwohl der Kloß im Hals sitzt.

Die Traurigkeit wird sich immer wieder melden, und ob sie jemals ganz aufhört, glaube ich nicht. Aber ganz gewiss wäre es nicht im Sinne von Herrn Y., das Leben aufzugeben. Trauern heißt: den Schmerz annehmen; den Weg der Traurigkeit gehen; leben, obwohl man zeitweise nicht mehr weiß, warum.

Wann die Traurigkeit wohl weniger wird? Das kann man jetzt nicht sagen. In der nächsten Zeit werden Sie alle es erst einmal noch viel stärker spüren: Dass Sie Herrn Y. vermissen. Dass Sie immer wieder daran denken – was Ihnen nun fehlt, aber auch wofür Sie dankbar waren, nämlich dass er bei Ihnen war, dass das, was Sie mit ihm erlebt haben, zu den kostbaren Erfahrungen Ihres Lebens gehört.

Dieses Leben ist so kostbar, dass es auch durch den Tod nicht wertlos wird. Dafür garantiert Jesus, der den Tod auf sich nahm und Sieger blieb über den Tod, der das Licht am Ende dieses schwarzen Tunnels ist (Psalm 27, 1):

Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?

Unsere Sorge muss nicht dem weiteren Schicksal des Verstorbenen gelten. Er begegnet im Himmel einem Gott, der ihn liebevoll in Empfang nimmt und in die Arme schließt.

Unsere Herausforderung ist eine andere: Den Weg der Trauer zu gehen und uns dabei nicht allein zu lassen. Amen.

Barmherziger Gott, wir müssen Abschied nehmen von Herrn Y. Sein Leben ist allzu plötzlich zu Ende gegangen – lass ihn im Himmel die Erfüllung seiner Sehnsucht erfahren. Unser Leben ist ärmer geworden – hilf uns, damit fertigzuwerden.

Wir wünschen uns verzweifelt, dieser Unfall möge nicht geschehen sein. Doch wir müssen die Realität akzeptieren. Wir möchten gerne glauben, dass es wieder Hoffnung gibt, dass es nicht so leer bleibt in uns. Schenke uns Geduld und Kraft.

Dankbar sind wir für alles, was wir einander bedeutet haben, für alle Liebe, die wir gegeben und empfangen haben.

Was zwischen uns stehen geblieben ist und was uns belastet, vertrauen wir dir auch an.

Vergib uns, wenn wir einander etwas schuldig geblieben sind, und nimm alles von unserer Seele, womit wir uns das Leben zusätzlich schwer machen.

Gott, lass uns den Glauben nicht verlieren, der das Dunkle erträgt und die Liebe bewahrt. Lass uns daran festhalten, dass unser Leben kostbar ist, und lass uns erkennen, was du mit uns auf unserem Lebensweg noch vor hast.

Zum Schluss beten wir mit dem Lied 533, das Arno Pötzsch als Soldat an der Front im Zweiten Weltkrieg gedichtet hat:

Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand

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