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Ängstige deinen Nachbarn wie dich selbst!

Ein schwarzes Kätzchen hat große Angst
Angst vor realen Gefahren ist normal – bei Mensch und Tier (Bild: beauQPixabay)

Wir feiern Ostern als Fest der Freude. Doch nach Markus 16 ist der Ostermorgen für die Frauen, die Jesus nicht mehr bei den Toten finden, ein Vormittag des Entsetzens. Der Engel sagt: „Er ist auferstanden“, und „sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“ (Markus 16, 6 und 8)

Macht uns Ostern auch Angst? Dieses unmögliche neue Leben des gequälten, getöteten Jesus? Dieses Zeichen dafür, dass vieles, was wir „Leben“ nennen, nur vorläufige Bedeutung hat? Ostern stellt unseren Selbsterhaltungstrieb, unser Sicherheitsdenken, unseren Egoismus radikal in Frage; denn ausgerechnet der erwacht zu neuem Leben, der sein altes, irdisches Leben hingab, statt es um jeden Preis erhalten zu wollen.

Davor haben wir Angst, wie die Frauen am Grab Jesu: unser Leben, unsere Gesundheit zu verlieren; Menschen ausgeliefert zu sein, die uns verletzen können; mit etwas konfrontiert zu werden, das völlig aus dem gewohnten Rahmen herausfällt und neue Lebensentscheidungen notwendig macht. Dieser Angst gegenüber sagt der Engel (Markus 16, 6): „Entsetzt euch nicht!“ Erst an Pfingsten begriffen es die Jüngerinnen und Jünger und begannen, das Neue, das mit Jesus in die Welt gekommen war, furchtlos zu verkünden.

Ich denke, es ist wichtig, dass die Menschen in der Bibel, denen gesagt wurde: „Fürchtet euch nicht!“, eben Angst und Furcht wirklich empfanden. Es ist eine angemessene Reaktion in einer Gefahr oder völlig ungewohnten Lage. Durch diese Art von Angst wird es den Menschen bewusst, worauf sie angewiesen sind: Schutz und Geborgenheit, Energie zur Abwendung der Gefahr, Kraft zum Durchstehen der neuen Situation, Mut zur Entscheidung. Weil sie zuerst ihre Angst durchlebt hatten, wussten sie später, was es heißt, dass Gott in den Schwachen mächtig ist.

Wir dagegen leben in einer Zeit der Verdrängung von Angst. Gefühle sollen in einer Welt der Sachzwänge, der politischen Vernunft, des wissenschaftlich und technisch Machbaren keine Rolle spielen. Angst auszudrücken, ist weniger anerkannt, als sich beherrscht zusammenzureißen und „cool“ zu bleiben. Kindern wird lieber die Angst ausgeredet, die sie um die Ehe ihrer Eltern haben, als dass sich die Eltern bemühen, fair streiten zu lernen. Aus Angst vor der dann durchzustehenden Angst wird häufig Schwerkranken der Ernst ihrer Krankheit verheimlicht und ihnen damit eine Chance für ihr seelisches Wachstum genommen. Die Angst vor dem Rüstungswahnsinn in Ost und West lassen wir soweit in uns abstumpfen, dass sie uns nicht mehr genügend zum entschiedenen Einsatz für Abrüstung und für die Entwicklung gewaltfreier Möglichkeiten der Verteidigung antreibt. Und – ganz aktuell – die Angst vieler Bürger vor einem nicht auszuschließenden Mißbrauch der Volkszählungsdaten wurde lange Zeit leichtfertig beiseite geschoben.

„Ängstige deinen Nachbarn wie dich selbst!“ ist eine Aufforderung an uns, die Augen nicht vor den Ängsten zu verschließen, die ohnehin in uns da sind; sie stammt aus den „Thesen zum Atomzeitalter“ von Günther Anders. Angst vor wirklichen Gefahren brauchen wir notwendig zum Überleben, um uns nicht blindlings wie Lemminge in einen Abgrund zu stürzen. Angst, die sich in uns verselbständigt hat, ist ein Alarmsignal für den Zustand unserer seelischen Verfassung und kann uns dazu veranlassen, ein helfendes Gespräch mit einem Menschen unseres Vertrauens zu suchen. Nur eingeredete Angst brauchen wir genauso wenig, wie wir uns wirklichkeitsnahe Angst ausreden lassen dürfen.

Jesus stellte sich in Gethsemane seiner Angst, durchlitt sie, suchte Schonung oder Kraft im Gebet und ging dann mit offenen Augen den Weg, den er gehen musste. Aus eigener Erfahrung wusste er, was er seinen Jüngern sagte: „In der Welt habt ihr Angst.“ Nach dem Ostermorgen wird aber zugleich erfahrbar, dass wir in unseren Ängsten von ihm gehalten und getragen werden: „Seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ (Johannes 16, 33).

Zum Nachdenken am Samstag, 2. April 1983, in der Wetterauer Zeitung von Helmut Schütz, Reichelsheim

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