Bild: Pixabay

Die Bibel als Tagebuch der Menschheit

Sie nennen die Bibel „ein verdammt gutes Buch“ und betrachten sie aus evolutionsbiologischer und kulturhistorischer Perspektive. Ich habe am Montag, 5. März 2018, im Ruheständlerkreis des Evangelischen Dekanats Gießen einen Vortrag darüber gehalten. Und auch hier möchte ich neugierig darauf machen, das Buch selber zu lesen.

Die Bibel als Tagebuch der Menschheit: Jemand blättert vorsichtig durch die Bibel.
Die Bibel kann auch für Agnostiker oder Atheisten ein spannendes Buch sein (Bild: congerdesignPixabay)

Inhaltsverzeichnis

Bibelanthropologie

Vier Naturen

Sesshaftwerdung als größte Herausforderung der Menschheit

Schöpfung und Fall

Eigentum und Polygynie

Gewaltzivilisation

Fiktive Verwandtschaft

Asabiya

Geister werden zu Göttern

Vom Gott mit zwei Leben

Tora

Das Murren der ersten Natur gegen den Einen Gott

CREDs

Propheten

Der Gott der Psalmen

Vom Knirschen der Evolution im Buch Hiob

Daniel und die ersten Märtyrer

Der doppelte Jesus

Jesus als apokalyptischer Held

Jesus, der Freund

Neuer Polytheismus

Theologische Dilemmata

Das zweite Buch Gottes

Zukunft der Religion

Anmerkungen

Bibelanthropologie

Der Evolutionsbiologe Carel van Schaik und der Historiker Kai Michel legen mit ihrem Buch „Das Tagebuch der Menschheit: Was die Bibel über unsere Evolution ver­rät“ (1) eine Bibelanthropologie vor, also eine biblische Menschenkunde. Sie meinen damit, dass uns die Bibel wissenschaftlich gesehen zwar nicht Gott beweisen kann, aber vieles über die Entwicklung der menschlichen Kultur verrät. Ihr Ausgangspunkt ist, dass sie die biologische oder organische Evolution voraussetzen. Sie funktioniert über lange erdgeschichtliche Zeiträume hinweg, und zwar so, dass diejenigen Organismen, die sich auf Grund der Mutation von Genen einer Umwelt besser anpassen können, größere Chancen haben, sich fortzupflanzen und zu überleben. Auch wir, die Art Homo sapiens sapiens, sind aus dieser Evolution hervorgegangen, aber wir haben allen anderen Tierarten auf der Erde eines voraus, nämlich die „Fähigkeit zur kumulativen kulturellen Evolution“ (2).

Wir Menschen können auf Grund unserer Fähigkeit zu sprechen nicht nur lernen, uns an veränderte Herausforderungen anzupassen, das ist in einem sehr allgemeinen Sinne „Kultur“, sondern wir können das Erlernte, das angehäufte Wissen, auch in Form von Geschichten künftigen Generationen weitergeben, das ist das „Kumulative“ an der „kulturellen Evolution“. Wir sind „das Geschichten erzählende Tier“ (3) und konnten als solches auch Umweltveränderungen mit gigantischem Ausmaß bewältigen, durch die andere Arten längst ausgestorben wären. Geschichten erlauben es dem Menschen, sich in der Phantasie vergangene Ereignisse und bewältigte Herausforderungen zu vergegenwärtigen sowie Gefahren und neue Herausforderungen im Geiste durchzuspielen (Virtual-Reality-Technologie) (4).

Nun zur Bibel: Sie hat Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende alte Geschichten aufbewahrt, die bei dieser Anhäufung kultureller Anpassungsversuche eine Rolle spielten. Mehr noch, sie passte sie bis zu ihrer Kanonisierung um das Jahr 400 immer wieder neuen Herausforderungen an.

Zur Art dieser Geschichten bemerken die Autoren folgendes: Da sich so etwas wie neuzeitliche Wissenschaft eben erst in der Neuzeit entwickelt hat, kann es in diesen Geschichten auch nicht um Historie oder Naturwissenschaft in unserem neuzeitlichen Sinn gehen.

Sie spiegeln trotzdem Wirklichkeit wider, allerdings mit allerlei Einschränkungen. Wenn Menschen einander Geschichten erzählen, müssen diese Geschichten bestimmten Regeln gehorchen. Da ist zum Beispiel der „Kohärenzzwang“ (5). Eine Geschichte muss in einem sinnvollen Zusammenhang stehen, und zwar auch dann, wenn tatsächlich ein solcher Zusammenhang gar nicht besteht. Wozu sollte man sie sonst erzählen?

Weiterhin neigen Menschen beim Erzählen zu Vorurteilen. Vorgefasste Meinungen stellt man nicht gerne in Frage, lieber sucht man nach manchmal weit hergeholten Gründen, um sie zu bestätigen (Confirmation Bias) (6).

Das Gesetz der Proportionalität (Proportionality Bias) (7) unterstellt bei großen Wirkungen einen entsprechend mächtigen Verursacher.

In verschiedenen Kulturen gab es natürlich unterschiedliche Geschichten; diese haben sich allerdings bei benachbarten Völkern durchaus gegenseitig befruchtet (Bricolage oder Sampling) (8), so spiegeln sich in der Bibel die Göttermythen anderer Völker in den Erzählungen von der Schöpfung, von der Sintflut und von den Göttersöhnen, die sich Menschenfrauen nehmen und Riesen hervorbringen, wider.

Vier Naturen

Die Autoren unterscheiden in der Einführung ihres Buches drei Ausformungen der menschlichen Natur (9), im weiteren Verlauf des Buches erwähnen sie noch eine vierte.

Die evolutionstechnisch ursprünglichste Natur, mit der wir Menschen ausgestattet sind, teilen wir mit Gorillas und Schimpansen; ich will sie Primatennatur nennen. Sie ist durch das Recht des Stärkeren und rücksichtslosen Gewalteinsatz gekennzeichnet; nach der Primatenforscherin Jane Goodall führen Schimpansen regelrechte Angriffskriege gegen zahlenmäßig weit unterlegene Schimpansengruppen, die sie de-schimpansieren, so dass sie sie wie Beutetiere zerfleischen dürfen (10).

Die von den Autoren so genannte erste oder natürliche Natur des Homo Sapiens will ich Menschennatur nennen. Sie hat sich über Millionen Jahre hin in unserem Erbgut verankert, als die Menschen als Jäger und Sammler ein Leben als Nomaden in überschaubaren Gemeinschaften führten. Da sie mit ihren Waffen körperlich Unterlegene aus sicherer Distanz töten konnten, woran noch die Geschichte von David und Goliath erinnert, werden an Stelle des Faustrechts die Gleichheit, Zusammenarbeit und Gerechtigkeit innerhalb der Gemeinschaft gestärkt (11). Die Impulse der Primatennatur zur Abwehr nach außen bleiben allerdings weiterhin in Kraft.

Als zweite Natur entwickelte sich eine Kulturnatur in Form der von unterschiedlichen Gemeinschaften praktizierten und von Generation zu Generation weitergegebenen selbstverständlichen Rituale und Gewohnheiten.

Hinzu tritt als dritte die Vernunftnatur der Menschen, die Antworten auf neue, bedrängende Herausforderungen sucht und findet. Diese beiden hängen insofern eng zusammen, als die Vertreter der dritten Natur darauf aus sind, ihre Einsichten und Forderungen in der zweiten Natur zu verankern. Ein Weg dazu ist das oben erwähnte Erzählen von Geschichten, das dazu dient, Frieden in der Gesellschaft herzustellen, Panik zu vermindern und den Kopf freizubekommen für Aufgaben, die man bewältigen kann und muss.

Nicht selten gibt es Konflikte zwischen diesen Naturen; die Autoren beschreiben vor allem die Rebellion der genetisch in uns verankerten Menschennatur gegen die politisch oder theologisch korrekt daherkommende Vernunftnatur.

Sesshaftwerdung als größte Herausforderung der Menschheit

Die größte Herausforderung der Menschheit mit bis heute nicht vollständig bewältigten Folgen ist nach Schaik und Michel ihre Sesshaftwerdung. Nachdem Jägern und Sammlern für lange Zeit ein reich gedeckter Tisch zur Verfügung gestanden hat, sehen sie sich – vielleicht durch Klimaveränderungen oder das Aussterben ihrer Beutetiere – dazu gezwungen, durch Ackerbau und Viehzucht ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (12).

Die sesshafte Lebensweise bringt drei große neue Probleme mit sich: sie führt 1. zu größeren, immer anonymer werdenden Gesellschaftsformen, 2. zur epidemischen Ausbreitung von Krankheiten und 3. zur Notwendigkeit, das Konzept des Eigentums zu entwickeln (13). Daran ist die Menschennatur genetisch überhaupt nicht angepasst, und um diese Fehlangepasstheit („Mismatch“) (14) drehen sich viele biblische Geschichten. Wie weit das kollektive Gedächtnis, zu dem auch die im kulturellen Gedächtnis aufbewahrten Rituale, Kunstwerke, Organisationsformen etc. gehören, zurückreicht, ist zwar nicht ganz klar. Aber da die Menschheit sich bis heute an die Probleme der Sesshaftwerdung nicht wirklich gewöhnt hat, kann man mit gutem Grund annehmen, dass sie in den Geschichten der Bibel ihre Spuren hinterlassen hat (15).

Schöpfung und Fall

Als evolutionsbiologischen Kern der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte in Genesis 1 bis 3 sehen die Autoren die Erzählung von der Erschaffung des Menschen in zwei Stufen (16). Ursprünglich, in der Jäger- und Sammlergesellschaft, herrschen quasi paradiesische Zustände: Alle Früchte des Erdengartens stehen allen gleichermaßen zur Verfügung, so dass in der Liste angeborener universeller Moralmodule unserer ersten Natur jegliche Regeln zum Schutz des Eigentums fehlen (17). Mann und Frau sind einander ebenbürtig und müssen sich voreinander weder schämen noch verstecken (18).

Dann werden die Menschen sesshaft. Das führt zwar langfristig zu einer gewaltigen Vermehrung und Machterweiterung der Menschheit, aber auch die Probleme sind erheblich: Es ist zunächst äußerst mühsam, dem Boden Ackererträge abzuringen (19). Weil die Frauen unter den Bedingungen der Sesshaftigkeit kleiner sind und sich weniger bewegen, stattdessen z. B. stundenlang Getreide mahlen müssen, entsteht das Problem der Geburtsschmerzen, die ebenfalls als Folge des Sündenfalls erwähnt werden (20).

Das Konzept des Eigentums, das notwendig wird, um Schmarotzer davon abzuhalten, wegzunehmen, was man mühsam erarbeitet hat (21), führt zu Gewalt sogar unter Brüdern (22) und zur Unterordnung der Frauen unter die Männer. Denn um den Besitz in der Familie zu halten, müssen die Söhne bei den Vätern bleiben, Frauen dagegen werden zum Besitz der Männer und verlassen bei ihrer Heirat ihre Ursprungsfamilie (23) (während die Paradiesgeschichte erzählt, dass die Männer ihre Eltern verlassen, um sich eine Frau zu suchen). Insofern ist es kein Zufall, dass das Fehlverhalten im Paradies an einem Eigentumsdelikt festgemacht wird (24). Bis heute leiden wir Menschen darunter, dass das Leben zwar materiell reicher, aber sozial ärmer wird (25).

Eigentum und Polygynie

Aber wie gibt man Eigentum an die nächste Generation weiter? Am einfachsten ist aus der Sicht der Väter das Erbrecht des erstgeborenen Sohnes (Primogenitur), alle anderen gehen leer aus. Dagegen protestiert die auf Gleichheit pochende erste Natur (26). Wie unter Brüdern die Konkurrenz ums Erbe gewaltsam ausgefochten wird, zeigen die Geschichten von Kain und Abel, Jakob und Esau, Josef und seinen Brüdern.

Wenn der Patriarch mehrere Frauen hat (Polygynie), kommt es zu „Lug und Trug“ in den Familien: Die Frauen eines Mannes konkurrieren miteinander, Vater und Söhne konkurrieren um die Frauen des Vaters oder die Schwiegertöchter. Im Endeffekt setzen sich im Streit um die Beerbung des Patriarchen oft gerade die jüngeren Mütter der jüngeren Söhne durch, so z. B. bei Josef oder später bei König David (27).

Die Polygynie erzeugt außerdem ein Heer unverheirateter und besitzloser Männer, die eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen, von allem in Städten wie Sodom und Gomorrha; dass der Untergang Sodoms in Verbindung mit Sexualtabus steht und diese Stadt dem Sex mit Tieren seinen Namen gegeben hat, mag belegen, dass sowohl gewaltsam ausgelebte Homosexualität als auch Sodomie eine Ursache im Frauenmangel hatte (28).

Zur Lösung vieler Probleme der Großfamilie dienen drei Strategien (29):

  1. Expansion: Man versucht, Macht anzuhäufen, Stärke zu demonstrieren, die nach innen zusammenschweißt und nach außen vor Angriffen schützt. Die Bereitschaft Abrahams, seinen Sohn Isaak zu opfern, kann als ein „kostspieliges Signal“ gewertet werden, um zu beweisen, dass er zum Letzten bereit ist (30).
  2. Verwandtenheirat: Man versucht, den Besitz innerhalb der Familie zu halten. Das darf aber nicht zu weit gehen, denn bei Inzest droht Krankheit oder Behinderung.
  3. Versöhnung: Starke Persönlichkeiten wie das soziale Genie Josef setzen auf die Strategie der Versöhnung, die Gemeinschaft stiftet und neben die Abgrenzung nach außen tritt.

Auf lange Sicht wird sich auf Grund der Nachteile der Polygynie in der kulturellen Evolution die Monogamie durchsetzen (31).

Gewaltzivilisation

Die Geschichte der Nachkommen Kains illustriert den Rückgriff des Mannes hinter die Jäger-und-Sammler-Natur zurück auf das Recht des Stärkeren, das wie bei den früheren Primaten wieder Konjunktur hat und zu Konkurrenz, Ungleichheit, Gewalt, Tyrannei, Despotie und Kriegen führt (32).

Nur indem sich Hierarchien entwickeln, können überlebensfähige Städte entstehen. Die ersten Städte, in denen völlig chaotisch gleich große Häuser dicht an dicht ohne Straßen dazwischen gebaut wurden, konnten nicht funktionieren, vermutlich auch wegen der nochmals potenzierten Gefahren von Epidemien. Das dürfte der ursprünglichste Hintergrund der Geschichte vom Turmbau zu Babel sein (33).

Fiktive Verwandtschaft

Die scheinbar so langweiligen Stammbäume der Bibel haben wichtige Funktionen: In einer anonymer werdenden Gesellschaft betonen sie, dass die verschiedenen Stämme und Völker der Menschheit trotzdem miteinander verwandt sind und stellen so die alte Vertrautheit der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft wieder her (34).

Die Geschichte der Erzeltern Israels führt während der babylonischen Verbannung in vier Staffeln mündliche Erzählungen von sagenhaften Gestalten aus dem Nord- und Südreich zusammen und wirbt durch die geographische Verbindung mit Ur im Zweistromland für die Rückkehr aus dem Exil (35). So sind einerseits alle Menschen Teil einer Familie, andererseits fühlt man sich der eigenen kulturellen Gruppe enger verwandt und verpflichtet.

Wo Stammbäume nur die erstgeborenen Söhne der Väter aufführen, bestätigen sie die Primogenitur (36).

Das hohe Alter der Menschen bis zur Sintflut mag eine Erinnerung daran bewahren, dass die Menschen vor der Sesshaftigkeit gesünder und länger lebten (37).

Und die Erzählungen von mythischen Riesengestalten mögen auch darauf zurückgehen, dass Menschen in Jäger-und-Sammler-Kulturen in der Regel noch heute größer sind (38).

Eine Nation kann man als eine Gemeinschaft verstehen, die von sich eine bestimmte Geschichte erzählt („Imagined Communities“); so versteht sich Israel als das auserwählte Volk Gottes und erzählt in den Büchern der „Vorderen Propheten“ von Josua bis Könige eine Biographie des Volkes, die auch wieder an die Vertrautheit des Netzwerks befreundeter Jäger-und-Sammler-Gruppen (Macrobands) erinnert (39).

Wie weit die in die fernere Vergangenheit reichenden Überlieferungen von der Landnahme durch Josua und vom Königtum Sauls, Davids und Salomos historisch belegbar sind, ist dabei unerheblich. Das erste, was im Falle Israels historisch belegt ist, sind Königslisten der beiden Königreiche Israel und Juda. Nach den Ergebnissen archäologischer Ausgrabungen entstanden sie relativ spät, indem sich Hirtennomaden im unwirtlichen Bergland Palästinas ansiedelten, weil die fruchtbaren Ebenen seit langem von kanaanäischen Stadtstaaten besetzt waren (40). Die Landnahme wird in der Rückschau aus nachbabylonischer Zeit also weitaus kriegerischer dargestellt, als sie sich in Wirklichkeit vollzogen hat (41).

Asabiya

Um zu erklären, was eigentlich eine größere Volksgruppe oder einen Stamm zusammenhält, greifen die Autoren Schaik und Michel auf ein Konzept des arabischen Denkers Ibn Khaldun zurück: „Asabiya“ – so nennt er die Kraft, die eine Gruppe zusammenhält. Verwandtschaftsgeist, gegenseitige Verteidigung, lange Vertrautheit, Kameradschaft, Hinwendung zur Wahrheit statt Rivalität und Neid. Im Bergland Palästinas konnten nur die Stämme überleben, die diese Art von Solidarität lebten. Wenn sich ehemalige Asabiya-Krieger an Wohlstand und Luxus gewöhnen, verweichlichen sie und ihr Staat geht zugrunde (42). Das kann man an der Abfolge der Könige Saul, David, Salomo gut nachvollziehen; da konkurrieren Ehefrauen, da führen Brüder Krieg gegeneinander (43).

Als die Propheten im babylonischen Exil auf den zerstörten Staat zurückblicken, ziehen sie den Schluss: Der Egoismus der Despoten hat die Asabiya und den Staat vernichtet. Die eigenen Herrscher sind schuld am Untergang Israels! Auch der König hätte sich an die Tora halten müssen. Die erste Natur meldet sich zu Wort und meint: eigentlich sind keine Führer nötig! (44)

Geister werden zu Göttern

Aber wie kam es überhaupt da­zu, dass Menschen an Götter glaubten? Unsere erste Natur kann sich keine Wirkung ohne irgendeinen Akteur vorstellen, der sie hervorgerufen hat und der irgendwelche Absichten verfolgt, die man in ihrer Eigenart verstehen will (Verdinglichung, Animismus, Mentalisierung, Theory of Mind).

Im Hintergrund steht, dass es für das Überleben der Urmenschen notwendig war, in übertriebener Weise auf ir­gendwelche Aktivitäten in der Umgebung zu reagieren („Hyperaktives Aktivitätserkennungssystem“ = „Hyperactive Agency Detection Device“ = HADD). Es musste hyperaktiv, also übertrieben reagieren, damit man lieber einmal zu viel als einmal zu wenig auf eine Gefahr oder eine Beute aufmerksam wurde (45). Noch heute beruhigt es uns oder verleiht es uns ein Gefühl von Macht, für etwas Unerklärliches eine Erklärung zu wissen, auch wenn sie nicht stimmt (46).

In Millionen von Jahren als Jäger und Sammler wurde es für uns selbstverständlich, an die Geister der Ahnen zu glauben und überall übersinnliche Agenten am Werk zu sehen (47).

Und nun kommt ein Gesetz ins Spiel, das man das Gesetz der Proportionalität nennt: Wenn Katastrophen geschehen, die nicht mehr nur einzelne Menschen oder Familien, sondern größere Stammesverbände treffen, dann kann man dafür nicht mehr einzelne missgestimmte Vorfahren bzw. deren Geister verantwortlich machen. Das bedeutet: Aus Geistern werden Götter. Ein oder mehrere Götter des ganzen Stammes oder Volkes müssen zornig geworden und das übergroße Unglück, wie zum Beispiel eine verheerende Epidemie oder eine Überschwemmung oder eine Niederlage im Krieg hervorgerufen haben. Götter müssen also definitionsgemäß gewalttätig sein; wer sonst könnte verantwortlich sein für sonst unerklärliche Katastrophen? (48)

Die Berufsgruppe der Schamanen oder Priester sorgt für die Vermittlung zwischen Geistern, Göttern und Menschen auf folgender Grundlage: Wenn ein Gott die Menschen mit Krankheit, Krieg oder sonstigem Unglück straft, dann müssen sie Schuld auf sich geladen haben, die den Gott zornig gemacht hat. Da die Strafen das ganze Gemeinwesen treffen, ist die Moral sehr rigide, denn jeder Verstoß eines einzelnen kann zur Bestrafung des ganzen Volkes führen! (49) So wird Gott in ge­wisser Weise berechenbar! (50)

Vom Gott mit zwei Leben

Warum hat sich nun ausge­rechnet in den beiden Bergkönigreichen Israel und Juda der Monotheismus entwickelt? Schaik und Michel sagen: Ganz einfach! Sie waren besonders häufig von Katastrophen, Überfällen und Eroberung durch Fremdvölker betroffen, dafür musste also ein besonders mächtiger und zorniger Gott verantwortlich sein.

Als die Kleinstaaten Israel und Juda gegründet wurden, gab es rundherum schon lange Staaten mit despotischen Gottheiten, von denen sie bedrängt oder ausgebeutet wurden; als ihr Gott bot sich der Wetter-, Kriegs- und Vulkangott Jahwe an, der stark genug war, um für derartig große Katastrophen verantwortlich zu sein (51).

Der historische Mose mochte mit der Jahwe-Verehrung der Midianiter in Verbindung gestanden haben und brachte den Jahwe-Kult aus der Wüste ins Kulturland Palästina (52).

Die Kindheitsgeschichte des Mose, wie von ihm in der Bibel erzählt wird, ähnelt interessanterweise einer Kindheitsgeschichte des assyrischen Königs Sargon I. Das lässt darauf schließen, dass „Ägypten“ vielleicht ein Deckname für die Großmacht Assyrien war, von der man tatsächlich unterdrückt wurde und tributabhängig war (53).

Das Gesetz der Proportionalität (Proportionality Bias) macht Jahwe zum einmaligen „Universalgott“ mit einem „unerhörten Rachedurst“ (Max Weber) (54). Man übernimmt von der assyrischen Übermacht für den eigenen Gott Jahwe Züge einer Stärke und Brutalität, die sich mit einem Ausschließlichkeitsanspruch durchsetzen will und kann (55). So kommt es dazu, dass Jahwe als „altorientalischer Despot“ (56) und Israel als „völkerverschlingende Großmacht“ (57) dargestellt wird, obwohl beide kleinen Königreiche immer den Großmächten unterlegen waren und die Propheten Jahwes gerade am Despotismus der Könige die härteste Kritik übten.

Das Besondere am Gott Jahwe ist: Er gibt sogar sein eigenes Volk dem Untergang preis, wenn das Volk ihm untreu wird (58).

Warum ist aber dann der Glaube an diesen Gott nicht auch mit dem Volk untergegangen? Schaik und Michel sagen: Eben weil es zwei Völker waren, die denselben Gott anbeteten. Der Gott Jahwe hatte sozusagen zwei Leben (59).

Als das Nordreich Israel untergeht, beginnt im Südreich Juda erst richtig die „Mission Tora“; auch hier hatten die Assyrer gewütet, war der Ahnenkult beeinträchtigt, das Deuteronomium entstand als Schutzsystem gegen den Zerfall der Gesellschaft und den Untergang des Staates (60).

Und als auch Juda untergeht, folgt man dem Gesetz der Bestätigung (Confirmation Bias) und interpretiert den Untergang wieder als Strafe Gottes (61). Aber nun denkt man Gott konsequent ganz neu: nicht mehr als Despot, sondern gestaltlos, transzendent, unsichtbar. Der Kohärenzzwang führt notwendigerweise zum Bilder- und Fremdgötterverbot. Die Anbetung nur eines Gottes unter vielen (Monolatrie) wird zum Glauben an überhaupt nur einen einzigen Gott (Monotheismus) (62). Gott wird zum Wort, zur reinen Stimme der Tora, die man als tragbare Heimat („portatives Vaterland“) überall hin mitnehmen kann (63).

Tora

Kommen wir zur Besonderheit der Tora. Es gab auch vorher schon Gesetze in anderen Kulturen für bestimmte Lebensbereiche, die zum Teil in Israel übernommen wurden. Aber da der Gott Israels nur ein einziger Gott ist, kann er sich nicht mal so, mal anders verhalten; das ganze Recht, die gesamte Lebenswelt muss theologisiert, unter göttliches Recht gestellt werden. So wird die Tora zu einem kulturellen Schutzsystem größter Raffinesse. Moses Gott liefert zu seiner Schöpfung die Hausordnung gleich mit; das ist einmalig. Sonst sind nicht Götter, sondern Könige die Gesetzgeber.

Gott ist ein Gott der gerechten Vergeltung (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Nach einer Logik des Bundes haben Gott und Israel ihre Pflichten als Vertragspartner zu erfüllen: Gott lässt Israel in einer Welt ohne Katastrophen, Krankheiten und Gewalt leben, gesetzt den Fall, dass Israel die Tora einhält. Durch eine Mischung aus Erfahrungswissen und Einfühlungsvermögen (Empirie und Empathie) können die einzelnen Bestimmungen der Tora zusammengestellt werden: Wo ist Gottes Zorn besonders leicht erregbar, was könnte ihn wütend machen? (64)

Ein erstes Bündel von Gesetzen kann dem Problem der Gewalt Einhalt gebieten (65). Das Prinzip „Auge um Auge“ (Jus talionis) ist kein grausames Vergeltungsrecht, sondern ersetzt gerade das Recht des Stärkeren und die Blutrache durch eine öffentliche Gerichtsbarkeit, die auf einen Täter-Opfer-Ausgleich abzielt und Urteile nur auf Grund glaubwürdiger Zeugenaussagen fällt. Todesstrafen werden tatsächlich eher selten verhängt, sondern sollen im Sinne einer Vorbeugung abschreckend wirken (66).

Der sozialen Realität der patriarchalen Gesellschaft entsprechend schützt die Tora sowohl das Eigentum und die Primogenitur und benachteiligt die Frauen. Inzestverbote schützen die Gesellschaft vor den Folgen zu weitgehender Heiraten innerhalb der Familie. Das Gebot „Liebe deinen Nächsten“ muss ausdrücklich formuliert werden, das in der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft selbstverständlich war. Indem auch der König der Tora unterworfen ist, ist die Tora verbündet mit der ersten Natur! (67)

Wichtig ist in der Tora der Schutz für die Armen und die Fremden, es gibt ein Zinsverbot und ein Gebot der Freilassung von Sklaven nach einer bestimmten Frist. Aber tatsächlich haben Sklaven nur minimale Rechte, vielleicht eher, um Unruhen durch mittellose Sklaven zu unterbinden, und auch die Rechte der Sklavenhalter sind geregelt (68).

Irritieren mag Gottes Leidenschaft für Körperflüssigkeiten und den Bau für Latrinen außerhalb des Lagers (69). Solche Gesetze gehören in den Bereich des Schutzes vor ansteckenden Krankheiten und Epidemien, deren genaue Ursache unbekannt war, aber sie treten erfahrungsgemäß vorwiegend im Zusammenhang mit Sexualität, Hygiene oder Essgewohnheiten auf, daher gibt in diesem Bereich besonders viel Sünde (70).

Jungfräulichkeit und Sexualtabus einschließlich des Verbots von Homosexualität und Sodomie verringern das Infektionsrisiko (71).

Dass die Berührung von Aussätzigen oder von Leichen krank machen kann, ist uns unmittelbar einsichtig; teilweise wird vielleicht auch deswegen Fremden und Behinderten mit Vorsicht begegnet (72).

Penibel wird zwischen Rein und Unrein unterschieden; der Unreinheit wird durch Waschungen und Quarantäne bis hin zur Ausstoßung aus der Gemeinschaft begegnet (73).

Weiter gibt es Gesetze, die scheinbar keinen sinnvollen Grund haben, aber die von Gott gewollte Ordnung schützen, die wie ein fein gesponnenes Koordinatensystem über der Wirklichkeit liegt, so dass genau zu erkennen ist, was gottgefällig und was nicht. Wenn scheinbar unerklärliches Unglück geschieht, bleibt auf diese Weise Gott dennoch erforschbar (74).

In diesen Bereich gehören unter anderem die Speisegebote. Sie mögen zwar auch der Prävention von Krankheiten dienen; dass Schweinefleisch verboten ist, liegt vielleicht ursprünglich daran, dass Schweine im Gegensatz zu anderen Nutztieren ausschließlich Fleischlieferanten sind (75).

Die Schlachtung von Tieren ist ursprünglich eine Sache von Priestern; insofern nehmen auch die Opfergesetze in der Tora einen sehr breiten Raum ein; als die Opferrituale auf den Tempel von Jerusalem beschränkt werden, erlauben die Priester das profane Schlachten, aber es wird an rigide Vorschriften gebunden (76).

Die Einhaltung der Speisegebote wie auch der Beschneidung der Männer kann man aber auch als kostspielige Signale („Costly Signals“) verstehen, die den Zusammenhalt und die Kooperation des Volkes fördern, und als mobile Zeichen der Identität, wenn Israel nicht mehr im Land der Väter lebt und der Tempel nicht mehr da ist (77).

Schließlich gibt es Gesetze zum Schutz vor dem Ungewissen, etwa für Situationen, in denen ein Schuldiger nicht ermittelt werden kann: Gottesurteile, ein Ritual mit einer jungen Kuh, den Sündenbock (78).

Die Opfergesetze basieren auf dem Glauben, dass Gaben nur erwartet werden können, wenn man ein Opfer als Gegengabe darbietet. Die Kompliziertheit des Kults ist natürlich auch eine Quelle der Macht für die Priesterkaste. Parallelen zu zwangsneurotischen Handlungen sind allerdings vielleicht auch nicht ganz zufällig (79).

Insgesamt aber macht die Tora die Welt berechenbar, verständlich und beherrschbar. Der Gott der „gerechten Vergeltung“ führt in eine Welt den Friedens und zumindest auf lange Sicht zum auf Wissenschaft und Vernunft basierten Säkularismus (80).

Das Murren der ersten Natur gegen den Einen Gott

Trotzdem murrt das Volk gegen den Gott der Tora; die erste Natur legt Widerspruch ein gegen einen unsichtbaren Gott. Es gibt Konflikte der Rückkehrer aus Babylon mit den im Land Gebliebenen nicht nur um ihre alten Besitztümer, sondern auch um die Abschaffung der Vielfalt der Kulte (81), und zwar nicht nur der „Höhenheiligtümer“, also des „wohnortgebundenen lokalen Kults“, sondern auch der früher selbstverständlich geduldeten „Household Religion“, für die die Frauen zuständig sind (82). Da viele Themen, die vor allem Frauen betreffen – „Schwangerschaft, Geburt und genügend Milch zum Stillen“ – vom Gott der Tora nicht abgedeckt werden (83), reagiert das Volk alles andere als theologisch korrekt und will bestenfalls „die offizielle Religion ihren mentalen Strukturen anpassen“ (84). Man muss (dritte Natur) an die Offenbarung glauben, zweifelt aber beständig (erste Natur) „an den neuen, offiziellen Glaubensinhalten.“ (85) Der monotheistische Gott widerspricht der Neigung, sich Geister und Götter nach Menschenweise vorzustellen. Seine Singularität widerspricht dem HADD, das da draußen viele Wesen „weiß“, die nicht nur Gutes im Schilde führen (86). „In jedem Monotheisten steckt ein kleiner Ketzer.“ (87)

CREDs

Wie ist nun die These von Jan Assmann zu beurteilen, der dem Monotheismus einen Hang zur Gewalt unterstellt, weil er das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) in den Bereich des Religiösen hineinträgt? Führt nicht der Glaube an einen einzigen Gott, der alle anderen Götter ausschließt, zum Völkermord bei der gewaltsamen Landnahme durch das Volk Israel? (88) Aber wir hörten schon, in Wirklichkeit hat Israel die Berggegenden im Land Kanaan friedlich besiedelt.

Schaik und Michel geben aber eine Antwort auf die Frage, warum trotzdem von gewaltsamen Eroberungen erzählt wird. Es geht darum, einem Volk gegenüber, das gegen den Einen Gott murrt, dessen Glaubwürdigkeit zu bestätigen, und zwar durch sogenannte CREDs: sichtbare Machttaten (Credibility Enhancing Displays), denn die Menschen glauben ihrer ersten Natur nach nur das, was sie sehen. Auch und vor allem dem Wort Gottes müssen Taten folgen: Darum gibt es so viele Wunder und Plagen im großartigen Befreiungsepos vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, das die Menschen bis heute fasziniert (89).

Darum verhängt Gott auch so krasse Strafen gegen das eigene Volk, als es das Goldene Kalb oder die Götter der Moabiter anbetet oder als Korach den Aufstand probt (90).

Zu den Strategien einer lmmunisierung gegen Widerlegung (lmmunization against Refutation = IAR) gehört diese Gewissheit, dass Gott jede Sünde strafen wird („Gott ist ein Hochrisikogebiet“) und dass man keinem Propheten glauben darf, wenn er andere Gebote im Namen Gottes aufstellt oder durch CREDS die Macht eines anderen Gottes beweisen will (91).

Erzählt werden die Geschichten vor allem anlässlich von Festen wie dem Passafest oder dem Sabbat; von Anfang an werden sie zur Erziehung der Kinder eingesetzt, aber auch die Erwachsenen sollen sich die Tora täglich sogar wortwörtlich „vor Augen halten“. So soll schließlich das neue Gotteskonzept zur zweiten Natur der Menschen werden. Nach Jeremia 31, 33 will Gott sogar letztendlich selbst die Tora zur ersten Natur machen! (92)

Propheten

Wie kann das Wort der Tora in historischer Zeit weiterhin verbürgt werden, wenn Gott keine Wunder mehr tut, wie sie aus der Zeit des Exodus berichtet werden? (93) Diese Aufgabe übernehmen diejenigen Propheten, die als Einzelgänger in Opposition zu den jeweils Mächtigen aufgetreten sind und mit ihrer Unheils­prophetie Recht behalten haben (Survivorship Bias) (94). Sie gelten als selbstlos und charismatisch, zumal sie oft gegen ihren Willen berufen werden. Nur zum Teil haben sie Visionen oder vollbringen Wunder, aber im Kern vertreten sie das Wort Gottes, das jeder Magie überlegen ist und werden engagierte Anwälte von Gerechtigkeit und Asabiya, also Sprachrohre unserer ersten Natur. In ihrer Verkündigung wird auch Gott zum reinen Prinzip der Gleichheit und der Gerechtigkeit (95). Trotz seiner Gewalttätigkeit wird er zur moralischen Person.

Denn gewalttätig muss Gott damals ja definitionsgemäß bleiben; da er der einzige Gott ist, muss er ja als der Verursacher allen unermesslichen Leides angesehen werden, das es im alten Israel gab: Assyrien, Ägypten, Babylon, Seuchen, egal worunter das Volk litt: „Jahwe ist die Verkörperung des Übels, das die Menschen plagte. Er hat alles auf sich genommen“. Aber indem er moralisch wird, gilt die Moral auch für die Mächtigen (96). Die biblische Religion wird zur „Kunst, Übermächtige zu bezwingen“ (97).

Wenn später Wissenschaften entstehen, die die wahren Ursachen für das Leid herausfinden, werden sie es sein, die Gott entlasten und zum „lieben Gott“ unserer Tage machen (98).

Bei anderen Völkern gab es auch Katastrophenpräventionssysteme, die babylonische Wahrsagekunst war erfolgreich, weil sie zur rationalen Reflexion der jeweiligen Situation führte. Die griechische Opferpraxis war nicht immer erfolgreich und wurde schon früh durch Wissenschaft, Politik und Philosophie ergänzt bzw. ersetzt. Auf der anderen Seite ließen sich im Polytheismus manche Katastrophen leicht als Streit unter den Göttern erklären (99). Aber Jahwe musste, weil er alleine war, ein hypermoralisches Wesen werden.

Der Gott der Psalmen

Die hebräische Bibel besteht aber nicht nur aus der Tora und den Propheten. In den Ketuvim, den sogenannten Schriften, tauchen Gesichtspunkte auf, die im Glauben an den Einen Gott der Tora bisher vernachlässigt wurden (100). Das Jenseits war ja von den Geistern der Ahnen, die man anzurufen pflegte, geleert worden; in den Psalmen kommt die erste Natur nun doch wieder zu ihrem Recht, die „in Situationen existentieller Not des Beistandes übernatürlichen Personals“ bedarf (101). Sie darf sich direkt an Gott wenden; er wird zum Heiler, zum Schützer des einzelnen, zum Seelsorger, zum Gott für alle Sphären des Lebens, schließlich sogar zum Vater als Ersatz für den verstorbenen Vater oder Urahn. In den Psalmen kommt nun also auch das alltägliche Leben der Menschen vor (102). Gott funktioniert durch die Tora als Katastrophenschutz für das ganze Volk, und durch die Psalmen als individuelles Unheilabwehrsystem.

Vom Knirschen der Evolution im Buch Hiob

Die Fusion von Tora und Psalmen, vom intellektuell-institutionellen Glauben und der intuitiv-individuellen Religion, funktioniert aber nicht ohne Knirschen, wie Schaik und Michel mit einem Blick auf das Buch Hiob feststellen. Sie behaupten, dass es zwei verschiedene Hiobgeschichten gibt (103).

In der intuitiv-religiösen Variante fühlt sich Hiob von den himmlischen Mächten verraten, und er rebelliert, weil seine Reputation ohne Fehl und Tadel ist, gegen die streitenden Götter. Sie sind schuld an seinem Unglück und müssen zum Schluss ihre Schuld wiedergutmachen (104).

In der Variante der intellektuell-instiutionellen Religion kümmert sich Gott überhaupt nicht um die Leiden Hiobs; er gibt ihm nur „drei Stunden Naturkunde“ als Antwort auf seine Fragen, und Hiob erduldet und akzeptiert sein Leiden mit dem Eingeständnis, dass er wohl doch schuldig ist (105).

Hier kommt die kulturelle Evolution erheblich ins Knirschen, was Schaik und Michel mit folgender Bemerkung verdeutlichen: „Der Mensch hatte sein Unglück verdient. Er musste ein Sünder sein, selbst wenn er sich keines Vergehens bewusst war. Eine fürchterliche Vorstellung – die aber im Christentum Karriere machte“ – mit dem Konzept der Erbsünde (106).

Aber für den rebellischen Hiob bleibt es unmöglich, dass der Gerechte wie der Ungerechte miteinander in der Erde liegen. Es müssen also neue Konzepte entdeckt oder wiederentdeckt werden: Das Jenseits und die Auferstehung der Toten (107).

Daniel und die ersten Märtyrer

Die Totenauferstehung mit dem Gericht über die Bewährung im Leben taucht in der Bibel zum ersten Mal im Buch Daniel auf. Sie wird notwendig, weil der monotheistische Gott die altbewährten Umgangsformen mit dem Tod verboten hat, von Trauerbräuchen bis zur Geisterbeschwörung. Der Tod ist kein selbstverständlicher Teil des Lebens mehr, der Kampf gegen die intuitive Religion hatte eine Leere in Sachen Jenseits produziert (108). Jetzt hat Jahwe die Chance, so sagen Schaik und Michel, mit der Option Jenseits „sich das Problem der uneingelösten Reziprozität vom Hals zu schaffen“ (109). Das geschieht zur Zeit der hellenistischen und makkabäischen Kriege, in denen es erstmals in der Weltgeschichte die Bereitschaft zum Märtyrertod gibt. Hier entstehen Geschichten der Belohnung der Märtyrer mit ewigen Leben (110).

Der doppelte Jesus

Wie bei Mose oder den Propheten spielen für die Glaubwürdigkeit Jesu einerseits eine Reihe von Wundertaten, andererseits seine Selbstlosigkeit bis hin zum Tod am Kreuz eine Rolle (111). Wichtiger als all dies werden in der Verkündigung seine Auferstehung von den Toten (112) und zahllose Belege für die „Erfüllung der Prophetenworte“ des Alten Testaments in Jesu Mission (113).

Wirklich zentral ist für Schaik und Michel jedoch ähnlich wie in der Unterscheidung von Tora und Psalmen die Unterscheidung zweier Jesusbilder, die sie jeweils der intellektuell-institutionellen und der intuitiv-individuellen Religion zuordnen: Jesus als Apokalyptiker und Jesus als Freund.

Jesus als apokalyptischer Held

Als Apokalyptiker ist Jesus der große Held, „den die intellektuelle Religion in den Kampf gegen das Böse schickt“ (114). Er verschärft die Ethik als eine „Ethik fürs letzte Gefecht“ und schwächt formale Gesetze ab. Im Kampf gegen das Böse brandmarkt Jesus alles, was Asabiya vernichtet: „Streit unter Brüdern, Gier auf Frauen, eskalierende Gewalt“ sowie „Streben nach Reich­tum.“ (115) Aber diese Jäger-und-Sammler-Moral hat, so die Autoren, ein freundliches Gesicht nur nach innen; als Außenmoral zielt sie auf Abwehr und Kampf gegen Feinde, die entmenschlicht werden, und wurzelt letzten Endes im Dunkel unserer Primatenvergan­genheit (116). Als „reine Binnenmoral, um ein funktionierendes Zusammenleben zu ge­währleisten“ und die „nahende Apokalypse“ durchstehen zu können, begreifen Schaik und Michel auch „die Gebote ‚Liebt eure Feinde‘ und ‚Bietet auch die andere Backe dar‘.“ Zu bedenken ist allerdings, dass sich die Autoren hier auf einen Jesus-Biographen beziehen, der Jesus im Titel seines Buches auf eine Rolle als „Zelot“ festlegt (117). Dass das Christentum in seiner Geschichte nicht nur eine „Religion der Liebe“, sondern auch „des Hasses“ war, indem es „denjenigen, die als Teufel ausgemacht wurden, die Hölle auf Erden bereitete“, wird hier schon auf den apokalyptisch verstandenen Jesus selbst zurückgeführt (118).

Jesus, der Freund

Einen ganz anderen Jesus, Jesus als Freund, finden Schaik und Michel in denselben Evan­gelien in der Gestalt eines jüdischen Weisheitslehrers oder Kynikers, der – „von dem griechischen Philosophen Diogenes“ inspiriert (119) – gemeinsam mit seinen Jüngern – wie „einer aus der Zeit gefallenen Gruppe von Jäger und Sammlern“ – gemäß der Moral unserer ersten Natur ein „soziales Experiment“ (120) lebt, das geprägt ist durch praktisch gelebte Solidarität, die Überwindung von materiellem Besitz und die Emanzipation der Frau.

Dieser Jesus steht nach den Autoren im Gegensatz zum apokalyptischen Jesus: „Während der eine zum unbestechlichen Richter des Jüngsten Gerichts wird, bleibt der andere den Sündern zugewandt, bereit, bei jedem Vergehen Nachsicht zu zeigen.“ (121)

Allerdings überschneiden sich die beiden Jesusbilder, indem Jesus als Apokalyptiker auch den Dämonen der Krankheit entgegentritt und so der ersten Natur „ihr volles Recht“ verschafft; Kranke sind nicht selber schuld an ihrem Schicksal, sondern Opfer von Dämonen und verdienen Hilfe in ihren alltäglichen Nöten (122).

Neuer Polytheismus

Als Jesus gekreuzigt wird, verarbeiten seine Jünger dieses Ereignis apokalpytisch: Sein Tod am Kreuz ist ein apokalyptisches Zeichen, dass der Sieg über Teufel, Dämonen, Priester und Römer kurz bevorsteht. Aber dann bleibt das Gottesreich aus. Trotzdem hält man an bewährten Konzepten fest – indem man sie verändert. Die Hoffnung auf Erlösung wird individualisiert und ganz aufs Jenseits verlagert (123).

Und das Christentum (orthodoxer und katholischer Prägung) beginnt den Himmel wieder zu bevölkern, der zuvor durch die intellektuelle Religion entzaubert worden ist (124). Jesus wird zu einem himmlischen Wesen, die Trinitätslehre schafft es, seine Göttlichkeit und Menschlichkeit zusammenzudenken. „Jesus wird zur wohl meistgemalten Person der Welt. Menschen wollen sich nun mal Bilder machen von ihren Göttern.“ (125) Als Jesus zum Pantokrator wird, weit weg von den Menschen, rückt Maria in den Mittelpunkt als Mutter Gottes. Die gibt außerdem dem Göttlichen wieder ein weibliches Antlitz. Maria „versteht, sie verzeiht, sie tröstet“ und ist „Komplizin der Benachteiligten“ (126). Die menschliche erste Natur pocht auf weitere übernatürliche Akteure: Engel, Teufel und Dämonen, nebst Legionen von Heiligen beiderlei Geschlechts. Engel dürfen im Auftrag Gottes nichts Böses mehr tun, Dämonen müssen im Auftrag des Höllenfürsten handeln. Märtyrer und vorbildlich fromme Menschen werden zu Heiligen. Der alte Gei­ster- und Ahnenglaube bekommt legitime Ausdrucksmöglichkeiten. Noch heute glauben 66 % aller Deutschen an Engel (127).

Gott selber konzentriert sich auf Kernkompetenzen: als „Schöpfergott“ und „Hüter der Moral… kann er – dem Teufel sei dank – gänzlich gut werden, barmherzig und ab­strakt“ (128). Der jüdische Gott verschmilzt mit der griechischen „Idee des absolut Guten“ und eines unveränderlichen Gottes, er wird „allwis­send und allmächtig“ (129). Eine „zukunftsträchtige Allianz“ zwischen „Moral und Philosophie“ wird geschmiedet. „Der Logos, die Vernunft, wird ein ‚personaler Wesenszug des christlichen Gottes‘.“ So wird Gott „ein Wesen, das die drit­te Natur der Menschen beeindruckt“ (130). „Mit ‚Vollkommenheitsprädikaten‘ überhäuft“ wird er zugleich zum fürsorglichen Vatergott mit Rauschebart, der sich auch mit dem strafenden Pater familias versteht. Die theologisch notorisch inkorrekte erste Natur der Gläubigen glaubt jedoch an die Trinität „Gottvater, Gottmutter, Gottsohn“ (131).

Auch für Herrscher ist seit Kaiser Konstantin ein „riesengroßer liebender Gott“ zur Herrschaftsstabilisierung attraktiv (132). Er bezieht seine Güte aus der intuitiv-individuellen Religion, seine Größe aus der intellektuell-institutionellen Religion und garantiert den Zusammenhalt nach innen und die Stärke nach außen, indem er auf die apokalyptische Integration der uralten Freund-Feind-Psychologie zurückgreift (133). Zur Blüte kommt auch die Kontrolle durch einen Gott, der alles sieht und die Bösen bestraft („Supernatural Monitoring und Punishment“) (134).

Theologische Dilemmata

Das Christentum entsteht als „eine Religion voller Spannungen“ mit drei großen Dilemmata, die aus der Fusion von intellektuellen und intuitiven Elementen der Religion entstehen:

  1. Warum musste Gott ein einzelner Mensch werden?
  2. Woher kommt das Böse?
  3. Warum musste Jesus sterben? (135)

Vor allem das Konzept des Sühnetodes bereitet den menschlichen Naturen Schwierigkeiten. Denn so, wie Schaik und Michel die Opferlogik begreifen, stimmt sie im Fall Jesu nicht. Gott kann nicht bei der Menschheit in der Schuld stehen. Er kann nicht in Vorleistung treten. Menschen können auch nicht den Sohn Gottes als Opfer töten, um sich bei ihm reinzuwaschen. Und wenn Jesus sich selbst opfert, gleicht das keine Schuld aus, Gott erleidet ja einen Verlust (136).

So verfolgen Schaik und Michel eine andere Spur im Sinne der apokalyptischen Weltsicht der Bibel: „Gott musste mit dem Leben seines Sohnes die Menschheit beim Teufel loskaufen!“ Das macht intuitiv Sinn; der Teufel tötet den einzigen Menschen, auf den er kein Anrecht hat, und mit diesem Opfer erlöst er die Menschen, womit Gott seine Liebe beweist. Für die dritte Natur ist das aber primitiv, weil der Teufel kein fast ebenbürtiger Gegengott sein darf. „Um den Monotheismus zu retten, musste der Teufel wegretuschiert werden.“ (137)

Solche und viele andere Probleme führen zur Herrschaft der Theologen, der Experten, der Hohenpriester der dritten Natur, mit ihrem Streit um die wahre Lehre. Daneben etabliert sich eine Hierarchie von Ämtern und ein Netz von Institutionen, Konzilien usw. Das „‚Meisterwerk‘ der christlichen Kirche“ entsteht auf der Infrastruktur des Römischen Imperiums.

Allerdings muss es zu Konflikten zwischen Charisma und Bürokratie kommen. Enthusiasmus und Gleichheit, auch die Rolle der Frauen, treten wieder zurück zugunsten der Kirche als Männerclub.

Die erste Natur sträubt sich aber gegen den Klerus, hält sich an ein weitgefächertes übernatürliches Personal, freut sich über ein reiches Gemeindeleben mit Ritualen und Gottesdiensten, betont die göttliche Liebe und stiftet die Armen- und Krankenfürsorge, durch die Asabiya gestärkt wird. Das Christentum entfaltet seinen Zauber auch als Kirche der Sinne und der Fülle. Nach außen zeigt man aber mit der Inquisition äußerste Härte gegen jede Bedrohung der Einheit der gewaltigsten Expertokratie der Weltgeschichte. Als die Bibel einen festen Kanon erhält, hört sie ab dem 5. Jahrhundert auf, das fortzuschreibende Tagebuch der Menschheit zu sein (138).

Das zweite Buch Gottes

Das ist ein Grund, warum die Menschen nun intensiver im zweiten Buch Gottes zu lesen beginnen. Im „Buch der Natur“ nämlich (139). Durch das Christentum kommt es zum Aufschwung der Wissenschaften; sie „sind die legitimen Erben der intellektuellen Religion“ (140). Nun werden mit empirischer Beobachtung Regeln aufgestellt, um die Menschen vor Desastern aller Art zu schützen. Der Niedergang der antiken Wissenschaften lag am Untergang des Römischen Reiches und an den Wirren der Völkerwanderung, nicht am Christentum (141).

Schon Augustin sagte, Gott habe auch das Buch der Natur geschrieben, das nunmehr zu erforschen sei; er offenbare sich auch in den Zusammenhängen der realen Welt. Die Einsicht der griechischen Naturphilosophie, dass die Welt vernünftig eingerichtet ist, wurde ins christliche Glaubensgebäude integriert. „Die Bibel musste vernünftig und widerspruchsfrei sein“, Naturgesetze zu erforschen, sollte den Menschen Frieden brin­gen. Das Expertenwesen differenziert sich arbeitsteilig (142).

Aber die beiden Bücher Gottes harmonieren nicht immer miteinander, weil nach dem Einfrieren ihres Kanons um 400 ihre Bestände an Weltwissen veralten. Galilei will die Einheit von Wissenschaft und Bibel retten, aber seine Einmischung in die Exegese (bildhafter Stil der Bibel, öffentliche Diskussion biblischer Interpretation) wird von der gegenreformatorischen Kirche unterbunden (143).

Die Wissenschaft emanzipiert sich langsam von der Theologie, bleibt aber religiös. Im 19. Jahrhundert macht sich ein Fortschrittsglaube breit und behauptet die Naturwissenschaft als das beste kulturelle Schutzsystem aller Zeiten!

Jetzt erst beginnen und gewinnen die Forscher den Kampf gegen Gott als Lückenbüßer der Wissenschaft, d. h. dieses Bild vom Kampf gegeneinander entsteht erst jetzt.

Aber trotz der Säkularisierungsthese, die endgültig von Darwins Evolutionstheorie Auftrieb erhielt, gibt es immer noch die Religion. Warum? (144)

Zukunft der Religion

Die Säkularisierung bedroht nur die intellektuell-institutionelle Religion. Und vergisst, dass Wissenschaft nicht nur im antiken Griechenland, sondern mehr noch in der christlichen Naturlehre wurzelte. Die Wissenschaften kamen nur immer besser ohne Gott als Behelfsheuristik aus, um die Menschheit zu schützen. Die Götter verlieren die Katastrophen als wichtigste und älteste Zeugen ihrer Glaubwürdigkeit.

Aber obwohl die Religion als Welterklärung oder zur Legitimation für Menschenrechte und Demokratie nicht mehr gebraucht wird und als Philosophieersatz nur wenige anspricht, ist sie immer noch fester Bestandteil der zweiten Natur und verfügt über mächtige Institutionen, die sich gegen alle Widerlegungsversuche zur Wehr zu setzen vermögen. Allerdings drohen die Kirchen zu „musealen Institutionen der zweiten Natur“ zu werden, auf die man lediglich zu besonderen festlichen Anlässen zurückgreift. Hochkonjunktur hat dagegen, was man Spiritualität nennt: ein neuer Deckmantel der ersten Natur (145).

Der Glaube der Kirche an Himmel und Hölle wird fraglich, kann aber von der Institution nur mit dem Risiko der Unglaubwürdigkeit aufgegeben werden. Demgegenüber bringt die erste Natur alte Intuitionen wieder ins Spiel, beschäftigt sich mit Nahtoderfahrungen, dem Reinkarnationsglauben, Schutzengeln an Stelle der Ahnen und dem Weiterleben der Seelen. So wächst die intuitive Religion mit großer Spannbreite zwischen theologischen Lehrgebäuden und individuell geprägter Spiritualität (146).

Religion wird zur Zufluchtsstätte der ersten Natur, als Paradies auf Zeit, in dem die bleibende Fehlangepasstheit der Menschen an ihre Lebenswelt weniger zu spüren ist (Anti-Mismatch-Raum). Das gefällt weder den neuen Atheisten, die von der Spiritualität als Spielverderber eingestuft werden, noch den traditionellen Kirchen, die die Individualisierung der Religion beklagen (147).

Aber die Religion wird bleiben. Max Weber sprach vom „religiös musikalischen Menschen“, einer angeborenen Verankerung des Religiösen in der menschlichen Psyche (148). Religionen mit großem intuitiven Anteil boomen: sie sind offen für himmlische und dämonische Akteure, opulente Rituale und magische Praktiken, für Gemeinschaft, eine wichtige Rolle der Frauen und emotionales Erlebnis. Aber auch Kirchen mit einer rigiden Moralpolitik, hohen Ansprüchen, starker Abgrenzung nach außen und kostspieligen Signalen wie etwa, die Bibel wortwörtlich für wahr halten zu müssen, locken Menschen, die denken, dass die religiöse Wahrheit nicht billig zu haben ist (149).

Eine bleibende Gefahr bilden religiöse Gemeinschaften, wenn sie anfällig sind für eine Freund-Feind-Psychologie und für Verschwörungstheorien (150).

Als Fazit ziehen Carel von Schaik und Kai Michel am Ende ihres Buches: „Es bleibt weiterhin jedem Leser selbst überlassen, ob sie oder er zwischen den Zeilen der Bibel göttlichen Geist zu verspüren glaubt oder nicht. Wir zumindest sind guter Dinge, gezeigt zu haben, was sie auf jeden Fall ist: Sie ist eine Bibel der menschlichen Natur. Allein deshalb hat das Buch der Bücher einen Ehrenplatz in jedem Bücherregal verdient.“ (151) Die Bibel, als Tagebuch der Menschheit gelesen, „muss nicht mehr die perfekte Schrift eines perfekten Gottes sein. Sie darf endlich das sein, was sie auf jeden Fall ist: ein verdammt gutes Buch.“ (152)

Anmerkungen

(1) Ich zitiere nach der 4. Auflage © 2016 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg. Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel „The Good Book of Human Nature. An Evolutionary Reading of the Bible“ bei Basic Books, New York. Alle Seitenangaben in den Anmerkungen ohne weitere Autoren- oder Titelangabe beziehen sich auf dieses Buch.

(2) S. 25.

(3) S. 43 nach Jonathan Gottschall, The Storytelling Animal: How Stories Make Us Human, New York 2013.

(4) S. 62 nach Jonathan Gottschall, ebenda, S. 67 und 58.

(5) S. 43 nach Pascal Boyer, Und Mensch schuf Gott. Stuttgart 2004, S. 364.

(6) S. 44 nach Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens. 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen. München 2011.

(7) S. 121 und 216.

(8) S. 51 nach Robert Wright, The Evolution of God. New York 2009, S. 129.

(9) S. 28ff.

(10) S. 406f. nach Jane Goodall, Through a Window: My Thirty Years With the Chimpanzees of Gombe. New York 1990, S. 210.

(11) S. 260f. nach Herbert Gintis, Carel van Schaik und Christopher Boehm, Zoon Politikon: The Evolutionary Origins of Human Political Systems. Current Anthropology 56, 2015, 327– 353.

(12) S. 59f.

(13) S. 14f. nach Jared Diamond, The Worst Mistake in the History of the Human Race. Discover Magazine, May 1987, 64–66, und Jared Diamond, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften. Frankfurt am Main 2005.

(14) S. 28 nach John Tooby und Leda Cosmides, Cognitive Adaptations for Social Exchange. In: Jerome Barkow, Leda Cosmides, and J. Tooby (Hg.). The Adapted Mind: Evolutionary Psychology and the Generation of Culture. New York 1992, 163-228.

(15) S. 60f. nach Jan Assmann, Religion und kulturelles Gedächtnis. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa. München 2007, und Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 2013.

(16) S. 54ff. nach Henrik Pfeiffer, Der Baum in der Mitte des Gartens. Zum überlieferungsgeschichtlichen Ursprung der Paradieserzählung. Teil II: Prägende Traditionen und theologische Akzente. Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 113, 2001, S. 11.

(17) S. 63ff. Diese „Liste universeller Moralmodule“ stammt von den amerikanischen Psychologen Jonathan Haidt und Craig Joseph, die nach Michael Gazzaniga, Die Ich-Illusion. Wie Bewusstsein und freier Wille entstehen. München 2012, S. 198, zitiert werden.

(18) S. 68f.

(19) S. 60.

(20) S. 74f.

(21) S. 63ff.

(22) S. 78ff.

(23) S. 69.

(24) S. 63.

(25) S. 66f.

(26) S. 81.

(27) S. 83f. und 138ff.

(28) S. 144f. Zur Sodomie S. 70f.

(29) S. 146ff.

(30) S. 148 nach Joseph Henrich, The Evolution of Costly Displays, Cooperation and Religion: Credibility Enhancing Displays and Their Implications for Cultural Evolution. Evolution and Human Behavior 30, 2009, 244– 260.

(31) S. 153f.

(32) S. 85ff.

(33) S. 126ff.

(34) S. 88ff.

(35) S. 136f. nach Barbara Schmitz, Geschichte Israels. Paderborn 2011, S. 125ff.

(36) S. 90f.

(37) S. 91f.

(38) S. 93f.

(39) S. 268ff. nach Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, 2. Aufl. Frankfurt am Main / New York 2005, S. 15f.

(40) S. 267f. nach Israel Finkelstein und Neil A. Silberman, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel. München 2004, S. 134f., außerdem Israel Finkelstein und Neil A. Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos. München 2006, S. 231ff. und 27, sowie Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel. München 2014, S. 16f.

(41) S. 220 unter Bezug auf Frank Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes. Gütersloh 2005, S. 156. Vgl. auch S. 255 mit kritischem Blick auf Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung. Oder der Preis des Monotheismus. München 2003, S. 36.

(42) S. 272ff. unter Bezug auf Ibn Khaldun, Die Muqaddima. Betrachtungen zur Weltgeschichte. München 2011, 53f. und 179, auf Peter Enz, Der Keim der Revolte. Militante Solidarität und religiöse Mission bei Ibn Khaldun. Freiburg 2012, S. 9.43f.54f., sowie auf Peter Turchin, War and Peace and War: The Rise and Fall of Empires. New York 2007, S. 92f.

(43) S. 275ff.

(44) S. 278ff.

(45) S. 109ff. nach Stewart Guthrie, Faces in the Clouds: A new Theory of Religion. New York 1993, Justin L. Barrett, Why Would Anyone Believe in God? Walnut Creek, CA 2004, und Pascal Boyer, Und Mensch schuf Gott. Stuttgart 2004.

(46) S. 110f. nach Alison Gopnik, Explanation as Orgasm and the Drive for Causal Understanding: The Function, Evolution, and Phenomenology of the Theory Formation System. In: Frank C. Keil/ Robert A. Wilson (Hg.). Cognition and Explanation. Cambridge, MA 2000, S. 299-323, und Jesse Bering, Die Erfindung Gottes. Wie die Evolution den Glauben schuf. München 2011, S. 191f.

(47) S. 112ff.

(48) S. 114ff.

(49) S. 117ff.

(50) S. 122f.

(51) S. 214ff. unter Bezug auf Juha Pakkala, Die Entwicklung der Gotteskonzeptionen in den deuteronomistischen Redaktionen von polytheistischen zu monotheistischen Vorstellungen. In: Jan Christian Gertz, Doris Prechel, Konrad Schmid und Markus Witte (Hg.). Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur «Deuteronomismus»-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten. Berlin 2006, 239-248.

(52) S. 164, nach Eckart Otto, Mose. Geschichte und Legende. München 2006, S. 33.

(53) S. 165 nach Barbara Schmitz, Geschichte Israels. Paderborn 2011, S. 135.

(54) S. 216, nach Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl. Tübingen 1980, S. 267 und 301.

(55) S. 218ff.

(56) S. 220 nach Othmar Keel, Jerusalem und der eine Gott. Eine Religionsgeschichte. Göttingen 2011, S. 79f.

(57) S. 220 nach Frank Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes. Gütersloh 2005, S. 156.

(58) S. 216f.

(59) S. 217f.

(60) S. 223f.

(61) S. 224ff.

(62) S. 226ff.

(63) S. 228f. mit Bezug auf ein Zitat von Heinrich Heine.

(64) S. 167ff.

(65) S. 172ff.

(66) S. 176f.

(67) S. 177ff.

(68) S. 173ff.

(69) S. 182ff.

(70) S. 179ff.

(71) S. 187f.

(72) S. 189ff.

(73) S. 181f.

(74) S. 193ff.

(75) S. 197ff.

(76) S. 201ff.

(77) S. 203f.

(78) S. 294ff.

(79) S. 207f.

(80) S. 253f.

(81) S. 230ff.

(82) S. 232ff. Zum Volks- und Familienglauben insbesondere mit Bezug auf Karel van der Toorn, Family Religion in Babylonia, Syria and Israel: Continuity and Change in the Forms of Religious Life. Leiden 1996, sowie auf Rainer Albertz und Rüdiger Schmitt, Family and Household Religion in Ancient Israel and the Levant. Winona Lake, IN: Eisenbrauns. Stefan Alkier, Michaela Bauks, Klaus Koenen (Hg.) (2007ff.). Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de). (19.02.2016)

(83) S. 234 nach William G. Dever, The Lives of Ordinary People in Ancient Israel: What Archaeology and the Bible Intersect. Grand Rapids, MI 2012, S. 291.

(84) S. 239 mit Bezug auf Pascal Boyer, Und Mensch schuf Gott. Stuttgart 2004, S. 345.

(85) S. 240.

(86) S. 241.

(87) S. 256.

(88) S. 255 mit Bezug auf Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung. Oder der Preis des Monotheismus. München 2003, S. 37 und 36.

(89) S. 243ff. und S. 255f. mit Bezug auf Joseph Henrich, The Evolution of Costly Displays, Cooperation and Religion: Credibility Enhancing Displays and Their Implications for Cultural Evolution. Evolution and Human Behavior 30, 2009, S. 244-260.

(90) S. 246.

(91) S. 246f.

(92) S. 248ff.

(93) S. 284f.

(94) S. 287ff.

(95) S. 291-297.

(96) S. 315f.

(97) S. 316 mit Bezug auf Malcolm Gladwell, David und Goliath. Die Kunst, Übermächtige zu bezwingen. Frankfurt am Main 2013.

(98) S. 316.

(99) S. 309ff.

(100) S. 317ff.

(101) S. 328.

(102) S. 331ff. Ich widerspreche den Autoren allerdings insofern, als sie den Gegensatz zwischen der Tora Davids und der Tora des Mose übertreiben. Es stimmt einfach nicht, dass in den Psalmen keine Bezüge zur israelitischen Befreiungsgeschichte oder zu den Themen „Sünde, Zorn Gottes, Strafe und Vergebung“ zu finden seien, wie sie mit Bezug auf Rainer Albertz, Personal Piety. In: Francesca Stavrakopoulou und John Barton (Hg.), Religious Diversity in Ancient Israel and Judah. London 2013, 137, und Rainer Albertz, Persönliche Frömmigkeit und offizielle Religion. Religionsinterner Pluralismus in Israel und Babylon. Atlanta, GA 2005, S. 92f., behaupten.

(103) S. 342. Gegenüber der Hiob-Interpretation der Autoren habe ich starke Vorbehalte, da ihre Aufteilung des Buches Hiob auf zwei Hiobgeschichten quer zu den in der exegetischen Wissenschaft erwogenen Möglichkeiten verläuft. Außerdem habe ich mich durch den Hiob-Kommentar von Jürgen Ebach, Streiten mit Gott. Hiob, erschienen in zwei Teilen Neukirchen-Vluyn 2004 und 2005, davon überzeugen lassen, dass man das Buch theologisch schlüssig und sinnvoll auch ohne jede textkritische Manipulation auslegen kann.

(104) S. 342f.

(105) S. 343f.

(106) S. 349.

(107) S. 349.

(108) S. 359ff.

(109) S. 361f.

(110) S. 362ff.

(111) S. 381ff.

(112) S. 383ff.

(113) S. 386ff.

(114) S. 403.

(115) S. 405.

(116) S. 405ff. Hier widerspreche ich entschieden. Das Feindesliebegebot der Bergpredigt gilt eben gerade nicht nur für die eigene Gemeinschaft; die Forderung, „zwei Meilen mitzugehen“, bezieht sich ausdrücklich auf Soldaten der feindlichen Besatzungsmacht, und es gibt definitiv kaum Jesusworte, die man im Sinne der Unterstützung des zelotischen Kampfes gegen die Römer interpretieren kann. Vielmehr legt Jesus den Sieg im apokalyptischen Kampf allein Gott in die Hände, und in seiner Logik des Kampfes und der Bewährung geht es um das Annehmen des Leidens und das Durchhalten der Gewaltfreiheit. Petrus nennt er „Satan“ in einem Augenblick, in dem er wie ein Zelot einer Leidensankündigung Jesu widerspricht! Dass das Christentum in seiner späteren Geschichte nicht nur eine Religion der Liebe, sondern auch des Hasses war, ist leider wahr, aber auf Jesus selbst ist diese Sicht kaum zu beziehen. Diesen Teil des Buches halte ich für den schwächsten.

(117) S. 408ff. mit Bezug auf Reza Aslan, Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit. Reinbek 2013, S. 165.

(118) S. 424f.

(119) S. 415f.

(120) S. 417ff. mit Bezug auf Bernhard Lang, Jesus der Hund. Leben und Lehre eines jüdischen Kynikers. München 2010, S. 176

(121) S. 423. Allerdings zeigt in meinen Augen gerade das Gleichnis vom Weltgericht, dass für Jesus als Weltenrichter genau wie schon in Tora und Psalmen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit miteinander im Einklang stehen.

(122) S. 396.

(123) S. 426ff.

(124) S. 428f.

(125) S. 429ff.

(126) S. 431ff.

(127) S. 433ff.

(128) S. 435f. unter Bezug auf Kurt Flasch, Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie. München 2015.

(129) S. 436.

(130) S. 437.

(131) S. 438.

(132) S. 439 mit Bezug auf Paul Veyne, Als unsere Welt christlich wurde. Aufstieg einer Sekte zur Weltmacht. München 2011, S. 25.

(133) S. 440.

(134) S. 440 mit Bezug auf Ara Norenzayan, Big Gods: How Religion Transformed Cooperation and Conflict. Princeton, NJ 2013, und auf Dominic Johnson, God Is Watching You: How the Fear of God Makes Us Human. New York 2015.

(135) S. 441f.

(136) S. 444. Dazu merke ich kritisch an: Genau das ist tatsächlich der Kern des christlichen Glaubens. Gott durchbricht in seiner Liebe zu den Menschen die Opferlogik, verzichtet aus Liebe auf Vergeltung dafür, dass Menschen den Sohn Gottes töten, und ermöglicht Versöhnung und Neuanfang.

(137) S. 445.

(138) S. 446ff.

(139) S. 454 mit Bezug auf Heribert Maria Nobis, Buch der Natur. In: Joachim Ritter (Hg.). Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 1. Basel 1971, S. 957-959, sowie auf Arjo Vanderjagt und Klaas van Berkel (Hg.), The Book of Nature in Antiquity and the Middle Ages. Leuven 2005.

(140) S. 451.

(141) S. 453f.

(142) S. 454ff.

(143) S. 456ff.

(144) S. 461ff.

(145) S. 467ff.

(146) S. 469ff.

(147) S. 474f.

(148) S. 466 nach Max Weber, Wissenschaft als Beruf. Stuttgart 1995, S. 41.

(149) S. 467 mit Bezug auf Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. München 2004, S. 64f.

(150) S. 475f. Das bedeutet: Gerade unsere europäischen Großkirchen, je liberaler sie sich verstehen und je mehr sie sich in intellektueller Redlichkeit mit den Problemen zwischen Wissenschaft und Glauben auseinandersetzen, stehen vor großen Herausforderungen. Wir dürfen nicht vergessen, wie tief in unserer ersten menschlichen Natur religiöse Gefühle verankert sind, und sollten sie nicht verachten. Und der Probleme unserer Primatennatur, die uns alles Fremde als gefährlich erscheinen lässt, sollten wir uns ebenfalls bewusst bleiben.

(151) S. 488.

(152) S. 476.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.