Bild: Helmut Schütz

„Seid beharrlich im Gebet!“

In einem musikalischen Gottesdienst, den Helene Weiss an ihrer Harfe mitgestaltet, predige ich über das Gebet – das ganz persönliche Gebet – das Geheimnis des Glaubens an Jesus Christus – und unsere Rede gegenüber den Menschen „draußen“: sie soll freundlich und mit Salz gewürzt sein.

Helene Weiss in der evangelischen Lukaskirche Gießen an ihrer Harfe
Helene Weiss in der evangelischen Lukaskirche Gießen an ihrer Harfe

#predigtGottesdienst am Sonntag Rogate, 6. Mai 2018, 10.00 Uhr in der evangelischen Lukaskirche Gießen
David Watkins, Petite Suite: Nocturne

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Mit wundervollen Harfenklängen hat Helene Weiss uns auf diesen Gottesdienst in der Lukaskirche eingestimmt. Es war ein modernes Stück von David Watkins, und zwar Nocturne aus der Petite Suite. Vielen Dank!

Ich darf Sie mit dem Wort zur Woche am Sonntag Rogate begrüßen. „Rogate“ heißt „Betet“, und vom Beten handelt auch der Wochenspruch aus Psalm 66, 20:

„Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“

Wer mich noch nicht kennt: Ich bin Pfarrer Helmut Schütz, seit zwei Jahren im Ruhestand, und war bis dahin Pfarrer in der Gießener Paulusgemeinde. Über den heutigen Predigttext habe ich in 40 Dienstjahren erst einmal gepredigt – das war ziemlich genau vor 18 Jahren, und zwar ähnlich wie heute in einem musikalisch besonders gestalteten Gottesdienst. Der damals noch existierende Paulus-Kirchenchor, geleitet von Ihrer jetzigen Kirchenvorsteherin Eva Michel, hatte sich im Bachjahr 2000 daran gewagt, eine Bachkantate aufzuführen. Heute freuen wir uns, dass Frau Weiss uns noch mit weiteren Stücken an der Harfe verwöhnen wird. Aber wir selber sind auch aufgefordert, Gott mit unserem Gesang zu loben, begleitet von Markus Brand an der Orgel. Wir tun dies mit dem Lied 497, 1+9-13:

1. Ich weiß, mein Gott, dass all mein Tun und Werk in deinem Willen ruhn, von dir kommt Glück und Segen; was du regierst, das geht und steht auf rechten, guten Wegen.

9. Tritt du zu mir und mache leicht, was mir sonst fast unmöglich deucht, und bring zum guten Ende, was du selbst angefangen hast durch Weisheit deiner Hände.

10. Ist ja der Anfang etwas schwer und muss ich auch ins tiefe Meer der bittern Sorgen treten, so treib mich nur, ohn Unterlass zu seufzen und zu beten.

11. Wer fleißig betet und dir traut, wird alles, davor sonst ihm graut, mit tapferm Mut bezwingen; sein Sorgenstein wird in der Eil in tausend Stücke springen.

12. Der Weg zum Guten ist gar wild, mit Dorn und Hecken ausgefüllt; doch wer ihn freudig gehet, kommt endlich, Herr, durch deinen Geist, wo Freud und Wonne stehet.

13. Du bist mein Vater, ich dein Kind; was ich bei mir nicht hab und find, hast du zu aller G’nüge. So hilf nur, dass ich meinen Stand wohl halt und herrlich siege.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Mit Psalm 4 beten wir gemeinsam. Sie finden ihn im Gesangbuch unter der Nr. 703. Lesen Sie bitte die eingerückten Verse:

2 Erhöre mich, wenn ich rufe, Gott meiner Gerechtigkeit, der du mich tröstest in Angst; sei mir gnädig und erhöre mein Gebet!

3 Ihr Herren, wie lange soll meine Ehre geschändet werden? Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lüge so gern!

4 Erkennet doch, dass der HERR seine Heiligen wunderbar führt; der HERR hört, wenn ich ihn anrufe.

5 Zürnet ihr, so sündiget nicht; redet in eurem Herzen auf eurem Lager und seid stille.

6 Opfert, was recht ist, und hoffet auf den HERRN.

7 Viele sagen: »Wer wird uns Gutes sehen lassen?« Herr, lass leuchten über uns das Licht deines Antlitzes!

8 Du erfreust mein Herz mehr als zur Zeit, da es Korn und Wein gibt in Fülle.

9 Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein du, HERR, hilfst mir, dass ich sicher wohne.

Kommt, lasst uns Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Beten – ist das ein Notfallplan für den Fall der Fälle? Wir sind am Ende, unsere menschlichen Möglichkeiten sind ausgereizt – hilft dann nur noch Beten?

Beten – ist das eine Pflichtübung für Christen? Morgens, mittags, abends und im Gottesdienst? Bist du beleidigt, Gott, wenn wir das Gebet vergessen?

Beten – ist das ein Tun oder ist es ein Ersatz für christliches Handeln? Was tun wir, wenn wir die Hände in den Schoß legen – zum Beten?

Nimm unser Gebet, unsere gestammelten Worte und Gedanken, höre auf uns, auch wenn wir nicht wissen, wie wir richtig beten sollen. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Beten – das kann vieles sein. Danken, Bitten, Loben, Klagen. Ausgesprochene Gedanken und halbgedachte Gedankenfetzen. Stoßgebete und Meditationen. Du weißt, was wir denken, wir müssen nicht beten, um dich über unsere Wünsche zu informieren. Aber uns tut das Gebet gut – indem wir uns bewusst machen, dass du da bist, dass wir leben in der Verantwortung vor dir.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist gross Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Gott, es kann so einfach sein zu beten. Jeder Stoßseufzer kann ein Gebet sein, denn durch ihn betet in uns dein Heiliger Geist. Gott, es kann so schwierig sein zu beten, weil uns oft die Worte fehlen, weil wir uns selbst im Weg stehen, weil uns Zweifel anfallen, ob du überhaupt da bist. Lehre uns beten, indem wir uns besinnen auf Worte der Bibel – im Vertrauen auf Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Helene Weiss spielt „Fire Dance“ von David Watkins:
David Watkins, Petite Suite: Fire Dance

Liebe Kinder, geht mit eurer Kerze zur Kinderkirche. Sie erinnert an das Licht der Liebe. Man sieht die Liebe nicht, aber sie ist doch da. Man sieht Gott nicht, aber er ist immer bei euch. Amen.

Wir hören den Predigttext aus dem Brief an die Kolosser, Kapitel 4, Verse 2-6:

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin,

4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.

5 Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus.

6 Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied 382: Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, wie halten Sie es mit dem Beten? Wenn ich Sie jetzt einzeln darauf ansprechen würde, sozusagen mit dem Mikrophon in der Hand: Wäre das eine Frage, auf die Sie ganz spontan antworten könnten – und auch wollten? Es ist ja schon eine sehr persönliche Frage. In dem Predigttext aus dem Kolosserbrief haben wir gehört, wie der Apostel uns zuruft (Kolosser 4):

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Beharrlich festhalten am Gebet, ja sogar in ihm wachen, das klingt nach einer Standleitung zu Gott, die Tag und Nacht nicht unterbrochen werden soll. Hand aufs Herz: Sind wir alle dermaßen in einer ständigen Verbindung zu Gott? Und was heißt das überhaupt? Geht es darum, regelmäßige Gebetszeiten einzuhalten, vielleicht nicht gerade wie die Muslime fünf am Tag, sondern neben dem Beten im Gottesdienst auch ein Morgen- und Abend- und Tischgebet? Ich hörte gerade von einer Umfrage unter muslimischen Jugendlichen, dass 80 Prozent es für wichtig halten, die Gebetszeiten einzuhalten. Tatsächlich tun es nach eigener Aussage aber dann doch nur 20 Prozent. Wie sieht das bei uns Christen aus?

Ich will mal ein bisschen von mir erzählen. Als Kind und als Jugendlicher empfand ich so einen ähnlichen Zwiespalt wie vielleicht die jungen Muslime, die ich erwähnt habe. Von den Eltern und im Kindergottesdienst lernte ich, dass das Gebet wichtig ist. Denn Gott ist ja für uns da, er liebt uns, und einem, der mich liebt, der alles für mich tut, dem sollte ich ja wohl dankbar sein und nicht vergessen, mit ihm zu reden. Trotzdem schaffte ich es einfach nicht, jeden Morgen und Abend zu beten und hatte oft ein schlechtes Gewissen deswegen.

Aber später machte ich mir klar: Gott reagiert nicht wie eine Tante, die mir ein unpassendes Geschenk gemacht hat und beleidigt ist, wenn ich mich nicht anständig bedanke. Ich habe jedenfalls auch später darauf verzichtet, das Gebet in meinem Alltag zu einer zwanghaften Pflichtübung werden zu lassen. Dennoch habe ich nicht das Gefühl, ohne das Gebet zu leben. Ich bete oft einfach in Gedanken. Manchmal wenn ich durch die Stadt gehe. Mir ist bewusst, dass ich von Gott umgeben bin, dass ich ihm nichts sagen muss, was er nicht schon weiß. Und wenn ich dann doch im Kopf vor Gott etwas ausspreche, mache ich es mir damit selber klarer. „Ja, da war so viel wieder heute, wofür ich dankbar bin. Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen, danke, lieber Gott! Da gibt es Menschen, wo ich ratlos bin, wie ich ihnen helfen kann. Ich habe versprochen, für sie zu beten. Sei du bei ihnen!“ Oder erst kürzlich, am Tag der Geburt unseres fünften Enkelkindes, einige Stunden, bevor es so weit war, da dachte ich plötzlich: „Gott, bist du eigentlich auch neugierig auf dieses kleine Menschenkind?“ Einfach so kam mir der Gedanke: „Ich weiß nicht, ob du wirklich alles im voraus weißt, könnte es sein, dass alles in deiner Schöpfung, was noch in der Zukunft liegt, auch für dich eine Überraschung ist?“ Und zugleich wusste ich: „Gott, du bist bei uns, du bist die Liebe, die dieses Kind und seine Eltern umfängt. Du wendest alles zum Guten, auf deine Weise.“ Dann kam es zur Welt, das Baby, gesund und munter, und sogleich schlief es zufrieden wieder ein, liebevoll gestreichelt von seinen beiden großen Schwestern. Ohne ein Gebet auszuformulieren, war und ist in mir einfach große Dankbarkeit.

So bringe ich den Vers aus dem Kolosserbrief zur Zeit mit meinem eigenen Gebetsleben in Verbindung:

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Ich glaube, jede und jeder von uns würde wahrscheinlich sehr verschiedene Geschichten vom eigenen Beten erzählen können. Vielleicht mag das ja jemand nachher beim Kirchencafé tatsächlich tun. Jetzt unterbreche ich die Predigt für weitere Harfenklänge von Helene Weiss. Das ist auch eine Gelegenheit, über eigene Gebetserfahrungen nachzusinnen oder betend an Gott zu denken. Es wird jetzt ruhiger als vorhin, wir hören aus der Zeit des Barock ein Thema von Georg Friedrich Händel.

G. F. Händel, Thema auf der Harfe

Liebe Gemeinde, hören wir noch einmal den Apostel:

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Ich weiß nicht, würde mancher nicht vielleicht auch sagen: Wie soll ich das machen – im Gebet wachen – mit Danksagung? Ich erlebe so viel Leid, mir wird nichts geschenkt. Aber wenn ich an biblische Beter denke, an die Männer und Frauen, die die Psalmen gebetet haben, an Hiob in seinem Elend und an Jesus am Kreuz: Sie alle blieben beharrlich im Beten, sogar wenn sie sich von Gott im Stich gelassen fühlten. Sie gaben nicht auf. Am Rand der Verzweiflung, am Abgrund von Sorge und Angst, Schmerz und Tod, hörten sie nicht auf, zu Gott zu rufen, selbst wenn sie von ihm nichts spürten.

Auch der Apostel, der den Kolosserbrief schreibt – ob das nun Paulus ist oder ein Schüler von ihm, das wissen wir nicht genau – er befindet sich nicht in einer angenehmen Lage, in der es ihm leicht fallen sollte, dankbar zu sein. Nein, er ist „gebunden“, Luther übersetzt „in Fesseln“. In einer Zeit der Verfolgung hat man ihn ins Gefängnis geworfen. In dieser Lage bittet der Apostel die Gemeindeglieder in Kolossä darum, dass sie ihn und seine Gefährten in ihr Gebet mit einschließen:

3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin,

4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.

Ist das nicht merkwürdig: Der Apostel bittet zwar darum, das man für ihn betet. Er bittet sogar um eine offene Tür. Aber dieser Wunsch bezieht sich nicht auf die verschlossenen Gefängnistore. Er wünscht gar nichts für sich selbst, sondern er wünscht von Gott eine Tür für Gottes Wort.

Dieses Bild fasziniert mich. Der Apostel, der im Gefängnis sitzt, hinter verschlossenen Türen, vielleicht sogar mit Händen und Füßen angekettet, der will, dass wir mit vereinten Gebetskräften für ihn beten, das Gott ihm eine andere Tür aufmacht, offenbar eine Tür zum Herzen der Menschen, die für das Wort Gottes noch „zu“ sind. Denkt er an Menschen im Umkreis seiner Gemeinde? Vielleicht sogar an seine Gefängniswärter? Sucht er einen Weg, um ihnen das „Geheimnis Christi“ offenbar zu machen? Er scheint nach Worten zu ringen, um ihnen die Tür zum Geheimnis Christi auch nur einen Spalt weit zu öffnen.

Das Wort Gottes ist ein Geheimnis, und es ist mit Christus verbunden, mit dem Messias der Juden. Jesus, dieser eine Mensch unter Milliarden Menschen aller Zeiten auf unserer Erde, in ihm dürfen wir Gott erkennen, wie er ist in seiner ewigen Liebe. Auch wenn uns dieses Geheimnis offenbar wird, bleibt es ein Geheimnis, denn wie sollten wir das mit unserem Verstand ergründen: dass durch Christus die ganze Welt geschaffen ist? Wie soll es möglich sein, dass Jesus allem Leben auf Erden Sinn gibt, alle Menschen zur Liebe befreit, von Sünde und Tod erlöst?

Und mehr noch: Zur Schöpfung gehören ja auch die höchstwahrscheinlich existierenden Lebewesen auf Millionen anderer Planeten in diesem unermesslich großen Weltall mit seinen Milliarden von Galaxien, von denen jede einzelne Milchstraße Milliarden von Sonnen enthält. Für die, so denke ich, kann Jesus in seiner irdisch-menschlichen Gestalt nicht zuständig sein. Ist Gott für sie auf andere Weise da, in anderer Gestalt, für eben diese Welten passend? Wir können es uns nicht vorstellen.

Und letzten Endes bleibt dieser Gott auch für uns auf Erden ein unfassbares Geheimnis: dass er überhaupt da ist, dass er sich für uns Menschen in so liebevoller Weise interessiert, dass er in Jesus für uns Menschen Mensch geworden ist. Immer wieder muss Gott selbst uns neu eine Tür für dieses Geheimnis öffnen, so dass wir glauben können.

Der kürzlich verstorbene Physiker Stephen Hawking, der nicht an Gott glaubte, war davon überzeugt, dass die Entstehung des Weltalls ohne Gott erklärbar sei. Damit hat er ganz schlicht auch einfach Recht. Gott ist ja nicht aus der Welt heraus erklärbar, beweisbar, das bedeutet umgekehrt auch, dass die Schöpfung als solche nur für den, der schon glaubt, die Herrlichkeit des Schöpfers bezeugt.

Stephen Hawking hat wohl auch gesagt, dass das Weltall selber nicht wüsste, wozu es eigentlich da ist. Und wenn es Gott gäbe, wüsste man auch nicht zu erklären, warum es Gott gäbe und woher er kommt. Auch das ist richtig.

Aber ich darf an Gott glauben. Gott kann mir durch seinen Heiligen Geist eine Tür für sein Wort aufmachen. Dann weiß ich, dass diese Kraft, diese Liebe, dieser Urgrund, die wir Gott nennen, schon immer da war und immer da sein wird – ich muss nicht wissen, woher Gott kommt, weil das einfach niemand wissen kann. Ich muss auch nicht beweisen, dass es Gott gibt. Ich darf staunend die Welt erfahren, betrachten und sogar erforschen, die aus dem Schöpferwirken Gottes fortwährend hervorgeht und sich entwickelt. Ich darf wissen, wozu das Weltall da ist, nämlich zu Gottes Ehre, um seine Liebe zur Entfaltung und Vollendung zu bringen. Ich glaube, ich staune, ich denke nach, und all das tue ich mit Danksagung. Und in Gedanken bete ich: Danke, Gott, dass du überhaupt da bist, denn bin ich nicht von dir erschaffen, nicht in deinen Händen, wo wäre ich dann? Wäre ich nicht unter all den Milliarden von Menschen auf dieser Erde dennoch allein? Aber du lässt mich nicht allein. Du stehst mit mir in Verbindung, immer und überall, sogar dann, wenn ich nicht bete, denn du hältst und trägst und liebst mich, forderst mich heraus, ermutigst mich und mutest mir zu, aus deiner Liebe zu leben und Liebe in diese Welt zu tragen.

Hören wir ein weiteres Mal auf barocke Musik der Harfe von Georg Friedrich Händel, dieses mal sind es Variationen des Themas von vorhin, und Helene Weiss lässt sie für uns erklingen!

G. F. Händel, Variationen

Noch einmal, liebe Gemeinde, komme ich auf den Anfangsvers des Apostels zurück:

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Im Gebet wachen, diese Formulierung bringt mich auf weitere Gedanken: Unser Beten gehört zwar, wie Jesus es einmal sagte, ins stille Kämmerlein unseres Herzens, es soll nicht dazu dienen, in der Öffentlichkeit zu zeigen, wie fromm wir sind. Aber die Welt sollen wir aus unserem Gebet nicht ausschließen. Zum Gebet gehört die Fürbitte, die Wachsamkeit für das, was um uns herum vorgeht. Nicht nur unsere Familie und nicht nur unsere Glaubensgeschwister gehören in dieses Gebet hinein, auch andere, die uns brauchen. Es gibt genug Menschen, die überhaupt nicht mehr beten können, die aber dankbar sind für einen anderen, der für sie betet. Ganz in diesem Sinne geht der Apostel in den nächsten beiden Versen auf Menschen ein, die „draußen“ sind:

5 Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus.

6 Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.

Sehr wichtig ist es also dem Apostel, dass wir Christen nicht für uns bleiben, nicht im eigenen Saft schmoren.

Schon Jesus hatte sich vor allem mit denen abgegeben, die aus der Sicht der normalen Gesellschaft „draußen“ waren: Zöllner, Huren, Aussätzige, Unberührbare. Zum Schluss wurde er selber draußen vor den Toren Jerusalems gekreuzigt. So sollen also auch wir uns aktive um die kümmern, die draußen sind: Menschen mit ihren Nöten, Verzweifelte, Zweifelnde, sogar Atheisten und Andersgläubige.

Und wie sollen wir uns ihnen gegenüber verhalten? Vier Hinweise gibt uns der Apostel.

1. Wir sollen uns „weise“ verhalten, wörtlich „in Weisheit wandeln“. Wenn in der Bibel das Wort „Wandeln“ auftaucht, dann schwingt das hebräische Wort „Halacha“ mit. Für Juden bedeutet das ein „Gehen auf dem Weg der Tora“, ein Handeln nach der Wegweisung Gottes. Und mit dem Wort „Weisheit“ ist in der Bibel genau dieses Wort, diese Wegweisung Gottes gemeint. Den Menschen draußen sollen wir also gegenübertreten, indem wir nach den Geboten Gottes, im Geist der Liebe Jesu, leben. Denn für Gott sind auch die wichtig, die draußen sind. Auch die vor den Kirchentüren. Auch die, die wie Stephen Hawking Atheisten bleiben und sich doch immer wieder mit Gott beschäftigen. Weise sollen wir sein, nicht besserwisserisch, nicht beleidigt, aber auch nicht ängstlich. Gerade wer selbstbewusst im eigenen Glauben verwurzelt ist, wird den Respekt gegenüber fremden Überzeugungen nicht vermissen lassen.

2. Die „Zeit“ sollen wir „auskaufen“. Beide Wörter enthalten im Urtext mehr, als in der deutschen Übersetzung erkennbar ist. Zeit ist hier nicht einfach das, was gleichförmig abläuft, das griechische Wort „kairos“ meint genau diesen Zeitpunkt, der nie wiederkehrt, diese Gelegenheit, um vielleicht einem verzweifelten Menschen zu helfen, die man nutzen oder verpassen kann. Und das Wort, das Luther mit „auskaufen“ ins Deutsche überträgt, heißt wörtlich „zurückkaufen“, fast im Sinne von „erlösen“, „retten“. Wir sprechen manchmal davon, dass jemand eine Situation gerade noch „gerettet“ hat, indem er sich sehr diplomatisch verhalten hat. Vielleicht gibt es mehr Zeitpunkte, als wir denken, in denen wir aufgerufen sind, diese Zeit zu „retten“, sie zu nutzen, wenn jemand da draußen auf der Suche nach Wahrheit ist, oder wenn jemand genau unser offenes Ohr oder unser tröstendes Wort benötigt.

3. Wohlklingend sollen wir reden, wörtlich „in Gnade“. Gnade, die Freundlichkeit Gottes, ist das Vorzeichen, unter dem unser Leben steht, also gibt es kein vernichtendes Urteil, weder über uns noch über irgendjemanden draußen. Ich sagte es schon: Jesus selber ist draußen auf dem Galgenberg Golgatha, weit weg von jeder respektablen Gesellschaft hingerichtet worden. Darum ist niemand, der draußen ist, verloren.

Und 4. soll dennoch unsere Rede mit Salz gewürzt sein. Schon Jesus hatte ja gesagt (Matthäus 5, 12): „Ihr seid das Salz der Erde.“ So soll das, was wir Christen reden, kein Zuckerguss sein über Dinge, die kritisch zu sehen sind. Andererseits müssen wir nicht überall unseren Senf dazu geben, wo wir uns nur gerne selber reden hören. Aber wo es nötig ist, sollen unsere Worte mit Salz gewürzt sein. Was genau mag mit diesem Salz gemeint sein?

Zwei Stellen der Bibel habe ich gefunden, in denen das Salz vorkommt; dort lernen wir vielleicht, was Jesus und sein Apostel mit dem Salz meinen. Im 3. Buch Mose – Levitikus 2, 13 heißt es mitten in langen Ausführungen über die Opfer, die im Tempel dargebracht wurden:

Alle deine Speisopfer sollst du salzen, und dein Speisopfer soll niemals ohne Salz des Bundes deines Gottes sein; bei allen deinen Opfern sollst du Salz darbringen.

Diese Bestimmung klingt eigenartig, als ob die Speiseopfer, die Gott dargebracht werden, ihm ohne Salz nicht schmecken würden. Gemeint ist: Was wir für Gott tun, soll kein fades Pflichtprogramm sein. Es geht nicht um gezwungene theologische oder politische Korrektheit, sondern um ein Tun aus ehrlicher Überzeugung. Darum dürfen unsere Worte auch herzhaft sein und „Biss“ haben, sonst ist unsere Rede wie ungewürztes Essen, das einem über kurz oder lang zum Hals heraushängt.

Mit Salz gewürzt – damit ist allerdings nicht menschenverachtende Kritik gemeint, die alles niedermacht, was Menschen in ihrer Unvollkommenheit tun. Barmherzig ist es, die Sünde zu verurteilen und den Sünder zur Vergebung hinzuführen. Im Evangelium nach Markus 9, 50 steht ein Wort vom Salz, das diesen Gedanken weiterführt:

Das Salz ist gut; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit werdet ihr‘s würzen? Habt Salz bei euch und habt Frieden untereinander!

Salz und Frieden gehören untrennbar zusammen – Salz ist die kritische Würze in unseren Gesprächen, die uns hilft, Konflikte und Streitpunkte zu benennen – und zu überwinden. Es geht nicht um Streitsucht, es geht um Frieden. Um den Frieden, der uns durch Christus geschenkt ist, durch seine Gnade.

Um diesen Frieden lasst uns noch einmal mit den Worten des Apostels im Kolosserbrief beten:

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 587 die Strophen 1 bis 2 und 6 bis 8. In der ersten Zeile reden wir uns im Singen miteinander und zueinander an als eine priesterliche Schar. In der evangelischen Kirche glauben wir ja daran, dass wir in gewisser Weise alle Priester sind, d. h. wir brauchen keinen berufsmäßigen Priester, damit Gott uns hört, aber wir alle sind aufgerufen, für Menschen einzutreten und zu beten, die selber nicht beten können:

EG 587: Gott ruft dich, priesterliche Schar
Abkündigungen
Fürbitten
Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 160:

Gott Vater, dir sei Dank gesagt und Ehre; Herr Jesu Christ, den Glauben in uns mehre; o Heilger Geist, erneu uns Herz und Mund, dass wir dein Lob ausbreiten alle Stund.

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Zum Schluss spielt Helene Weiss noch ein impressionistisches Stück auf ihrer Harfe, eine improvisierte Laune von Gabriel Pierné!

Gabriel Pierné, Impromptu Caprice
Kirchenkaffee

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