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„Wachset in der Gnade!“

In der Gnade und in der Erkenntnis Jesu Christi, unseres Herrn und Heilandes zu wachsen, was kann das in einem Menschenleben bedeuten? Das wird thematisch angesprochen in der Trauerfeier für einen alten Mann.

Wachset in der Gnade: Eine Christusfigur, fotografiert vor einem Zaun oder einer Hecke mit braunem Herbstlaub
Jesus erkennen, in der Gnade wachsen, was soll das bedeuten? (Bild: Myriam ZillesPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

So spricht Gott, der Herr (Jesaja 43, 1):

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Herrn N., der im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist. Von langen Leidenswochen und vom Tod betroffen bewegen uns

  • Traurigkeit, dass es so hat kommen müssen,
  • Erleichterung, dass er nicht noch mehr hat leiden müssen,
  • ein Gefühl von Endgültigkeit und die Suche nach Hoffnung.

In uns sind frohe und schwere Erinnerungen; je größer unsere Liebe war, um so größer ist unser Schmerz.

Wenn wir nach Worten suchen, um unseren oft widersprüchlichen Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu geben, können uns die Lieder der Psalmdichter Israels eine Hilfe sein.

So bringen wir das, was uns bewegt, vor Gott – mit den Worten aus Psalm 71, in dem ein Mensch aus dem Volk Israel seine Lebenserfahrung ausspricht:

1 HERR, ich traue auf dich, lass mich nimmermehr zuschanden werden.

2 Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir heraus, neige deine Ohren zu mir und hilf mir!

3 Sei mir ein starker Hort, zu dem ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg.

5 Du bist meine Zuversicht, HERR, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an.

9 Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde.

12 Gott, sei nicht ferne von mir; mein Gott, eile, mir zu helfen!

14 Ich aber will immer harren und mehren all deinen Ruhm.

20 Du lässest mich erfahren viele und große Angst und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder herauf aus den Tiefen der Erde.

21 Du machst mich sehr groß und tröstest mich wieder.

22 So will auch ich dir danken mit Saitenspiel für deine Treue, mein Gott; ich will dir zur Harfe lobsingen, du Heiliger Israels.

23 Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.

Liebe Trauergemeinde!

Als Herr N. geheiratet hat, hat das junge Ehepaar den Trauspruch mit auf den Weg bekommen (2. Petrus 3, 18):

Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilands Jesus Christus. Ihm sei Ehre jetzt und für ewige Zeiten!

Diesen Vers möchte ich in meiner Ansprache Ihnen auslegen, ihn mit den Erinnerungen an das Leben von Herrn N. in Beziehung setzen und Ihnen, die Sie ohne Herrn N. weiterleben müssen, als Richtungsangabe für Ihr weiteres Leben ans Herz legen.

Beim ersten Hören klingt der Vers wie ein frommer Spruch, der nicht viel zu tun hat mit unserer Wirklichkeit, sondern irgendwo darüber schwebt. Was ist damit gemeint: „Wachset in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi“? Was können wir damit anfangen, wenn es heißt: „Ihm – also Jesus Christus – sei Ehre jetzt und für ewige Zeiten?“

Aber diese Sätze sind ganz konkret gemeint. In der Erkenntnis Jesu Christi wachsen, das heißt: immer genauer erkennen, wer Jesus wirklich war und wer er – noch heute – für uns ist.

Wer war Jesus? Er war ein Mann aus dem Volk Israel, der gern gelebt hat, der Freude an der Gemeinschaft mit Menschen gehabt hat, der Essen und Trinken genießen konnte, der sich von seinem Vater im Himmel geliebt wusste. Er war zugleich ein Mann, der es nicht leicht hatte, dessen Weg in einem Stall begann und am Kreuz endete. Zu seinem Glück brauchte er weder Reichtum noch irdischen Einfluss; er überwand sogar seine Angst vor dem Tod, als er vor die Alternative gestellt wurde, entweder selbst Gewalt anwenden zu müssen oder gefangengenommen und getötet zu werden.

Dieser Jesus ist unser Herr; dieser Jesus ist es, dem wir zu gehorchen haben im Leben und im Sterben, wenn wir uns als Christen bekennen. Er ist eine andere Art Herr als die Herren und Mächtigen dieser Welt. Dieser Herr kennt die Leiden der Menschen, weil er sie selbst durchlitten hat; er kennt die Bosheit der Menschen, weil er an ihr gestorben ist und weil er sie vergeben hat. Dieser Herr ist zugleich ein Heiland: einer, der uns heil macht. Heil werden wir, wenn uns vergeben wird. Heil werden wir, wenn wir unsere Angst überwinden können. Heil werden wir, wenn unsere Beziehung zu Gott in Ordnung kommt, wenn wir uns Gott in guten und in schweren Tagen wieder anvertrauen können.

Warum kann Jesus für uns Herr und Heiland sein? Weil er zugleich der Christus ist. Christus heißt: der Gesalbte Gottes, der Auserwählte Gottes. Er ist der Stellvertreter Gottes auf Erden gewesen. Und so hat sozusagen Gott selber unter den Menschen und mit den Menschen gelitten. Er ist selber den Kreuzestod gestorben. Aber das war nicht das letzte Wort. Gott, der Vater, hat Gott, den Sohn, wieder vom Tode auferweckt, hat dem Tod seine furchtbare Macht genommen. Und darum können wir uns heute dazu bekennen, dass der Gott, der uns regiert, untrennbar mit Jesus Christus verbunden ist. Dieser Gott, der uns liebt, der selber gelitten hat, der unsere Nöte versteht, und nicht irgendein unbekannter Gott steht über uns. Nicht der Tod, nicht menschliche Macht und Gewalt haben letztlich auf der Erde das Sagen, sondern der Gott der Liebe, der Vater und der Sohn, die in dem heiligen Geist der Liebe untereinander und mit uns verbunden sind. Darum gehört Jesus Christus und niemandem sonst die größte „Ehre jetzt und für ewige Zeiten“, wie es in unserem Bibelvers heißt.

Da wir all das nicht nur theoretisch erkennen, sondern auch auf uns beziehen sollten – sonst wäre es keine echte Erkenntnis –, wird in dem Spruch noch ein Wort vorangestellt: „Wachset in der Gnade!“ Gnade bedeutet, dass das Entscheidende im Leben uns nur geschenkt werden kann. Die Liebe anderer Menschen und erst recht die Liebe Gottes kann man sich nicht erkaufen oder verdienen. Sie lässt sich auch nur notdürftig ersetzen durch andere Dinge. So wird das, was wir von Gott oder von anderen Menschen geschenkt bekommen, zum Wesentlichsten in unserem Leben. Doch häufig ist es schwer, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden, dieses Besondere, was Gott uns schenkt, in den alltäglichen Erfahrungen aufzuspüren und dafür dankbar zu werden. Deshalb geht es hier um ein Wachstum, um ein lebenslanges Lernen, das nie ganz abgeschlossen ist.

Das bedeutet aber nicht, dass jeder Mensch verloren sei, da ja niemand in Sachen Gnade und Liebe Gottes ausgelernt hat. Nein, vielmehr ist von Gottes Seite aus die Entscheidung für uns schon gefallen. Gnade bedeutet von ihm aus, dass er uns die Hand immer ausgestreckt hinhält, dass er immer bereit ist, uns anzunehmen, dass er uns begleitet in guten und in schweren Stunden, dass er uns nicht loslässt, auch wenn wir uns von ihm abwenden. Gnade bedeutet für Gott, dass er uns liebt, auch wenn wir gar nicht liebenswert sind. Er möchte uns mit seiner Liebe erreichen, damit wir uns öffnen und ebenfalls Menschen werden, die lieben können.

So viel zur Auslegung des Verses, den Herr N. damals mit seiner Frau als Trauspruch bekommen hatte.

Von hier aus fragen wir nach dem Leben von Herrn N., nach dem, was ihm geschenkt war, und nach dem, was er an Belastungen und an Unglück hat tragen müssen.

Erinnerungen an viel Leid im Leben des Verstorbenen

In der Familie von Herrn N. musste man immer wieder alle Kräfte zusammennehmen, um schwere Zeiten durchzustehen. Und gerade in den Monaten seiner Krankheit zeigte sich einerseits, dass er einen sehr starken Lebenswillen hatte und bis zuletzt nicht ans Sterben denken mochte, und andererseits, dass er in den Tagen, da er auf fremde Hilfe und Verständnis angewiesen war, von seine Familie und seiner Lebensgefährtin eine gute Pflege und viel geduldigen Beistand erfahren konnte.

Sie bleiben nun zurück – je mehr Sie ihn geliebt haben, ihm in vielfältiger Weise verbunden gewesen sind, je mehr Sie ihm verdanken, um so größer ist nun Ihre Traurigkeit. Da ist es gut, wenn Sie sich gegenseitig Halt geben. Es ist auch gut, den Bibelvers zu beherzigen, den ich ausgelegt hatte: Wachset in der Gnade! Sie können sich Jesus Christus, dem Herrn und Heiland anvertrauen, der uns nicht vor Schmerz und Trauer bewahrt, der uns aber begleitet und uns Halt gibt in allem, was uns widerfährt. „Er wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“, heißt es in einem Kirchenlied; darauf können wir uns verlassen.

Was bleibt uns zu tun? Wir vertrauen Herrn N. der Gnade Gottes an und wollen von ihm als Christen Abschied nehmen. Wir können ihm unsere Liebe über den Tod hinaus bewahren. Wir können Gott für alles danken, was wir von Herrn N. erfahren haben und auch für das, was wir ihm geben konnten. Und wir können Gott um Vergebung bitten für das, was wir einander schuldig geblieben sind und was uns nicht ewig quälen soll. So nehmen wir als Christen Abschied im Frieden. Amen.

Lasst uns beten mit den Worten eines Kirchenliedes (EG 85):

8. Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich nun erkalte, in dir mein Ende sei.

9. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir, wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.

Amen.

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