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„Gott, sei mir Sünder gnädig!“

Jesus verurteilt nicht das gute Verhalten des Pharisäers. Er verurteilt den bösen Seitenblick des guten Menschen auf andere: Wer gut sein will, bleibt nur gut, wenn er sein Gutsein nicht zur Waffe gegen die in seinen Augen Bösen macht. Der Pharisäer hätte Gott bitten können: „…hilf auch dem armen Schwein da hinten, diesem Zöllner, dass er aus seinem Elend herauskommt.“

Ein Emoji mit zerknirschtem Gesicht und zum Beten zusammengelegten Händen
Vor Gott als Sünder dastehen ohne bösen Seitenblick (Bild: Christian DornPixabay)

#predigtGottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, den 23. August 2009, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich in der Pauluskirche mit dem Wort zur Woche aus 1. Petrus 5, 5:

Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.

In der Predigt geht es heute um einen Pharisäer und einen Zöllner, und der Zöllner sagt den Satz: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Pharisäer, Zöllner, Sünder, Gnade – das sind lauter schwer verständliche Wörter. Wir werden sehen, ob wir begreifen, was sie mit uns zu tun haben.

Lied 586:

1. Herr, der du einst gekommen bist, in Knechtsgestalt zu gehn, des Weise nie gewesen ist, sich selber zu erhöhn:

2. Komm, führe unsre stolze Art in deine Demut ein! Nur wo sich Demut offenbart, kann Gottes Gnade sein.

3. Der du noch in der letzten Nacht, eh dich der Feind gefasst, den Deinen von der Liebe Macht so treu gezeuget hast:

4. Erinnre deine kleine Schar, die sich so leicht entzweit, dass deine letzte Sorge war der Glieder Einigkeit.

5. Drum leit auf deiner Leidensbahn uns selber an der Hand, weil dort nur mit regieren kann, wer hier mit überwand.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Gott kommt in Jesus zu uns in die Welt. Gott kommt zu uns als Mensch, in der Gestalt eines Knechtes, eines Menschen, der für andere da war und der gedemütigt wurde. Jesus ließ sich erniedrigen, um uns aufzurichten. Er schenkt uns seinen Geist der Liebe und der Kraft, des Trostes und der Hoffnung, damit wir ein erfülltes Leben leben in der Verantwortung vor Gott.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Du, Gott, wenn ich dich vergesse, wenn ich nicht glaube, dass du mich siehst, wenn ich nicht höre, dass du mich rufst, bitte ich dich: Gott, sei mir Sünder gnädig.

Du, Gott, wenn ich nicht so bin, wie du mich haben willst, wenn ich schlecht von anderen denke und über sie rede, wenn ich ihre Not übersehe und mich drücke, wo ich helfen sollte, bitte ich dich: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Du, Gott, lass mein Leben nicht verderben, bringe es zurecht. Richte mich auf, wenn ich den Mut verliere. Rette mich, wenn ich verzweifle. Hilf mir, deiner Gnade zu vertrauen (nach EG 801).

Gemeinsam rufen wir zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Wir sprechen die Worte des Psalms 113; im Gesangbuch stehen sie unter der Nummer 745. Ich lese die nach rechts eingerückten Verse und Sie bitte die linksbündigen Verse: Wer ist wie der Herr, unser Gott?

Halleluja! Lobet, ihr Knechte des Herrn, lobet den Namen des Herrn!

Gelobt sei der Name des Herrn von nun an bis in Ewigkeit!

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn!

Der Herr ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

Wer ist wie der Herr, unser Gott, im Himmel und auf Erden?

Der oben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe,

der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz,

dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes;

der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja!

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Großer Gott, du bist groß, nicht um uns in den Staub zu treten, sondern um uns groß zu machen. Angemessen groß, menschlich groß, machst du uns; hoffnungslos überfordert wären wir, wenn wir so groß sein wollten wie du. Groß sind wir alle in deinen Augen, mit großen Gaben beschenkt, mit Liebe, mit Fähigkeiten, mit kostbarer Lebenszeit. Bewahre uns davor, dass einer größer sein will als der andere. Bewahre uns davor, dass wir deine Gaben missachten, undankbar leben, unser Lebensziel verfehlen. Wir bitten dich um deine Gnade, Gott, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Lukas 18, 9-14: Es ist der Text, über den Pfarrer Schütz nachher predigen wird:

9 [Jesus] sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:

10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.

12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied 253:

1. Ich glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben, weil sie in einer Gnade stehn und eines Geistes Gaben. So viele Christus nennet sein, die haben alles Gut gemein und alle Himmelsschätze.

2. Denn in der neuen Kreatur ist keiner klein noch größer; wir haben einen Christus nur, den einigen Erlöser. Das Licht, das Heil, der Morgenstern, Wort, Tauf und Nachtmahl unsres Herrn ist allen gleich geschenket.

3. Wir haben alle überdies Gemeinschaft an dem Leiden, am Kreuz, an der Bekümmernis, an Spott und Traurigkeiten; wir tragen, doch nicht ohne Ruhm, allzeit das Sterben Jesu um an dem geplagten Leibe.

4. So trägt ein Glied des andern Last um seines Hauptes willen; denn wer der andern Lasten fasst, lernt das Gesetz erfüllen, worin uns Christus vorangeht. Dies königlich Gebot besteht in einem Worte: Liebe.

5. Ich will mich der Gemeinschaft nicht der Heiligen entziehen; wenn meinen Nächsten Not anficht, so will ich ihn nicht fliehen. Hab ich Gemeinschaft an dem Leid, so lass mich an der Herrlichkeit auch einst Gemeinschaft haben.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, was ist ein Sünder, was ist Gnade?

Als Parksünder muss man ein Bußgeld zahlen, wer im Blick auf Süßigkeiten oder Kuchen sündigt, den straft möglicherweise die Waage oder das Ergebnis des Blutzuckertests. Ansonsten gehört das Wort Sünder in den Bereich der Kirche. Ich vermute, dass viele denken: Alle sind Sünder, aber Gott ist gnädig, also ist es auch wieder nicht so schlimm, ein Sünder zu sein. Es würde sogar auffallen, keiner zu sein, und wer will schon aus dem Rahmen fallen?

Jesus erklärt uns heute nicht, was Sünde oder Gnade ist, er erzählt uns eine Geschichte, ein Gleichnis, und da kommen diese beiden schwierigen Wörter erst ganz am Schluss vor. Wir hören es jetzt noch einmal, Satz für Satz:

10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

Jesus beschreibt zwei Menschen. Zwei Kirchgänger, könnten wir sagen. Sie gehen in den Tempel, um zu beten. Er nennt sie nicht mit Namen, sondern beschreibt sie als Typen: Pharisäer, Zöllner. Jesus hatte ständig mit beiden Gruppen von Menschen zu tun. Aber was sollen wir mit diesen Bezeichnungen anfangen? Pharisäer wie damals gibt es bei uns nicht, und das Wort Zöllner verwenden wir auch nicht mehr. Ihr Konfis, wisst ihr, was Pharisäer sind? Oder ein Zöllner? (…)

Um zu verstehen, was Jesus meint, müssen wir also bei diesem Gleichnis nicht nur die Wörter ins Deutsche übersetzen, sondern auch überlegen: wer kann heute mit diesen Menschentypen gemeint sein?

Beim Pharisäer ist die Sache besonders knifflig, weil viele Menschen mit diesem Wort durchaus etwas verbinden. Aber nicht unbedingt das, was Jesus damit meinte.

Wenn ich Sie fragen würde: Was ist ein Pharisäer, was würden Sie antworten? (…)

Ich kenne den „Pharisäer“ aus Norddeutschland, da ist das ein Kaffee mit viel Sahne oben drauf und mit Rum unten drin. Dieses Getränk hatten Leute in einer Kirchengemeinde erfunden, denen ihr Pastor den Alkohol verbieten wollte. Als er dann doch einmal den vermeintlich alkoholfreien Kaffee probierte und den Rum schmeckte, polterte er los: „Ihr Pharisäer!“ Und so hatte das Getränk seinen Namen weg. So gesehen, bedeutet Pharisäer: Heuchler. So tun, als ob man fromm wäre und heimlich die Regeln brechen. Ein solcher Pharisäer wäre natürlich jemand, vor dem man sich auf jeden Fall hüten muss. So will man selber auf keinen Fall sein. Der Dichter Eugen Roth hat darüber ein Gedicht gemacht:

Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
Gottlob! rief er im eitlen Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin.

Aber ist es wirklich so schlimm, ein Pharisäer zu sein? Die Pharisäer waren keine schlechten Leute. Sie kannten die Bibel, gingen in den Tempel, bemühten sich ernsthaft, Gottes Willen zu tun. Sie waren genau das, was heute ein guter Kirchgänger ist, ein ernsthafter Christ, einer, der sich fragt, was Gott von ihm will, und der verantwortlich vor Gott handeln will.

Ein Zöllner dagegen – was ist das damals für einer? Vordergründig gesehen ist es einfach einer, der beim Zoll oder Finanzamt arbeitet. Nur war das damals anders als heute. Zwar ist das Finanzamt auch heute nicht sehr beliebt, aber Finanzbeamte sind in der Regel trotzdem angesehene Leute. Das war damals anders. Nicht nur weil Israel unter fremder Besatzung lebte und die Steuern vor allem in fremde Taschen flossen, nach Rom. Hinzu kam noch, dass die Zöllner nicht einfach Staatsbeamte oder Angestellte waren, nein, sie waren selbständige Pächter einer Zollstelle und durften auf den offiziellen Zoll etwas draufschlagen, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Und dabei kassierte manch einer ganz schön ab. Kein Wunder, dass die Zöllner doppelt unbeliebt waren: als Handlanger der römischen Besatzungsmacht und als betrügerische Halsabschneider. Für einen frommen Israeliten waren sie durch ihren Kontakt zu den heidnischen Römern außerdem noch unrein. So einer will im Tempel beten, erzählt Jesus. Das wäre heute vielleicht so, als würde ein stadtbekannter Abzocker in die Kirche kommen, ein Drogendealer oder Zuhälter.

Was erzählt Jesus nun von diesen beiden Menschen, vom Kirchgänger und vom Abzocker?

11 Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner.

12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Dankbarkeit ist etwas Gutes. Die Bibel ist voll von Dankgebeten. Wer dankbar leben kann, der hat ein erfüllteres Leben als einer, der immer nur jammert und nie genug kriegt.

Allerdings ist die Dankbarkeit dieses rechtschaffenen Mannes etwas schräg. Er dankt nämlich dafür, dass er anders ist als andere. Er benennt die anderen auch: Räuber, Betrüger, Ehebrecher. Er bemüht sich, die Gebote zu befolgen, treu zu sein, nicht zu betrügen, niemanden um sein Hab und Gut zu bringen. Andere schaffen das nicht so gut; er ist froh und dafür, dass er das kann. Mit einem Seitenblick wird der gute Mensch in seinem Gebet ganz konkret: Wie gut, dass ich nicht so bin wie dieser Zöllner da! Der ist wirklich das Letzte! Zieht den Leuten das Geld aus der Tasche. Tritt Gottes Gebote mit Füßen. Hockt mit dreckigen Römern zusammen. Gut, dass ich nicht so bin!

Er freut sich darüber, sich einschränken zu können, mit wenig zufrieden zu sein, ja sogar zwei Mal in der Woche auf Nahrung verzichten zu können. Er ist auch stolz darauf, dass er zehn Prozent von seinem Einkommen spendet, das war sozusagen die damalige Kirchensteuer, und damit wurde damals vor allem auch den Armen geholfen, es gab keine staatliche Sozialhilfe wie heute. Kann er nicht mit Recht darauf stolz sein, sich darüber freuen, dafür dankbar sein, dass er sich mit Erfolg bemüht, ein guter Mensch zu sein? Er ist wirklich kein Heuchler, er ist ein vorbildlicher Mensch. Möchten wir das nicht auch sein? Ist es schlecht, ein guter Mensch, ein guter Christ, ein vorbildlicher Kirchgänger sein zu wollen?

13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

„Ferne“ stand der andere. Da ist ein Kirchenferner einmal in die Kirche gekommen, und gleich wird er von einem Kirchgänger misstrauisch beäugt: Was will der denn hier? Ferne, dieses Wort deutet an, wie man einen ausschließt, den man nicht dabei haben will. Aber es zeigt auch, wie ein Mensch sich selber ausschließt. Er traut sich nicht in die erste Reihe. Er traut sich nicht einmal, seine Augen zum Himmel aufzuheben. Er fühlt sich nicht nur fern von den Menschen, sondern auch fern von Gott. „Wenn die Menschen mich ausschließen, weil sie meine Außenseite sehen, wird Gott mich nicht erst recht aus dem Tempel rauswerfen, weil er mich von innen kennt? Ich bin ja wirklich kein guter Mensch. Ich weiß nicht einmal, wie ich die Gebote halten soll.“

So schlägt er an seine Brust und zeigt damit, dass er niemand anderem die Schuld dafür geben will, dass er so ist, wie er ist. Und dann betet er nur einen einzigen Satz: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“

Was bedeutet dieser Satz? Er bekennt, ein Sünder zu sein. Ein Sünder ist ein Zielverfehler. Er weiß, was falsch läuft in seinem Leben, dass er auf die schiefe Bahn geraten ist, obwohl diese schiefe Bahn damals durchaus gesellschaftsfähig war. Er war ja kein Krimineller, eher ein Weiße-Kragen-Täter, ein Finanzhai, der aus dem Wirtschaftssystem, so wie es eben war, seine Vorteile zog, auf Kosten vieler armer Leute. Ich bin ein Sünder. So etwas vor sich selbst einzugestehen und dann auch noch vor Gott, dazu gehört schon etwas. Wobei wir sagen können: Natürlich sagt er damit Gott nicht Neues. Er weiß das schon. Aber es ist wichtig, dass man selber zur Einsicht kommt: So geht es mit mir nicht weiter. So, indem ich andere Menschen ins Unglück stürze, renne ich selbst in mein Unglück. So, indem ich gedankenlos und unaufmerksam durchs Leben stolpere und dabei Menschen verletze, hinterlasse ich eine Spur von Unfrieden in meinem Umfeld. So, indem ich schlechte Angewohnheiten oder sogar Abhängigkeiten nicht ins Auge fasse und nicht damit Schluss mache, verliere ich immer mehr die Kontrolle über mein Leben und – schlimmer noch – immer mehr die Fähigkeit, vertrauen und lieben zu können. Ich bin ein Sünder, diesen schweren Satz aufrichtig im Gebet zu sagen, dazu gehört einiges.

Dazu gehört vor allem, dass der Zöllner irgendwie spürt: ein Sünder zu sein, das ist zwar schlimm, aber es muss trotzdem noch nicht alles verloren sein. Gott ist größer als die Sünde. Auch Gott macht die Zielverfehlung zwar nicht ungeschehen, aber er kann mir helfen, in Zukunft besser zu zielen und mein Lebensziel auch zu treffen. Das alles steckt in dem kleinen Wort „gnädig“. Dieses Wort ist in unserem Sprachgebrauch auch völlig heruntergekommen, wir meinen damit ein herablassendes Verhalten oder ein Gnade-vor-Recht-geschehen-Lassen. Wenn Gott gnädig ist, dann behandelt er uns nicht abschätzig von oben herab, sondern er tritt uns auf Augenhöhe gegenüber und richtet uns auf. Er will, dass wir unserer Menschenwürde entsprechend leben. Er lässt nicht Gnade vor Recht geschehen, sondern er hilft dabei, Unrechtes wahrzunehmen, auch das Unrecht, an dem wir beteiligt sind, und das Rechte zu tun. Der gnädige Gott nimmt sozusagen uns Sünder an der Hand und zeigt uns einen Ausweg: Du kannst neu anfangen. Du bist nicht festgenagelt auf deine Vergangenheit. Du kannst dir helfen lassen, zum Beispiel in einer Selbsthilfegruppe, um trocken oder clean zu werden und zu bleiben. Du kannst ein anständiger Banker sein, ohne Menschen durch leichtsinnige Geschäftemacherei abzuzocken.

So sagt auch der Zöllner damals: „Sei mir gnädig!“ Das heißt nicht: Sag, dass alles nicht so schlimm ist. Sondern: Hilf mir, einen neuen Weg einzuschlagen. Ich will ein Zöllner sein, der nicht mehr nimmt, als angemessen ist. So hat Sünde nicht das letzte Wort. Das Böse wird durch Gutes überwunden.

Es folgt noch Jesu Schlusswort in zwei Sätzen: Der erste Satz lautet:

14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener.

Rechtfertigung, noch einmal ein so schwieriges Wort. Jesus sagt: der zweite, der Abzocker, steht in Gottes Augen richtig da, nicht der erste, der Gott dafür dankt, dass er nicht so ist wie dieser sündige Mensch. Wie gesagt: Jesus verurteilt damit nicht das gute Verhalten des Pharisäers. Er verurteilt damit nur den bösen Seitenblick des guten Menschen auf die anderen: Wer gut sein will, bleibt nur gut, wenn er sein Gutsein nicht zur Waffe gegen die in seinen Augen Bösen macht, sondern wenn er mit seinem Gutsein mit dazu beiträgt, Böses zu überwinden. Und dazu gehört nach Gottes Willen auch, dass man allen Menschen Gutes zutraut, auch den scheinbar bösesten Menschen. Echte Dankbarkeit des Pharisäers hätte sein Gebet verwandeln können. Er hätte danken können auch dafür, dass ein Zöllner den Weg in die Gemeinde gefunden hat, und hätte ihn mit offenen Armen empfangen können. Er hätte Gott bitten können: „…und hilf auch dem armen Schwein da hinten, diesem Zöllner, dass er aus seinem Elend herauskommt, dass er über seinen Schatten springen kann.“ Noch einen letzten Satz spricht Jesus:

Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Im Blick auf das Gleichnis ist klar, was Jesus meint: Es ist nicht schlecht, ein guter Mensch sein zu wollen und das auch einigermaßen zu schaffen und dafür dankbar zu sein. Aber wer es nötig hat, andere schlecht dastehen zu lassen, um selber gut dazustehen, der verdirbt das Gute, das er tut.

Umgekehrt, wer zur Einsicht kommt, dass niemand perfekt ist, nicht einmal man selbst, der ist auf dem Weg zur Besserung, ja, er ist schon in Reichweite der Gnade Gottes. Gnade, Vergebung, Gottes Liebe richtet auf, macht uns zu Menschen mit aufrechtem Gang, die in Verantwortung vor Gott ihr Leben führen.

„Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“, daraus darf man aber kein Rezept machen in diesem Sinn: Wer sich nur klein genug macht, der wird automatisch von Gott an die erste Stelle gesetzt. Das wäre genau so blöd wie der Ausruf des Menschen im Gedicht von Eugen Roth:

Gottlob! rief er im eitlen Sinn,
dass ich kein Pharisäer bin.

Wilhelm Busch hat ein ähnliches Gedicht über falsche Bescheidenheit gemacht:

Die Selbstkritik

Die Selbstkritik hat viel für sich,
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
so hab ich erstens den Gewinn,
dass ich so hübsch bescheiden bin,
zum zweiten denken sich die Leut,
der Mann ist lauter Redlichkeit,
auch schnapp ich drittens diesen Bissen,
vorweg den andern Kritiküssen,
und viertens hoff ich außerdem
auf Widerspruch, der mir genehm,
so kommt es denn zuletzt heraus,
dass ich ein ganz famoses Haus.

Nein, Gott will nicht, dass wir ein famoses Haus auf Kosten anderer nicht so famoser Häuser sind. Er will eine Gemeinschaft von Menschen, in der einer für den anderen da ist, wo Unrecht abgebaut wird und Schuld überwunden wird. Denn Gott will Frieden, auf hebräisch Schalom, von dem wir gleich ein Lied singen werden. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 627: Schalom, Schalom! Wo die Liebe wohnt, da wohnt auch Gott

Bevor wir heute unsere Fürbitte halten, habe ich noch eine offizielle Pflicht zu erfüllen. Heute, am Sonntag, 23. August 2009, wird das endgültige Wahlergebnis der Kirchenvorstandswahl vom 21. Juni in unserer Gemeinde bekanntgegeben…

Fürbitten

Wir bringen alle diese Bitten vor dich und außerdem alles, was wir ganz persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 252, 1+2+5+7:

1. Jesu, der du bist alleine Haupt und König der Gemeine: segne mich, dein armes Glied; wollst mir neuen Einfluss geben deines Geistes, dir zu leben; stärke mich durch deine Güt.

2. Ach dein Lebensgeist durchdringe, Gnade, Kraft und Segen bringe deinen Gliedern allzumal, wo sie hier zerstreuet wohnen unter allen Nationen, die du kennest überall.

5. Die in Kreuz und Leiden leben, stärke, dass sie ganz ergeben ihre Seel in deine Hand; lass sie dadurch werden kleiner und von allen Schlacken reiner, ganz und gar in dich gewandt.

7. Sonderlich gedenke deren, die es, Herr, von mir begehren, dass ich für sie beten soll. Auf dein Herz will ich sie legen, gib du jedem solchen Segen, wie es not; du kennst sie wohl.

Abkündigungen

Und nun geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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