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Kapitel 10: Gemeinsame religiöse Feiern

Im zehnten Kapitel des Buches klärt Pfarrer Helmut Schütz, warum wir interreligiös feiern und beten können, nämlich weil wir einander im jeweils eigenen Glauben respektieren. Letzter Grund ist der „vertrauensvolle Respekt vor der Unverfügbarkeit Gottes, dem wir zutrauen dürfen, dass seine Gnade alle Ausgestaltungen der religiösen Traditionen letztlich übersteigt“ (Reinhold Bernhardt).

Zum Gesamt-Inhaltsverzeichnis des Buches „Geschichten teilen

Die Silhouetten zweier männlicher Gesichter, die einander gegenüberstehen, im linken Kopf ist das Symbol des Islam, Halbmond und Stern, zu sehen, im rechten das christliche Kreuz
Um Geschichten verschiedener Religionen miteinander zu teilen, muss man miteinander reden (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Inhalt dieses Kapitels

10.0 Kann man auch religiöse Feiern miteinander teilen?

10.1 Religiöse Rituale im Kindergartenalltag

10.2 Fremdes miterleben in der Kirche oder in der Moschee

10.3 Interreligiös feiern

Anmerkungen zu diesem Kapitel

Anmerkungen zu interreligiösen Andachten im Stuhlkreis der Kita-Kinder

10.0 Kann man auch religiöse Feiern miteinander teilen?

Wenn ich Kindern Geschichten aus der Bibel und aus dem Koran erzähle, werde ich das meistens im Stuhlkreis der verschiedenen Kindergartengruppen tun, manchmal aber auch in besonderen religiösen Feiern, die zu bestimmten Zeiten im Jahresablauf stattfinden, zum Beispiel anlässlich von Festen der Religionsgemeinschaften. Damit stellt sich die Frage, ob und wie solche gemeinsamen religiösen Feiern möglich sind. Und auch im Blick auf den Stuhlkreis mit den Kindern ist eine Klärung erforderlich: Handelt es sich dabei ausschließlich um eine Erzählrunde oder auch um eine religiöse Feier mit rituellen Elementen?

10.1 Religiöse Rituale im Kindergartenalltag

Wenn man religiöse Rituale in den Kindergartenalltag einbaut, zum Beispiel Gebete, Segenshandlungen usw., muss man darüber nachdenken, in welcher Weise die verschiedenen Kinder daran teilnehmen können bzw. sollen. Frieder Harz bringt das Problem folgendermaßen auf den Punkt:

„In den Ritualen wird Religion am unmittelbarsten erfahren. In ihnen drückt sich Zugehörigkeit auf besondere Weise aus. Umgekehrt machen sich auch an ihnen Vorbehalte gegen eine religiöse Beeinflussung oder Manipulation gegen den Willen der Eltern am ehesten fest. Deswegen ist bei der Gestaltung religiöser Rituale auch sorgfältig zu klären, wie sich bei ihnen Kinder aus nicht christlichen Elternhäusern verhalten sollen.“

Sein Vorschlag, damit umzugehen, orientiert sich am oben dargestellten Gastmodell (siehe Kapitel 6.3.2 und 6.4.2):

„Im Elternhaus bewusst christlich erzogene Kinder erfahren in der evangelischen Kindertagesstätte Bestätigung und Fortsetzung der christlichen Erziehung. Für sie ist es wichtig, die Existenz anderer religiöser Orientierungen bewusst wahrzunehmen, ihnen mit Interesse und Wertschätzung zu begegnen, unter gleichzeitiger Bestätigung der eigenen Zugehörigkeit.

Kinder anderer Religionen erleben christliche Rituale als solche, die sich von den eigenen unterscheiden. Sie lernen die Differenz zwischen dem hier Praktizierten und dem Häuslichen kennen und brauchen viel Bestätigung darin, dass das zu Hause Praktizierte ihr Eigenes ist. Christliche Erzieher/-innen können ihnen nicht Vorbild in dem ihnen Eigenen sein, das wäre unecht und verwirrend. Aber sie können sie in der Wertschätzung des Eigenen bestätigen.“

Auf die damit einhergehende Bevorzugung christlicher Kinder bin ich schon ausführlich eingegangen. Problematisch ist dieser Ansatz auch deshalb, weil die religiöse Praxis in den meisten Familien der Kinder zumindest unseres Kindergartens gar nicht so ausgeprägt ist, wie sich Harz das vorstellt. Die in der christlichen Tradition aufgewachsenen Eltern lassen zwar zum überwiegenden Teil ihre Kinder taufen und konfirmieren, haben aber ansonsten ein eher distanziertes Verhältnis zur Kirche. Die muslimischen Familien scheinen durch die säkulare türkische Tradition des 20. Jahrhunderts geprägt zu sein; sie halten sich zwar an das Schweinefleischverbot und zum Teil an das Fasten im Ramadan, aber auch unter ihnen nehmen nur wenige, so weit ich weiß, am religiösen Leben der Moscheevereine teil. Soweit ich es auf Grund meiner eigenen Begegnung mit den Kindern im Stuhlkreis einschätzen kann, scheint nur ein ganz kleiner Teil der Kinder zu Hause in Kontakt mit den Ritualen der eigenen Religion zu kommen. Insofern fände ich es nicht recht passend, im Kindergartenalltag sozusagen eine „heile Welt“ religiöser Rituale aufzubauen, die nicht der echt gelebten Einstellung der Familien entspricht.

Noch einmal lasse ich Frieder Harz zu Wort kommen:

„Gerade weil christliche Rituale, vor allem Lieder und Gebete, sehr unmittelbar mit dem alltäglichen Geschehen verwoben sind, ist es keine Lösung, dies jeweils ohne die nicht christlichen Kinder zu tun. Das würde das Zusammenleben in der Gruppe empfindlich stören.

Erfolgversprechender ist es, allen Kindern zugänglich zu machen, dass Menschen unterschiedlichen Religionen angehören und sich dies in verschiedenartigen Ritualen zeigt. Christliche Kinder lernen so auch das islamische rituelle Gebet bzw. das freie, mit erhobenen Händen gesprochene Gebet kennen. Sie erfahren, dass Gott dort anders angesprochen wird. Sie nehmen wahr, dass Religion uns auf unserer Welt in der Vielzahl unterschiedlicher Religionen und ihrer Rituale begegnet.“ (890)

Hier frage ich mich, wie Harz sich den „Lernerfolg“ dieser Vorgehensweise vorstellt. Er geht ja wohl nicht davon aus, dass islamische Kinder im Kindergarten ihren Gebetsteppich ausrollen und den anderen Kindern vormachen, wie ihr rituelles Gebet vollzogen wird, sondern dass die Kinder es bei einem Moscheebesuch kennenlernen. Was die Kinder dabei vor allem lernen, wäre dann wohl, dass die christlichen Kinder im Kindergarten mehr zu Hause sind als die nichtchristlichen.

Harz macht aber noch einen weiteren Vorschlag:

„Da wird etwa mit muslimischen Kindern vereinbart, dass sie bei christlichen Gebeten zu dem einen Gott ihre eigene Gebetshaltung praktizieren, die Hände erheben und so zeigen, dass sie dies Gebet in einer anderen Rolle miterleben als die Christen. Sie sind mit beteiligt, aber an etwas für sie nicht Eigenem, und das bringen sie durch ihre eigene Gebetsgeste zum Ausdruck. So wird gerade im Sichtbarmachen solcher Unterschiede ein respektvolles Miteinander möglich.“ (891)

Auch damit kann ich mich nicht anfreunden. Werden muslimische Kinder dadurch nicht in der Gruppe bloßgestellt? Wird ihnen nicht vielleicht etwas aufgedrängt, was gar nicht unbedingt „ihr Eigenes“ ist? Ich bin mir nicht sicher, ob das freie Gebet der Muslime immer mit der erhobenen Haltung der Hände verbunden ist. Wenn man wirklich in der Kita mit allen Kindern beten will, dann sollte es auf eine Art und Weise geschehen, die alle Kinder einbezieht, ohne bestimmte Unterschiede zu betonen.

Folgendes Gebet mit Bewegungen, die nicht Rituale bestimmter Religionen aufnehmen, sondern das Gesagte darstellerisch unterstreichen, schlägt Ulrike Uhlig für den Gebrauch im Kindergarten vor:

„Gott, du breitest Frieden in mir aus,
    Hände vor der Brust kreuzen
lass ihn wachsen aus mir heraus,
    Hände nach oben strecken
du gibst meinen Füßen festen Stand,
    mit Füßen am Ort gehen
du hältst mich sicher in der Hand.
    einander anfassen

(mündlich überliefert)(892)

Problematisch wird das Beten immer, wenn es mit Zwanghaftigkeit verbunden ist. Mich hat sehr angesprochen, was ich kürzlich per Email zum Thema Tischgebet erzählt bekam. Es ging um eine vom Schicksal nicht verwöhnte christlich geprägte Frau, die nicht nur ein offenes Herz für missbrauchte Mädchen und Strichjungen hat, sondern auch eine offene Tür und, wenn nötig, ein Bett zum Schlafen und einen gedeckten Tisch: „Bei der betet man am Tisch auch nicht. Die sagt, dass Gott doch eh mit am Tisch sitzt.“

Von einer solchen Grundhaltung her könnte man überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, religiös-rituelle Abläufe auf ein Minimum zu beschränken, und stattdessen die Dankbarkeit für das Essen und den Gemeinschaftscharakter der Mahlzeit auf andere Weise zu betonen. Wenn Kinder von sich aus beim Beten bestimmte Gebetshaltungen einnehmen und erklären: „Wir beten aber so“, ist natürlich nichts dagegen einzuwenden.

Ich selber habe ja bereits oben (Kapitel 8.2) erwähnt, dass ich bei der Gestaltung meines Stuhlkreises mit den Kindern zurückhaltend bin, was christlich-liturgische Elemente betrifft. Früher nannte ich das, was ich mit den Kindern tue, eine „Andacht“, aber im Lauf der Zeit ist daraus ein Erzähl- und Gesprächskreis geworden, in dem religiöse Geschichten und Themen im Mittelpunkt stehen und auch viel gesungen wird. Das Gebet als rituelles Element kommt in der Regel nur in Form von Liedern vor. Die Lieder stammen bisher ausschließlich aus dem christlich-abendländisch geprägten Kulturkreis, ich achte aber bei der Auswahl darauf, dass alle Kinder sie mitsingen können, ohne sich in unangemessener Weise christlich vereinnahmt fühlen zu müssen. Bei Liedern mit besonderen christlichen Inhalten wie zum Beispiel Weihnachts- oder Osterliedern weise ich darauf hin, dass es christliche Lieder sind. Ob die Kinder dabei mitsingen wollen, entscheiden sie selbst; manche hören sowieso einfach nur zu, weil sie noch zu klein oder sprachlich nicht so fit sind oder schlicht keine Lust haben. Es kommt aber auch vor, dass zum Beispiel ein muslimisches Mädchen mir sagt: „Wir Muslime feiern kein Weihnachten“, aber trotzdem begeistert in das Lied „O Tannenbaum“ einstimmt.

Leider ist es mir nicht gelungen, während meines Studienurlaubs Lieder aus dem islamischen Umfeld zu finden, die ich auch mit einer christlich-muslimisch gemischten Kindergruppe zur Gitarre begleiten und singen könnte (893). Das Buch „Der Fuchs geht um …auch anderswo“ (894) enthält zwar kulturübergreifende Liedvorschläge zu verschiedenen Jahreszeiten und Festanlässen, beschränkt sich aber, was religiöse Lieder betrifft, auf den südeuropäischen katholischen und griechisch-orthodoxen Bereich, während aus der Türkei nur einige Volks-, Tanz- und Kinderlieder aufgegriffen werden, die zum Einsatz im Zusammenhang mit Religions-Bildung nicht so gut geeignet sind.

Wer besondere Rituale, „die das An-Gott-Festmachen zum Ausdruck bringen“, und „dazu beitragen, Halt und Orientierung zu geben“ im Kindergartenalltag einführen möchte, dem empfehle ich einen Aufsatz von Simone Birkel, in dem sie abschließend die Anregung gibt:

„Entwickeln Sie eigene Rituale! Zwar gibt es eine Vielzahl von thematischen Büchern und Vorlagen, aber niemand kennt Ihre Kindertageseinrichtung so gut wie Sie. Trauen Sie sich zu, eigene, der Situation entsprechende Rituale im Team zu entwickeln. Damit wird das Leben für alle Beteiligten, nicht nur für die Kinder, bunter, reicher und tiefer und das Wir-Gefühl wächst.“ (895)

10.2 Fremdes miterleben in der Kirche oder in der Moschee

Im Kapitel 9.2.3 bin ich bereits auf die unterschiedlichen Festkalender der Religionen als Anlass für das Erzählen von Geschichten eingegangen. Aber ist es auch möglich, einander anlässlich solcher Feste zu gottesdienstlichen Feiern einzuladen?

In unserer Kirche feiern wir seit einer Reihe von Jahren drei bis vier Mal im Jahr einen Familiengottesdienst, der mit dem Kita-Team und Kita-Kindern gemeinsam vorbereitet wird, in der Regel auf jeden Fall jeweils zwei Sonntage vor Weihnachten, vor Ostern und vor dem Erntedankfest. Die muslimischen Familien sind dazu als Gäste mit eingeladen, aber mit sehr geringer Resonanz. Beim Laternenfest, das auch mit einer Feier in der Kirche beginnt, ist das etwas besser. Es gibt zwar einzelne Eltern, die durchaus dafür aufgeschlossen sind, als Gäste mit an einem Familiengottesdienst teilzunehmen, aber andere meinen: „Ich krieg meine Kinder nicht mal in die Moschee, dann schick ich sie erst recht nicht in die Kirche.“ Gelegentlich gelingt es, durch die Einschaltung vermittelnder Instanzen wie die Christlich-Islamische Gesellschaft oder die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen wechselseitige Besuche in einem Gottesdienst oder beim Freitagsgebet zu organisieren, dieser Weg erreicht allerdings nur Mitglieder der Moscheegemeinden.

Zu bedenken ist allerdings, dass auch die Zahl der Kindergartenkinder und Eltern aus christlich geprägten Familien, die an Familiengottesdiensten teilnehmen, in den letzten Jahren abgenommen hat. Diejenigen, die mitfeiern, sind mit der Gestaltung zufrieden; es kann also nicht am Angebot als solchem liegen, das wir auch nicht aufgeben wollen. Letzten Endes ist der Prozentsatz der Teilnehmenden an der Gemeindegliederzahl auch nicht geringer als in den sonstigen Gottesdiensten.

Was mir vorschwebt, um diese Situation zu ändern, ist zunächst einmal, in unserem Familienzentrum das Gespräch mit den Eltern zu suchen. Vielleicht ergeben sich ja dadurch neue Ideen, wie man die Einseitigkeit, dass wir immer nur zum Familiengottesdienst in unsere Kirche einladen, überwinden kann. Zum Beispiel würde ich gerne regelmäßig mit Kindern (evtl. auch Eltern) Besuche in der Moschee (oder im buddhistischen Tempel) machen und umgekehrt auch Muslime, die von ihrem Glauben erzählen können, in den Stuhlkreis der Kinder einladen. Und ich würde gerne mit muslimischen Eltern darüber reden, ob und wie im Kindergarten auf die islamischen Feste eingegangen werden soll und kann.

10.3 Interreligiös feiern

Bereits seit einiger Zeit überlege ich, ob wir nicht im Kontakt der religiösen Gemeinschaften noch einen Schritt weitergehen sollten, als einander nur einzuladen und gegenseitig zu besuchen. Mir schwebt die Möglichkeit vor, ein oder zwei Mal im Jahr eine interreligiöse Feier an einem neutralem Ort zu veranstalten, der nicht von vornherein als Gottesdienstraum der einen Religionsgemeinschaft für die jeweils andere eine Atmosphäre der Vereinnahmung ausstrahlt. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, zu einer solchen Feier ins Foyer unseres Familienzentrums einzuladen, das ja zum gemeinsamen „zweiten Zuhause“ aller unserer Kita-Kinder gehört. Aber auch ein Raum im benachbarten Stadtteilzentrum oder Turnsaal bzw. Aula einer angrenzenden Schule wäre grundsätzlich als Veranstaltungsort für eine interreligiöse Feier denkbar, zumal wenn wir den Kreis der Mitfeiernden nicht auf das Umfeld unserer eigenen Kindertagesstätte beschränken wollen.

Andreas Renz gibt allerdings zu bedenken, dass mit interreligiösen Feiern auch Gefahren verbunden sein können. Für selbstverständlich halte ich seine Ablehnung des „Proselytismus“, also der „aktiven Abwerbung Andersgläubiger zum eigenen Glauben“ im Zusammenhang solcher Unternehmungen. Er sieht allerdings noch zwei weitere Gefahren: einerseits die Gefahr des „Synkretismus“, das heißt, einer „unbewussten und ungewollten Religionsvermischung“ und andererseits die Gefahr des „Reduktionismus“, nämlich einer „Reduktion des Gebetsinhaltes und der Gebetsformen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner“ (896).

Er empfiehlt daher, auf die „erstmals von der Augustana-Hochschule Neuendettelsau vorgenommene Unterscheidung zwischen interreligiösem und multireligiösem Gebet“ zurückzugreifen und auf interreligiöse Gebetsveranstaltungen im engeren Sinn lieber zu verzichten:

„Demnach ist unter einem interreligiösen Gebet ein von Angehörigen verschiedener Religionen gemeinsam formuliertes und gesprochenes Gebet zu verstehen, während bei einem multireligiösen Gebet die Angehörigen der Religionen jeweils ihre eigenen Gebete sprechen und die anderen andächtig zugegen sind… Allein letztere Form, also das multireligiöse Gebet kann die Gefahren des Synkretismus und Reduktionismus vermeiden, so dass, zumindest bei öffentlichen Veranstaltungen, von interreligiösen Gebetstreffen grundsätzlich abzuraten ist.“ (897)

Damit vertritt Renz eine Haltung, die zum Beispiel auch die Württembergische Landeskirche in ihrer „Handreichung zur Frage interreligiöser Feiern von Christen und Muslimen: Begegnen – Feiern – Beten“ deutlich macht: „Ein ‚interreligiöses‛ Gebet lehnen wir ab.“ (898) Die Begründung lautet im Kern:

„Wir finden in Gebetsformulierungen anderer Religionen Worte, die auch wir sprechen könnten. Aber diese Worte stammen aus einem bestimmten Zusammenhang. Nichtchristliche Religionen haben ein anderes Bild von Gott. Wir beten zu dem Gott, der sich in Jesus Christus den Menschen zugewandt und offenbart hat. Deshalb sollten Christen in Gebete anderer Religionen nicht einstimmen.“ (899)

Warum auch Andreas Renz lediglich „multireligiöse“ Gebetsveranstaltungen befürwortet, ergibt sich aus folgender Argumentation:

„‚Zusammensein, um zu beten‛, so lassen sich Form und Ziel eines multireligiösen Gebets in Kurzform beschreiben. Interreligiöse Gebete dagegen (‚zusammen beten‛) würden ein Maß an gemeinsamem Gottesverständnis und -bekenntnis voraussetzen, wie dies letztlich nur zwischen Angehörigen einer Religion gegeben ist. So wird an diesem Punkt auch der fundamentale Unterschied zwischen einem christlich-ökumenischen Gottesdienst und einem multireligiösen Gebet, zwischen christlicher Ökumene und interreligiösem Dialog deutlich.

Multireligiöses Beten setzt also nicht voraus oder impliziert die Annahme, dass sich alle religiösen Bekenntnisse letztlich auf denselben Gott beziehen. Dennoch kann diese Möglichkeit theologisch nie mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden oder positiv formuliert: Theologisch muss stets mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass es der Heilige Geist ist, der in jedem aufrichtig Glaubenden betet. Aber selbst wo bereits theologischer Konsens besteht, dass etwa Christen und Muslime zu demselben Gott beten…, wird man über die multireligiöse Gebetsform nicht hinauskommen, weil Christen und Muslime eben auf je verschiedene Weise zu dem einen und selben Gott beten. Christen beten zu dem dreieinigen Gott, d. h. zu Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist. Das macht es Muslimen wie Juden unmöglich, am christlichen Gebet aktiv teilzunehmen…“.

Nimmt man das letzte Argument allerdings ernst, stellt sich die Frage, ob diese Voraussetzung für gemeinsames Beten überhaupt in einem christlichen Gottesdienst als gegeben vorausgesetzt werden kann. Es gibt doch viele Christen, die mit der Dreieinigkeit Schwierigkeiten haben und ihr Gebet sowieso an den einen Gott richten. Andere haben mit „Gott, dem Vater“ Probleme und beten lieber nur zu Jesus. Renz selbst macht den Vorschlag:

„Um jedoch dem von Muslimen und Juden gleichermaßen vorgebrachten Vorwurf entgegenzutreten, Christen hätten den Monotheismus zugunsten eines Tritheismus aufgegeben, wäre zu bedenken, ob die Christen zumindest bei multireligiösen Gebeten die traditionelle trinitarische Formel ‚Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes‛ nicht um den Zusatz ‚des einen Gottes‛ ergänzen könnten, wie das die koptischen Christen in Ägypten praktizieren… Dieser Zusatz kann auch die Christen selbst immer wieder vor theologisch fragwürdigen Vorstellungen bewahren.“ (900)

Renz weist außerdem mit einem Zitat aus der Veröffentlichung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ darauf hin, dass Gott selbst entscheidet, welches Gebet er erhören und in freier Gnade annehmen will:

„Die Frage, welches Gebet denn tatsächlich Gott erreicht, stellt sich für uns Christen zuerst im Blick auf unser eigenes Gebet. Welches unserer Gebete – und wäre es formal das korrekteste – ist denn dessen würdig, dass Gott es akzeptiert. Es kann ihn nur dann erreichen, wenn er unser auch im besten Fall unvollkommenes Gebet in freier Gnade annimmt und in seinem ungeschuldeten Erbarmen erhört. Vertrauen wir hier aber auf seine Gnade und sein Erbarmen, so dürfen wir glauben, dass er auch unsere unzulänglichen, ja verkehrten Gebete erhören will. Eben das gibt uns die Hoffnung, dass Gott in seiner Gnade auch die Gebete von Nichtchristen, auch die Gebete von Muslimen erhören kann und will: Als der Gott, der in seinem Erbarmen ‚will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen‛ (1 Tim 2, 4).“ (901)

Bernd Neuser ist offen für mehr als nur ein „multireligiöses Gebet“, denn dieser Ausdruck,

„der betont, dass jede Religion nur ihre eigenen Gebete verantwortet, nimmt nicht wahr, dass das Beten mit mehreren Religionen immer mehr ist als die Addition der verlesenen Texte und der anwesenden Personen. Nicht nur, dass die Veranstaltung als solche von den beteiligten Religionen gemeinsam verantwortet wird, zwischen den Teilnehmenden eines Gebets findet immer auch Bewegung, Begegnung und Interaktion statt.“

Aber auch ihm ist bewusst, dass viel Fingerspitzengefühl dazu gehört, „interreligiöse Gebete“ vorzubereiten und durchzuführen.

„Ein gemeinsames Gebet der Religionen berührt immer die Grenzen der Religionen. Es wird immer Ausnahme sein, nicht die Regel. Darum darf keiner der Teilnehmenden zum Beten vereinnahmt werden, sondern braucht den Freiraum, ob er nur zuhören, innerlich teilnehmen oder mitbeten möchte. Es ist gerade die Stärke einer Gebetsveranstaltung, dass sie primär eine spirituelle Ebene hat.“ (902)

In der bereits erwähnten Handreichung der EKD wird das Wesen interreligiösen Betens so umschrieben:

„Interreligiöses Beten … ist seinem Wesen nach grenzüberschreitend. Unabdingbar für die Form des Gebets ist, dass es in Anliegen, Wortwahl, Form und Ablauf zuvor von allen Beteiligten besprochen und gemeinsam festgelegt wurde. Die Absicht dieser Gebetsform ist, die Texte und den liturgischen Ablauf so zu gestalten, dass Glaubende beider Religionen sie bejahen und in den vorgegebenen Worten Gott anbeten können. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass sich bei solchen gemeinsamen Gebeten besonders Texte bewährt haben, die Gott lobpreisen.“ (903)

Wichtig ist, dass im gemeinsamen Gebet „Christen und Muslime nebeneinander vor dem einen Gott“ stehen, so der Titel einer „Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche im Rheinland“.

„Damit unterscheidet sich das interreligiöse Beten vom Dialog der Religionen, der in seiner Blickrichtung immer das Unterschiedliche herausarbeiten wird. Gemeinsames Beten darf aus demselben Grund auch nicht zu politischen oder anderen Kundgebungen benutzt werden.“ (904)

Mich selbst veranlasst die Situation in unserer multireligiösen Kindertagesstätte dazu, nach Möglichkeiten interreligiöser Gebete und Feiern zu suchen. Bernd Neuser zufolge gibt es

„viele Gründe, warum Menschen verschiedener Religion sich veranlasst sehen, gemeinsam zu beten. Am elementarsten erleben dies Eltern in religionsverschiedenen Ehen, die gemeinsam für ihre Kinder beten wollen oder deren Kinder mit ihnen beten. In Stadtteilen mit größerem Anteil an Muslimen kommt es zunehmend am Schulbeginn zu Schulfeiern, bei denen ein muslimischer Imam und ein christlicher Pfarrer oder eine Pfarrerin mitwirken. Sie sprechen Gebete, lesen aus den Heiligen Schriften und segnen die Kinder am Beginn ihres neuen Weges. Oft kommt der Impuls aus der Lehrerschaft, dass man es für wünschenswert hält, eine Klasse ihren Schulweg gemeinsam beginnen zu lassen, damit nicht Christen und Muslime unter sich bleiben.“ (905)

Elke Kuhn hat reichhaltiges Material für „Christlich-muslimische Schulfeiern“ zusammengetragen, das sich zum Teil auch für ähnliche Feiern im Umfeld einer Kindertagesstätte verwenden lässt. Ihr theoretisches Konzept lehnt sich eher an die von Andreas Renz vertretene Form des „multireligiösen Betens“ an:

„Das Ziel jeder Form gemeinsamen Betens ist nicht, eine ‚Einheitsreligion‛ zu schaffen; Synkretismus wird sowohl von Christen als auch von Muslimen abgelehnt. Vielmehr gilt: Wenn Menschen christlichen und islamischen Glaubens miteinander feiern und beten, dann können sie das nur als Angehörige ihres je eigenen Glaubens tun. Sie sprechen Gebete aus einem bestimmten Grundverständnis heraus, das nicht identisch ist. Aber sie können dies tun im respektvollen Dabeisein des jeweils Anderen. Dabei können sie einerseits Gemeinsames entdecken und durchaus auch im Herzen mitsprechen, andererseits Fremdes wahrnehmen und versuchen, dieses zu verstehen.“

Was Anlässe und Themen für gemeinsame Feiern angeht, schreibt Elke Kuhn – ganz im Sinne des „Wirkfaktors Macht“ nach Christa Dommel – uns Christen ins Stammbuch, besonders sorgfältig auf einen fairen Umgang mit dem muslimischen Gegenüber zu achten. Denn:

„Aufgrund ihrer Minderheitenposition hierzulande reagieren Menschen islamischen Glaubens sehr sensibel auf jede Form von Vereinnahmung. Von daher sollten Situationen vermieden werden, die Muslimen nur die Möglichkeit eröffnen, sich in einen fremdbestimmten, beispielsweise durch christliche Feste (Weihnachten, Ostern) festgelegten Rahmen einzupassen. Voraussetzung für das Gelingen ist vielmehr eine gemeinsame Vorbereitung, wobei beide Seiten in gleichberechtigter Weise beteiligt sind. Schon dadurch werden bestimmte Anlässe ausscheiden: Während es Muslimen noch möglich ist, die christliche Freude an Weihnachten nachzuvollziehen, da auch ihnen aus dem Koran (Sure 19: ‚Maria‛) die ‚Weihnachtsgeschichte‛ – wenn auch in einer etwas anderen Form als in der Bibel – bekannt ist, können sie das Osterfest aufgrund des … anderen Verständnisses von Jesus Christus nicht feiern. Relativ unproblematisch ist dagegen eine gemeinsame Feier zum Erntedankfest, da der Dank an Gott als den Schöpfer aller Natur auch Muslimen selbstverständlich ist.“

Ebenfalls geeignet erscheinen Themen wie

„Umwelt bzw. Schöpfung, Umgang mit Fremden und Andersgläubigen, Freundschaft und Gemeinschaft, Frieden und Weltverantwortung“ (906).

Die Entwürfe in ihrem Buch gehen übrigens über die Gestaltung reiner Gebetsveranstaltungen weit hinaus; ganze Schulfeiern mit Liedern und Texten aus den verschiedenen Traditionen sowie ausformulierte Ansprachen mit Textauslegungen sind dokumentiert, die islamischen Lieder allerdings leider ohne Noten.

Weitere Anregungen für gemeinsames Beten von Juden, Christen und Muslimen sind in dem Gebetbuch „Gemeinsam vor Gott“ enthalten, das Martin Bauschke, Walter Homolka und Rabeya Müller herausgegeben haben. Sie legen sich weder auf das Konzept des „multireligiösen“ noch des „interreligiösen Betens“ fest, sondern kennen auch die Mischform,

„dass zunächst nacheinander die eigenen Gebete gesprochen werden und dann am Schluss der Feier auch ein gemeinsames Gebet vorgetragen wird. … Man könnte diese Form ihres inklusivischen Charakters wegen »abrahamisches Beten« nennen: es berücksichtigt sowohl das je Eigene als auch das allen Gemeinsame.“ (907)

Diese Sammlung enthält auch eine

„große Anzahl solcher Gebete…, die sich … besonders für das gemeinsame oder gleichzeitige Beten von Juden, Christen und Muslimen eignen. Diese Gebete sind mit den Symbolen aller drei Religionen gekennzeichnet.“ (908)

Kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit bin ich in der Broschüre „Lobet und preiset ihr Völker! Religiöse Feiern mit Menschen muslimischen Glaubens“ des Zentrums Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau auf Gedanken zur theologischen Grundlegung gemeinsamen Betens von Christen und Muslimen gestoßen, die über die bisherigen Erwägungen zum multireligiösen bzw. interreligiösen Gebet hinausführen. Prof. Dr. Reinhold Bernhardt schreibt, man gehe meistens von dem Gedanken aus,

„dass es die Gemeinsamkeiten seien, die ein gemeinsames religiöses Feiern möglich machen.

Aber alle Gemeinsamkeiten helfen nicht, wenn es im Kern der Glaubensauffassungen eine unvermittelbare Verschiedenheit geben sollte, wie es die Kritiker gemeinsamer Feiern annehmen. Zudem ist zu fragen, ob es wirklich nur die religiösen Gemeinsamkeiten sind, die gemeinsame Feiern ermöglichen? Warum nicht auch die Verschiedenheiten, die in der gemeinsamen Feier ›zusammenkommen‹?

Demgegenüber soll die Möglichkeit des gemeinsamen Feierns hier weder historisch noch religionsphänomenologisch begründet werden. Sie liegt weder in der historischen Verwandtschaft der beiden Religionen begründet noch in den inhaltlichen Überlappungen oder Analogien, die sich daraus ergeben. Alle Ähnlichkeiten sind eingebunden in Gesamtverständnisse, die doch deutlich voneinander verschieden sind.

Christen und Muslime stehen gemeinsam vor Gott. Sie wenden sich an ihn mit der Bitte um seinen Beistand und seinen Segen. Gott ist der Grund des gemeinsamen Gebets.

Damit ist der Auffassung widersprochen, dass gemeinsames Beten und Feiern nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses des Gebets und der Feier möglich sei. Das intellektuelle Verständnis muss nicht in jedem Fall der praktizierten Gemeinschaft vorausgehen. Vielmehr kann sich auch umgekehrt in der gemeinsamen Praxis im Angesicht Gottes Verständigung miteinander, Verständnis füreinander und ein Verstehen des Anderen und seines Glaubens bilden. Und dazu gehört gerade auch das Verstehen des Anderen in seiner bleibenden Andersartigkeit und Verschiedenheit.“ (909)

Im Folgenden beschäftigt sich Bernhardt eingehend vor allem mit dem sowohl von Andreas Renz als auch von der Württembergischen Landeskirche vertretenen Argument, jedes christliche Gebet sei ein trinitarisch verstandenes Gebet und daher nicht vereinbar mit dem muslimischen Gebetsverständnis. Zur christologischen Grundlegung des Gebets gibt er zu bedenken:

Die Zuwendung zu Gott im Gebet gründet in der unbedingten Zuwendung Gottes zum Menschen, wie sie in Christus Ereignis geworden ist. Daher kann das rechte Gebet auch nicht von der Bedingung des rechten Gebets- und Gottesverständnisses abhängen. Für das gemeinsame Gebet kann es daher auch nicht entscheidend sein, ob die daran Beteiligten Christen sind, sondern ob das Gebet im Geist Gottes stattfindet: dem Geist der unbedingten Liebe und Vergebungsbereitschaft, wie er in Jesus Christus Gestalt angenommen und sich durch ihn offenbart hat. Wenn ein Gebet in diesem Geist vollzogen wird, richtet es sich an den Gott, von dem dieser Geist ausgeht. Wenn es dagegen im Geist der religiösen Selbstgerechtigkeit gesprochen wird, widerspricht es diesem Geist, auch wenn es noch so inbrünstig im Namen Jesu gebetet wird. Wichtiger als die Gestalt ist der Gehalt des Gebets und mit ihm verbunden die Haltung des Betenden.“ (910)

Die entscheidende Frage ist aber, wer der Adressat des Gebetes ist. Im Klartext: Beten Christen und Muslime zu demselben Gott?

„Jesus Christus ist der Mittler, durch den – bzw. in dessen Namen – Christen beten. Aber er ist nicht der Adressat des Gebets. Nach neutestamentlicher Überlieferung weist Jesus über sich hinaus auf Gott hin, zu dem er selbst gebetet hat.“ (911)

Und das hat Jesus unter anderem mit dem Vater unser getan, mit dem er als Jude den jüdischen Gott des Volkes Israel angebetet hat, der also kein anderer Gott als der der Christen ist. Weiter argumentiert Bernhardt:

„Wenn man dem biblischen Verständnis folgt, demzufolge Gott nicht nur der Gott seines Volkes aus Juden und Christen ist, sondern sich in der ganzen Schöpfung vergegenwärtigt, in Christus zu allen Menschen gesprochen hat und im Geist allen nahe ist, dann gibt es gute Gründe für die Annahme, dass der Gott, zu dem Christen im Namen Christi beten, kein anderer ist als der Gott, an den sich die Muslime hingebend wenden. Die Unterstellung, dass mit Allah, dem Allbarmherzigen, der gleiche Gott angesprochen ist, der im Gleichnis vom verlorenen Sohn als Gott der unbedingten Annahme vor Augen gestellt wird, lässt sich theologisch begründen. Der Hauptgrund liegt in der von Jesus bezeugten Universalität und Unbedingtheit des Heilswillens Gottes, der nach 1. Tim 2, 4 »will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen«. …

Man muss unterscheiden zwischen Gott und dem Gottesdenken der Religionen, zwischen Glaubensgrund und Glaubensausdruck. Zwischen den drei Glaubenstraditionen gibt es tiefe Differenzen. Aber man kann nicht von diesen Differenzen im Glaubensdenken der Religionen auf die Differenz des göttlichen Grundes schließen, auf den sie sich beziehen.“ (912)

Reinhold Bernhardt kommt daher zu dem Schluss:

„Dass wir beten und dabei hoffen dürfen, dass Gottes Herz für unser Gebet aufgeschlossen ist, ist selbst ein Geschenk Gottes. Dieses Geschenk darf nicht mit einem Ausschließlichkeitsanspruch bewehrt und gegen andere gewendet werden. Wir können es getrost Gott überlassen, wie er mit dem Gebet der Muslime und der Juden umgeht. Deshalb kann das Gebet im Namen Jesu Christi nicht dazu dienen, ein Gebet zu Gott, das nicht im Namen Jesu gesprochen wird, für unvereinbar mit dem christlichen Glauben zu halten.

Es geht im christlichen Glauben nicht zuerst um die gesetzliche Markierung von Grenzen, sondern um die verbale und nonverbale Verkündigung der gnädigen Gottesgerechtigkeit, die nicht vom Glaubensdenken der von ihr Begnadeten abhängt. Die Unterstellung, dass Gott auch die Gebete der Juden und Muslime annimmt, verwässert die christliche Glaubensgewissheit in keiner Weise. im Gegenteil: sie nimmt den Glauben Jesu an die allumfassende Güte Gottes ernst und ist eine Konsequenz daraus.

Theologisch gibt es gute Gründe, die gemeinsame Gebete möglich machen. Das sind Gründe, die sich nicht aus praktischen Erwägungen ergeben, auch nicht nur aus seelsorgerlichen, sondern aus einer Besinnung auf den Kern des christlichen Glaubens.“

Was konkrete Formen gemeinsamer Gebete angeht, ist Bernhardt offen für verschiedene Möglichkeiten:

„Es kann die gastweise Teilnahme an der Feier der anderen Religionsgemeinschaft sein, die Beschränkung auf liturgisch wenig profilierte Texte und Handlungen, die räumliche und/oder zeitliche Trennung der Gebete im Rahmen einer gemeinsamen Feier oder die gemeinsame Gestaltung der Feier mit gemeinsam formulierten und gesprochenen Gebeten. Bei der Entscheidung über die Form einer gemeinsamen religiösen Feier sollte die Angst um die Identitätswahrung des christlichen Glaubens ernstgenommen, aber nicht zum entscheidenden Verhinderungsgrund erhoben werden. Ängstliche Identitätssicherung ist das genaue Gegenteil von Glauben als Vertrauen auf die Tragkraft der Gottesbeziehung. Sie kann in eine Gesetzlichkeit führen, die gerade dem evangelischen Glaubensverständnis fremd sein müsste.

Die Unterscheidung zwischen multi- und interreligiösen Gebeten ist theologisch gesehen nicht sehr überzeugend. Hans-Martin Barth schlägt vor, sie durch den übergreifenden Begriff des ‚integrativen Betens‛… zu ersetzen. Es gibt allerdings sachliche Überlegungen, die dafür sprechen können, der Form des multireligiösen Betens und Feierns den Vorzug zu geben. Denn dabei kann die ganze Fülle der Artikulationen des christlichen und islamischen Glaubens ausgeschöpft werden. Wo Christen und Muslime sich nicht auf Formulierungen verständigen müssen, die sie gemeinsam sprechen können, ist es ihnen möglich, ›aus dem Vollen‹ ihrer jeweiligen Traditionen zu schöpfen und auf diese Weise unverkürzt und authentisch vor Gott ihr Herz auszuschütten. Dabei können und dürfen sie die Angehörigen der jeweils anderen Religion in ihr Gebet einschließen, ohne Furcht, sie zu vereinnahmen.

Es mag aber auch Situationen geben, in denen Christen und Muslime eine Symphonie des Gotteslobes anstimmen wollen, indem sie gemeinsam ausgewählte oder sogar gemeinsam formulierte Texte sprechen – in der Tradition des freien Gebets, das sowohl im Christentum wie im Islam üblich ist. Es wird dies nicht der Regel-, sondern immer der situationsbedingte Ausnahmefall sein. …

Die Freiheit des christlichen Glaubens öffnet Spielräume, die verantwortlich genutzt werden können.

Es kann ein Ausdruck dieser Freiheit sein, den Gott, wie er sich in Christus offenbart hat, mit den Worten einer anderen Tradition zu loben. Entscheidend ist nicht, woher die Worte kommen, sondern was sie sagen. Und noch wichtiger ist es, in welchem Geist sie gesprochen sind. Und am allerwichtigsten ist der vertrauensvolle Respekt vor der Unverfügbarkeit Gottes, dem wir zutrauen dürfen, dass seine Gnade alle Ausgestaltungen der religiösen Traditionen letztlich übersteigt.“ (913)

Besser als mit diesen Worten Reinhold Bernhardts könnte ich nicht ausdrücken, worum es auch mir geht, wenn ich interreligiöse Feiern im Umfeld unseres Kinder- und Familienzentrums anstrebe und im Stuhlkreis der Kinder im Kindergarten nicht nur Geschichten aus biblisch-jüdisch-christlicher, sondern auch aus koranisch-islamischer Tradition erzähle (914).

Anmerkungen

(890) Brahms/Harz, Rituale, S. 99.

(891) Harz, Kindertagesstätten, S. 205.

(892) Uhlig, S. 41.

(893) Nur bei Kuhn sind einige Lieder aus der islamischen Tradition zitiert, allerdings ohne Noten (siehe Kapitel 10.3).

(894) Ulich/Oberhuerner/Reidelhuber.

(895) Birkel, S. 186 und 193.

(896) Renz, S. 370.

(897) Ebd., S. 371.

(898) Gruber/Quack/Schmidt, S. 24.

(899) Ebd., S. 16.

(900) Renz, S. 371f., das letzte Zitat in Anm. 7.

(901) Ebd., S. 372, wo er Evangelische Kirche in Deutschland, Zusammenleben, S. 44f. zitiert; in der Online-Version steht der Passus allerdings auf S. 30.

(902) Neuser, S. 494.

(903) EKD, Zusammenleben, S. 29.

(904) Neuser, S. 494.

(905) Ebd., S. 493.

(906) Kuhn, S. 39-41.

(907) Bauschke, Homolka, Müller, S. 15.

(908) Ebd., S. 8.

(909) Bernhardt, Grundlagen, S. 10f.

(910) Ebd., S. 15.

(911) Ebd., S. 16.

(912) Ebd., S. 18f.

(913) Ebd., S. 20f., wo er Barth, S. 142, zitiert.

(914) Die interreligiösen Feiern, die seit der Fertigstellung meiner Studienarbeit bis zu meinem Ruhestand in der Gießener Nordstadt durchgeführt worden sind, habe ich hier dokumentiert; die meisten fanden im Gemeindesaal der Evangelischen Paulusgemeinde statt, der den Kita-Kindern als Turnsaal vertraut war, oder – bei den interreligiös gefeierten Erntedankfesten – auf dem Gelände einer im Einzugsbereich der Nordstadt liegenden Gärtnerei. Seit dem Jahr 2015 gibt es auch eine interreligiöse Segensfeier für die Schulanfänger zweier Grundschulen.

Anmerkungen zu interreligiösen Andachten im Stuhlkreis der Kita-Kinder

Ursprünglich waren die ersten interreligiösen Kinder-Andachten ein Bestandteil dieser Studienarbeit. Zu einigen Feiern im Stuhlkreis der Kinder habe ich damals Quellenhinweise vermerkt, die ich hier zusammenstelle:

Jamal erzählt Geschichten von Kamelen und vom Propheten Muhammad

(915) Über Kamele habe ich mich auf der Internetseite von Heidrun Bauderer informiert.

(916) Nach einem auf der Internetseite http://www.rasoulallah. net/v2/document.aspx?lang=gr&doc=5154 [inzwischen nicht mehr dort verfügbar] veröffentlichten Hadith über den Propheten Muhammad: „Der Prophet betrat den ummauerten Garten eines der Männer von den Asar, in dem ein Kamel angebunden war. Als das Kamel den Propheten erblickte, schrie es und seine Augen tränten. der Prophet kam zu ihm und strich über seinen Höcker und Hals und beruhigte es. Dann fragte er: „Wer ist der Besitzer dieses Kamels?“ Ein junger Mann der Ansar kam und sagte: „Es gehört mir, Allahs Gesandter.“ Da sagte er: „Fürchtest Du nicht Allah um dieses Tieres willen, über das Allah dir Macht gegeben hat? Es hat sich bei mir darüber beklagt, dass du es hungern lässt und es andauernd in Anspruch nimmst.“ (Abudullah Ibn Schafar, Rijadu-s-salihin)

(917) Diese Erzählung stammt aus einem Vortrag von Arnim.

Jamal und das merkwürdige Tier

(918) Schimmel, Weisheit, S. 285f.

(919) In einigen Kindergruppen errieten die Kinder das Tier an dieser Stelle noch nicht. Da habe ich gleich zum Bilderbuch übergeleitet: „Nein? Nicht schlimm. Dann zeige ich euch noch ein Bilderbuch mit der gleichen Geschichte.“ Als sie im Bilderbuch das erste Bild von dem Bein eines Elefanten sahen, riefen aber alle sofort: „Das ist ein Elefant!“

(920) Ich zeigte das Bilderbuch von Ed Young, 7 blinde Mäuse.

Salomo und die Ameise

(921) Nacherzählt nach Uysal, Geschichten, S. 166-177.

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