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Anonym bestattet, aber nicht vergessen

Sehr häufig werden mittlerweile Menschen auf dem Friedhof anonym beerdigt, ohne dass ein Grabstein auf ihren Bestattungsort hinweist. Aber diese Menschen müssen trotzdem nicht vergessen sein, weder von den Angehörigen noch von Gott.

Anonym bestattet: Grabsteine mit Nummern
Anonyme Gräber in Gießen haben nicht einmal Grabstein mit Nummern (Bild: Manfred RichterPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, in aller Stille sind wir zusammengekommen, um Abschied zu nehmen von Frau E., die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist.

Wir beten mit Worten aus Psalm 103:

6 Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.

7 Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun.

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.

14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.

Liebe Trauernde!

Mit einer blühenden Blume vergleicht dieses alte biblische Lied den Menschen. Wir denken dabei an die Schönheit eines Menschen, an das, was ein Leben erfüllen kann, an die Ausstrahlung seines Geistes und seiner Seele. Wir denken heute vor allem an die Dinge, die uns dankbar werden lassen, wenn wir auf das Leben der Verstorbenen zurückblicken.

Wenn ich die Erinnerungen an Ihre Mutter betrachte, die Sie mir notiert haben, lieber Herr E., dann muss ich an dieses Bild denken, das der Psalmbeter uns ausmalt. Ihr war es vergönnt zu blühen wie eine Blume – in ihrer behüteten Kindheit, in der Sorge für ihre Kinder, in der ihr bis zum 80. Lebensjahr geschenkten Gesundheit, in ihrer beruflichen Tätigkeit, in ihrem regen Interesse am Zeitgeschehen und in ihrer Naturverbundenheit.

Wir werden im biblischen Bild allerdings sofort auch auf die Vergänglichkeit dieses Blühens hingewiesen – „wenn der Wind darüber geht“, der rauhe Wind der Realität, dann kann es rasch vorbei sein mit all dem, was unser Leben eben noch erfüllt hat, ja auch mit dem Leben selbst.

Frau E. wusste auch vom rauhen Wind der Zeiten, so gehörte sie zum Beispiel zur „Generation der Trümmerfrauen“, und nach ihrem 80. Geburtstag musste sie schlimme Krankheiten mit zum Teil unerträglichen Schmerzen durchstehen. Sie, lieber Herr E., haben Ihre Mutter als Vorbild erlebt in der Art, wie sie mit ihrem Leiden umging – tapfer, wenn auch nicht immer geduldig, in sich gekehrt, aber doch auch offen dafür, ihre Freude über kleine erfreuliche Ereignisse mit anderen zu teilen.

Mit der Vergänglichkeit hat sich Frau E. offenbar seit Jahren auseinandergesetzt, und sie hat auf ihre Weise zu verstehen gegeben: „Wenn alles vorbei ist, dann lasst es damit auch gut sein. Was gewesen ist, ist gewesen.“ Sie hat geblüht wie eine Blume, nun geht es ihr wie eben dieser Blume, von der es heißt: „…und ihre Stätte kennet sie nicht mehr“. Die Wohnung, wo Frau E. gelebt hat, wird bald von anderen bewohnt sein, sie wollte wohl auch nicht, dass jemand über Jahre hin ihr Grab pflegen muss, und so wird nun auch der Ort, wo ihre Asche begraben wird, nicht kenntlich sein.

Im Unterschied zu der Blume, die schnell vergessen ist, wird Frau E. allerdings doch nicht so schnell vergessen werden. Denn da sind Sie, die hier versammelt sind – Menschen, die mit ihr vertraut gewesen sind, die ein langes oder kurzes Stück Ihres Lebens mit ihr geteilt haben. In Ihnen sind Erinnerungen an die Verstorbene lebendig – an Begegnungen, an Prägungen, an Gespräche.

Ob ein Mensch vergessen ist oder nicht, das hängt wirklich nicht davon ab, ob es einen Grabstein gibt, auf dem sein Name steht. Wo wir jemanden geliebt haben, jemandem nahegestanden sind, können wir gar nicht anders als uns immer wieder zu erinnern.

Und noch in einem anderen Sinne bleibt ein Mensch unvergessen, den wir im Tode loslassen: denn er fällt nicht heraus aus der Liebe Gottes. Im Psalm 103, 17 hört sich dieser Gedanke so an:

Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten.

Jesus sagte es in noch einfacheren Worten (Lukas 10, 20):

Freut euch…, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.

Darum müssen wir uns keine Sorgen um die Ewigkeit und um das Jenseits machen und können uns ganz darauf konzentrieren, unser Leben hier im Diesseits verantwortlich zu führen und zu bewältigen. Wenn ein Mensch gestorben ist, sind wir traurig – und dürfen dennoch getröstet sein. Amen.

Gott, unsere Zuversicht, wir vertrauen auf dein Wort, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind. Wir denken zurück an Tage der Freude, aber auch an schwere Zeiten. Wir danken dir für das lange, erfüllte Leben, das du der Verstorbenen geschenkt hast, und für all das Gute, das du anderen Menschen durch sie erwiesen hast.

Nun bitten wir dich: hilf uns nun, dass wir sie getrost loslassen können. Wir wissen, wie kostbar, die uns geschenkte Zeit ist. Richte unseren Sinn auf das, was bleibt, und lass uns deine bergende Nähe spüren. Amen.

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