Bild: Helmut Schütz

Wachsam sein!

Zu jeder Zeit kann Gott auf seine Weise in diese Welt hineinregieren, und zwar genau dann, wenn wir ihn lassen. Wenn wir mit ihm rechnen. Wenn wir uns klarmachen, dass diese Welt und auch wir selbst von einem Gott geschaffen sind, der uns lieb hat, der Großes mit uns vor hat, der unser Glück will. Unser Leben ist kostbar.

Am Totensonntag heruntergebrannte Kerzen in der Pauluskirche
Die für Verstorbene angezündeten Kerzen sind am Ende unterschiedlich lang – so wie ihr irdisches Leben

direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, 24. November 2013, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Im Gottesdienst am letzten Sonntag im Kirchenjahr begrüße ich Sie und Euch alle in der Pauluskirche mit dem Wort aus dem Evangelium nach Markus 13, 31:

„Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.“

Dieser Sonntag hat zwei Namen: Totensonntag und Ewigkeitssonntag. An die, die im vergangenen Kirchenjahr in unserer Gemeinde gestorben und kirchlich bestattet worden sind, denken wir in der Zuversicht, dass sie in Gottes Ewigkeit aufbewahrt bleiben, in seiner Liebe, seinem Frieden. Darum heiße ich in der Pauluskirche heute vor allem diejenigen willkommen, die in den vergangenen zwölf Monaten einen geliebten Menschen verloren haben. Für sie wollen wir in diesem Gottesdienst noch einmal beten und eine Kerze anzünden.

Wir singen aus dem Lied 449 die Strophen 1, 2, 7, 8 und 12. Es ist ein Morgenlied, das auch den Abschied von dieser Erde in tröstlicher Weise aufgreift. Eine der verstorbenen Frauen, an die wir heute denken, hat es sich vor Jahren einmal als Geburtstagslied im damaligen Seniorenkreis gewünscht.

1. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder, die lagen darnieder; aber nun steh ich, bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

2. Mein Auge schauet, was Gott gebauet zu seinen Ehren und uns zu lehren, wie sein Vermögen sei mächtig und groß und wo die Frommen dann sollen hinkommen, wann sie mit Frieden von hinnen geschieden aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

7. Menschliches Wesen, was ist’s gewesen? In einer Stunde geht es zugrunde, sobald das Lüftlein des Todes drein bläst. Alles in allen muss brechen und fallen, Himmel und Erden die müssen das werden, was sie vor ihrer Erschaffung gewest.

8. Alles vergehet, Gott aber stehet ohn alles Wanken; seine Gedanken, sein Wort und Wille hat ewigen Grund. Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund.

12. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende; nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht. Freude die Fülle und selige Stille wird mich erwarten im himmlischen Garten; dahin sind meine Gedanken gericht‘.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Psalm 103, aus dem wir im vergangenen Jahr auch manchen Vers in einer Trauerfeier gebetet haben. Im Gesangbuch steht er unter der Nummer 742. Lesen Sie bitte die nach rechts eingerückten Verse:

1 Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,

4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

5 der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler.

6 Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.

7 Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun.

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.

9 Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben.

10 Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.

11 Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.

12 So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsre Übertretungen von uns sein.

13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.

14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind

18 bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.

19 Der HERR hat seinen Thron im Himmel errichtet, und sein Reich herrscht über alles.

20 Lobet den HERRN, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Wortes!

21 Lobet den HERRN, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut!

22 Lobet den HERRN, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft! Lobe den HERRN, meine Seele!

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Wie geht das, Gott loben im Angesicht des Todes? Als Hiob seine Kinder verlor, betete er zu Gott (Hiob 1, 21):

„Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“

Er betete einen Lobpreis für den Gott, der ihm das Liebste nahm, für den Gott, den er nicht verstand, für den Gott, den er mit seinem Zorn bedrängte, mit seinen Anklagen nicht verschonte. An wen sollte er sich sonst wenden? Wem hatte er alles Gute zu verdanken gehabt in seinem Leben, wenn nicht Gott? Wer, wenn nicht Gott, hatte ihm genommen, was er liebte? Wen sollte er zur Rechenschaft ziehen, er, der sich ungerecht gestraft fühlte, wenn nicht seinen Gott, auf den er vertraute? Er lobte den Namen Gottes, mit dem sich Gott offenbart hatte: den Namen der Befreiung, der Gerechtigkeit, des Friedens. Und indem er ihn lobte, trug er ihm seine Klage und Anklage vor: Wie konntest du, Gott, mich so ungerecht behandeln? Dein Name heißt doch: „Du bist für uns da!“ Wo warst du, als meine Kinder starben? Wie Hiob dürfen auch wir unsere eigenen persönlichen Klagen vor Gott bringen und zu ihm rufen:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Die biblischen Beter machen es uns vor: Wer zu Gott klagen kann, der kann auch Gott loben. Wer dankbar alles aus Gottes Hand empfängt, der vergisst das Gute nicht, das Gott ihm widerfahren lässt, und der lässt sich vom Bösen, das ihm widerfährt, nicht vom guten Weg abbringen. Dietrich Bonhoeffer sagte einmal: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.“

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Barmherziger Gott, viele von uns, die heute im Gottesdienst versammelt sind, haben im vergangenen Jahr einen geliebten Menschen verloren und sind auf ihrem Weg der Trauer unterwegs. Hilf ihnen, sich mit allem auseinanderzusetzen, was ihnen auf diesem Weg begegnet: dankbare Erinnerungen oder anhaltender Schmerz über einen Verlust, der kaum zu verwinden ist, die Versuchung, sich zurückzuziehen, oder Versuche, sich neu dem Leben zu öffnen, das Gefühl, einem Verstorbenen weiter in Liebe verbunden zu bleiben, oder auch Tränen der Wut, weil in diesem Leben mancher Konflikt nicht bewältigt werden konnte. Gib ihnen den Mut, auch schwere Gedanken zuzulassen, und sich Hilfe im vertrauensvollen Gespräch zu suchen, wenn sie allein nicht damit fertigwerden.

Andre unter uns waren noch wenig oder nie von schwerem Leid, von der Angst vor dem Sterben, vom Tod geliebter Menschen betroffen. Hilf auch ihnen in einem Gottesdienst wie diesem, ihre Zuversicht und Hoffnung so stark zu machen, dass sie sich auch den dunklen Themen des Lebens zu stellen wagen.

Dir, du starker Gott der Liebe, dürfen wir uns alle anvertrauen – im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung zum Ewigkeitssonntag aus dem Evangelium nach Matthäus 25, 1-13. Jesus erzählt dort ein Gleichnis über das Reich Gottes, das dort anbricht, wo Menschen sich bewusst sind, dass sie ihr Leben Gott verdanken und dieses Leben vor Gott verantworten:

1 Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen.

2 Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.

3 Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit.

4 Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen.

5 Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.

6 Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen!

7 Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.

8 Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.

9 Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst.

10 Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde verschlossen.

11 Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf!

12 Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

13 Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen das Lied 527:

5. Wie eine Rose blühet, wenn man die Sonne siehet begrüßen diese Welt, die, eh der Tag sich neiget, eh sich der Abend zeiget, verwelkt und unversehens fällt:

6. so wachsen wir auf Erden und denken groß zu werden, von Schmerz und Sorgen frei; doch eh wir zugenommen und recht zur Blüte kommen, bricht uns des Todes Sturm entzwei.

8. Auf, Herz, wach und bedenke, dass dieser Zeit Geschenke den Augenblick nur dein. Was du zuvor genossen, ist als ein Strom verschossen; was künftig, wessen wird es sein?

9. Verlache Welt und Ehre, Furcht, Hoffen, Gunst und Lehre und geh den Herren an, der immer König bleibet, den keine Zeit vertreibet, der einzig ewig machen kann.

10. Wohl dem, der auf ihn trauet! Er hat recht fest gebauet, und ob er hier gleich fällt, wird er doch dort bestehen und nimmermehr vergehen, weil ihn die Stärke selbst erhält.

Liebe Gemeinde, nun zünden wir wieder Kerzen an, um an Verstorbene zu denken, die zur Evangelischen Paulusgemeinde gehört haben bzw. für die wir als Paulusgemeinde im vergangenen Kirchenjahr eine kirchliche Trauerfeier gehalten haben. Wir lassen Lichter aufscheinen zum Zeichen des Glaubens: Wir dürfen auf Gott vertrauen. Wir lassen Lichter brennen zum Zeichen der Liebe: Wir bleiben mit den Toten in Liebe verbunden. Wir lassen Lichter leuchten zum Zeichen der Hoffnung: Wir gehen im Tode nicht verloren. So denken wir in stillem Gebet an die Verstorbenen, um die wir trauern, und zünden eine Kerze an – für:

Gedenken an 32 Verstorbene

Vielleicht gibt es noch andere Menschen, um die Sie trauern, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr gestorben sind. Sie können, wenn Sie möchten, jetzt nach vorn kommen und auch für sie eine Kerze anzünden.

Orgelmusik

Wir singen das Lied 147:

1. »Wachet auf«, ruft uns die Stimme der Wächter sehr hoch auf der Zinne, »wach auf, du Stadt Jerusalem! Mitternacht heißt diese Stunde«; sie rufen uns mit hellem Munde: »Wo seid ihr klugen Jungfrauen? Wohlauf, der Bräut’gam kommt, steht auf, die Lampen nehmt! Halleluja! Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegengehn!«

2. Zion hört die Wächter singen, das Herz tut ihr vor Freude springen, sie wachet und steht eilend auf. Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig, ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf. Nun komm, du werte Kron, Herr Jesu, Gottes Sohn! Hosianna! Wir folgen all zum Freudensaal und halten mit das Abendmahl.

3. Gloria sei dir gesungen mit Menschen- und mit Engelzungen, mit Harfen und mit Zimbeln schön. Von zwölf Perlen sind die Tore an deiner Stadt; wir stehn im Chore der Engel hoch um deinen Thron. Kein Aug hat je gespürt, kein Ohr hat mehr gehört solche Freude. Des jauchzen wir und singen dir das Halleluja für und für.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, unser Gedenken an die Toten des vergangenen Kirchenjahres habe ich heute eingerahmt von einem Bibeltext und einem Lied, die für uns Menschen der Neuzeit nicht leicht zu verstehen sind. Jesus erzählt von Hochzeitsbräuchen, die uns unvertraut sind. Offenbar wurde der Hochzeitstermin nicht vorher genau festgelegt, sondern der Bräutigam entschied, wann er die Braut mit ihren Freundinnen zur Hochzeit abholte, und das tat er vielleicht erst mitten in der Nacht. Wer dann erst beim Ruf „Der Bräutigam kommt!“ noch loslaufen und sich Öl für die Lampen kaufen musste, kam zu spät und bekam an der Tür zur Hochzeitsgesellschaft vom Türsteher gesagt: „Du kommst hier nicht rein!“ Heute würde man vielleicht sagen: Wer sich als Hochzeitsgast nicht rechtzeitig gestylt hat, sich erst noch die Haare machen muss, wenn schon die Glocken läuten, wird die Trauung verpassen.

In dem Lied, das wir eben gesungen haben, wird das Gleichnis Jesu mit anderen Bildern aus der Bibel verbunden. Im Buch der Offenbarung 21, 1 bis 22, 5 sieht der christliche Prophet Johannes mit Augen des Glaubens, wie am Ende der Zeiten die heilige Stadt Jerusalem aus dem Himmel zu uns Menschen kommt. In einer Zeit, in der Jerusalem in Schutt und Asche liegt und das Volk Israel in alle Welt zerstreut worden ist, träumt er davon, wie Gott wieder bei den Menschen wohnt, in einer Stadt, deren Tore mit Perlen geschmückt sind. Er wagt es, auf eine Zeit zu hoffen, in der die Menschen hier auf Erden im Einklang mit Gott und im Frieden miteinander leben werden.

Im christlichen Gesangbuchlied hat Philipp Nicolai im Jahr 1599 diese Hoffnung sozusagen auf das Leben nach dem Tod verschoben. Er malt sich voller Freude aus, wie Jesus am Ende der Welt wiederkommt und diejenigen, die seinem Ruf folgen, mit hineinnimmt ins ewige Glück bei Gott im Chor der Engel.

Wie gesagt, uns Neuzeitmenschen sind diese Bilder fremd geworden. Ich weiß nicht, wer von Ihnen, von euch, davon träumt, einmal nach dem Tod im Chor der Engel himmlische Lieder zu singen. Es sind vermutlich nicht so viele wie damals vor 414 Jahren. Trotzdem habe ich das Lied heute anstimmen lassen, da es mit seinem hoffnungsvoll gestimmten Ton auch uns dazu einlädt, den Fragen nach Tod und Ewigkeit nicht auszuweichen. Außerdem macht es darauf aufmerksam, dass man von diesen sogenannten „letzten Fragen“ wohl immer nur in zeitbedingten Bildern sprechen und singen kann. Auch gebe ich zu bedenken, dass in alten Bildern Platz für neue Inhalte ist. Zum Beispiel müssen die Engelchöre doch keineswegs nur langweilige Lieder singen. Ich denke, die Freude an himmlischer Musik besteht darin, dass jeder in seiner eigenen Lieblingsmusik schwelgen kann, und dann gehören bestimmt auch Freddy Mercury oder Leonard Cohen zum Himmelsensemble, und die Engel müssten auch Lieder von Justin Bieber oder Helene Fischer singen können, um nur einige Musikgeschmacksrichtungen zu nennen. Dass die Engelchöre sich mit Bach und Mozart auskennen, werden viele für selbstverständlich halten.

Aber nun endlich zum heutigen Predigttext im Evangelium nach Markus 13, 31-37. Er enthält auch ein Gleichnis Jesu von den letzten Dingen, von der Vergänglichkeit der Welt und sogar des Himmel, den Gott geschaffen hat. Im Gleichnis malt er dann aber nicht etwa das Leben in einem neuen Himmel oder im Himmel bei Gott aus. Schauen wir einmal, wovon Jesus hier spricht:

31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.

32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

33 Seht euch vor, wachet! denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

34 Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen:

35 so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen,

36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.

37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Als erstes, liebe Gemeinde, fällt mir auf, dass Jesus hier einen viel nüchterneren Ton anschlägt als zum Beispiel unser Lied vor der Predigt. Realistisch redet er davon, dass alles vergehen wird, nicht nur die Erde, auch der Himmel. Im Unterschied zu vielen Weltuntergangspropheten aller Zeiten weigert er sich aber, genau vorauszusagen, wann die Welt untergehen wird. Das weiß nur Gott, das weiß nicht einmal Jesus, der Sohn Gottes.

Zum Realismus Jesu gehört aber auch, dass eins nicht vergehen wird, nämlich seine Worte, die er zu den Jüngern spricht. Das klingt bescheiden und überheblich zugleich. Was sind schon Worte, denken wir, was bringt es schon, wenn die ewig bestehen bleiben? Und warum sollen ausgerechnet die Worte Jesu bestehen bleiben, wenn alles andere einmal untergeht? Hier kommt zum Ausdruck: im Blick auf unsere Zukunft und die Zukunft der Welt haben wir wirklich nichts in der Hand. Stattdessen dürfen wir etwas im Ohr haben, nämlich Hoffnungsworte von Gott, die Jesus uns weitersagt. Jesus selbst ist ja das lebendige Wort Gottes. Gott ist Liebe, und Jesus verkörpert diese Liebe. Diese Liebe vergeht nie, sie überdauert den Untergang von allem anderen.

Darum ist für die Menschen der Bibel der Untergang der Welt, so wie sie jetzt ist, auch gar nicht so bedrohlich, wie wir das empfinden. Nein, sie, die als arme, von Gewalt bedrohte Menschen in einem besetzten Land leben, wünschen sich das Ende dieser für sie schrecklichen Welt, damit Gott endlich Frieden und Gerechtigkeit bringt.

Für Jesus sind solche Wünsche keine leeren Hoffnungen, sondern durchaus realistisch. Er und auch später der Apostel Paulus rechnen jederzeit damit, dass Gott die Welt radikal zum Guten verändert. Aber wann genau das passiert, das wissen sie selber nicht, das berechnen sie nicht, das überlassen sie Gott selbst.

Haben sich Jesus und Paulus nicht geirrt? Seit 2000 Jahren ist die Welt nicht untergegangen, ist Jesus nicht zurückgekehrt, ist noch kein Weltfriede ausgebrochen. Könnte man nicht sagen: Diese Hoffnungen aus der Bibel sind überholt? Sicher wissen wir, dass wir alle einmal sterben müssen, und auch, dass die Erde irgendwann aufhört zu existieren, dass sogar das Weltall irgendwann ein Ende hat, das bestätigt oder vermutet auch die heutige Wissenschaft. Aber Jesu Worte der Hoffnung, werden sie wirklich nicht vergehen? Was meint er denn mit den konkreten Worten in seinem Gleichnis, in dem es um die Wachsamkeit geht?

„Seht euch vor“, sagt er, „wachet! denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.“ Also gerade weil wir nicht wissen, wie lange die Welt existiert und wie lange wir leben, ermutigt er uns, wachsam zu sein. Lasst nicht den Kopf hängen, gebt die Welt nicht verloren, auch wenn sie in Unrecht und Gewalt zu versinken scheint, seid wachsam, denn Gott wird kommen. Er gibt seine Welt nicht auf. Und euch auch nicht.“

Sein Gleichnis dreht sich dann um einen Menschen, der verreist und über viele Nächte hin wegbleibt. Er hat ein großes Haus mit zahlreichen Sklaven. Alle bekommen ihre Aufgaben zugeteilt. Er gibt ihnen Vollmacht, also volle Verantwortung, ihre Arbeit selbstständig zu verrichten. Und dem Türsteher gibt er den besonderen Auftrag: Wachsam sein! Das ist besonders wichtig, denn wenn der Herr vielleicht mitten in einer Nacht zurückkehrt, dann muss er sofort die anderen wecken, die den Herrn empfangen, bewirten und bedienen sollen.

Mit solchen nächtlichen Bereitschaftsdiensten vergleicht nun Jesus das Warten auf Gott. Auch wer auf Gott vertraut, wer sein Eingreifen in dieser Welt erwartet, der soll wachsam sein. „Ihr wisst auch nicht, wann Gott in euer Leben hineinkommen, euch mit einer besonderen Aufgabe beanspruchen will. Das kann, wieder im Bild gesprochen, am Abend sein oder um Mitternacht oder wenn früh der Hahn kräht oder am Morgen. Also jederzeit kann Gott ganz plötzlich vor eurer Tür stehen und anklopfen, und dann soll er euch nicht schlafend finden.“ Am Ende unterstreicht Jesus noch einmal, dass diese Worte nicht nur seinem engsten Jüngerkreis gelten: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“

Wenn Jesus also auch uns sagt: „Seid wachsam!“, was meint er damit? Wir erwarten ja nicht freudig wie die Menschen zur Zeit Jesu oder des Paulus, dass bald die bestehende Welt untergeht, damit Gott endlich Frieden und Gerechtigkeit hier auf dieser Erde herstellt. Wir können auch kaum nachvollziehen, dass es ein evangelischer Liederdichter wie Philipp Nicolai im Jahr 1599 kaum erwarten konnte, in den Himmel zu Gott zu kommen, um dort im Chor der Engel mitzusingen. Aber ich möchte daran erinnern, dass Jesus vom Himmel auch sagen konnte (Lukas 17, 21):

„Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

Es ging Jesus also wirklich nicht darum, eine bestimmte Zeit vorauszusagen, in der diese Welt buchstäblich zu bestehen aufhört oder in der buchstäblich überall auf dieser Erde der Friede anfängt. Im Grunde wollte er sagen: Zu jeder Zeit kann Gott auf seine Weise in diese Welt hineinregieren, und zwar genau dann, wenn wir ihn lassen. Wenn wir mit ihm rechnen. Wenn wir uns klarmachen, dass diese Welt und auch wir selbst von einem Gott geschaffen sind, der uns lieb hat, der Großes mit uns vor hat, der unser Glück will. Gottes Reich haben wir nicht einfach in der Hand, und dennoch ist es so nahe, dass wir darauf vertrauen können: Unser Leben ist kostbar, Gott hat etwas mit uns vor, er vertraut uns viele Gaben an und Aufgaben an, wir können etwas damit anfangen, wir können dankbar leben, wir können wie die Leute im Gleichnis Jesu sehr selbstständig unser Leben führen, allerdings in der Verantwortung vor Gott, vor den Regeln, die er, zum Beispiel in den Zehn Geboten, aufgestellt hat. Das alles meint Jesus, wenn er auch uns zuruft: „Seid wachsam! Verschlaft nicht den Sinn eures Leben! Ihr seid von Gott geliebt. Euer Leben wird gelingen, wenn ihr von dieser Liebe in eurem Leben etwas ausstrahlt und weitergebt.“

Die Menschen, von denen wir in diesem Jahr Abschied nehmen mussten, hatten sehr verschiedene Chancen in ihrem Leben und mussten ganz unterschiedliche Herausforderungen bewältigen. Niemand war darunter, an den keiner mit Liebe im Herzen denkt, auch wenn es manchen schwer fiel, an die Liebe zu glauben und den Menschen, die ihnen nahestanden, ihre Liebe zu zeigen.

Wir freuen uns darüber, wenn wir rundherum dankbar sein können für das Leben eines Menschen, der uns geschenkt war; und zugleich tut es auch nach einiger Zeit immer noch weh, wenn dieser Mensch uns genommen wurde.

Noch mehr kann es schmerzen, wenn wir nicht nur über den Verlust eines Menschen trauern, sondern auch darüber, dass dieser Mensch sich und anderen sein Leben schwer gemacht hat. Wenn ich daran denke, spüre ich in Jesu Mahnung zur Wachsamkeit auch eine Trauer um all die Chancen zur Liebe in unserem Leben, die wir ungenutzt verstreichen lassen. Wie oft springen wir nicht über den eigenen Schatten, weil wir zu stolz oder zu mutlos sind oder weil wir schlicht zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt sind, als mit Menschen ins Reine zu kommen, die uns vielleicht einmal vor langer Zeit verletzt haben. Es tut weh, wenn es für offene Worte und liebevolle Gesten im Blick auf einen konkreten Menschen irgendwann einmal zu spät ist.

Wenn Jesus allerdings sagt: „Meine Worte werden nicht vergehen“, dann gehört zu diesen Worten auch das Wort (Lukas 23, 34):

„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Er ermahnt und ermutigt uns nicht, um uns zu bestrafen, wenn wir dann doch nicht alles schaffen, was er uns zutraut. Seine Barmherzigkeit ist so groß, dass er uns auch annimmt, wo wir Fehler machen und versagen, wo wir einander etwas schuldig bleiben. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er uns im Himmel in liebevoller Weise zur Rechenschaft zieht, dass er vollendet, was wir hier auf Erden nur bruchstückhaft zu Stande gebracht haben. Im Vertrauen darauf müssen wir nicht verzweifeln, wenn wir an unsere bescheidenen menschlichen Kräfte denken; wir müssen aber auch nicht denken: wir können sowieso nichts. Gott beschenkt uns mit Liebe und Kraft, wir dürfen sie annehmen. Er traut uns zu, unsere Mitmenschen auch spüren zu lassen, dass wir geliebt sind. So dürfen wir zuversichtlich und wachsam unser Leben führen. Und dazu gehört auch, dass Gott uns hilft, unsere Trauerwege zu gehen und sie zu bewältigen. Amen.

 

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 154:

Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt
Fürbitten

Dieser ganze Gottesdienst steht im Zeichen derer, die in unserer Gemeinde im vergangenen Jahr gestorben sind. So wie die Kerzen hier vorn unterschiedlich rasch niedergebrannt sind, so war ihr Leben kürzer oder länger, mehr oder weniger erfüllt. Begegne ihnen allen in deiner Ewigkeit mit deiner Gnade. Behüte und bewahre ihre Angehörigen und Freunde auf ihren eigenen Wegen. Lass sie und uns alle wachsam leben und dankbar aus deiner Hand nehmen, womit du uns beschenkst und herausforderst. Du Gott mit uns: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen aus dem Lied 488 die Strophen 1 und 4 und 5:

1. Bleib bei mir, Herr! Der Abend bricht herein. Es kommt die Nacht, die Finsternis fällt ein. Wo fänd ich Trost, wärst du mein Gott nicht hier? Hilf dem, der hilflos ist: Herr, bleib bei mir!

4. Von deiner Hand geführt, fürcht ich kein Leid, kein Unglück, keiner Trübsal Bitterkeit. Was ist der Tod, bist du mir Schild und Zier? Den Stachel nimmst du ihm: Herr, bleib bei mir!

5. Halt mir dein Kreuz vor, wenn mein Auge bricht; im Todesdunkel bleibe du mein Licht. Es tagt, die Schatten fliehn, ich geh zu dir. Im Leben und im Tod, Herr, bleib bei mir!

Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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