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Wunderliebe im weiten Feld der Ewigkeit

Predigt zum Lied 276 aus dem Evangelischen Kirchengesangbuch: „Geht hin, ihr gläubigen Gedanken“ – im neuen Evangelischen Gesangbuch – das im Advent 1993 in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau eingeführt wurde – leider nicht mehr enthalten. Der Liederdichter staunt: Gott hat Pläne mit allen Menschen, auch mit denen ganz unten.

Küken, von ihrer Henne beschützt
Die Henne, die ihre Küken beschützt, ein Bild für Gottes Liebe (Bild: Marcel LangthimPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, den 21. November 1993, um 9.30 Uhr in der Kapelle der Landesnervenklinik Alzey

Herzlich willkommen im Gottesdienst am Letzten Sonntag im Kirchenjahr! Dieser Sonntag wird in den Gemeinden meistens als Totensonntag begangen; man erinnert sich der Verstorbenen der Kirchengemeinde und man denkt daran, wie man die Trauer bewältigen kann. Zugleich trägt unser heutiger Sonntag aber auch den Namen „Ewigkeitssonntag“, und wir machen uns Gedanken darüber, ob es für uns vom Tod bedrohte Menschen etwas Ewiges gibt, etwas, das uns bleibt, wenn alles andere vergeht.

Ein altes Hoffnungslied von der Ewigkeit Gottes singen wir aus dem Gesangbuch – Nr. 349, 1-5:

1) Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschöpften Lichte, schick uns diese Morgenzeit deine Strahlen zu Gesichte und vertreib durch deine Macht unsre Nacht.

2) Deiner Güte Morgentau fall auf unser matt Gewissen; lass die dürre Lebensau lauter süßen Trost genießen und erquick uns, deine Schar, immerdar.

3) Gib, dass deiner Liebe Glut unsre kalten Werke töte, und erweck uns Herz und Mut bei entstandner Morgenröte, dass wir, eh wir gar vergehn, recht aufstehn.

4) Ach du Aufgang aus der Höh, gib, dass auch am Jüngsten Tage unser Leib verklärt ersteh und, entfernt von aller Plage, sich auf jener Freudenbahn freuen kann.

5) Leucht uns selbst in jener Welt, du verklärte Gnadensonne; führ uns durch das Tränenfeld in das Land der süßen Wonne, da die Lust, die uns erhöht, nie vergeht.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit den Worten des Psalms 30:

2 Ich preise dich, HERR; denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und lässest meine Feinde sich nicht über mich freuen.

3 HERR, mein Gott, als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund.

4 HERR, du hast mich von den Toten heraufgeholt; du hast mich am Leben erhalten, aber sie mussten in die Grube fahren.

5 Lobsinget dem HERRN, ihr seine Heiligen, und preiset seinen heiligen Namen!

6 Denn sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude.

7 Ich aber sprach, als es mir gut ging: Ich werde nimmermehr wanken.

8 Denn, HERR, durch dein Wohlgefallen hattest du mich auf einen hohen Fels gestellt. Aber als du dein Antlitz verbargest, erschrak ich.

9 Zu dir, HERR, rief ich, und zum Herrn flehte ich:

11 HERR, höre und sei mir gnädig! HERR, sei mein Helfer!

12 Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet,

13 dass ich dir lobsinge und nicht stille werde. HERR, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Ewigkeit, das ist ein schweres Wort, o Gott! Ist die Ewigkeit nur das Leben nach dem Tode? Sollen wir uns danach sehnen, wie es früher viele Christen taten? Was ist dann mit dem Leben hier auf der Erde? – du hast es uns doch geschenkt! Ich vertraue darauf: Dein ewiges Leben beginnt schon hier, überall da, wo du uns nahe bist! Schenke uns allen dieses Vertrauen auf deine ewige Treue zu uns. Dann können wir dieses Leben lieben, wir können es nach deinem Willen leben, und die Gedanken an den Tod können wir in deine Hände legen. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören eine Lesung aus der Offenbarung 10, 1-7. Da wird in eindrucksvollen Bildern beschrieben, wie sich der Seher Johannes die Ewigkeit Gottes vorstellt – die Zeit wird nicht mehr sein und das Geheimnis Gottes wird vollendet:

1 Und ich sah einen… starken Engel vom Himmel herabkommen, mit einer Wolke bekleidet, und der Regenbogen auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füße wie Feuersäulen.

2 Und er hatte in seiner Hand ein Büchlein, das war aufgetan. Und er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde

3 und er schrie mit großer Stimme, wie ein Löwe brüllt. Und als er schrie, erhoben die sieben Donner ihre Stimme.

4 Und als die sieben Donner geredet hatten, wollte ich es aufschreiben. Da hörte ich eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Versiegle, was die sieben Donner geredet haben, und schreib es nicht auf!

5 Und der Engel, den ich stehen sah auf dem Meer und auf der Erde, hob seine rechte Hand auf zum Himmel

6 und schwor bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen hat und was darin ist, und die Erde und was darin ist, und das Meer und was darin ist: Es soll hinfort keine Zeit mehr sein,

7 sondern in den Tagen, wenn der siebente Engel seine Stimme erheben und seine Posaune blasen wird, dann ist vollendet das Geheimnis Gottes, wie er es verkündigt hat seinen Knechten, den Propheten.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen aus dem Liederheft das Lied Nr. 240:
Singt das Lied der Freude über Gott!
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

in der Predigt geht es heute ausnahmsweise nicht um einen Text aus der Bibel, sondern ich möchte des Text eines Liedes aus dem Gesangbuch auslegen. Bitte schlagen Sie doch das Lied 276 auf, dann können Sie gleich mitlesen! In diesem Lied hat der Dichter Johann Gottfried Hermann vor 250 Jahren die Ewigkeit beschrieben. Warum sollen wir nicht einmal genau hinhören und von den Worten eines Liedes ähnlich lernen, wie wir es sonst von den Worten der Bibel tun?

Hören Sie nun zunächst den ersten Vers des Liedes:

1. Geht hin, ihr gläubigen Gedanken, ins weite Feld der Ewigkeit,
erhebt euch über alle Schranken der alten und der neuen Zeit;
erwägt, dass Gott die Liebe sei, die ewig alt und ewig neu!

Was erzählt uns diese Liedstrophe über die Ewigkeit? Zunächst: Wenn man an die Ewigkeit denken möchte, dann braucht man gläubige, das heißt vertrauensvolle Gedanken. Es sind nicht einfach Gedanken aus dem Kopf, aus dem Verstand, sondern da muss das Herz mitdenken, da geht das Denken mit dem Fühlen Hand in Hand.

Zum zweiten ist dieses Denken an die Ewigkeit ein Sich-Erheben über Einschränkungen und Grenzen. Da wartet Freiheit auf uns! „Über alle Schranken“ dürfen die Gedanken hinausgehen, wenn wir an Gottes Ewigkeit denken, „über alle Schranken der alten und der neuen Zeit“. Das Ewige ist weder an das gebunden, was es früher gab, noch an das, was heute gerade „in“ ist, Ewigkeit ist weder etwas Altmodisches noch etwas, was heute modern ist und morgen schon überholt.

Und dann kommt ein Satz, der nachdenklich wirkt, prüfend, fast skeptisch: „Erwägt, dass Gott die Liebe sei!“ Es ist ein Satz für Menschen, die zweifeln, die meinen, es gibt vielleicht gar keinen Gott. Könnte es nicht doch möglich sein? Zieht es doch einmal in Erwägung! Wenn das wahr wäre, dass ein Schöpfer der Welt existierte und dieser Schöpfer wäre einfach nichts anderes als Liebe – wäre das nicht wunderbar? Über diese Liebe kann man dann auch sagen, dass sie immer schon da war und dass sie nie veralten wird, sie ist „ewig alt und ewig neu.“

In der zweiten Strophe wird nun dargestellt, wie weit diese Liebe bei Gott schon zurückreicht:

2. Der Grund der Welt war nicht geleget, der Himmel war noch nicht gemacht,
so hat Gott schon den Trieb geheget, der mir das Beste zugedacht;
da ich noch nicht geschaffen war, da reicht er mir schon Gnade dar.

Es ist kaum vorstellbar, aber wir dürfen doch darauf vertrauen: Gott hat schon an uns gedacht, als es noch gar keine Welt gab, als es nur Gott selbst gab und noch keinen Himmel und keine Erde. So wichtig dürfen wir uns nehmen, so großartig ist Gottes immerwährende, ewige Liebe, dass jedes einzelne Lebewesen in seinem Plan von Anfang an schon eine Rolle gespielt hat.

Und wie hat Gott seinen Plan durchführen wollen?

3. Sein Ratschluss war, ich sollte leben durch seinen eingebornen Sohn;
den wollt er mir zum Mittler geben, den macht er mir zum Gnadenthron,
in dessen Blute sollt ich rein, geheiliget und selig sein.

„Ich sollte leben“ – wir alle sollten leben! Wir sollten das Leben haben auf eine bestimmte menschliche Weise, auf eine bestimmte menschenwürdige Weise. Gott hatte von vornherein vor, nicht nur über der Welt zu schweben, sondern in die Welt hineinzugehen als einer von uns. Einen Menschen wollte Gott uns geben, in dem wir ihn wiedererkennen, weil er sein eingeborener Sohn ist, in dem wir aber auch uns selbst wiedererkennen, weil er ein Mensch ist wie wir. Jesus, dieser Mann mit der Vollmacht von Gott und mit der Seele eines fühlenden Kindes, er sollte unser „Mittler“ werden, ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen, eine Brücke zwischen uns vergänglichen Menschen und dem ewigen Gott. Er sollte uns, die wir uns so leicht verirren, zur Mitte des Lebens zurückführen, zum „Gnadenthron“; und ich stelle mir unter diesem Gnadenthron so ein Gefühl vor, als ob man mitten im Himmelspalast stände, vor Gottes Thron, und Jesus sitzt auf diesem Thron und sagt zu uns: „Ich habe dich lieb! Du bist mir recht, so wie du bist! Lass dich von mir leiten auf allen deinen Wegen!“

Und wenn wir dann sagen: Aber was ist mit meinem schlechten Gewissen? Was ist mit dem, was mich belastet? Dann sagt Jesus: „Das ist alles vergeben. Das spielt keine Rolle mehr. Lieber lasse ich mich selbst von euch töten, als dass ich euch vernichten will! Ich gebe euch nämlich nicht auf. Ich will euch als Freunde gewinnen!“ Ich denke, dass das so ungefähr gemeint ist, wenn in unserem Lied vom Blut Jesu die Rede ist, in dem wir „rein, geheiliget und selig sein“ sollten.

Ja, von vornherein hat Gott schon damit gerechnet, dass wir Angst vor ihm haben, dass wir vor ihm weglaufen, wir alle, jeder Mensch, dass wir ein eigenes Leben ohne ihn führen wollen, und dass wir damit in die Irre gehen und zur Liebe immer weniger fähig werden würden. Und von vornherein wollte Gott sich trotzdem wieder mit uns versöhnen, auch wenn es sein eigenes Leben kosten würde, wenn er in seinem Sohn selbst sterben müsste. Aus eigener Kraft würden wir es nicht schaffen, aber er macht uns zu Menschen, die rein und heilig und selig sind: rein, das heißt gut und nicht böse; heilig, das heißt zu Gott gehörig und nicht zu einer bösen Macht; und selig, das heißt: wir dürfen glücklich sein und unser Glück empfinden und genießen.

Und weiter geht es mit dem Lobpreis der ewigen Liebe Gottes in der vierten Strophe:

4. O Wunderliebe, die mich wählte vor allem Anbeginn der Welt
und mich zu ihren Kindern zählte, für welche sie das Reich bestellt!
O Vaterhand, o Gnadentrieb, der mich ins Buch des Lebens schrieb!

Wir hörten ja schon: vom Anfang der Welt an sind wir schon von Gott auserwählt worden, schon immer sollten wir Gottes Kinder sein und zu seinem Reich gehören. Gott ist also nicht nur der Vater von Jesus, sondern auch unser Vater. Und er ist ein liebevoller Vater, dessen Haltung mit Recht als Wunderliebe beschrieben wird, der uns nicht ausnutzen und für eigene Zwecke missbrauchen will. Keinen anderen Trieb kennt dieser Vater als einen „Gnadentrieb“, einen Trieb der uneigennützigen Liebe zu seinen Kindern. Und die Hand dieses Vaters hat uns schon alle ins ewige Buch des Lebens geschrieben – niemand von uns soll verloren gehen.

Wenn dieses Lied wahr ist, dann ist Gott kein grausamer Tyrann, kein strafender Gott, vor dem man zittern muss:

5. Wie wohl ist mir, wenn mein Gemüte hinauf zu dieser Quelle steigt,
von welcher sich ein Strom der Güte zu mir durch alle Zeiten neigt,
dass jeder Tag sein Zeugnis gibt: Gott hat mich je und je geliebt!

Zu einem Gott, der uns liebhat wie ein guter Vater und wie eine gute Mutter, zu dem gehen wir gern, so wie man im Gebirge einen Bach immer weiter hinaufverfolgt, bis man an der Quelle des klaren Wassers angelangt ist. Und so wie wir frisches Wasser brauchen, um unseren Durst zu stillen, so brauchen wir auch den „Strom der Güte“, der von Gott herkommt. Er stillt unseren Durst nach Liebe jeden Tag immer wieder neu.

Aber können uns nicht doch Zweifel kommen, ob Gott uns wirklich so lieb hat? Es gibt doch Millionen und Abermillionen Menschen, über fünf Milliarden leben auf der Erde, das sind über tausendmal Millionen Menschen. Und im weiten Weltall mögen auf Milliarden Planeten noch viel viel mehr Lebewesen wohnen, von denen wir niemals etwas wissen werden. Sollte Gott wirklich jede einzelne dieser Seelen kennen und sogar liebhaben? Auch unser Lied kennt diesen Zweifel:

6. Wer bin ich unter Millionen der Kreaturen seiner Macht,
die in der Höh und Tiefe wohnen, dass er mich bis hierher gebracht?
Ich bin ja nur ein dürres Blatt, ein Staub, der keine Stätte hat.

Der Liederdichter staunt, dass Gott überhaupt an ihn gedacht hat, dass er Pläne hat mit jedem Menschen, nicht nur mit denen, die irgendwo oben stehen in der Gesellschaft, sondern auch mit denen, die unten sind. Auch wenn wir gemessen an der Größe Gottes nur so groß wie kleine Staubkörnchen sind: Alle Millionen Geschöpfe, ob hoch oder niedrig, ob auf der Erde oder irgendwo im Kosmos, alle sind Gott wichtig. Auch wenn wir uns manchmal so vorkommen wie ein dürres Herbstblatt, das von irgendeinem Baum gefallen ist und sterben muss – verloren sind wir darum noch lange nicht!

7. Ja, freilich bin ich zu geringe der herzlichen Barmherzigkeit,
womit, o Schöpfer aller Dinge, mich deine Liebe stets erfreut;
ich bin, o Vater, selbst nicht mein, dein bin ich, Herr, und bleibe dein.

Gewiss, ohne Gott wären wir nichts. Ohne Gott wären wir nicht lebensfähig. Er gab uns das Leben, und ohne seine Liebe wären wir verloren. Aber weil wir ihm gehören, sind wir lebensfähig. Indem wir zu ihm gehören, leben wir in der Liebe.

Aber was bedeutet es, Gottes Eigentum zu sein? Das sagt uns die folgende Strophe:

8. Im sichern Schatten deiner Flügel find ich die ungestörte Ruh.
Der feste Grund hat dieses Siegel: »Wer dein ist, Herr, den kennest du.«
Lass Erde und Himmel untergehn, dies Wort der Wahrheit bleibet stehn!

Wie eine Henne ihre Küken beschützt, so behütet Gott unter seinen Flügeln seine Menschenkinder. Wer sonst keine Ruhe findet vor bösen Stimmen und vor einem unmenschlichen Druck, dem er ständig ausgesetzt ist – hier kann er ihn finden, hier in dem Vertrauen zu einem Gott, der nicht will, dass seine Menschen ins Unglück rennen.

Wer zu Gott gehört, der ist also nicht das Eigentum eines Machthabers, der Menschen wie Sklaven ausbeutet und alles mit ihnen anstellt, was er nur will. Nein, Gott kennt uns, er ist aus Liebe an uns interessiert, um unseretwillen, nicht um seinetwillen. Nichts steht fester als diese Liebe, mit der Gott uns liebt. Selbst Erde und Himmel können untergehen, aber diese Liebe nicht.

Gilt das alles aber auch für Menschen, die immer wieder Unrecht oder große Schmerzen erleiden? Kann es denn sein, dass wirklich jeder Mensch in Gott Ruhe findet? Unser Lied ist davon überzeugt: Trost gibt es schon in dieser Welt, nicht erst im Jenseits, Gottes Kraft gilt gerade den Schwachen, den Leidenden, denen, die am Ende sind:

9. Wenn in dem Kampfe schwerer Leiden der Seele Mut und Kraft gebricht,
so salbest du mein Haupt mit Freuden, so tröstet mich dein Angesicht;
da spür ich deines Geistes Kraft, die in der Schwachheit alles schafft.

Unser Lied weiß etwas davon, dass das Leiden ein Kampf ist. Und dieser Kampf kostet viel Kraft und viel Mut. Manchmal möchte man aufgeben, weil man keinen Mut mehr hat und weil man sich zu schwach fühlt, so viele Schmerzen auszuhalten und immer wieder anzukämpfen gegen die inneren Stimmen und gegen die äußeren Anforderungen.

Dann ist es gut, zu wissen: Ich darf schwach sein. Ich darf mich mutlos fühlen. Ich darf neue Kraft und neuen Mut brauchen. Ich darf warten und hoffen, bis ich neue Kraft spüre – gerade in der Schwachheit. Unverhofft kommt mir manchmal etwas zu, eine Freude, mit der ich nicht gerechnet hatte, ein Gesicht, das mir zulächelt, das sich mir zuwendet, das mich ernstnimmt. Mitten im Schmerz, dem ich mich aussetze, geht es mir wie einem schreienden Baby, das getröstet wird, wenn es das Gesicht seiner Mutter sieht und von ihr auf den Arm genommen wird. Mitten in bedrängenden Gefühlen, die ich nicht verdränge, ist es dann auch möglich, eine Freude zu empfinden, die mich überströmt wie eine wohltuende Salbe.

Langsam kommen wir zum Schluss des Liedes – wir hören, wie die Liebe Gottes nicht nur von Anfang der Welt an schon da gewesen war, sondern wie sie auch in alle Zukunft hineinweist:

10. Die Hoffnung schauet in die Ferne durch alle Schatten dieser Zeit;
der Glaube schwingt sich durch die Sterne und sieht ins Reich der Ewigkeit;
da zeigt mir deine milde Hand mein Erbteil und gelobtes Land.

Unser Blick in die Zukunft ist oft getrübt durch die „Schatten dieser Zeit“, durch all die Katastrophen und Kriege, die unsere Welt zerreißen. Aber wer Gott vertraut, darf eine Hoffnung haben, die weiter blickt als nur auf das, was Menschen planen und im Sinn haben. Wie oft ist etwas gut ausgegangen, was wir nicht zu hoffen wagten, denken wir nur an die Öffnung der innerdeutschen Grenze vor vier Jahren oder an den beginnenden Frieden zwischen Juden und Palästinensern oder an die Aufhebung der Rassentrennung in Südafrika.

Allerdings spricht unser Lied hier nun auch wirklich vom Jenseits, von einem Leben, das uns nach unserem Tode blüht. Nicht als Vertröstung ist das gemeint, auch nicht als Flucht vor der Welt. Sondern eben weil wir in der Zukunft in Gottes Ewigkeit ein „Erbteil“ zu erwarten haben, dürfen wir schon hier auf der Erde um so getroster als Gottes Kinder leben, ohne vor unseren Lebensaufgaben zu fliehen. Ein „gelobtes Land“ werden wir als Heimat finden, wenn wir einmal sterben müssen, auch wenn wir es uns nicht vorstellen können, wie das sein wird. Nur der Glaube kann sich durch die Sterne schwingen und das Reich der Ewigkeit erahnen – mit eigenen Augen sehen oder auch nur mit unserer Phantasie ausmalen können wir uns diesen Himmel Gottes nicht.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit unseren einfachen menschlichen Worten Gott zu loben:

11. Ach könnt ich dich nur besser ehren, welch edles Loblied stimmt ich an;
es sollten Erd und Himmel hören, was du, mein Gott, an mir getan;
nichts ist so köstlich, nichts so schön als, höchster Vater, dich erhöhn.

Wer Gott vertrauen kann, der singt immer wieder gern Loblieder, die die man auch gern gemeinsam singt und die uns Spaß machen, je nach Geschmack alte oder neue Lieder, so wie wir sie hier ja auch singen. Zum Schluss spricht dann der Liederdichter noch davon, dass er am liebsten schon im Himmel wäre, wo er noch viel schöner als hier auf Erden singen und Gott loben könnte:

12. Doch nur Geduld, es kommt die Stunde, da mein durch dich erlöster Geist
im höhern Chor mit frohem Munde dich, schönste Liebe, schöner preist;
drum eilt mein Herz aus dieser Zeit und sehnt sich nach der Ewigkeit.

Mag sein, dass auch mancher unter uns eine solche Sehnsucht kennt – wenn das Leben gar zu schwer wird, wenn man gar zu große Schmerzen hat, wenn man ganz wenig Mut und kaum noch Kräfte hat. Im Lied schlägt diese Sehnsucht aber nicht um in eine Verzweiflung, die das geschenkte Leben hier auf der Erde wegwerfen will. Sondern gerade indem er Gottes ewige Liebe besingt und sich nach dem Himmel sehnt, gewinnt der Liederdichter die Zuversicht und den Mut, hier auf der Erde am Leben zu bleiben und sich von Gott leiten zu lassen.

Das war also meine Predigt über ein Lied, meine Predigt zum Ewigkeitssonntag über das Thema „Ewigkeit“.

Ewigkeit hat also zwar auch mit dem Jenseits zu tun, das uns einmal erwartet nach unserem Tod, aber nicht nur mit dem Jenseits! Viel mehr hat die Ewigkeit zu tun mit der Liebe von Gott, die bereits heute anfängt in unserem Leben. Lassen wir uns anrühren von dieser Liebe, lassen wir sie in uns wachsen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Aus dem Liederheft singen wir das Lied 235. Es ist auch ein Beispiel für ein Lied, das die Geschichte der Menschen umschließt vom Anfang der Welt an bis in die ferne Zukunft:

Einmal wurd es am Himmel hell, hier und da

Ewiger Gott, ewig barmherziger Gott! Dir vertrauen wir uns an! In deinen Armen sind und bleiben wir geborgen. An deiner Hand haben wir Orientierung und gute Wegweisung. Zeige uns den nächsten Schritt, den wir gehen können! Gib uns Kraft, Geduld zu üben und auszuhalten, was wir tragen müssen! Schenke uns Mut und Hoffnung, auch wenn wir die Zukunft nicht kennen. Amen.

Alles, was uns heute bewegt, schließen wir im Gebet Jesu zusammen:

Vater unser

Zum Schluss singen wir aus dem Lied 232 die Strophen 1, 2, 7 und 11:

1) Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht dankbar sein? Denn ich seh in allen Dingen, wie so gut ers mit mir mein. Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.

2) Wie ein Adler sein Gefieder ber seine Jungen streckt, also hat auch hin und wieder mich des Höchsten Arm bedeckt, alsobald im Mutterleibe, da er mir mein Wesen gab und das Leben, das ich hab und noch diese Stunde treibe. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.

7) Wenn ich schlafe, wacht sein Sorgen und ermuntert mein Gemüt, dass ich alle liebe Morgen schaue neue Lieb und Güt. Wäre mein Gott nicht gewesen, hätte mich sein Angesicht nicht geleitet, wär ich nicht aus so mancher Angst genesen. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.

11) Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe findt, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit.

Ich lade herzlich ein zum Bibelkreis am Mittwoch um 16.00 Uhr im Haus Jakobsberg – Treffpunkt für die, die zum erstenmal kommen: vorne im Eingangsbereich – und zum Singkreis am Donnerstag um 16.00 Uhr hier in der Kapelle!

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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