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Nicht im eigenen Saft schmoren

Am Tag der Kirchenvorstandswahl sollten wir das Gleichnis nicht als Jammervorlage nutzen nach dem Motto: „Die Leute kommen nicht mehr in die Kirche, die Wahlbeteiligung bei der Kirchenvorstandswahl wird auch immer niedriger, ist es nicht schrecklich!“ Jesus macht uns vielmehr einen Vorschlag, um neuen Mut zu gewinnen: „Bleibt offen und werdet noch offener!“

Ein gedeckter Tisch mit Besteck, Gläsern, Servietten und Dekorationen
Werden Gäste zum Essen kommen? Welche Gäste sind willkommen? (Bild: MonsterkoiPixabay)

#predigtGottesdienst am 2. Sonntag nach Trintitatis, 21. Juni 2009, dem Tag der Kirchenvorstandswahl, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Herzlich willkommen im Gottesdienst am Wahlsonntag! Die evangelischen Kirchengemeinden in Hessen und Nassau wählen heute ihren neuen Kirchenvorstand. Ab 11 Uhr ist in der Paulusgemeinde nebenan im Saal das Wahllokal geöffnet. Bis 17 Uhr haben Sie Gelegenheit, auf Ihrem Stimmzettel bis zu 10 Namen anzukreuzen.

Der Gottesdienst steht unter dem Thema: „Nicht im eigenen Saft schmoren!“ In der Predigt wird deutlich werden, was damit gemeint ist.

Lied 317, 1-4:

1. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, meine geliebete Seele, das ist mein Begehren. Kommet zuhauf, Psalter und Harfe, wacht auf, lasset den Lobgesang hören!

2. Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret, der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet, der dich erhält, wie es dir selber gefällt; hast du nicht dieses verspüret?

3. Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet, der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!

4. Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet, der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet. Denke daran, was der Allmächtige kann, der dir mit Liebe begegnet.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten gemeinsam mit Worten aus dem Psalm 36. Sie stehen im Gesangbuch unter der Nummer 719. Ich lese die nach rechts eingerückten Verse, lesen Sie bitte die linksbündigen Teile: Wie köstlich ist deine Güte, Gott!

6 HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.

7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes und dein Recht wie die große Tiefe. HERR, du hilfst Menschen und Tieren.

8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!

9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses, und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.

10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Kommt, lasst uns ihn anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott will, dass alle satt werden. Aber wir schaffen es nicht, die Güter der Erde gerecht zu verteilen. Gott will, dass allen Menschen Gerechtigkeit widerfährt. Aber wir schaffen es nicht, Unrecht zu verhüten und allen Opfern von Gewalt zur Seite zu stehen. Gott ist Zuflucht und Licht für alle Menschen. Aber wir streiten so oft über den Glauben und machen aus der Religion eine Angelegenheit von Zwang, Lustlosigkeit oder sogar Krieg. Wir rufen zu dir, Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Christus spricht (Matthäus 11, 28):

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid: ich will euch erquicken!

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, nimm uns an, wie wir sind, und bring unsere Stärken ans Licht! Vergib uns unsere Schuld und lass uns neu anfangen. Verwandle unsere Engstirnigkeit in Weitsicht, unsere Ohnmacht in Kraft, unsere Angst in Vertrauen. Stille unsere Sehnsucht nach Geborgenheit. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören den Predigttext aus dem Evangelium nach Lukas 14:

1 Und es begab sich, dass [Jesus] an einem Sabbat in das Haus eines Oberen der Pharisäer kam, das Brot zu essen, und sie belauerten ihn.

12 Er sprach aber … zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird.

13 Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein,

14 dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.

15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!

16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein.

17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!

18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.

19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich

20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.

21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.

22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.

23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.

24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

35 … Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Vor der Predigt singen wir im Lied 584, wie Gott unsere Schwachstellen in Stärken verwandelt:

Meine engen Grenzen
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, auf zwei Arten lässt sich unser heutiger Predigttext missverstehen. „Nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde“, sagt der Hausherr im Gleichnis. Daraus zog der Kirchenvater Augustin den Schluss, es müsse auch erlaubt sein, bei der Mission für die Kirche mit weltlichem Zwang nachzuhelfen. Mittlerweile haben wir von dieser Haltung Abschied genommen; wir haben erkannt, dass es sich mit der Freiheit des Evangeliums nicht verträgt, zum Glauben gezwungen zu werden, und fordern auch von anderen Religionen die Achtung der Religionsfreiheit. Wir müssen also überlegen, was mit dem Stichwort „nötigen“ in unserem Text wirklich gemeint ist.

Hartnäckiger hält sich ein zweites Missverständnis, nämlich, dass es in unserem Gleichnis um den sonntäglichen Kirchgang gehe. Als Kind habe ich das so gehört: Gott lädt dich jeden Sonntag ein, und es ist eine Kränkung für ihn, wenn du nicht hingehst, weil du andere Sachen für wichtiger hältst. Wenn du nicht sonntags zu ihm in die Kirche gehst, dann wird er andere einladen, und am Ende will er dich gar nicht mehr haben. Als Kind machte mir das ziemliche Angst: Würde ich nicht in den Himmel kommen, wenn ich zu wenig in die Kirche gehe?

Inzwischen bin ich sicher, dass Jesus sein Gleichnis auch so nicht gemeint hat. Interessant ist ja, wem er es erzählt:

1 Und es begab sich, dass er an einem Sabbat in das Haus eines Oberen der Pharisäer kam, das Brot zu essen, und sie belauerten ihn.

Das Publikum, vor dem Jesus sein Gleichnis ausbreiten wird, das sind gerade nicht die Nicht-Kirchgänger, sondern es sind Pharisäer. Dieses Wort hat damals noch nicht die Bedeutung „Heuchler“ wie heute. Ein Pharisäer ist damals das, was wir heute im guten Sinn einen Kirchgänger nennen. Er hält sich zur Synagoge, hört bei der Predigt zu und will nach Gottes Wort leben. Dagegen hat Jesus überhaupt nichts, und wenn ihn ein Pharisäer zum Essen einlädt, kommt Jesus gern.

Allerdings macht Jesus leider oft gerade im innersten Kreis der religiösesten Menschen eine irritierende Erfahrung: Sie belauern ihn, sie sind wachsam wie ein Luchs, ob er einen Fehler macht, ob er in ihre Gemeinschaft hineinpasst, ob er fromm genug ist. Sie sind mit seiner Art, Gottes Gesetz auszulegen, nicht einverstanden. Sie wollen ihn verklagen, weil er am Sabbat Kranke heilt. Sie finden es unmöglich, dass er mit Sündern fröhlich isst und trinkt und sogar mit den verhassten Zolleinnehmern, die mit der römischen Besatzungsmacht kollaborieren und dabei auch fleißig in die eigene Tasche wirtschaften. Kann es denn sein, dass Jesus sich in der Gesellschaft von Zöllnern und Sündern wohler fühlt als bei diesem angesehenen Mann aus der Gemeinde? Er ist es jedenfalls, an den Jesus seine deutlichen Worte richtet:

12 Er sprach aber … zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird.

13 Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein,

14 dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten; es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.

Es geht hier nicht um Familienfeiern und nicht um private Parties, wie man sie mit seinen Freunden feiert. Es geht um etwas Öffentliches, eigentlich um Politik. Jesus spricht von Gastmählern, zu denen man Leute wie ihn einlädt, die von sich reden machen. Gastmähler, auf denen Beziehungen geschmiedet werden, die irgendwann nützlich sein können, heute vielleicht vergleichbar mit dem Neujahrsempfang einer Stadt oder Partei oder Institution, vielleicht auch mit der „Tafel der Demokratie“ zur Amtseinführung des Bundespräsidenten Köhler. Jesus will, dass bei solchen öffentlichen Veranstaltungen nicht nur Gleichgesinnte im eigenen Saft schmoren, nicht nur Menschen, die einander Vorteile verschaffen können. Nein, gerade die Menschen, die sonst immer ausgegrenzt werden, die nichts zu bieten haben, gehören bei Jesus selbstverständlich mit dazu.

Vermutlich ist Jesus mit diesen Worten bei seinem Gastgeber mitten ins Fettnäpfchen getreten, aber da hebt ein anderer Gast sein Glas und wendet sich mit einem allgemeinen frommen Lobspruch an Jesus:

15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!

Will dieser Mann Jesus aus der Patsche helfen und das Gespräch wieder in unverfänglichere Bahnen lenken? „Reden wir doch nicht über die Ausgrenzung von Behinderten, sozial Schwachen und missliebigen Personen, reden wir lieber über die Religion, über den Himmel, über das Reich Gottes!“ Der Mann kennt Jesus aber schlecht, mit frommen Sprüchen lässt der sich nicht bremsen; jetzt legt er erst richtig los. Denn für das Reich Gottes ist Jesus der Experte. Reich Gottes, das ist kein Wolkenkuckucksheim nur für die Toten. Reich Gottes, das meint den Einfluss Gottes schon auf die Zustände in dieser Welt der Lebendigen. Und so erzählt Jesus ein Gleichnis:

16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein.

17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!

Wie gesagt, um das Reich Gottes geht es in diesem Gleichnis, auch wenn Jesus sich in diesem Fall die Einleitung spart: „Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Menschen, der…“. Jesus reagiert ja auf den Lobspruch: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!“ Jesus vergleicht also Gottes Einfluss auf die Gesellschaft der Menschen mit der Einladung eines reichen Herrn zu einem Gastmahl. Normalerweise fühlen sich Gäste geehrt und kommen in Scharen, wenn sie bei einem gesellschaftlichen Ereignis dabei sein dürfen. Aber hier geschieht das Gegenteil:

18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.

19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.

20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen.

Alle geladenen Gäste entschuldigen sich. Ihre Arbeit, ihre Geschäfte, ihre Familie gehen vor. Jesus weiß: sein Gastgeber und die anderen Gäste, mit denen er zusammensitzt, finden ein solches Verhalten unverzeihlich. So etwas kann man sich nicht erlauben, wenn man sich nicht gesellschaftlich unmöglich machen will. In gewissen Kreisen muss man sich sehen lassen, sonst laufen am Ende auch die Geschäfte nicht mehr.

Trotzdem meint Jesus: Genau das, was ihr unverzeihlich findet, erlaubt ihr euch selber. Bei jedem Empfang eines einflussreichen Gönners lasst ihr euch sehen. Aber wenn Gott ein Gastmahl gibt und dabei auch Zöllner und Sünder erscheinen, zieht ihr euch vornehm zurück. Da ist ja nichts zu holen. Da wird man möglicherweise mit den falschen Leuten gesehen. Ihr bleibt lieber unter euch und schmort im eigenen Saft.

21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein.

Arme waren damals arm, so wie in vielen Ländern Afrikas und Asiens heutzutage Menschen arm sind, ohne jedes soziale Netz, ohne irgendeinen Anspruch auf Hilfe. Verkrüppelte, Lahme, Blinde, das waren damals nicht nur Menschen mit einer Behinderung, die man leider oft immer noch ausgrenzt, sie galten als von Gott gestraft und gehörten definitionsgemäß zu den Armen, die darauf angewiesen waren zu betteln. Jesus erwähnt diese Gruppierung zwei Mal mit genau den gleichen Worten innerhalb eines Gespräches; er unterstreicht: Ihr mögt diese Menschen nicht in eurer Nähe dulden wollen, aber für Gott sind gerade sie die wichtigsten Gäste.

22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da.

23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.

Das ist ein besonders heikler Befehl des Herrn. Denn wer lebt auf der Straße? Da findet man nur die gescheiterten Existenzen, die mit der Gesellschaft nicht mehr zurechtkommen. Und wer treibt sich an den Zäunen, den Hecken, den Parkplätzen vor dem Edeka herum? Erwartet Jesus ernsthaft von uns, sie zu nötigen, bei uns zu Gast zu sein, hier in der Kirche mitzufeiern? OK, wir können uns rausreden: die würden ja sowieso nicht kommen. Sie würden vielleicht nur die Ruhe stören. Aber Jesus sagt: „nötigen“. Damit meint er sicher kein gewaltsames Hineintreiben in die Kirche, keine Zwangsbekehrung, wie es sie im Lauf der Kirchengeschichte leider gegeben hat. Er meint, ein freundliches Ermutigen zu etwas, was sich mancher niemals trauen würde. Vielleicht würde mancher gerne in den Paulustreff kommen, aber er denkt: Die sind doch sowieso lieber unter sich, da passe ich nicht rein. Vielleicht hätte mancher Interesse am Bibelkreis, aber er denkt: Ich gehe lieber nicht hin, sonst blamiere ich mich noch, ich kenne mich doch gar nicht gut in der Bibel aus. Wie auch immer, eine christliche Gemeinde ist offen für alle – auch und gerade für solche Menschen, die sich nicht für fromm halten, die nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen.

Was machen wir mit diesem Gleichnis Jesu heute am Tag der Kirchenvorstandswahl? Wir sollten es nicht als Jammervorlage nutzen nach dem Motto: „Die Leute kommen nicht mehr in die Kirche, die Wahlbeteiligung bei der Kirchenvorstandswahl wird auch immer niedriger, ist es nicht schrecklich!“

Ich finde, Jesus macht uns vielmehr einen Vorschlag, um neuen Mut zu gewinnen: „Bleibt offen und werdet noch offener!“ Es gibt die Menschen, die euch brauchen; hört nur nicht auf, Phantasie zu entwickeln, um die Nachfrage der Menschen und euer Angebot zusammenzubringen.

Und es stimmt ja schon jetzt nicht, dass niemand etwas von der Kirche will. Gemessen am heutzutage wahnsinnig großen Angebot an Religionen, Konfessionen und anderen Weltanschauungsformen bleiben erstaunlich viele Menschen ihrer evangelischen Kirche treu. Schon die Unterstützung der Kirche durch die Kirchensteuer ist nicht gering zu schätzen, wobei die meisten dabei nicht nur daran denken, was sie selbst davon haben, sondern sie möchten die sozialen und seelsorgerlichen Aufgaben der Kirche unterstützen. Natürlich ist auch der Wunsch, in bestimmten Lebenssituationen selber von der Kirche begleitet zu werden, nicht zu verachten.

Wenn sich dann – ich sage mal – etwa ein Zehntel aller wahlberechtigten Gemeindemitglieder aufmacht, um einen neuen Kirchenvorstand zu wählen, kann die verantwortliche Leitung der Gemeinde immerhin mit dem bewussten Rückhalt von über 200 Menschen arbeiten. Dreizehn Mitglieder der Gemeinde haben sich bereit erklärt, für die Kirchenleitung vor Ort zu kandidieren, ich finde das stark, weil mit diesem Amt eine Menge Verantwortung, Zeitaufwand und Einsatz verbunden ist. Ich finde gut, dass sich fast alle Mitglieder im Kirchenvorstand wieder zur Wahl stellen; offenbar haben sie in sechs oder mehr Jahren nicht die Lust verloren, dieses Amt auszuüben. Und genauso gut finde ich es, dass wir auch fünf neue Kandidatinnen und Kandidaten gefunden haben, darunter auch zwei um die Zwanzigjährige, eine davon sogar die jüngste Kandidatin im ganzen Dekanat Gießen.

In einem Kirchenvorstand geht es ja nicht wie oft in der Politik darum, in harten Fraktions- und Parteikämpfen seine Meinung durchzusetzen, sondern es ist gut, wenn möglichst alle Strömungen in der Gemeinde vertreten sind, Alt und Jung, die verschiedenen Wohngebiete und möglichst viele Berufsgruppen. Wenn jeder aus seinem eigenen Lebensumfeld die Erfahrungen von möglichst vielen Menschen mit in den Kirchenvorstand einbringt, können wir verhindern, was Jesus im Gleichnis anprangert: dass sich um eine Kirche so eine Art innerer frommer Kreis versammelt, der im eigenen Saft schmort. Wir wollen das nicht in der Paulusgemeinde, und es tut uns gut, immer wieder neu unsere Fühler nach außen auszustrecken und uns zu fragen: Sind wir Kirche für die Menschen, die uns in diesem Stadtteil brauchen? Sind wir offen für die Anliegen, auf die wir als Kirche zu antworten haben?

Die Mitglieder des Kirchenvorstandes sind, wenn wir an das Gleichnis denken, vielleicht mit dem Knecht zu vergleichen, der vom Herrn ausgeschickt wird, um neue Gäste zum Fest einzuladen. Jeder hat andere Mitglieder der Gemeinde im Blick, jeder nimmt auch andere Probleme von Menschen wahr, die uns brauchen, obwohl sie nicht zur Kirche gehören. In einer Kirchengemeinde darf es nicht so zugehen, dass man sich belauert, ob man auch alles richtig macht. In einer Kirchengemeinde ist es wichtig, dass man gerne zusammenkommt, ob zum Gottesdienstfeiern oder beim Gemeindefest, ob in Gemeindekreisen oder zu einem Seelsorgegespräch. Da müssen nicht alle auf dieselbe Art und Weise glauben, da ist man mit seinen Zweifeln und Fragen und Problemen willkommen. Jesus nimmt uns an, wie wir sind, denn er weiß, was in uns steckt. So ist auch die Gemeinde ein Ort, wo Menschen angenommen werden, wie sie sind, denn Gott hat mit jedem Menschen viel vor. Viel Gutes. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 302, 1+4-6:

1. Du meine Seele, singe, wohlauf und singe schön dem, welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn. Ich will den Herren droben hier preisen auf der Erd; ich will ihn herzlich loben, solang ich leben werd.

4. Hier sind die treuen Sinnen, die niemand Unrecht tun, all denen Gutes gönnen, die in der Treu beruhn. Gott hält sein Wort mit Freuden, und was er spricht, geschicht; und wer Gewalt muss leiden, den schützt er im Gericht.

5. Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot, macht schöne rote Wangen oft bei geringem Mahl; und die da sind gefangen, die reißt er aus der Qual.

6. Er ist das Licht der Blinden, erleuchtet ihr Gesicht, und die sich schwach befinden, die stellt er aufgericht‘. Er liebet alle Frommen, und die ihm günstig sind, die finden, wenn sie kommen, an ihm den besten Freund.

Lasst uns beten und unsere Fürbitten vor Gott bringen. Nach jeder Fürbitte rufen wir gemeinsam zu Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Am Tag der Kirchenvorstandswahl bitten wir dich Gott, für alle Wählerinnen und Wähler, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen ihr Wahlrecht ausüben und auch in den kommenden sechs Jahren den gewählten Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern den Rücken stärken, mit ihrem Gebet, mit konstruktiver Kritik und tatkräftiger Unterstützung in der alltäglichen Arbeit der Gemeinde. Großer Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Am Tag der Kirchenvorstandswahl bitten wir dich, Gott, für alle, die sich zur Wahl stellen, dass die Gewählten ihr Amt gewissenhaft und mit Freude ausüben, dass sie die Gemeinde verantwortungsbewusst leiten und gemeinsam mit dem Pfarrer dafür sorgen, dass die Kirche auf die Menschen zugeht und nicht im eigenen Saft schmort. Großer Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Wir bitten auch für die, die heute nicht in den Vorstand gewählt werden, dass sie sich nicht enttäuscht und gekränkt zurückziehen, sondern ihre Bereitschaft, in der Gemeinde mitzuarbeiten, auf andere Weise in die Tat umsetzen. Schenke uns allen die Einsicht, dass es bei der Wahl in einer Kirchengemeinde nicht in erster Linie um das Gewinnen geht, sondern darum, dass jeder Kandidierende einen wertvollen Dienst für die Gemeinde leistet, auch wenn bei einer demokratischen Wahl nicht jeder gewählt werden kann. Großer Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Am Tag des Gemeindefestes, das unsere Paulus-gemeinde heute gemeinsam mit der evangelischen Thomasgemeinde feiert, bitten wir dich darum, dass die beiden Nachbargemeinden einander immer näher kommen, im gemeinsamen Feiern wie heute, in der Planung gemeinsamer Projekte in der Gießener Nordstadt und schon bald in der Gestaltung des gemeinsamen Gemeindebriefs. Großer Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

Als Kirche Jesu Christi bitten wir dich, Gott, dass wir aufmerksam bleiben auf die Menschen, die uns brauchen, dass wir niemals den Mut verlieren, uns zu dir zu bekennen und nach deinen Geboten zu leben. Großer Gott: „Wir bitten dich, erhöre uns!“

In der Stille bringen wir vor Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 590: Herr, wir bitten: Komm und segne uns
Abkündigungen

Nun empfangen Sie – bevor Sie durch den Saal die Kirche verlassen und (wenn Sie wahlberechtigt sind) zur Kirchenvorstandswahl gehen – den Segen Gottes:

Gott segne euch und behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden. Amen.

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