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Vom „Bruder“ in der Bibel und in der Kirche

Zum Auftakt einer Pfarrkonferenz halte ich eine Andacht zur Verwendung des Wortes „Bruder“ in der Bibel und in der Kirche. Anlass ist der Rückblick auf eine gute Teamarbeit mit meinem Amtsbruder Frank-Tilo Becher, der aus dem Gemeindepfarramt ins Amt des Dekans gewechselt hat.

Zwei Männer von hinten, die aufs Meer schauen - ein Bruder mit seinem Bruder zusammen?
Was meinen wir, wenn wir in der Kirche die Anrede „Bruder“ verwenden? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Andacht auf der Dekanatskonferenz Gießen in der Paulusgemeinde am 4. September 2002

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich auf einer Pfarrkonferenz eine Andacht halte, zögere ich bei der Anrede. Wir sind uns nicht so unvertraut, dass wir uns mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ anreden. Wir sagen auch nicht „Liebe Gemeinde“ wie in der Kirche. „Liebe Schwestern und Brüder“ – wäre es das?

Ich möchte mit Ihnen über das Wort „Bruder“ nachdenken und was mit diesem Wort zusammenhängt. Paulus spricht in seinen Briefen oft die Brüder an, jedenfalls übersetzt Martin Luther so, wenn im griechischen Text das Wort „adelphoi“ steht. Beim Ökumenischen Bibel­gespräch merkten wir kürzlich, dass es im Griechischen kein Wort für „Geschwister“ gibt – man muss erschließen, ob „adelphoi“ im jeweiligen Sinnzusammenhang eher „Brüder“ oder „Geschwister“ meint.

Im frommdeutschen Wörterbuch von Andreas Malessa heißt es zum Stichwort „Bruder“: Unter Chri­sten gebräuchliche Anrede anstelle von „Herr“. Folgt der Nachname („Bruder Meier“), befinden Sie sich in einer Freikirche. Folgt der Vorname („Bruder Karl“), befinden Sie sich in einem Kloster. Wird die Vorsilbe „Amts-“ verwen­det, befinden Sie sich unter landeskirchlichen Pfarrern. Legt Ihnen jemand die Hand auf die Schulter, schaut sie sorgenvoll an und beginnt nach tiefem Luftholen mit „Bruder…“, dann machen Sie sich auf einen Tadel gefasst…

Die Anrede mit Bruder oder Geschwister tut’s also noch nicht. Man kann unter Brü­dern genauso unbrüderlich miteinander umgehen, wie es unter Menschen mitunter unmenschlich zugeht. Das fängt bei Kain und Abel an und hört bei Jakob und Esau noch lange nicht auf. Immer­hin lehrt uns das Beispiel Esaus, dass ein im Sinne der Bibel nichtgesegneter Bruder dazu fähig ist, Frieden zu schaffen mit dem Bruder, der ihn betrogen hat.

Viel Weisheit steckt in den Erzählungen der Bibel, wenn die Beziehungen von Völkern und Religionen als ursprüng­lich familiäre Bindungen dargestellt werden: So ist durch Adam und Noah die ganze Menschheit miteinan­der verwandt, und in Abra­ham haben Juden, Christen und Muslime einen gemeinsamen Vorfahren. Vielleicht ist es gerade die nahe Ver­wandtschaft dieser Religio­nen, die die Rivalität zwischen ihnen oft so heftig in brutalen Hass umschlagen lässt. Grund genug, um in Interreligiösen Wochen wie gerade in dieser Woche Fremdheit zu überwinden und fanatischem Fundamentalismus entgegenzutreten.

Im Psalm 133 wird die Eintracht von Brüdern besungen – als etwas Besonderes, nicht Selbstverständliches:

1 Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!

2 Es ist wie das feine Salböl auf dem Haupte Aarons, das herabfließt in seinen Bart, das herabfließt zum Saum seines Kleides,

3 wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions! Denn dort verheißt der HERR den Segen und Leben bis in Ewigkeit.

Die Eintracht von Brüdern ist nicht nur gut, sondern auch schön. Ich habe in den vergangenen vier Jahren erlebt, wie die Zusammenarbeit in einem guten Pfarrerteam die gemeinsame Arbeit beflügelt, und wie sich das auch positiv auf die Gemeinde auswirkt. Ich darf das heute dankbar und auch etwas wehmütig rückblickend feststellen – selbstverständlich ist eine so ideale Teamarbeit unter Pfarrern ja nicht.

Eintracht unter priesterlichen Brüdern wird im 133. Psalm mit dem Salböl auf dem Kopf Aarons verglichen. Sie kommt vom Kopf her, von den Gedanken, die man sich übereinander macht, von den Unterstellungen, die man überprüft und dann evtl. beiseite treten lässt, von den Erwartungen, die man dem anderen gegenüber hegt.

Vom Kopf her fließt das Salböl in den Bart herab, dorthin wo der Mund ist und wo Worte rascher ausgesprochen sind, als man sie wieder zurücknehmen kann. Im Dienste der Eintracht wären Vorbehalte und Erwartun­gen offen im Gespräch zu klären.

Und weiter fließt das Salböl herab zum Saum des Kleides, den ganzen Körper hinunter – diese Vorstellung hat eine fast peinlich anmutende Dichte und Nähe, als ganzer Mensch begegne ich dem andern, liefere ich mich ihm aus. Das gelingt nur, wenn ich erfahre, dass ich grundsätzlich von ihm akzeptiert bin und wenn ich bereit bin, ihn ebenso anzunehmen, trotz aller Differenzen im einzelnen.

Der Psalm verharrt in seinem Lobpreis der Eintracht unter Geschwistern aber nicht beim Bild des Salböls und der Einzelmenschen, sondern weitet ihn aus. Vom hohen Hermongebirge kommt Tau herab auf die Berge Zions – die Gabe der Eintracht ist ein Geschenk des Himmels mit einer unglaublichen Verheißung: Segen und Leben für immer und ewig.

Am Sonntag saßen wir hier im Saal beim Kirchencafé zusammen mit einer Frau, die eine Kandidatur für den Kirchenvorstand erwägt. Sie meinte, es müsste doch unter Christen möglich sein, Konflikte in gutem Geist miteinander zu lösen. Amen.

Blitzlicht aus Paulus:

Unser aktueller Gemeindebrief stellt blitzlichtartig dar, was uns im Augenblick am meisten bewegt:

1. Da ist der Umbruch durch den Wechsel von Frank-Tilo Becher ins Amt des Dekans. Was anderen Gemeinden noch bevorsteht, haben wir umgesetzt: Wir sind seit vier Tagen eine Gemeinde mit nur noch einer Pfarrstelle, obwohl wir theoretisch noch um eine halbe Pfarrstelle hätten kämpfen können, was wir aber für nicht sachdienlich gehalten haben.

2. Gemeinsam mit der Thomasgemeinde ist es gelungen, aus zwei Nöten eine Tugend zu machen und die Gemeindegrenzen zu verschieben – also aus 1 ½ + ½ Pfarrstellen mach 2 ganze Stellen mit ungefähr gleich großer Gemeindegliederzahl. Der Kooperationsvertrag mit Thomas ist auch Grundlage für die Zusammenarbeit mit der Michaelsgemeinde, und ich hoffe, dass wir alle nicht nur kooperieren wollen, sondern es auch Schritt für Schritt schaffen, etwa im Sinne meiner Andacht.

3. Nach anderthalbjähriger Vakanz auf unserer Gemeindepädagogenstelle hat Karin Kirschmann ihre Arbeit aufgenommen und konzentriert sich in ihrer Arbeit zuerst vor allem auf die Kinder in der Thomas- und Paulusgemeinde, zum Beispiel in Herbstferienspielen, die in einem Familiengottesdienst zum Erntedankfest münden.

4. Erntedankfest feiern wir in diesem Jahr sogar zweimal, denn am kommenden Sonntag sind wir von einem Kleingartenverein ins Festzelt eingeladen, um dort unseren Sonntagsgottesdienst zum Erntedank zu feiern.

5. Die Kirchenvorstandswahl erwähnte ich schon; mindestens die Hälfte der bisherigen Kirchenvorsteher lässt sich nicht noch einmal aufstellen; einige ganze oder halbe Zusagen aus der Generation der Zwanzig- bis Vierzigjährigen lassen hoffen.

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