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Sünde und Gnade

Was ist, wenn es Gott nicht gibt? Wer ist dann verantwortlich für das Böse in der Welt? Dann bleibt der Mensch allein auf seiner Schuld sitzen – und zwar an allem, was hier auf Erden geschieht. Selbstkritische Menschen neigen eher zur verzweifelten Selbstanklage, bequemer macht es sich, wer andere als Sündenböcke an den Pranger stellt, und zwar gnadenlos.

Hochseilartist - stilisiertes Männchen auf einem Seil
Worauf muss der Hochseilartist den Blick richten, um nicht zu fallen? (Bild: Peggy und Marco Lachmann-AnkePixabay)
#predigtGottesdienst am 11. Sonntag nach Trinitatis, den 22. August 2004, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich in der Pauluskirche mit dem Wort zur Woche aus 1. Petrus 5, 5:

Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.

Im heutigen Gottesdienst geht es um zwei Wörter, die für moderne Menschen schwer zu verstehen sind: Sünde und Gnade. Was ist Sünde überhaupt? Sind wir auf Gottes Gnade angewiesen?

Lied 440:

1. All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu; sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag.

2. O Gott, du schöner Morgenstern, gib uns, was wir von dir begehrn: Zünd deine Lichter in uns an, lass uns an Gnad kein Mangel han.

3. Treib aus, o Licht, all Finsternis, behüt uns, Herr, vor Ärgernis, vor Blindheit und vor aller Schand und reich uns Tag und Nacht dein Hand,

4. zu wandeln als am lichten Tag, damit, was immer sich zutrag, wir stehn im Glauben bis ans End und bleiben von dir ungetrennt.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Menschen wollen leben, erfüllt leben, sinnvoll leben. Wie erreichen wir dieses Ziel? Die Bibel sagt: wenn wir nicht vergessen, von wem wir unser Leben haben und in wessen Hände es bei unserem Tode wieder zurückkehrt. Wer so tut, als könne er ohne Gott leben, der verfehlt dieses Ziel, denn ohne Gott leben wir keinen Augenblick. In ihm leben wir, in der Liebe, die uns trägt, so wie Menschen ohne Luft und Fische ohne Wasser nicht leben können.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, wenn wir dich aus den Augen verlieren, übersehen wir auch, welche guten Gaben und welche Orientierungshilfen du uns anvertraust. Wir wagen nicht mehr, auf Hoffnung zu bauen, im Vertrauen zu leben, Liebe zu üben. Wir missachten gute Wegweiser in unserem Leben: Gebote und gute Grenzen, die uns gesetzt werden. Ohne dich kommen wir aus dem Tritt, überschätzen wir unsere Möglichkeiten, unterschätzen wir die Macht deiner Liebe. Ohne dich sind wir Sünder, verfehlen wir das Leben, sind wir tot, mitten im Leben.

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Aber Gott lässt uns nicht in der Tiefe der Sünde verlorengehen, sondern er zieht uns heraus. Wir sprechen gemeinsam die Worte des Psalms 113, im Gesangbuch stehen sie unte der Nummer 745. Ich lese die nach rechts eingerückten Verse und Sie bitte die linksbündigen Verse: Wer ist wie der Herr, unser Gott?

1 Halleluja! Lobet, ihr Knechte des Herrn, lobet den Namen des Herrn!

2 Gelobt sei der Name des Herrn von nun an bis in Ewigkeit!

3 Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn!

4 Der Herr ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

5 Wer ist wie der Herr, unser Gott, im Himmel und auf Erden?

6 Der oben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe,

7 der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz,

8 dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes;

9 der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja!

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, es ist nicht immer einfach, dein Wort zu verstehen. Alte Worte scheinen verstaubt: Sünde, Gnade. Doch sie enthalten wahre Schätze für uns moderne Menschen. Schenke uns die Einsicht, dass es angemessen ist, uns als Sünder zu verstehen, und dass es keine Schande ist, auf Gnade angewiesen zu sein. Darum bitten wir dich, Gott, im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Brief an die Epheser 2, 4-10. Es ist der Text, über den Pfarrer Schütz nachher predigen wird:

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,

5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden –;

6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,

7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

8 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,

9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.

10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied 299, 1-3:

1. Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig‘ Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne; denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?

2. Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, des muss dich fürchten jedermann und deiner Gnade leben.

3. Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht bauen; auf ihn mein Herz soll lassen sich und seiner Güte trauen, die mir zusagt sein wertes Wort; das ist mein Trost und treuer Hort, des will ich allzeit harren.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! Sünde und Gnade sind die Themen dieses Gottesdienstes. Altmodische Themen, könnte man meinen.

Was ist denn Sünde?

Wenn wir vom heutigen Sprachgebrauch ausgehen, dann scheint Sünde ein Verstoß gegen Diätvorschriften zu sein. Besondere Genüsse, das verspricht uns die Werbung, sind schon „eine Sünde wert“, selbst wenn der zu viel gegessene Kuchen gesundheitlich schlimme Folgen hat.

Wir kennen das Wort „Sünde“ auch in Verbindungen wie „sündige Meile“. Dann ist Sünde etwas Unanständiges, was man als Normalbürger nicht tut – oder nicht zugibt. Viele nennen einen Seitensprung eine Sünde, die man sich aber durchaus erlauben darf.

Der Epheserbrief sagt dagegen klar, drei Verse vor unserem Predigttext (Epheser 2, 1):

1 Ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden.

Was ist das – diese Sünde, durch die man tot gewesen sein kann?

Im griechischen Text stehen hier zwei Wörter für Sünde: „Ihr wart tot durch eure Fehltritte und Verfehlungen.“ Vielleicht verstehen wir diese Wörter selten so gut wie jetzt während der Olympiade: Wer ins Schwarze treffen muss, um zu siegen, aber daneben trifft, kann seine Medaillenhoffnungen begraben. Aber auch wer daneben tritt, übertritt, aus dem Tritt kommt, erreicht sein Ziel nicht. Sportlich tot ist nicht nur, wer sein Ziel verfehlt, sondern auch wer auf dem Weg zum Ziel Regeln verletzt. Da stößt ein Kugelstoßer die größte Weite seines Lebens – doch er tritt einen halben Fuß über. Dieser Fehltritt kostet ihn den Sieg.

Nach dem Epheserbrief ist es genau so mit der Sünde. Nur dass es bei ihr nicht um sportliche Misserfolge geht, sondern um ein Misslingen des ganzen Lebens. Ein Sünder verfehlt das Ziel seines Lebens, er ist auf alles Mögliche andere ausgerichtet, nur nicht auf Gott und seine Liebe.

Ich fand zufällig eine kleine Geschichte von Rabbi Milton Bonder („Der Rabbi hat immer Recht – Die Kunst Probleme zu lösen“, Zürich 2001), in der er die Frage stellt:

„Worin besteht das Geheimnis, dass ein Hochseilartist nicht das Gleichgewicht verliert? Er schaut auf keinen Fall auf den Boden und starrt nie auf das schmale Seil, um gut für den nächsten Schritt Fuß zu fassen. Was tut er stattdessen? Er behält immer die Stange im Auge, die das Seil am anderen Ende trägt. Gibt seinem Tun einen Bezugspunkt. Hält Balance, in dem er auf das Ziel, die Stange am Ende des Seils, konzentriert ist. Und der gefährlichste Augenblick für den Hochseilartisten? Wenn er sich umdreht auf dem Seil – und eine Sekunde lang den Bezugspunkt verliert.“

Sünde geschieht also, wenn wir abstürzen, weil wir vom Weg abkommen, und wir tun diesen Fehltritt, weil wir das Ziel, Gott selbst, aus den Augen verlieren.

Aber ist diese Definition von Sünde nicht überholt für uns moderne Menschen der Neuzeit?

Die Neuzeit begann in den hundert Jahren nach dem 30jährigen Krieg. Das habe ich von Professor Odo Marquard gelernt. Damals hatten die Menschen die Nase voll davon, sich die Köpfe einzuschlagen, weil einer katholisch glaubt, der andere auf Martin Luther schwört und ein Dritter noch ein anderes Bekenntnis für das einzig wahre hält. Sie befreiten sich von religiöser Bevormundung und vertrauten statt auf Gott immer mehr auf die eigene menschliche Vernunft. Von Gott, oder jedenfalls von dem, was die verschiedenen Kirchen als die eine alleinseligmachende Wahrheit von Gott behaupteten, befreiten, emanzipierten sie sich. War das nicht ein erfolgreiches Konzept? Wissenschaft und Technik blühen seitdem, es gab Fortschritte, die uns allen das Leben erleichtern, von der Waschmaschine bis zum Röntgenapparat und zum Telefon. Wieso soll man als moderner Mensch Gott noch als Ziel betrachten, wenn wir doch so viel selber machen können? Schaffen wir am Ende sogar den Himmel auf Erden?

Dass diese Erwartung übertrieben war, ist heute offensichtlich. Viele Errungenschaften der Technik haben ihre grausame Schattenseite, man denke nur an die Verkehrstoten und die Gefahren der Kernenergie. Auch der moderne Mensch hat blutige Kriege und Revolutionen zu verantworten, gerade weil er den Himmel auf Erden schaffen wollte. Aber wer ist dafür verantwortlich, dass der Fortschritt nicht nur nach Wunsch verläuft? Als Menschen der Neuzeit stehen wir in einem Zwiespalt: Viele machen Gott verantwortlich dafür, dass er keine sehr gute, sondern eine mangelhafte Welt geschaffen hat. Einige ziehen den Schluss: Gott kann die Welt nicht geschaffen haben, ja vielleicht gibt es ihn gar nicht, denn sonst wäre die Welt nicht so schlecht, wie sie ist.

In dieses Weltbild passt Sünde nicht hinein. Da gibt es keinen Gott mehr, den man nicht aus dem Blick verlieren darf. Da ist kein Weltenrichter, vor dem man sich verantworten muss. Wenn der Mensch sein Glück auf Erden selber schafft, muss er sich nicht mehr vor Gott verantworten; erst recht dann nicht, wenn es Gott gar nicht gibt.

Auf der anderen Seite: Was ist, wenn es Gott wirklich nicht gibt? Wer ist dann verantwortlich für das Böse in der Welt? Dann muss der Mensch sich zwar nicht mehr vor Gott verantworten, aber bleibt doch allein auf seiner Schuld sitzen – und zwar an allem, was hier auf Erden geschieht. Selbstkritische Menschen neigen eher zur verzweifelten Selbstanklage, bequemer macht es sich, wer andere als Sündenböcke an den Pranger stellt. Auch das habe ich von Professor Marquard gelernt: je mehr der moderne Mensch ohne Gott für alles verantwortlich sein möchte, um so mehr neigt er dazu, anderen Menschen ihre Schuld vorzuwerfen, und zwar gnadenlos.

Leben wir also in einer Zeit, in der wir uns pausenlos zwar nicht vor Gott, aber vor den Leuten, vor der Mode, vor dem Zeitgeist, vor was auch immer rechtfertigen müssen? Einerseits will man sich von niemand etwas sagen lassen, andererseits darf man ungeschriebene Gesetze nicht übertreten, wenn man nicht ausgeschlossen werden will. Wer in bestimmten Kreisen nicht raucht oder Bier trinkt, gehört nicht dazu. Das Diktat der Mode bestimmt nicht nur, was man anzieht, sondern auch, wie viel man wiegen darf. Frauen legen sich unters Messer, um ihren von Gott wunderbar geschaffenen Körper durch Schönheitsoperationen verunstalten zu lassen, denn das gängige Schönheitsideal lässt nur Busen oder Nasen in bestimmten Größen und Formen zu. Wieder andere laufen von Kindheit an mit dem quälenden Bewusstsein durch die Welt, so wie sie sind, nicht in Ordnung zu sein. Der Vater hätte gewollt, dass man das Abitur schafft, jetzt muss man ihm zeitlebens beweisen, dass trotzdem etwas aus einem wird. Die Mutter wollte lieber ein Mädchen statt den Jungen, den sie bekommen hat; der muss jetzt als Erwachsener mühsam lernen, zu seinem Mann-Sein zu stehen. Da sind Kinder, die so wenig Beachtung und Fürsorge von ihren Eltern bekommen haben, dass sie das Gefühl in sich bewahrt haben, kein Lebensrecht zu haben. Jeden Tag leben sie unter dem Druck, der Welt und sich selbst beweisen zu müssen, dass sie überhaupt da sein dürfen. Viele Beispiele gibt es dafür, dass gerade unsere Zeit gnadenlos ist. Vielleicht ist das die wichtigste Erscheinungsform der Sünde in unserer Zeit: diese Gnadenlosigkeit, mit der man sich selbst oder anderen Menschen das Recht abspricht, so zu sein, wie man ist, und sich nur so zu verändern, wie es einem selber gut tut.

Aber macht die Kirche die Menschen nicht auch nieder, wenn sie sie als Sünder abstempelt, die in Sünden gefangen sind? Wenn es mit der Sünde so ist wie mit dem Übertreten im Sport und dem Abrutschen vom Hochseil, ist es dann nicht aussichtslos, den Kampf gegen die Sünde zu gewinnen? Wer ist denn schon ein Hochseilartist des Glaubens? Wer ist so fromm, dass er ständig Gott im Auge behält? Wer könnte sagen, dass er niemals übertreten würde, was die Zehn Gebote angeht? Wir sind keine olympiareif perfekten Menschen. Sollten wir‘s nicht doch lieber locker nehmen mit der Sünde und sie nicht so ernst nehmen? Wir sind alle Sünder, was soll‘s, Fehler macht jeder!

Hier müssen wir unterscheiden. Sicher: Niemand ist perfekt. Fehler machen wir alle, einfach weil wir endlich sind. Aber bei der Sünde geht es um Fehltritte und Zielverfehlungen, die nicht einfach zu unserer Endlichkeit gehören, sondern die nicht sein sollten. Ja, oft besteht die Sünde gerade darin, dass wir gerade zu dieser Endlichkeit nicht Ja sagen wollen. Wer alles will, meint am Ende, dass ihm gar nichts möglich ist.

Das bringt uns in eine Zwickmühle: Je mehr uns bewusst wird, dass wir keine Sünder sein sollten, desto mehr spüren wir, dass wir in der Sünde gefangen sind – ohne Ausweg. „Ihr wart tot durch eure Sünden.“

Der Epheserbrief sagt: Es gibt einen Ausweg. Dieser Ausweg erinnert mich an den Wandspruch, der in manchen Büros hängt: „Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger.“ Ja, Sünden überwinden ist ein Wunder. So gut wie unmöglich, und doch (Was haben wir zu verlieren?) ein Angebot, das man sich durch den Kopf und durchs Herz gehen lassen sollte. Das Ziel des Lebens, das wir nicht aus dem Auge verlieren sollen, dieses Ziel selbst schaltet sich ein und bietet uns an: OK, wenn ihr es nicht schafft, mich, Gott, im Auge zu behalten, dann sage ich euch: Ich behalte euch sehr wohl im Auge. Wenn ihr tot seid durch die Sünde, wenn wir dauernd übertretet und niemals ins Schwarze trefft, dann mache ich euch wieder lebendig und gebe euch immer noch einen neuen Versuch. Nicht nur drei Anläufe wie im Sport, nein, Gnade ohne Ende.

Das ist gemeint, wenn‘s im Epheserbrief heißt:

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat,

5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr selig geworden!

Drei Wörter braucht der Epheserbrief, um auszudrücken, welches Heilmittel gegen den Tod wirkt, gegen das Totsein durch die Sünde: Barmherzigkeit, Liebe, Gnade. Alle drei Wörter werden außerdem durch ein Ausrufzeichen unterstrichen: reiche Barmherzigkeit! – große Liebe! – Gnade, durch die man schon selig geworden ist. Ja, wer‘s glaubt, wird selig, möchte man da sagen. Ist das nicht übertrieben? Ist am Ende nicht doch ein Haken bei der Sache?

Geht es vielleicht nur um eine Vertröstung auf später? Der Epheserbrief fährt fort:

6 Er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus,

7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

Dass im Himmel, in den kommenden Zeiten, alles besser sein soll als auf der Erde, das tröstet uns, wenn wir an die Verstorbenen denken, die wir loslassen müssen. Aber wir sind misstrauisch, wenn wir eine bloße Vertröstung vermuten. Darum ist es wichtig, genau hinzuhören: Da heißt es nämlich: „Er hat uns auferweckt!“ Wir sind jetzt auferstanden, mit Christus, wir sind sogar schon mit Christus eingesetzt im Himmel. Das klingt verrückt: Nicht nur Christus sitzt zur Rechten Gottes auf dem Thron im Himmel, sondern wir sitzen dort mit ihm! Wir sind die Mitbeherrscher der Welt, mit Christus? Wie ist das gemeint?

Nun, es folgt eine Begründung, die uns wieder auf den Erdboden zurückholt:

8 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,

9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.

Also: größenwahnsinnig soll niemand werden, der mit Christus auferstanden ist, mit ihm zur Rechten Gottes sitzt. Ein falscher Stolz, wie fromm wir sind oder was für gute Menschen wir sind, wäre nicht angebracht. Aber trotzdem gilt: Wer glaubt, ist wirklich selig. Und wer selig ist, der lebt schon im Himmel, selbst wenn er hier auf Erden noch Angst durchstehen muss und das Schicksal ihn beutelt. Wer glaubt, ist selig. Aus Gnade. Weil Gott uns liebt, will er, dass wir glücklich sind – selig sind wir, wenn unser Glück nicht mehr vom Pech bedroht ist, sondern unzerstörbar ist. Selig können daher sogar die sein, die Leid zu tragen haben, denn sie haben Trost zu erwarten. Seligkeit ist Glück sogar mitten im Unglück.

Und wie sieht diese Seligkeit aus, wenn sie nicht erst im Himmel beginnt, wo alles vollkommen ist, sondern schon hier auf Erden, wo jedes Glück ein Glück im Unglück ist?

Ich glaube, darauf gibt der letzte Satz unseres Predigttextes Auskunft:

10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

„I‘m special, I‘m designed by God!“ sagen amerikanische Christen. Gott hat mich geplant, ich bin einmalig, unverwechselbar. Was auch immer wir für ein Schicksal haben, wie auch immer wir von anderen Menschen behandelt werden: diese Würde kann uns niemand nehmen – dass wir Geschöpfe Gottes sind, seine lebendigen Werkstücke.

Worin besteht nun unser spezielles Design, unsere besondere Bestimmung als Werk Gottes? Wir sind „geschaffen zu guten Werken“, für die uns Gott sogar schon den Plan mitgegeben hat. Wir haben Begabungen, wir haben Möglichkeiten, uns zu entfalten, wir sind schon wer und wir können wachsen in unseren Fähigkeiten, Gott traut uns viel zu.

Steckt aber nun doch noch irgendwo ein Haken bei der Sache?

Eigentlich gibt es nur einen Haken. All diese schönen Dinge: mit Christus auferweckt sein, mit ihm zur Rechten Gottes sitzen, selig leben, indem wir sein Werk sind und gute Werke tun: sie kommen nicht zum Tragen, sie werden nicht wirklich, wenn wir das alles mit Füßen treten. Wir haben alle Chancen: Gott bereitet sogar die guten Werke vor, die wir tun können. Wir müssen uns allerdings dafür entscheiden, „in diesen Werken zu wandeln“, wie unser Text sagt. Ein Trainer bei der Olympiade kann das beste Siegerkonzept für seine Sportler entwerfen; wenn der Athlet oder die Athletin sich nicht daran hält, werden sie keine Medaille erreichen. Gott kann uns Liebe anbieten, so viel er will, wenn wir sie nicht annehmen, ist selbst Gott machtlos.

Wir leben nicht in einer gnadenlosen Welt. Gottes Liebe ist da, lebendig, lädt uns zum Vertrauen ein. Wir sind Werke seiner Liebe, geschaffen, um Liebe zu erfahren und weiterzugeben. Liebe wird uns verändern, wenn wir sie an uns heranlassen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.
Lied 620: Gottes Liebe ist wie die Sonne

Lasst uns beten!

Wir beten für die Sportler, die für Höchstleistungen trainieren, dass sie nicht nur Freude über Medaillen, sondern auch über ganz persönliche Erfolge empfinden können und dass sie sich nicht in Versuchung führen lassen, unlautere Mittel anzuwenden.

Wir beten für die Nationen, dass der olympische Geist ausstrahlt in alle Konfliktherde dieser Erde; dass Fairness nicht nur im Sport, sondern überall an Boden gewinnt, wo um unterschiedliche Interessen erbittert gekämpft wird.

Wir beten für Menschen, die sich einer gnadenlosen Welt ausgeliefert sehen und an keinen liebenden Gott mehr glauben können, dass sie Erfahrungen mit liebevollen Menschen machen, dass sie auf diese Weise Jesus in ihrem Leben begegnen, dass in ihnen Vertrauen wachsen kann.

Wir bringen alle diese Bitten vor dich und außerdem alles, was wir ganz persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser
Lied 331, 1+6+10+11:

1. Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke. Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke. Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.

6. Du, des Vaters ewger Sohn, hast die Menschheit angenommen, bist vom hohen Himmelsthron zu uns auf die Welt gekommen, hast uns Gottes Gnad gebracht, von der Sünd uns frei gemacht.

10. Alle Tage wollen wir dich und deinen Namen preisen und zu allen Zeiten dir Ehre, Lob und Dank erweisen. Rett aus Sünden, rett aus Tod, sei uns gnädig, Herre Gott!

11. Herr, erbarm, erbarme dich. Lass uns deine Güte schauen; deine Treue zeige sich, wie wir fest auf dich vertrauen. Auf dich hoffen wir allein: lass uns nicht verloren sein.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag gehen – wer möchte, ist im Anschluss noch herzlich zum Beisammensein mit Kaffee oder Tee im Gemeindesaal eingeladen.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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