Bild: Helmut Schütz

Mit Gottes Engeln auf dem (Schul-)Weg

Bei der Vorbereitung der ersten interreligiösen Segensfeier im Saal der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen wurde unter anderem darüber diskutiert, wie man das unterschiedliche Verständnis von der Bitte um Segen im Islam und der segnenden Handauflegung im Christentum zur Geltung bringen kann, ohne die Kinder bereits am ersten Schultag voneinander zu trennen. Hier kann man einen Eindruck gewinnen, wie das gelungen ist.

Gespannte Erwartung vor der ersten interreligiösen Segensfeier im Paulus-Saal
Gespannte Erwartung vor der ersten interreligiösen Segensfeier im Paulus-Saal
Interreligiöse Segensfeier zum Schulanfang am Dienstag, 8. September 2015, 9.00 Uhr, im Saal der Paulusgemeinde Gießen
Klaviermusik zum Stillwerden (Grit Laux)
Begrüßung

Pfarrer Helmut Schütz:

Guten Morgen, liebe Kinder, guten Morgen, liebe großen Leute!

Wir grüßen euch und Sie alle im Gemeindesaal der Pauluszentrums. Wer hier in den Kindergarten gegangen ist, weiß ja, was das für ein Raum ist: Genau! Euer Turnsaal! Heute machen wir hier aber etwas anderes. Wir haben eine Segensfeier zum 1. Schultag für euch vorbereitet. Wir – das sind Tugba Sahin von der Türkisch-Islamischen Gemeinde Gießen und das bin ich, Pfarrer Helmut Schütz, von der evangelischen Paulusgemeinde.

Pfarrer Helmut Schütz und Tugba Sahin begrüßen alle Anwesenden
Pfarrer Helmut Schütz und Tugba Sahin begrüßen alle Anwesenden

Bei der Vorbereitung waren außerdem noch mit dabei: Anita Häfner von der Georg-Büchner-Schule, Carmen Becker von der Sandfeldschule, Yesim Kantekin von der Alevitischen Gemeinde und Nuray Atmaca von der Türkisch-Islamischen Gemeinde. Leider können Frau Atmaca, Frau Becker und Frau Kantekin heute nun doch nicht hier sein. Außerdem ist noch hier der Imam der Türkisch-Islamischen Gemeinde, Herr Mohammet Duran, und Grit Laux hat sich bereit erklärt, Klavier zu spielen. Herzlichen Dank allen, die mit vorbereitet haben und heute die Feier gestalten.

Tuğba Sahin:

Aber am wichtigsten seid heute ihr Kinder, für die heute die Schule anfängt. Wer geht denn heute zum ersten Mal in die Georg-Büchner-Schule, bitte aufstehen? Und wer geht in die Sandfeldschule? Sind auch Lehrerinnen oder Lehrer hier bei uns? Väter? Geschwister? Mütter? Omas und Opas? Habe ich noch wen vergessen? Kindergartenkinder? Erzieherinnen?

Helmut Schütz:

Wir sind verschieden: Mädchen und Jungen, Frauen und Männer.

Wir sind verschieden: Dunkle Haare, helle Haare. Jeder hat andere Anziehsachen an.

Wir sind verschieden: Blaue Augen, braune Augen oder noch ganz andere Augen.

Wir sind verschieden: Manche glauben an Gott. Die einen glauben so. Andere glauben anders.

Manche sind Aleviten. Manche sind Christen. Manche sind Muslime. Manche glauben nicht an Gott. Sie glauben und denken in einer anderen Weise. Alle sind hier herzlich willkommen!

Tuğba Sahin:

Für uns alle bitten wir Gott um seinen Segen, besonders für euch Kinder.

Wir finden, dass es gut ist, auf dem Weg zur Schule und in der Schule niemals allein zu sein.

Wenn wir uns freuen, wenn wir aufgeregt sind und auch wenn wir ein bisschen ängstlich sind.

Darum hören wir gleich eine Geschichte von Gottes Engeln, die euch auf dem Schulweg begleiten.

Lied: „Lernen ist ein Wunder“

Zuerst singen wir ein Lied. In dem Lied geht es um das Lernen, aber nicht nur um das Lernen in der Schule, sondern um das Lernen von Tieren und Menschen, das es nicht nur in der Schule gibt. Lernen ist nämlich etwas Wunderbares, und das meiste, was Tiere und Menschen lernen, geht fast wie von selbst und ist doch ein tolles Wunder:

Wer bringt den Fischen das Schwimmen bei? …
Wer bringt dem Menschen das „Denken“ bei? …
Geschichte von Jakob und den Engeln

Anita Häfner:

In der christlichen Kirche haben wir ein besonderes Buch, unsere heilige Schrift, die Bibel. Wir möchten euch eine Geschichte daraus erzählen. Die Geschichte von Jakob. Sie steht im 1. Buch Mose – Genesis 28, 10-22.

Tuğba Sahin:

Die muslimischen Kinder und Erwachsenen haben ein anderes heiliges Buch, den Koran. Auch der Koran erzählt etwas von Jakob. In der zweiten Sure wird erwähnt, dass Gott dem Abraham einen Enkel geschenkt hat, weil er treu an Gott geglaubt hat und nicht an andere Götter. Sein Name ist Jakob. Jakob war ein besonderer Mensch, ein Auserwählter. Gott leitete ihn, machte ihn rechtschaffen und zu einem Propheten (Sure 6, 84; 21, 72; 19, 49).

Helmut Schütz

Hallo Kinder! Jetzt tue ich mal so, als wäre ich nicht der Pfarrer Schütz, sondern ich spiele jetzt einen anderen Mann. Ich bin jetzt der Jakob. Der hat vor ganz, ganz langer Zeit gelebt.

Pfarrer Schütz spielt Jakob, der von Engeln träumtSchalom, liebe Kinder! Salaam alejkum, ihr alle!

In dem Land, aus dem ich komme, begrüßt man sich so: Schalom! Salaam! Das heißt: „Friede sei mit euch.“

Mein Name ist Jakob.

Ich will euch heute erzählen, was ich vor kurzem erlebt habe:

Den großen Stein hier vorne habe ich euch mitgebracht, weil ich mit ihm etwas Besonderes erlebt habe. Es war in einer Nacht, die ich nicht so schnell vergessen werde.

Die Sonne war bereits untergegangen, und ich war zum ersten Mal weit weg von zuhause.

[Leiser, etwas geheimnisvoll].

Ehrlich gesagt bin ich abgehauen, weggelaufen vor meinem Bruder, mit dem ich mich gestritten hatte. Meine Mutter fehlte mir schrecklich, ich fühlte mich ziemlich allein.

Ich war todmüde und suchte einen Platz zum Schlafen. Ein Gasthaus gab es weit und breit nicht und ein Zelt hatte ich auch nicht dabei. Wenigstens anlehnen wollte ich mich irgendwo und meinen Kopf hinlegen.

Da fand ich diesen Stein. Ziemlich schwer war der, ich konnte ihn kaum verrücken. So zentnerschwer fühlte ich auch einen Stein auf meinem Herzen: Was wird morgen sein? Werde ich mich wieder vertragen mit meinem Bruder? Werde ich etwas zum Essen und Trinken finden? Fragen über Fragen. Über diesem Grübeln schlief ich ein, ich war viel zu erschöpft, um das alles zu überlegen und zu beantworten.

Bald fing ich an zu träumen. Ich träumte von einer riesigen Treppe, einer Treppe, die von der Erde, wo ich schlief, bis zum Himmel reichte. Ja, sie schien tatsächlich den Himmel zu berühren. Und ich sah helle und herrliche Gestalten auf- und absteigen. Es waren die ENGEL Gottes. Sie strahlten hell und schauten mich an.

Und dann hörte ich eine Stimme: „Hab keine Angst, Jakob. Ich werde dich beschützen. Ich bin bei dir und werde dich behüten, wohin immer du gehst. Ich werde dich wieder in dieses Land zurück bringen und nicht eher ruhen, bist ich das getan habe, was ich dir versprochen habe.“

Ich spürte, wie es in mir warm wurde, wie ein angenehmes Gefühl und große Freude mich erfüllten. Dieses Gefühl war auch am nächsten Tag noch nicht weg.

Ich merkte: Gott ist für mich da. Es war seine Stimme, die ich gehört hatte.

Ich bekam eine Gänsehaut. Ein heiliger Ort ist das hier, dachte ich. In meinem Rucksack fand ich ein bisschen Öl, das mir meine Mutter mitgegeben hatte. Ich betete: „Lieber Gott, sei mit mir auf dem Weg, den ich jetzt gehe. Ich weiß noch nicht, wie alles werden wird, wo ich Brot zu essen und Wasser zu trinken finde, und Kleider zum Anziehen. Bringe mich wieder zurück hierher und sei bei mir auf meinem Weg. Amen.“

Dann habe ich diesen Stein mit Öl begossen, um zu zeigen: Dieser Ort soll heilig sein. Er soll mich an das erinnern, was ich heute Nacht erlebt habe.

An diesem Stein haben sich Himmel und Erde berührt. Da habe ich etwas gesehen, was so schön war, dass ich jetzt noch Herzklopfen bekomme:

Gottes Engel haben mich angeschaut und mein Herz berührt, dass es mir ganz warm geworden ist.

Ich wünsche euch auch solche Engelträume. Dass ihr plötzlich ganz sicher wisst: Gott verlässt mich nicht, auch dann, wenn ich mich sehr einsam und hilflos fühle.

Ich wünsche euch Himmelsboten, die sagen: „Gott war da und ist da und wird auch in Zukunft bei dir sein.“

So viel von Jakob, liebe Kinder. Jetzt bin ich wieder der Pfarrer Schütz, und wir singen zusammen das Lied „Ein Engel kommt zu dir“:

Ein Engel kommt zu dir
Alle Schulkinder in der 1. Klasse - gleich welcher Religion - gehören zusammen
Alle Schulkinder in der 1. Klasse – gleich welcher Religion – gehören zusammen

Anita Häfner:

Heute ist ein besonderer Tag für euch: Euer 1. Schultag. Ihr seid bestimmt aufgeregt und gespannt, wie es in der Schule ist und manche von Euch sind vielleicht auch ängstlich wie Jakob.

Wenn man eine große Aufgabe vor sich hat, so wie ihr heute, dann bekommt man Kraft von Gott.

Das war bei Jakob so. Das ist auch bei uns so.

Jakob hat von Gottes Engeln geträumt und Gottes Stimme gehört.

Gott hat gesagt: Ich bin mit dir und will dich behüten auf deinen Wegen.

Er hat auch Personen zu euch geschickt, wie deine Eltern, Großeltern, Geschwister und Lehrer, die euch in der Schulzeit behüten und unterstützen.

Tuğba Sahin:

Dieses Wort gilt für euch auch. Und zum Zeichen dafür wollen wir jedem Kind einen Engel schenken.

Der Engel erinnert euch daran: Gott behütet euch auf allen Euren Wegen. Gott segnet euch und gibt euch Kraft. Er geht mit euch mit – egal was geschieht.

Anita Häfner:

Ich bitte alle Erstklässler der GBS und der Sandfeldschule nach vorne zu kommen und euch hier in einem Halbkreis aufzustellen.

Wir geben euch jetzt einen Engel, den ihr an euren Schulranzen heften könnt. Dieser Engel solle euch jeden Tag begleiten und beschützen.

Die Erstklässler bekommen von ihren Lehrerinnen einen Engel mit auf ihren Schulweg
Die Erstklässler bekommen von ihren Lehrerinnen einen Engel mit auf ihren Schulweg

Helmut Schütz:

Wir singen die zweite Strophe aus dem Engellied von vorhin:

Ein Engel bleibt bei dir
Segensgebet

Tuğba Sahin:

Lieber Gott, lieber Allah, heute ist erster Schultag.

Viele Kinder sind gespannt, es kribbelt im Bauch. Sie wollen gut aufpassen und mitmachen. Aber sie fragen sich auch: Werde ich alles verstehen? Werde ich Lesen, Schreiben und Rechnen lernen? Was für eine Lehrerin bekomme ich? Was für Klassenkameraden? Kann ich meinen Schulweg bald allein gehen?

Gib den Kindern Lehrerinnen, die sie verstehen, bei denen das Lernen Spaß macht. Hilf ihnen, dass sie bald Freundinnen und Freunde finden. Und dass keiner vor anderen Kindern Angst haben muss.

Helmut Schütz:

Guter Gott, gib den Lehrerinnen und Lehrern eine gute Hand, dass sie die Kinder verstehen.

Schenk ihnen Geduld, wenn es Schwierigkeiten gibt, und Ruhe in Situationen, die ihnen Angst macht.

Gott, lass es eine gute Gemeinschaft werden zwischen Lehrern, Schulkindern und Eltern.

Gott, wir bitten dich: Bitte geh immer mit ihnen und hilf ihnen. Schicke ihnen deine Engel, dass sie mit ihnen gehen. Dann sind sie nicht allein. Amen.

Ein Segensgebet, eine muslimische Dua oder ein christliches Fürbittengebet, wird auf unterschiedliche Weise beschlossen. Wir tun das jetzt auf diese unterschiedliche Weise, indem Imam Mohammet Duran die Sure 1 aus dem Koran vorträgt, und indem ich anschließend zum Vaterunser-Gebet einlade und den christlichen Segen spende. Auch wenn uns etwas fremd oder sogar komisch vorkommt, hören wir still und mit Respekt zu, denn das wünschen wir uns auch für unser eigenes Gebet, das den anderen vielleicht auch fremd oder komisch vorkommt.

Nach den gemeinsamen Fürbitten trägt Imam Mohammet Duran die 1. Sure aus dem Koran vor
Nach den gemeinsamen Fürbitten trägt Imam Mohammet Duran die 1. Sure aus dem Koran vor …

Imam Mohammet Duran:

Sure 1 (Al Fatiha) – hier die deutsche Übertragung

Im Namen Gottes, des Allerbarmenden und Barmherzigen. Lob sei Gott, dem Weltenherrn, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem König am Tag des Gerichts! Dir dienen wir und dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg der Menschen, denen du Gnade schenkst, nicht der Menschen, auf die du zornig bist, nicht der Menschen, die den falschen Weg gehen.

... und Pfarrer Helmut Schütz lädt zum Mitbeten des Vater unser ein
… und Pfarrer Schütz lädt zum Mitbeten des Vater unser ein

Pfarrer Helmut Schütz:

Vater unser und Segen

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Der Herr segne dich und behüte dich.
Er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Er hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Und wenn wir Christen an dieser Stelle das Zeichen des Kreuzes machen, verstehen wir das als Zeichen des Friedens, denn Jesus hat sein Leben für andere hingegeben, er wollte niemanden zum Glauben zwingen.

Die christlichen Schulkinder werden von Pfarrer Schütz mit Handauflegung gesegnet
Die christlichen Schulkinder werden von Pfarrer Schütz mit Handauflegung gesegnet
Segnung der christlichen Erstklässler (Pfarrer Helmut Schütz)

Gott segne dich und behüte dich. Er gebe dir Frieden, in der Schule und zu Hause. Amen.

Glückwünsche für muslimische Erstklässler (Imam Mohammet Duran)
Imam Duran beglückwünscht die muslimischen Schulkinder zum Schulanfang
Imam Duran beglückwünscht die muslimischen Schulkinder persönlich zum Schulanfang

Wir singen die dritte Strophe aus dem Engellied:

Ein Engel geht mit dir
Klaviermusik zum Ausklang (Grit Laux)
Weg zur Georg-Büchner-Schule oder zur Sandfeldschule und dann: Einschulung!

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