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Zwei volle Tassen

Zwei Kaffeetassen - stilisiert in gelber Farbe mit Sonnenmuster
Zwei Kaffeetassen (Bild: SuxuPixabay)

Hin und wieder diskutiere ich gerne mit Atheisten. Einen solchen freundschaftlichen, doch in der Sache unversöhnlichen Emailaustausch unterbrach mein Gesprächspartner, indem er mich an eine fernöstliche Weisheit erinnerte: Was tun zwei Menschen, die sich gegenseitig von der eigenen Erkenntnis überzeugen wollen? Beide haben eine volle Tasse vor sich stehen, jeder ein anderes Getränk, und jeder schenkt dem anderen aus der eigenen Tasse etwas zum Probieren ein. Aber das funktioniert nicht; die Tassen laufen über, und manche Mischung würde außerdem entsetzlich schmecken.

Mein atheistischer Freund zog daraus den Schluss: Wir müssen innerlich erst einmal „leer“ werden, damit wir vom anderen etwas Neues empfangen können. Wenn wir es uns aber beide in einer unverrückbaren Weltanschauung gemütlich gemacht haben, bleibt jede Diskussion fruchtlos.

Meine Gedanken gehen in eine andere Richtung. Volle Tassen wollen leer getrunken werden. Im übertragenen Sinn: Klare Überzeugungen sind dazu da, uns Orientierung für unser Leben zu geben. Indem wir das, was wir glauben, uns einverleiben und es praktisch im Alltag leben, wird unsere Tasse sowieso immer wieder leer. Neue Kräfte tanken wir in der Regel, indem wir auf uns vertraute Lieblingsgetränke zurückgreifen. Aber im Austausch mit Menschen, die aus anderen Quellen schöpfen, können wir durchaus probieren, wie das Getränk des anderen schmeckt. Oder wir lassen uns eine andere Teesorte empfehlen, vielleicht passt auch Milch in unseren Kaffee oder Zitrone in den Tee. Vielfalt kann uns reicher machen; aber nicht alles wird uns zusagen. Entscheidend ist nicht, was jeder in der Tasse hat, sondern wie wir unser Leben gestalten. Ob unser Leben erfüllt ist, wird nicht an unseren Überzeugungen, sondern „an unseren Früchten erkannt“, wie Jesus sagt, also an hilfreichen, gerechten, barmherzigen Taten.

Gedanken zum Sonntag am Samstag, 30. Januar 2010, im Gießener Anzeiger von Pfarrer Helmut Schütz, Pfarrer der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen.

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