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Eine Frau aus Kanaan fordert Jesus heraus

Die kanaanäische Frau geht anders nach Hause, als sie zu Jesus gekommen ist. Genau wie Jesus anders von ihr fortgeht. Die Frau überzeugt Jesus durch ihr Vertrauen und ist selbst verändert, einfach dadurch, dass Jesus dieses Vertrauen hervorhebt. Unsere Geschichte hat mich veranlasst, auch einmal darüber nachzudenken, wie ich selber als Seelsorger eigentlich im Auftrag Jesu helfen kann.

Die Skulptur einer Frau, die ihre Tochter auf dem Arm trägt
Wie die Frau aus Kanaan würde sich jede Mutter Hilfe für ihre Tochter wünschen (Bild: Michael GaidaPixabay)

#predigtGottesdienst am 17. Sonntag nach Trinitatis, den 22. September 1991, um 9.30 Uhr in der Kapelle der Landesnervenklinik Alzey

Herzlich willkommen im Gottesdienst in unserer Klinikkapelle! Ich begrüße Sie mit dem Wochenspruch 1. Johannes 5, 4:

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Wir werden in der Predigt eine Geschichte davon hören, wie durch einen starken Glauben sogar Jesus selber dazu umgestimmt werden kann, seine Haltung zu ändern.

Glaubenslied 278, 1-6:

1) Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht, wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht; ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt, wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt.

2) Ich weiß, was ewig dauert, ich weiß, was nimmer lässt; mit Diamanten mauert mirs Gott im Herzen fest, ja recht mit Edelsteinen von allerbester Art hat Gott der Herr den Seinen des Herzens Burg verwahrt.

3) Ich kenne wohl die Steine, die stolze Herzenswehr, sie funkeln ja mit Scheine wie Stern schön und hehr; die Steine sind die Worte, die Worte hell und rein, wodurch die schwächsten Orte gar feste können sein.

4) Auch kenn ich wohl den Meister, der mir die Feste baut; er heißt der Fürst der Geister, auf den der Himmel schaut, vor dem die Seraphinen anbetend niederknien, um den die Engel dienen: Ich weiß und kenne ihn.

5) Das ist das Licht der Höhe, das ist der Jesus Christ, der Fels, auf dem ich stehe, der diamanten ist, der nimmermehr kann wanken, der Heiland und der Hort, die Leuchte der Gedanken, die leuchten hier und dort.

6) So weiß ich, was ich glaube; ich weiß, was fest besteht und in dem Erdenstaube nicht mit als Staub verweht; ich weiß, was in dem Grauen des Todes ewig bleibt und selbst auf Erdenauen des Himmels Blumen treibt.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten des 25. Psalms:

1 Nach dir, HERR, verlanget mich.

2 Mein Gott, ich hoffe auf dich.

8 Der HERR ist gut und gerecht; darum weist er Sündern den Weg.

9 Er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg.

10 Die Wege des HERRN sind lauter Güte und Treue für alle, die seinen Bund und seine Gebote halten.

15 Meine Augen sehen stets auf den HERRN; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.

16 Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend.

17 Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten!

20 Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich!

21 Unschuld und Redlichkeit mögen mich behüten; denn ich harre auf dich.

22 Gott, erlöse Israel aus aller seiner Not!

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, wie viele Menschen wagen es nicht, auf deine Hilfe zu hoffen. Zu oft wurden sie enttäuscht in ihrer Sehnsucht. Gib uns nicht auf! Höre nicht auf, uns deine Liebe anzubieten! Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus 15, 21-28. Es ist zugleich der heutige Predigttext:

21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.

24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!

26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Lied 189, 1-2:

1) Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all, lobt Gott von Herzensgrunde, preist ihn, ihr Völker allzumal, dankt ihm zu aller Stunde, dass er euch auch erwählet hat und mitgeteilet seine Gnad in Christo, seinem Sohne.

2) Denn seine groß Barmherzigkeit tut über uns stets walten, sein Wahrheit, Gnad und Gütigkeit erscheinet Jung und Alten und währet bis in Ewigkeit, schenk uns aus Gnad die Seligkeit; drum singet Halleluja!

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Was für eine Geschichte ist das, die wir da eben gehört haben? Jesus wird hier merkwürdig schroff und abweisend geschildert. Erst antwortet er der fremden Frau gar nicht. Dann sagt er: Ich bin nur für das Volk Israel zuständig. Und schließlich vergleicht er alle, die nicht dem Volk Israel angehören, sogar noch verächtlich mit Hunden. So kennen wir Jesus gar nicht!

Und was ist das für eine Frau, von der da berichtet wird? Verzweifelt und hartnäckig, demütig und selbstbewusst lässt sie nicht locker, bis sie Jesus umgestimmt hat – ja, diese Frau hat einen erstaunlichen Einfluss auf Jesus!

Folgen wir dem Lauf der Geschichte. Schauen wir, was da geschieht, was auch uns anrühren und bewegen kann, was auch für uns wichtig wird, was auch uns umstimmen und verändern – oder festmachen und heil machen kann.

Die Geschichte beginnt sozusagen mit einem Urlaub. „Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.“ Ja, Jesus geht aus seiner Heimat weg, zieht mit seinen Leuten ins Ausland. Er zieht sich zurück, will einmal Abstand gewinnen von seiner Arbeit. Anstrengende Tage liegen hinter ihm, er hat Diskussionen geführt mit den hochgelehrten Theologen aus Jerusalem, er hat das Volk, das zu ihm kam, nicht ohne Trost und hilfreiche Worte wieder weggehen lassen wollen, er hat viele Kranke wieder aufgerichtet und heil gemacht. Nun braucht Jesus auch einmal Ruhe, um neue Kraft zu schöpfen. Und er denkt wohl: das geht am besten im benachbarten Ausland, in Syrophönizien, in der Gegend der großen Hafenstädte Tyrus und Sidon.

Doch Jesus wird erkannt. Eine Einheimische stöbert ihn auf. Sie will etwas von dem berühmten Wunderpropheten. „Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Es ist eine kanaanäische Frau, eine für Jesus ausländische Frau mit einer fremden Religion. Kanaan, so hatte das ganze Land Israel früher geheißen, als die Israeliten noch nicht hierhergekommen waren; Kanaan, das war auch der Name für eine Religion und Kultur, in der man an Fruchtbarkeitsgötter und -göttinnen glaubte, aber nicht an den einen Gott, den allmächtigen Schöpfer von allem, was es gibt.

Diese Frau war von Jesus also eigentlich in vierfacher Weise getrennt: Sie war Ausländerin, sie war andersgläubig, sie galt damals den Männern ohnehin als Frau nicht viel, und außerdem war Jesus nicht im Dienst, er war doch auf Urlaub dort im Nachbarland. Trotzdem wagt es die Frau, die Ruhe Jesu zu stören. Und das nicht einmal bescheiden und in aller Ruhe, nein, sie meldet sich lautstark und schreit heraus, was sie will! „Herr“ nennt sie ihn; ja, sie ist bereit, ihn anzuerkennen als einen, der etwas zu sagen hat. „Sohn Davids“ nennt sie ihn; sie spricht ihn an als Sohn des Volkes der Juden, das einen David als König hatte, der auch hier im Ausland berühmt gewesen war. Aber sie scheut sich nicht, ihn dennoch so laut anzuschreien. „Erbarme dich meiner!“ so bricht es aus ihr heraus. Wie verzweifelt muss sie sein – und doch voller Hoffnung, wenn sie einfach nicht anders kann, als um Hilfe zu schreien! Da steckt etwas Doppeltes drin, in diesem Schrei: „Erbarme dich!“ Einmal Demut, sie besiegt ihren Stolz, allein mit ihren Sorgen fertigzuwerden; sie vertraut sich einem andern an, dem sie zutraut, dass er helfen kann. Zugleich ist sie aber doch selbstbewusst und verantwortungsbewusst. Sie sucht aktiv Hilfe, sie weiß, was notwendig ist, sie gibt nicht auf.

Was will sie nun eigentlich von Jesus? „Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“ Das macht ihr Kummer. Ihre Tochter ist krank. Sie sieht, wie ihre Tochter überhaupt nicht mehr sie selbst ist, wie ihre Seele gefangen und gebunden ist, wie viele Qualen sie leidet. Sie hat sicher schon viel unternommen, um ihrer Tochter zu helfen. Aber sie selbst als Mutter kann ihr nicht helfen. Kein Arzt konnte etwas ändern, kein Priester. Letzte Hoffnung, die ihr bleibt, ist dieser Wunderprophet aus Israel – sie muss schon viel von ihm gehört haben. Er hat doch schon viele gesund gemacht, warum sollte er nicht auch ihrer Tochter helfen?

Und nun geschieht das Überraschende. Jesus reagiert abweisend. „Und er antwortete ihr kein Wort.“ Was mag Jesus für Gründe haben, einfach zu schweigen? Will er vielleicht nur seine Ruhe haben? Ist er es leid, immer wieder Klagen anzuhören, jetzt auch noch im Urlaub? Fehlen ihm die Kräfte, so lange er noch nicht richtig wieder aufgetankt hat?

Oder ist er einfach überrascht von dieser Frau, die ihn mitten auf der Straße anspricht, anschreit, die ihn „Herr“ und „Sohn Davids“ nennt? Was will sie denn von ihm? Was kann sie als Kanaanäerin denn wissen vom „Sohn Davids“ – von der Hoffnung auf den Messias Gottes, auf den das Volk Israel wartet?

Während Jesus noch schweigt und überlegt, wird er wieder angesprochen, diesmal nicht von der Frau, sondern von seinen eigenen Leuten. „Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.“ Die Jünger wollen das Problem auf eine einfache Weise lösen. Jesus soll die Frau schnell abfertigen und dann gehen lassen. Ihnen ist es peinlich, wie die Frau ihnen nachschreit. Das gehört sich doch nicht, das ganze Benehmen dieser Frau, so denken die Jünger.

Darauf will sich Jesus aber nicht einlassen. Das ist erst recht nicht seine Art, einfach Leute billig abzuspeisen und wegzuschicken. Er wendet sich nun doch direkt an die Frau, die zu ihm um Hilfe geschrien hat, zwar in knapper und strenger Form, aber immerhin nimmt er sie nun ernst als Gesprächspartnerin. „Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“

Jesus weist auf seine Grenzen hin. Das wirkt merkwürdig. Ist er nicht der Sohn Gottes? Der Sohn des Allmächtigen? Kann er nicht alles? Warum dann diese Einschränkung seines Auftrags auf die Juden?

Wenn wir das hören, könnte es uns kalt den Rücken herunterlaufen. Wenn es dabei geblieben wäre, wenn wirklich Jesus nur für das Volk Israel gekommen wäre, was wäre dann mit uns? Dann hätten ja auch wir nichts von Jesus zu erwarten. Dann wäre sein Gott nicht unser Gott.

Wie eigentümlich! Es ist also gar nicht so selbstverständlich, dass Gott für alle da ist. Für Gott vielleicht schon. Aber für uns Menschen nicht. Selbst Jesus musste das erst noch lernen, dass es für Gott keine Grenzen gibt, die nicht überschritten werden können.

Und die kanaanäische Frau wird ein Werkzeug Gottes, um den Sohn Gottes umzustimmen. „Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!“ Woher nimmt sie bloß den Mut und die Hartnäckigkeit, hier nicht aufzugeben? Wieder dieses doppelte Verhalten: demütig wirft sie sich nieder vor Jesus; respektlos fordert sie von ihm Hilfe. Und wieder erntet sie eine neue Abweisung, diesmal sogar verbunden mit fast beleidigenden Worten: „Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“

Nirgends wird deutlicher, dass Jesus wirklich ein Mensch war, wirklich ein Kind seiner Zeit und seines Volkes. Er lebt in den Vorstellungen des jüdischen Volkes, vor allen anderen Völkern auserwählt zu sein. Sie sind die Kinder im Haus Gottes, die anderen Völker zählen vor Gott höchstens wie Hunde, die draußen vor der Tür herumstreunen. Und Jesus scheint davon überzeugt gewesen zu sein, dass er alle seine Kräfte allein dafür brauchen würde, um den Verlorenen, den Verzweifelten, den Hilfsbedürftigen aus dem eigenen Volk Hilfe zu bringen.

Trotzdem gibt die Frau nicht auf. Sie nimmt das Bild von den Kindern und den Hunden auf, das Jesus gebraucht und schlägt ihn sozusagen mit seinen eigenen Waffen. „Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Wieder bekennt sie sich demütig dazu, vielleicht der Hilfe Jesu wirklich nicht genau so würdig zu sein wie die Juden. Doch sie ist davon überzeugt, dass doch wenigstens noch ein bisschen Hilfe übrig bleiben könnte für die Nichtjuden. Die Hunde kriegen ja auch noch was ab. Nicht dasselbe wie die Herren, die am Tisch speisen, aber wenigstens die Abfälle. Auch die Hunde werden satt.

Dieses Argument überzeugt Jesus. Er reagiert nun anders als am Anfang. „Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß.“ In Jesus ist offenbar etwas geschehen. Etwas Wunderbares. Vielleicht das eigentliche, das weitreichende, das bis hin zu uns reichende Wunder in dieser Geschichte. Er spürt, was mit der Frau los ist. Er spürt ihr großes Vertrauen zu ihm. Und dadurch wächst nun eine Einsicht in Jesus: Gottes Liebe reicht auch aus für Menschen, die nicht zum ursprünglichen Volk Gottes gehören! Wenn in einem Haus Kinder und Hunde satt werden, warum soll dann nicht auch der Hunger von Juden und Heiden nach Hilfe von Gott gestillt werden können?

Und dann sagt Jesus nur noch einen Satz: „Dir geschehe, wie du willst!“ Wenn du einen so starken Glauben hast, scheint Jesus ausdrücken zu wollen, dann ist dir schon geholfen. Und wenn dein Vertrauen so groß ist, dann wird auch deine Tochter gesund werden.

Hier nun komme ich noch auf einen anderen Gedanken, warum Jesus vielleicht zuerst so schroff und abweisend reagiert hat. Vielleicht gehörte diese kanaanäische Frau ja auch zu den überbesorgten Müttern, die sich so viele Sorgen über das Wohlergehen ihrer Tochter machen, dass sie sie gar nicht zu sich selbst kommen lassen. „Sie wird von einem bösen Geist übel geplagt.“ So ein böser Geist kann manchmal auch aus der Familie selbst kommen. Nicht genug Liebe spüren, sich ständig anpassen müssen, es nicht allen recht machen können, immer stark sein müssen, überfordert sein – solch böser Geist herrscht in Familien manchmal gerade durch den Wunsch der Eltern, die Kinder sollten es doch mal besser haben.

Wenn die Eltern, hier ist es die Mutter, dann zu der Einsicht kommen, dass dieser böse Geist gar nicht durch Medikamente oder durch Zauberei ausgetrieben werden kann, dann ist ein großer Schritt nach vorn getan.

Hat Jesus vielleicht zuerst gedacht: Ich kann der Tochter dieser Frau nicht helfen, wenn die Mutter sich nicht auch selbst fragt, welchen Anteil sie hat an der Krankheit ihrer Tochter? Wie alt die Tochter ist, wird ja nicht gesagt, vielleicht ist sie noch minderjährig und weiter auf die Begleitung durch ihre Mutter angewiesen. Vielleicht hat Jesus auch gedacht: Wie soll jemand, der vom Vertrauen auf den Gott Israels nichts weiß, überhaupt verstehen, dass Glaube, dass Vertrauen heilend wirken kann?

So führt die dreimalige Absage Jesu an die Frau dazu, dass sie immer deutlicher macht, was sie nun eigentlich will. Zum Schluss sagt sie es im Bild von den Kindern und den Hunden, die beide satt werden. Und vielleicht liegt hier der Schlüssel zur Heilung der Tochter. Wenn man sich in einer Familie anfängt zu fragen: Wie kann jeder satt werden, auch seelisch, dann beginnt jeder an der Seele gesund zu werden. Dann wird niemand über seine Kräfte hinaus gefordert, man kann auftanken, wenn man neue Kräfte braucht. Und so wie Jesus darauf pocht, dass auch für ihn Grenzen und Abgrenzungen manchmal wichtig sind, so mag auch die Frau ein Stück Gelassenheit und Ruhe mit nach Hause nehmen. Es hängt nicht alles von ihr ab, was mit ihrer Tochter geschieht, sie braucht die Tochter nicht total nach ihren eigenen Vorstellungen zu formen, die Tochter muss nicht nach der Façon der Mutter selig werden. Satt werden heißt: einen Hunger gestillt zu bekommen, z. B. einen Hunger nach Liebe, nach Anerkanntsein, nach Gesehen- und Gewürdigt-Werden. Und dann, wenn der Hunger gestillt ist, dann ist es auch einmal genug. Dann muss es nicht noch mehr vom Gleichen sein. Dann ist wieder etwas anderes dran.

Die kanaanäische Frau geht anders nach Hause, als sie zu Jesus gekommen war. Genau wie Jesus anders von ihr fortging. Die Frau ist verändert, einfach dadurch, dass Jesus ihr großes Vertrauen hervorhebt. Einfach dadurch, dass er sie beruhigt: „Dir geschehe, wie du willst.“ Du willst satt werden, satt werden an deiner Seele – ja, du wirst satt werden, du wirst genug Vertrauen und Liebe und Halt in dir haben, und für deine Tochter wird du auch in neuer Weise da sein können. Und so kann am Schluss der Geschichte das glückliche Ende erzählt werden: „Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.“

Unsere Geschichte hat mich veranlasst, auch einmal darüber nachzudenken, wie ich selber als Seelsorger eigentlich im Auftrag Jesu helfen kann.

Auch wenn ich um Hilfe gebeten werde, muss ich mich manchmal abgrenzen. Ich bin nicht zuständig für medizinische Fragen. Solche Dinge kann nur der Arzt entscheiden. Ich habe auch nicht die Verantwortung für die Therapie eines Patienten. Das muss ich dem Arzt oder dem Psychologen überlassen. Ich kann nicht dafür sorgen, dass jemand aus der Klinik entlassen wird, wenn ein Richter die Unterbringung angeordnet hat. Ich muss in der Regel auf den Sozialarbeiter verweisen, wenn jemand Arbeit oder Wohnung sucht.

Nicht abgrenzen muss ich mich aus religiösen Gründen. Ich bin genau so da für evangelische wie für katholische Christen, und auch wenn jemand nicht in der Kirche ist, ein Atheist oder ein Moslem, dem soll ich genau so ein Nächster sein, wie es Jesus in dieser Geschichte für die fremdländische Frau geworden ist.

Allerdings, wenn mich nun jemand wirklich als Seelsorger um Hilfe bittet, muss ich mich immer noch fragen: Wie kann ich denn eigentlich helfen?

Ich helfe nicht dadurch, dass ich Patienten immer recht gebe, wenn sie z. B. die Schuld an ihrem Schicksal anderen Menschen in die Schuhe schieben, sich aber nie fragen, aus welchen Gründen sie wirklich so krank geworden sind.

Auch Ratschläge sind nicht immer hilfreich, weil man dadurch manchem Menschen eine Verantwortung abnimmt, die er selber tragen könnte.

Ich kann manchmal helfen, Glaubensfragen zu klären, z. B. mit Hilfe der Bibel.

Ich kann manchmal auch helfen, zu klären: Was brauche ich, was braucht meine Seele wirklich? Und wie kann ich es bekommen? Und wie kann ich mit der Traurigkeit darüber fertigwerden, dass mir mancher Herzenswunsch nie erfüllt werden wird?

Ich kann meine eigene Nähe anbieten, ein Stück Zeit, Gespräche, Begleitung und Stützung, um einen anstrengenden Weg und Schritte, die weh tun, auch wirklich gehen zu können.

All das kann ich nur tun, weil mir auch selber Hilfe widerfahren ist und täglich neu geholfen wird, weil ich selber auf Gott vertrauen kann, auf den Gott Jesu, von dem ich mich angenommen fühle. Er ist ein mensch-gewordener Gott, mit dem man ringen kann um seine Hilfe, dem man auf den Leib rücken kann und der es sogar aushält, wenn man ihn anschreit, wie es damals die fremde Frau getan hat. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Wochenlied 249, 1+4+5:

1) Such, wer da will, ein ander Ziel, die Seligkeit zu finden. Mein Herz allein bedacht soll sein, auf Christum sich zu gründen. Sein Wort sind wahr, sein Werk sind klar, sein heilger Mund hat Kraft und Grund, all Feind zu überwinden.

4) Meins Herzens Kron, mein Freudensonn sollst du, Herr Jesu, bleiben; lass mich doch nicht von deinem Licht durch Eitelkeit vertreiben; bleib du mein Preis, dein Wort mich speis, bleib du mein Ehr, dein Wort mich lehr, an dich stets fest zu gläuben.

5) Wend von mir nicht dein Angesicht, lass mich im Kreuz nicht zagen; weich nicht von mir, mein höchste Zier, hilf mir mein Leiden tragen. Hilf mir zur Freud nach diesem Leid; hilf, dass ich mag nach dieser Klag dort ewig dir Lob sagen.

Gott, du schenkst Glauben, Glauben, der Berge versetzen kann.

So lass es geschehen, dass wir zueinander kommen, ich hier und du dort, verbunden durch Erwartungen, Enttäuschungen, Hoffnungen, und immer wieder neues Vertrauen.

Lass es geschehen, dass dein Wort uns verändert. Dann können wir getröstet werden und trösten, und Halt gewinnen auf unserem Weg.

Lass es geschehen, dass dein Wort unsere Kirche erneuert. Dann kann sie zum Ort der Zuflucht werden der Geborgenheit und des Zusammenhalts.

Lass es geschehen, dass dein Wort in der Welt gehört wird. Dann werden die Rechte der Menschen geachtet, das Blutvergießen hört auf, die Güter der Welt werden geteilt und die Erde bewahrt für zukünftige Generationen. Amen.

Alles, was uns heute bewegt, schließen wir im Gebet Jesu zusammen:

Vater unser
Lied 139:

1) Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine.

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in die neue Woche gehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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