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Christoph Erich: Maria – einigermaßen problematisch

Im Forum Deutsches Pfarrerblatt 7/98, S. 420+425, veröffentlichte Christoph Erich die folgende ausführliche Stellungnahme zu meinem Aufsatz „Marie, die reine Magd“ vom März 1998 – und an dieser Stelle kann man lesen, was ich ihm darauf geantwortet habe.

Helmut Schütz

Maria mit dem Jesuskind und Josef, der die beiden von der Seite anschaut
Maria mit dem Jesuskind und Josef an ihrer Seite (Bild: Vickie McCartyPixabay)

Zur Person: Christoph Erich, geb. 1914 zu Potsdam, Studium von 1933 bis 1937 in Berlin und Tübingen, Vikariat in Königs Wusterhausen, nach dem Krieg Gemeindepastor in Hamburg-Wohldorf und Schleswig, ab 1969 bis zur Emeritierung, 1978 Schulpfarrer in Frankfurt und Bad Ems.

In seinem Beitrag „Marie, die reine Magd“ geht Kollege Schütz von seinen Erfahrungen als Klinikseelsorger aus an das Problem der eventuellen Vergewaltigung Marieens heran und stellt von diesem Ausgangspunkt aus weitgehende und wesentliche Fragen, die für ihn zu einem möglichen bis wahrscheinlichen Ergebnis führen.

Wie im eigentlichen Sinne fragwürdig die Ergebnisse seiner Argumentationskette sind, zeigt sich, wenn man den Fragenkomplex von einer andern Ecke aus angeht, nämlich von der rein exegetischen Arbeit an den verschiedenen Aussagen des Neuen Testamentes. Wie das „Problem Maria“ von dieser Seite her aussieht, soll im folgenden kurz dargestellt werden.

Gehen wir in zeitlicher Reihenfolge vor. Die älteste Erwähnung der Geburt Jesu findet sich bekanntlich in Gal. 4, 4: „Da die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe … “. Wohlgemerkt, von einer GYNE, nicht von einer PARTHENOS schreibt Paulus an dieser Stelle. Er, der merkwürdig wenig an der Geschichte der Geburt Jesu interessiert zu sein scheint, kennt also offensichtlich noch nicht die Meinung von einer Jungfrauengeburt – eine immerhin bemerkenswerte Feststellung. Hätte er sie gekannt – so darf man wohl annehmen – hätte er wohl kaum versäumt, sie zur Verherrlichung des CHRISTOS zu gebrauchen.

Wie liegen die Dinge bei Markus, also beim ältesten Evangelium? Markus kennt keine Geburtsgeschichte Jesu. Bei ihm kommt Jesus aus Nazareth (Bethlehem wird bei Markus überhaupt nicht erwähnt) zum Täufer an den Jordan, ebenso wie Leute aus Judäa und Jerusalem, die laut Markus „ihre Sünden bekannten“ (Gerd Lüdemann hat darauf hingewiesen) und lässt sich von ihm taufen. Danach erfolgt die Vision/Audition der herabschwebenden Taube des Heiligen Geistes und der Stimme, die ihn zu Gottes liebem Sohn erklärt. (Bei Markus sah nur er die herabkommende Taube – erst Lukas scheint in Kap. 3, 22 die Vision zu verallgemeinern). Offensichtlich ist für Markus Jesus zunächst ein „Unbekannter aus dem Volke“, der nach seiner Taufe zum Gottessohn adoptiert wird, in Parallele zu Psalm 2, 7, wo ein israelitischer König bei seiner Thronbesteigung zum Sohn Gottes adoptiert wird. Die Gestalt Jesu wird für Markus erst vom Augenblick dieser Adoption an wirklich interessant. Seine bürgerliche Herkunft ist für ihn unwichtig.

Auffallend ist allerdings, darauf hat Schütz mit Recht hingewiesen, dass Jesus in Mark 6, 6, nicht als Sohn Josephs, sondern als Sohn Marieens von den Einwohnern Nazareths benannt wird. (Matthäus windet sich an dieser Stelle etwas und sagt nur ‚des Zimmermanns‘, und Luk. wagt es in 4,22 zu schreiben ‚Sohn Josephs‘.) Dass mit der Markusfassung eine uneheliche Geburt Jesu gemeint ist, wird mir fraglich durch die Tatsache, dass unmittelbar hinterher namentlich vier Brüder Jesu genannt werden und (ohne Namensnennung, also unter ‚ferner liefen‘, einige Schwestern), alle diese Geschwister doch wohl Kinder Marieens wie Jesus auch. Jesus wird also von den Nazarenern auf die gleiche Ebene gestellt wie seine Geschwister – die können ja wohl nicht alle unehelich geboren sein. Gibt es folglich eine andere Erklärung für die zunächst befremdliche Tatsache, dass an dieser Markusstelle Jesus als ‚Sohn Marieens‘ bezeichnet wird? Denkbar wäre m. E. folgende Argumentation: Joseph kommt bei allen Synoptikem zur Zeit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu nicht mehr vor, vgl. Mark. 3, 31 parr., wo nur seine Mutter und seine Brüder ihn aus einer Volksmenge herausrufen. Also kann man annehmen, dass Joseph zu dieser Zeit bereits gestorben war; die spätmittelalterlichen deutschen Maler der Christgeburt stellen ihn doch wohl aus dieser Annähme heraus stets als weißhaarigen alten Mann dar!

Zur Geburtsgeschichte bei Matthäus nur zwei kurze Bemerkungen im Sinne von Alternativen zu den Schütz’schen Erwägungen. Bei Matth. 1, 23 wird das Zitat aus Jes. 7, 14 zitiert. Die Septuaginta übersetzt die hebräische Vorlage an entscheidender Stelle mit PARTHENOS. Es ist denkbar, dass die Legende (die es dann ja wäre), von der Jungfrauengeburt aus dieser Septuagintafassung entwickelt wurde. Und dann: ebenso denkbar scheint mir, dass das Verhalten des Joseph bei Matthäus eine bewusste Reaktion auf jüdische Verleumdungen sei, die zur Zeit der Abfassung des Matthäusevangeliums bereits im Umlauf waren.

Eine besondere Rolle aber spielt bei Kollege Schütz die Lukasversion der bei diesem so ausführlichen und schönen Geburtsgeschichten des Täufers und Jesu. Auch zu Luk. 1 und 2 einige Überlegungen, die die Ausführungen des Kollegen Schütz in Frage stellen können und wollen. Die beiden ersten Kapitel des Lukasevangeliums bilden ja ganz offenbar den großen Bogen eines Gesamtentwurfs: in Kap. 1 die wundersame Geburt des Täufers, in Kap. 2 die Christgeburt. Der gewollte Sinn dieses schönen, eindrucksvollen Bogens ist doch offensichtlich dieser: „Schon die Geburt Johannes des Täufers ist voller Wunder und nur durch die unmittelbare Gnade Gottes zustande gekommen erst recht aber und in noch viel höherem Grade die Geburt Jesu.“ Beidemal ist es Gabriel, der „Mann Gottes“, der die Geburt des je besonderen Kindes ankündigt – man kann ihn also kaum einseitig als verkappten Erzeuger Jesu in Anspruch nehmen, wie Schütz es tut, der den Namen des Erzengels mit „Mein Mann ist Gott“ übersetzt, während niemand geringeres als Hermann Gunkel in RGG 2. Aufl. die obgenannte Übersetzung „Mann Gottes“ bringt.

Die Gesamtkomposition von Luk. 1 und 2 will also von vornherein Jesus höher einstufen und bewerten als den Täufer. Darüber hinaus aber könnte Luk. 1, 25 ff. noch einen andern Skopos haben, den die Widmung des Evangeliums in Kap. 1, 3 nahelegt. Der Adressat Theophilos ist seinem Namen nach Grieche, und als solcher natürlich von Hause aus vertraut mit der religiösen Vorstellungswelt seiner Herkunft. Er kennt also die vielerlei mythologischen Erzählungen von der Zeugung von Halbgöttern durch göttlichen Vater und menschliche Mutter: Zeus und Amphitrite, Zeus und Leto, Zeus und Semele und ähnliche. Es könnte gut sein, dass Lukas im Sinne von Paulus (Röm. 1, 14) sich insoweit als ‚Schuldner auch der Griechen‘ fühlt, dass er einem griechischen Proselyten die Geburt und damit das göttliche Wesen Jesu entsprechend seiner gewohnten Vorstellungswelt ‚göttlicher Vater – menschliche Mutter‘ vorstellt. Zu Denken wäre da in erster Linie an den Danae-Mythos: Danae, die als des Zeus Geliebte durch einen goldenen Regen den Perseus | empfängt; dabei hätte Lukas allerdings geflissentlich darauf geachtet, dass für den biblischen Gott eine reale, naturhafte Zeugung nicht in Frage kommt. Ein vermutlicher Rückgriff des Verfassers auf Gen. 1, 2 („Der Geist Gottes schwebte über den Wassern“) könnte ihm die Lösung von Luk. 1, 35 eingegeben haben.

Conclusio: Gewiss geben manche Argumente und Denkbewegungen der Schütz’schen Darlegungen zu denken; Beweiskraft haben sie – wie der Autor zugibt nicht. Auch die hier vorgelegten exegetischen Versuche beweisen nichts, wären aber wohl auch in ihrer Plausibilität ebenso wenig zurückzuweisen. Was bleibt, wäre ein unbeantwortbares Fragezeichen. Ein Geheimnis also. Und das ist gut so.

Christoph Erich

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