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Zur These über die Jungfrau Maria von Helmut Schütz

Die Veröffentlichung des Aufsatzes „Marie, die reine Magd“ im Deutschen Pfarrerblatt im März 1998 rief vielfältige Leserreaktionen hervor, auf die ich am 31. Dezember 1998 mit einem zusammenfassenden Brief reagiert habe. Er wurde im Februar 1999 im Deutschen Pfarrerblatt abgedruckt:

Statue der Jungfrau Maria (Foto: pixabay.com)
Statue der Jungfrau Maria (Foto: pixabay.com)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!

Genau vor einem Jahr, am Altjahrsabend 1997, wurde mein Artikel über „Marie, die reine Magd“ für das „Deutsche Pfarrerblatt“ fertig. Dann begann das Jahr 1998 für mich mit der Idee, noch einmal die Pfarrstelle zu wechseln, und das Jahr verging mit Bewerbungen, dem Abschied von Alzey und schließlich im Oktober mit dem Neuanfang als Gemeindepfarrer in der Paulusgemeinde in Gießen. „Zwischen den Jahren“ 1998/1999 komme ich nun endlich dazu, auf die Zuschriften zu reagieren, die mich zu meinem Artikel erreichten. Sie waren mir nicht unwichtig, sie sprachen mich in unterschiedlicher Weise an – als Gesprächsangebote, die eine Antwort verdienen. Ich antworte in Form eines halboffenen Briefes, indem ich einen Brief an alle versende, die mir geschrieben haben.

Lieber Herr Sunnus, Ihnen danke ich für den Mut, meinen Artikel abzudrucken, und vor allem für die Rückenstärkung im Editorial des Mai-Pfarrerblattes! (Ob Sie es für sinnvoll halten, meinen heutigen Brief sozusagen als Schlusspunkt unter eine Diskussion im Pfarrerblatt zu veröffentlichen, überlasse ich Ihnen.) Vor allem danke ich Ihnen für die Klarstellung, dass es sich bei meinen Ausführungen nicht um ein neues Dogma, sondern um eine Hypothese handelt. Dies betone ich vor allem in Entgegnung auf Sie, lieber Herr Kühnle. Einerseits werfen Sie mir vor, dass ich „irgend ein Phänomen (oder Hirngespinst) absolut gesetzt“ hätte, andererseits sind Sie auch gegen meine „Vielleichtschlüsse“. Nein, ich setze nicht absolut. Und auch Sie, lieber Herr Walter, unterstellen mir fälschlich die Behauptung: „Es ist eben so“. Nein, eben nicht. Die Aussage über einen möglichen Missbrauch Marias habe ich bewusst nicht als These, sondern als Hypothese formuliert, weil das Material nicht ausreicht, um sie zu beweisen. Ich habe allerdings auch noch keine stichhaltigen Gegenargumente gehört, die meine Hypothese widerlegen. Ich ergänze zwar Lüdemanns Vermutung, Maria könnte vergewaltigt worden sein, aber das ist kein Draufsatteln, lieber Herr Kühnle, vielmehr wehre ich mich gegen seine platten Angriffe auf das Glaubensbekenntnis und sein Unverständnis gegenüber der Tatsache, dass man Glaubensaussagen nur in irdischen Bildern und sich dem Geheimnis annähernden Analogien zur Sprache bringen kann – selbst das „Übernatürliche“ als solches ist ein Analogieschluss „über“ das „Natürliche“ hinaus, lieber Herr Warmers. Und das ist meine eigentliche These: dass unser Glaube an das „Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ gerade unter der Voraussetzung meiner Hypothese nicht hinfällig wird, sondern noch tiefer verstanden und empfunden werden kann – als Geheimnis der Liebe Gottes zu verachteten Menschen. Auch für mich, lieber Herr Schreiner, bleibt jenseits aller Psychologisierung „Jesus von Nazareth der Christus und Gottessohn“. Mit Ihnen, lieber Herr Walter, bin ich in dem Punkt völlig einig, „dass Gott festhält an der »Jungfrau Maria«“. Die von Ihnen unterstellte „Lust am Kaputtmachen, am Zerstören, am Untergang“ habe ich allerdings nicht, sondern ich bemühe mich, ein verständnisvoller und aufbauender Seelsorger zu sein.

Sie, lieber Herr Treblin, „den 87-jährigen Emeritus“, wie Herr Sunnus Sie genannt hat, durfte ich ja erst durch meinen Artikel kennenlernen, obwohl wir zehn Jahre lang nur ein paar Straßen voneinander entfernt in Alzey gewohnt haben. Sie haben mein Anliegen genau verstanden, dass ich „aus herzlichem Erbarmen mit den Opfern der Gewalt nun auch diesen Trost, den uns Gott durch den erniedrigten Jesus und die geschändete Maria geschenkt hat, weitergeben“ möchte. Mein Artikel war in der Tat in erster Linie für Seelsorger gedacht, die ähnlich wie ich mit Opfern sexueller Gewalt zu tun haben. In diesem Sinne haben Sie, lieber Herr Günther (telefonischer Kontakt), meine Gedanken als sehr hilfreich empfunden. Sie waren übrigens bisher der einzige, der ein Exemplar meiner Arbeit „Missbrauchtes Vertrauen“ aus dem Jahr 1995 angefordert hat, in der ich sehr viel ausführlicher auf die seelsorgerliche Arbeit mit Missbrauchsopfern eingegangen bin.

Von Frauen habe ich nur wenige, aber durchwegs positive Rückmeldungen erhalten. Vielen Dank vor allem Ihnen, liebe Frau Schatz, für Ihren Satz: „Gott kommt zu den Allerverachtetsten, zu denen in Schmach und Schande, die sich selber nicht annehmen können, die sich schmutzig und schuldig fühlen und macht sie zu seinen Kindern!“ Ihr Leserbrief sprach auch anderen Frauen in Alzey und anderswo aus dem Herzen, die von meinem Aufsatz angetan waren. Und Sie, liebe Frau Becher-Hülshoff, stellen eine wichtige Frage an meine schärfsten Kritiker: „Sind Inzestopfer vielleicht etwas so Abscheuliches, dass sie nicht in die Nähe des Evangeliums kommen dürfen?“

Noch einmal, lieber Herr Brasch, wie ich Ihnen bereits persönlich schrieb: Das Ansehen Jesu wird keineswegs in den Schmutz gezogen, falls seine Mutter wirklich ein missbrauchtes Kind gewesen und seine Geburt „das Resultat eines Sexualverbrechens“ sein sollte. Kein Kind in einer solchen Lage kann doch selbst für die Umstände seiner Empfängnis und Geburt verantwortlich gemacht werden; umgekehrt traue ich Gott das Wunder zu, dass er gerade in dem Menschen zur Welt kommen konnte, der in den Augen der Menschen der „Allerverachtetste und Unwerteste“ war, „so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg“ (Jesaja 53, 3). Das Ansehen Jesu wird doch für uns Christen auch nicht dadurch in den Schmutz gezogen, dass er die in den Augen der damaligen Welt schändlichste Todesart am Kreuz erleiden musste. Eine „Torheit“ ist auch „das Wort vom Kreuz“ nur für die, „die verloren werden“; für uns als Christen ist es eine „Gotteskraft“ (1. Korintherbrief 1, 18). – Und ebenso wenig wird das Ansehen Marias in den Schmutz gezogen, wenn sie ein Opfer von sexueller Gewalt gewesen sein sollte. Das ist gerade das Hauptanliegen meines Artikels: herauszuarbeiten, dass wir Maria dennoch mit vollem Recht „Jungfrau“ und „reine Magd“ nennen dürfen, auch wenn sie vergewaltigt worden sein sollte. Denn niemand hat das Recht, ein Gewaltopfer selber für die Gewalt verantwortlich zu machen, die ihm angetan wurde. Als Seelsorger spreche ich von Missbrauch betroffenen Frauen von Evangelium her die Erlaubnis zu, sich nicht mehr beschmutzt fühlen zu müssen und ein von Gott geliebtes Kind zu sein, das an den Taten des Missbrauchers unschuldig ist.

So hart und ungerecht viele Vorwürfe (im Mai-Pfarrerblatt) auch waren, sie haben mich dennoch nicht wirklich „getroffen“, denn das wäre nur dann der Fall, wenn ich den Eindruck hätte, dass eine Kritik vielleicht doch teilweise berechtigt sein könnte bzw. bei mir einen wunden Punkt anspräche.

Darf ich Sie, die mich empört als Gotteslästerer, Kirchen- und Glaubenszerstörer angreifen, umgekehrt fragen, welchen wunden Punkt ich bei Ihnen getroffen habe? Es liegt mir völlig fern, Mitchristen in ihrem persönlichen Glauben zu verletzen. Kann es für Sie einfach nicht wahr sein, dass Maria mit der schmutzigsten Form gewaltsamer Sexualität auch nur als Opfer in Kontakt geraten sein könnte? Einer meiner Kollegen in Alzey hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass in Stalingrad auch viele evangelische Männer in höchster Not die Gottesmutter Maria angerufen hätten; in ihr verkörpere sich für viele das Ideal höchster Reinheit (so wie es für viele unmöglich sei, sich vorzustellen, dass die eigene Mutter sexuellen Verkehr gehabt haben könnte). Oder geht das Tabu, an das ich gerührt habe, sogar noch tiefer? Ist für Sie jede Sexualität grundsätzlich schmutzig? Wir müssen doch unterscheiden zwischen 1. nicht-sexueller Liebe und Nähe, der einzig erlaubten Liebe zwischen Eltern und Kindern, 2. reiner, keuscher Sexualität zwischen Erwachsenen (oder Heranwachsenden) auf freiwilliger Basis und 3. gewaltsamer Sexualität, die Menschen zu Objekten macht.

Ein erfreulicher Nebeneffekt der mich verketzernden Leserbriefe war, dass manche Kollegen erst durch sie auf meinen Artikel aufmerksam geworden sind, zum Beispiel Sie, lieber Herr Dietrich-Zender, – danke schön für Ihr aufmunterndes Fax! (Insofern auch ein Dankeschön an die schärfsten Kritiker!)

Nun zu Ihrer sachlichen Gesamtschau auf das „Problem Maria“ aus exegetischer Sicht, lieber Herr Erich („Maria – einigermaßen problematisch“), die ich als gute Ergänzung meiner Überlegungen empfinde. Im Namen Gabriel erkenne ich in Anlehnung an Ben Chorins Deutung einen Anklang an das Thema Inzest, wollte jedoch keinesfalls den Engel als möglichen Erzeuger Jesu implizieren. Was Markus 6, 4 betrifft, widerspreche ich Ihnen; die Geschwister Jesu gelten sicher als eheliche Söhne und Töchter Josefs. Noch vor hundert Jahren, als es noch eine große Schande war, wenn ein un- bzw. vorehelich geborenes Kind des Vaters nicht seinen Namen, sondern den der Mutter trug, litt zum Beispiel meine Großmutter sehr darunter, wenn ihre Geschwister ihr sagten: „Du gehörst nicht zu uns, du bist nicht von unserem Vater, du trägst ja nicht unseren Namen“.

Einig bin ich mit Ihnen, lieber Herr Erich, dass völlig offen bleiben muss, wer historisch gesehen Jesu Vater war, eben weil wir über Jesu Geburt nur legendarische Berichte haben. Wer diese exegetische Denkvoraussetzung nicht teilt, lieber Herr Spir, der muss mir – aber sicher mindestens 90 Prozent aller Amtskollegen auch – natürlich Unglauben vorwerfen! Mein Alzeyer Pfarrerkollege im Klinikseelsorgeteam meinte, dass meine Arbeit zu sehr den Anschein erweckt, doch eine historische Aussage über die Herkunft Jesu machen zu wollen. Meine Hypothese zielt jedenfalls darauf, ob wir die Legenden auf Erfahrungen beziehen dürfen, die von missbrauchten Mädchen und unehelichen Kindern im Laufe der Geschichte immer wieder gemacht worden sind; und dafür mag es sogar ausreichen, wenn sich in den biblischen Geschichten nur Gerüchte und Verleumdungen über Jesu Geburt widerspiegeln. Das haben Sie, lieber Herr Thomas, aufgegriffen, wenn Sie sagen: „Der hermeneutische Einsatz leidvoller Frauen-Erinnerungen zur Deutung der Textaussagen ist hilfreich.“ Was die historische Wahrscheinlichkeit angeht, kann ich Ihnen nur zustimmen: Darüber ist keine sichere Aussage möglich.

Den Vorwurf der Verleumdung des Vaters der Maria nehme ich sehr ernst, lieber Herr Schreiner (Juli), und auch lieber Herr Schmidt-Brücken. Es ist ja ein ungelöstes Problem, dass sich viele Väter auch gegen falsche Missbrauchsvorwürfe zur Wehr setzen müssen, und dass sich umgekehrt viele echte Missbrauchserfahrungen kaum beweisen lassen. Aber weitreichende Folgen hat dieses Problem nur dort, wo ein Kind sich noch in der Obhut eines vermeintlichen oder möglichen Täters befindet; da ist es sehr schwer, zwischen der Unschuldsvermutung gegenüber einem mutmaßlichen Täter und dem Schutz eines möglicherweise missbrauchten Kindes eine halbwegs richtige Entscheidung zu treffen.

Grundsätzlich geht es mir sowohl in der Seelsorge an Frauen, die als Kind missbraucht wurden, als auch in der Beschäftigung mit der biblischen Maria nicht um die Verurteilung eines Vaters, der zum Täter wurde (und der natürlich auch Therapie braucht, lieber Herr Schreiner), sondern um die Hilfe für ein Opfer. Es geht darum, wie ein missbrauchtes Kind sich über die Gefühle zum Missbraucher klarwerden kann, über Liebe und Hass. Erst dann kann es sich von der verheerenden Treuebindung an den Vater befreien, die es dazu getrieben hat, sich selbst schuldig zu fühlen für die Tat des anderen. Das Ziel ist, sich selbst als ein geliebtes Kind Gottes annehmen zu können. Ob irgendwann auch Vergebung für den Täter möglich ist, lasse ich offen; erlebt habe ich, dass am Ende eines langen Therapieweges eine Tochter sich auch an Gutes erinnern konnte, das sie mit dem Vater erlebt hatte.

Vielleicht habe ich zu undifferenziert von Marias „Vater“ gesprochen. Meine Vermutung bezieht sich auf eine Person, die väterliche Verantwortung für das Kind trägt, die zugleich Vertrauensperson und Vergewaltiger ist. Das könnte auch ein Onkel, ein älterer Bruder, ein Freund der Mutter sein. Ich weiß sogar von missbrauchenden Müttern. Ich klage keine bestimmte Person der Geschichte an.

Mit verletzendem Sarkasmus deuten Sie an, lieber Herr Vogels, es gebe keine Väter, die „auf diese Weise mit ihren heranwachsenden Töchtern umgehen“. Es gibt sie, einige tun es sogar mit Babies. Über Zahlen möchte ich mit Ihnen nicht streiten, jeder einzelne Fall ist ein Fall zu viel.

Auf Ihre ironisch gemeinte Aufforderung, mich mit dem Thema der Homosexualität in der Bibel zu befassen, dennoch eine ernst gemeinte Antwort: Dafür fühle ich mich nicht kompetent genug. Aber es gibt in der Kirche Menschen, die gleichgeschlechtliche Neigungen haben und sich trotzdem ernsthaft bemühen, als Christ zu leben, zum Beispiel in den Vereinigungen, die sich HuK nennen, „Homosexuelle und Kirche“. Von ihnen weiß ich, dass sie sich zum Beispiel in der Freundschaft Davids und Jonathans ein wenig wiederfinden (2. Sam. 1, 26). Aber mit Ihren Beispielen aus dem Neuen Testament wollen Sie ja nur das ganze Thema in den Schmutz ziehen. Schade.

Lieber Herr Hildebrandt, meine Gedanken sind aus der Seelsorge entstanden, nicht aus einer Prostitution an den Zeitgeist. Von Organisationen wie Wildwasser erhalte ich keinen Beifall, von feministischen Frauen bekomme ich eher die kritische Anfrage, wie ich es als Mann wagen kann, missbrauchten Frauen helfen zu wollen. Der sensationslüsterne Umgang mit dem Thema Kindesmissbrauch liegt mir ebenso fern wie der arische Unsinn aus dem Dritten Reich. Nein, mit dem Zeitgeist hat es nichts zu tun, wenn ich meine, dass wir in der Kirche noch viel zu wenig über den sexuellen Missbrauch von Kindern und abhängiger Personen nachdenken, ganz anders als zum Beispiel in der niederländischen Kirche.

Sie, lieber Herr Schmidt-Brücken, haben mich falsch verstanden, wenn Sie meinen, eine Empfängnis Jesu vom Heiligen Geist komme für mich nicht in Betracht. Doch, genau daran glaube ich. Wir unterscheiden uns nur darin, dass ich sage: Das muss nicht auf übernatürliche Weise geschehen sein. Aber Jesus ist ein Kind vom Heiligen Geist, woher hätte er sonst seine göttliche Natur haben sollen, die Liebe Gottes leben können, aus welcher Macht hätte er sonst der Versuchung entgegentreten können? Mit Ihnen, lieber Herr Spir, halte ich Luthers Auffassung über die Jungfrauengeburt für eine großartige Möglichkeit, den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu konkret auszudrücken; aber es ist nicht die einzige. Und lieber Herr Warmers, „platt“ ist für mich ein Mirakelglaube, tief dagegen ein Glaube, der heute noch im Alltag Wunder erfährt – zum Beispiel darin, dass ein Mensch, der sich selber zu hassen gelernt hat, durch das Vertrauen auf Gottes Liebe zu sich selber Ja sagen kann. In diesem Sinne stimme ich der Liedstrophe EG 42, 3 voll und ganz zu – weigere mich aber, sie unbedingt auf ein übernatürliches Wunder beziehen zu müssen. Ich stimme Ihnen auch zu, wenn Sie sagen, dass die von mir ausgelegten Texte die Wahrheit über Jesus bezeugen wollen. Meine Ausführungen sollen wirklich nichts mehr als eine Randnotiz sein, die manchen – nicht allen – helfen kann, die große Wahrheit besser zu verstehen.

In diesem Zusammenhang zitiere ich aus einer kleinen Thesenreihe von Pfarrer Treblin, in der er ganz in meinem Sinne fragt: Ist „die Tatsache, dass der lebendige Gott sich diesen wirklichen Menschen Jesus als Werkzeug erwählt hat, um uns seine Liebe zu uns Sündern nahezubringen, solidarisch mit unserer Schwachheit und Erniedrigung durch unsere Mitmenschen (Er trug unsere Krankheit…), zusätzlich dadurch glaubhafter oder begreiflicher zu machen, dass der Mensch Jesus mit überirdischen Zügen ausgestattet wird? Steht dahinter nicht ein anderes Gottesbild, das Bild eines allmächtigen Gottes, wie wir ihn uns wünschen, eines Gottes nach unserem Bilde, groß und stark und alle Hindernisse überwindend? Wird hier nicht Jesu göttliche Vollmacht mit seiner Menschheit, die man mit überirdischen Zügen ausstattet, unerlaubterweise vermischt? Unter diesem Aspekt (dem wirklichen Ärgernis), dass Gott sich durch einen wirklichen Menschen (und keinen Halbgott) als liebender, mit-leidender Vater und Bruder offenbart, begrüße ich die seelsorgerlich erprobte These von H. Schütz“.

Auf die allererste Reaktion, die mich erreichte, gehe ich zum Schluss ein. Lieber Herr Keck, ich teile Ihr Misstrauen gegen viele Arten von Psychologie, freue mich daher um so mehr, dass Sie sich meinen Ausführungen „nicht entziehen“ konnten. Leider konnte ich aus Zeitmangel Ihren weiterführenden Denkanstößen noch nicht nachgehen, zum Beispiel den Parallelen zu Agamemnon und Iphigenie und der Haltung des erwachsenen Jesus zu seiner Mutter. Was mir aber beim jetzt vergangenen Weihnachtsfest noch einmal ganz leuchtend und strahlend aufgegangen ist, das ist die wichtige Rolle des Josef, der seinem nicht-leiblichen Sohn ein wirklicher menschlicher Vater wird, wie ihn ein Kind braucht. Denn ich bin jetzt Seelsorger in einer Gemeinde, in der der Anteil alleinerziehender Mütter sehr hoch ist und viele Kinder sehr problematische Beziehungen sowohl zu ihren nicht bei der Familie wohnenden leiblichen Vätern als auch zum Freund ihrer Mutter haben.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Neues Jahr 1999! Und mir selbst wünsche ich von Ihnen, dass ich vielleicht von einigen noch mal eine Rückmeldung bekomme.

Helmut Schütz

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