Bild: Helmut Schütz

Zu Besuch bei Gott

Interreligiöses Treffen am Freitag, 15. Juni 2007, um 11.30 Uhr in der evangelischen Paulusgemeinde Gießen.

In der Gießener Nordstadt wohnen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund. Margot Sobieroj lud als Integrationsbeauftragte des Nordstadtzentrums unter dem Motto „Zu Besuch bei Gott“ dazu ein, Orte kennenzulernen, an denen Nordstadtbewohner sich – jeweils auf ihre eigene Weise – im Namen Gottes versammeln.

Einige wenige Fotos sollen andeuten, wo die Beteiligten unter anderem einen Besuch gemacht haben, zum Beispiel im buddhistischen Tempel, in der Türkisch-Islamischen Gemeinde und in der Evangelischen Paulusgemeinde:

Hier folgt der Text, mit dem Pfarrer Helmut Schütz die Fragen der Besuchergruppe beim Besuch in der Pauluskirche zu beantworten versuchte:

1. Was sind die drei wichtigsten Aussagen Ihrer Religion bzw. Konfession?

I. Gottes Wort wird Mensch in Jesus Christus

Für Christen verkörpert sich in Jesus das Wort Gottes. Man sagt auch: Gott nimmt in Jesus Christus unser Fleisch und Blut an. Als in Deutschland im Jahr 1933 viele meinten, Gottes Vorsehung hätte Hitler an die Macht gebracht, und man mit einem jüdischen Jesus nichts mehr zu tun haben wollte, erklärten evangelische Christen im Bekenntnis von Wuppertal-Barmen:

„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (Barmer Bekenntnis 1934)

Jesus ist das Wort Gottes. Das heißt: Durch den konkreten Menschen Jesus aus dem Volk Israel, durch sein Leben und seine Auslegung der Heiligen Schrift, durch sein Sterben und Auferstehen, durch seine Worte und Taten erfahren wir, wer Gott eigentlich ist und was Gott mit uns vor hat.

Statt „Gottes Wort wird Mensch in Jesus Christus“ kann man auch sagen: „Jesus ist Gottes Sohn“. Aber damit meinen wir keinen Halbgott wie Herkules, der nach der Sage aus dem Seitensprung des griechischen Göttervaters mit einer Menschenfrau entsteht, sondern wir meinen: in Jesus verkörpert sich voll und ganz das Wort Gottes, wir können auch sagen: die Liebe Gottes, denn Gott ist Liebe.

Jesus ist also kein zweiter Gott neben dem Vater im Himmel. Der Heilige Geist ist kein dritter Gott neben dem Vater und dem Sohn. Dreieinigkeit deutet auf das Geheimnis hin, dass Gott nicht nur der allmächtige Gott über uns ist, sondern zugleich der Bruder in Christus, der mit uns unser Schicksal auf Erden teilt und sogar für uns stirbt. Und dieser eine Gott ist in Christus nicht nur mit uns an unserer Seite, sondern sogar in uns, indem er uns anrührt, erfüllt, bewegt mit seiner Liebe. Das nennen wir den Heiligen Geist.

II. Gottes Wort ist Liebe und will von uns Liebe

Ich sagte schon, dass Gott die Liebe ist. Ich sagte, dass Gottes Liebe sich in Jesus verkörpert. Liebe ist auch das, was Gott von uns will. Als Jesus gefragt wird, welches das wichtigste Gebot Gottes ist, sagt er:

37 »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt«.

38 Dies ist das höchste und größte Gebot.

39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«.

40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

(Matthäusevangelium 22)

Und der Apostel Paulus, nach dem unsere Kirche benannt ist, sagt im 1. Brief an die Korinther (13, 13):

„Es bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“

Glaube ist Gottvertrauen auf einen Gott, der uns treu ist, was auch immer geschieht. Gott nimmt uns an ohne Vorbedingungen.

Hoffnung ist keine billige Vertröstung, sondern Gottes feste Zusage: „Ich stehe zu dir, gib niemals auf, denn ich gebe dich nicht auf!“

Liebe ist die Bewährung des Gottvertrauens, im Füreinander-Einstehen, sogar dem Feind gegenüber, indem wir Böses durch Gutes überwinden wie Jesus.

III. Gottes Wort ist Befreiung zur Freiheit

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit“, sagt Paulus im Galaterbrief (5, 1a).

Gottes Wort ist nicht nur ein frommer Spruch, sondern immer auch befreiende Tat. Gott unterdrückt die Menschen nicht, er will ihre Freiheit. Freiheit fängt mit der Schöpfung an: Gott schafft Mann und Frau als sein Ebenbild. Das heißt nicht, dass wir so aussehen wie Gott, sondern dass jeder Mensch eine Würde hat, die er nicht verlieren kann. Wir spiegeln Gottes Liebe wider, oder wir sind nicht wahrhafte Menschen.

Freiheit geht weiter im Volk Israel, das Gott aus Sklaverei und Götzendienst im Pharonenreich der Ägypter befreit. Als Wegweisung, um diese Freiheit zu bewahren und zu bewähren, gibt Gott dem Volk Israel Gebote. Das wichtigste davon haben wir eben gehört: das Gebot der Liebe.

Freiheit macht nicht Halt bei einem einzigen Volk. Jesus ist der Weg zur Freiheit für alle Menschen. Dazu gehört Freiheit von Sünden und Schuld durch Vergebung. Dazu gehört auch, dass wir uns mit Verhältnissen nicht abfinden, in denen Menschen unterdrückt und entwürdigt werden. Freiheit ist aber nie einfach Zügellosigkeit oder Grenzenlosigkeit. Freiheit ist immer Freiheit zur Liebe. Martin Luther sagte 1520: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Wir sind frei und müssen nur Gott gehorchen. Wir sind Gottes geliebte Kinder und sind in der Liebe allen Menschen verpflichtet, die uns brauchen.

2. Wie praktizieren Sie Ihren Glauben, bzw. welche Rituale haben Sie?

Für die evangelische Kirche steht das Wort Gottes an erster Stelle. Also könnte man sagen: das Hören auf Gottes Wort ist das wichtigste Ritual. Das kann im Gottesdienst geschehen: da wird aus der Bibel vorgelesen, da werden Worte der Propheten und Apostel und von Jesus selbst in der Predigt ausgelegt. Im Hören erfahren wir: Was will uns Gott sagen, wie sind Jesu Worte und Taten zu verstehen, was können wir aus der Wegweisung des Volkes Israel auch für die Kirche lernen, welchen Trost hat Gott für uns, wozu fordert er uns heraus. Jeder Christ kann aber auch zu Hause die Bibel lesen, manche kommen auch in Gesprächskreisen zusammen und lesen gemeinsam in der Bibel und fragen nach ihrer Bedeutung für unser Leben.

Zweitens ist das Sprechen zu Gott wichtig. Das Gebet. Auch das Beten findet gemeinsam im Gottesdienst statt, aber genauso gut kann man zu Hause beten, laut oder leise, mit eigenen Worten oder einfach nur in Gedanken oder mit vorgeprägten Gebetstexten. Das wichtigste christliche Gebet ist das „Vater unser“. Manche nutzen auch die Zeit für ein kurzes Gebet, wenn morgens, mittags und abends unsere Glocken läuten.

Drittens gibt es die sogenannten Sakramente, also heilige Handlungen, die von Jesus selbst eingesetzt wurden. Die evangelische Kirche kennt davon nur zwei: die Taufe und das Abendmahl. In der Taufe wird ein Mensch ausdrücklich in die Gemeinschaft mit Gott hineingenommen, wie er uns in seiner Liebe durch Jesus Christus offenbart worden ist. Mit der Taufe gehört ein Mensch zur Kirche; Taufe passiert nur einmal im Leben.

Bei der Feier des Abendmahls erinnert sich die Gemeinde an den Tag vor dem Tod Jesu, als er mit seinen Jüngern gemeinsam das jüdische Passafest feierte, das Fest der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Da sagte Jesus: So wie ich das Brot breche und den Wein ausschenke, so wird mein Leib zerbrochen und mein Blut vergossen werden. Das geschieht für euch und für alle Menschen. Aus diesem Tod, den ich freiwillig auf mich nehme, wird ein Segen für Israel und die Völker. Menschen wollten Jesus mit seiner Liebe für immer vernichten. Gott antwortete auf diesen Hass der Menschen mit seiner unendlichen Liebe und weckte seinen Sohn vom Tod auf. Das Abendmahl ist also die Feier der Versöhnung zwischen Gott und den Menschen und zwischen Mensch und Mensch.

Die katholische Kirche hat sieben Sakramente, davon wird Pfarrer Heil erzählen.

3. Erzählen Sie uns etwas über die Rolle der Frau in Ihrer Religion

Der jüdische und christliche Glaube ist in einer Zeit entstanden, als die Vorherrschaft der Männer in allen Völkern selbstverständlich war. Um so mehr fällt auf, dass sowohl im Alten als auch im Neuen Testament immer auch Frauen mit ihrer eigenen Stimme auftreten. Es gibt in der Bibel Prophetinnen, Richterinnen und Königinnen; in der Schöpfungsgeschichte erschafft Gott den Menschen zu seinem Bild als Mann und Frau; im Hohenlied der Liebe sind Liebesgedichte aufbewahrt, in denen Mann und Frau ihre Liebe zueinander als ebenbürtige Partner ausdrücken.

Jesus hat nicht nur Jünger, sondern auch Jüngerinnen, Maria Magdalena, Johanna, Susanna, Martha und andere (Lukas 8, 1-3 und 10, 38-42). Im Gegensatz zu seinen Jüngern nimmt er Frauen als Gesprächspartnerinnen ernst (Johannes 4, 8 und 11; Markus 5 und 7).

Von Paulus wird gesagt, dass er gefordert hätte, die Frauen sollten in der Gemeinde nicht lehren dürfen, sondern schweigen. Wenn das stimmt, ganz sicher ist nicht, ob wirklich er selbst das geschrieben hat, dann steht das im Gegensatz zu den Evangelisten, die davon berichten, dass es zuerst Frauen waren, die die Botschaft von der Auferstehung Jesu verkündet haben. Und in der Apostelgeschichte wird in der Pfingstgeschichte gesagt, dass alle vom Geist erfüllt das Wort Gottes weitersagen werden: die Söhne und Töchter des Volkes Gottes.

In unserer evangelischen Kirche ist es daher seit vielen Jahren möglich, dass Frauen genau wie Männer im Verkündigungsdienst stehen können. Pfarrerin Görich-Reinel ist eine solche Frau, die ihren Dienst in der evangelischen Thomasgemeinde tut.

Grundsätzlich gilt in der evangelischen Kirche: Vor Gott steht jeder Mensch mit gleichen Rechten, egal ob Mann oder Frau. Beide sind freie Christenmenschen, und beide sind in der Liebe jedem anderen verpflichtet.

4. Erklären Sie bitte, worin die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zu den anderen Religionen bestehen?

Christen glauben an den Einen Gott, an den schon das Volk Israel glaubte. Sie glauben auch wie die Juden, dass dieser Gott einen Messias auf die Erde sendet, den Gesalbten Gottes, der für Israel und alle Völker auf Erden Frieden und Gerechtigkeit bringen wird.

Der Unterschied zu den Juden ist nun: Wir Christen glauben, dass dieser Messias bereits gekommen ist. Jesus Christus ist der Messias der Juden und der Messias für die Völker. Das Wort Christus heißt wörtlich das Gleiche wie Messias: Der Gesalbte Gottes.

Die Bibel der Juden, die wir das „Alte Testament“ nennen, gehört darum auch zur Bibel der Christen.

Aber wir Christen glauben, dass die Völker an den Gott Israels glauben können, ohne dass wir alle Juden werden müssen. Die Beschneidung und die Reinheitsgebote sind nicht verpflichtend für Christen, wohl aber das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe, wie wir es vorhin gehört haben.

Mit dem Islam verbindet uns der Glaube an den einen Gott. Ich sagte schon: Dreieinigkeit heißt nicht, dass wir drei Götter haben, sondern dass Gottes Wort sich in Jesus offenbart. Und der Heilige Geist ist die Liebe Gottes, die sich vollkommen in Jesus verkörpert und die auch wir, wenn auch nicht in so vollkommener Weise, von ihm geschenkt bekommen. Trotzdem: die Lehre von der Dreieinigkeit ist der Hauptunterschied zum Islam. Denn im Koran steht, dass Gott keinen Sohn haben könne, für die Bibel ist aber Jesus der Sohn Gottes. Für den Islam ist kein Vermittler zwischen Gott und dem Menschen notwendig. Für uns Christen ist Jesus der Vermittler zwischen Gott und uns Menschen. Er lebt uns als wahrer Mensch vor, wie der Mensch als Ebenbild Gottes sein sollte, er vergibt uns als wahrer Gott, was wir Menschen einander antun. Also, obwohl wir unsere eigene Menschenwürde mit Füßen treten, wenn wir nicht gemäß der Liebe leben, bekommen wir durch Jesus die Chance, zur Liebe befreit zu werden.

Was verbindet uns mit dem Hinduismus, dem Buddhismus und anderen fernöstlichen Religionen? Die Ehrfurcht vor dem Leben, der Wille zum Frieden auf jeden Fall. Manche Christen praktizieren eine Art der Versenkung in Gott, die wir Mystik nennen, die an die Meditation der Zen-Buddhisten erinnert.

Den Hauptunterschied sehe ich darin: Die fernöstlichen Religionen glauben (wenn ich es richtig verstehe) an die Wiedergeburt der Menschen, die wie ein Fluch so lange andauert, bis man es endlich geschafft hat, sich von der Bindung an diese Welt zu lösen. Das Ziel der Erleuchtung ist das Aufhören der Wiedergeburten, das Eingehen ins Nirwana, also ein Verschwinden der eigenen Seele im Herz des Alls.

Dem christlichen Glauben ist diese Welt wichtiger. Sie soll verwandelt werden, hier soll Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit, Liebe geschehen. Und wenn wir sterben, dann dürfen wir auf Auferstehung hoffen, das heißt darauf, dass wir mit unserer Lebensgeschichte nicht einfach verloren sind, sondern in Gottes Liebe aufgehoben bleiben und sogar vollendet werden. Wie das aussieht, ist ein Geheimnis, das erfahren wir erst, wenn es soweit ist.

5. Wie stellen Sie sich den Dialog mit anderen Religionen bzw. Konfessionen vor?

Mit der katholischen Kirche lesen wir gemeinsam in der Bibel und feiern wir gemeinsame Gottesdienste, zum Beispiel zum Schulanfang.

In Gießen gibt es seit Jahren Begegnungen in den interreligiösen Wochen, im Trägerverbund arbeiten wir mit der türkisch-islamischen und der alevitischen Gemeinde zusammen. Mehr als bisher sollten wir uns bei Festen gegenseitig besuchen, mit Kinder-, Konfirmanden- und Gemeindegruppen die anderen Gottes- und Gemeindehäuser aufsuchen und miteinander reden, so wie wir es heute tun. Im Kindergarten wäre ein „konturvolles Nebeneinander“ der Religionen (so hat es unser Dekan Frank-Tilo Becher einmal ausgedrückt) eine Chance: wenn wir in Gesprächen mit Kindern und Eltern auf Feste und Vorstellungen anderer Konfessionen und Religionen eingehen.

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